Allgemein

Redaktionsgespräch mit Jens Schmidt-Bürgel - "Marktteilnehmer haben zu viel in Ratings hineininterpretiert."

Gab es bei Ihnen als Geschäftsführer einer Ratingagentur in den letzten zwei Jahren Arbeitstage, an denen Sie beruflich lieber etwas anderes gemacht hätten?

Es hat sicher Tage gegeben, an denen man sich gewünscht hätte, dass es weniger Negativschlagzeilen über die Rolle der Ratingagenturen gegeben hätte. Vor allem verwunderlich war für mich, dass sogenannte Ratingexperten sich mit teils unqualifizierter Kritik über die Agenturen so viel Gehör verschaffen konnten. Es besteht kein Zweifel, dass Ratingagenturen als Bestandteil der globalen Finanzmärkte ihre Rolle in der Finanzkrise haben.

Die oft hervorgehobene Bedeutung, die den Ratingagenturen an der Krise beigemessen wird, ist aus meiner Sicht jedoch stark übertrieben. Es ist richtig, dass zu viele von unseren Ratings - besonders in einigen der am stärksten betroffenen Structured-Finance-Assetklassen - sich nicht so verhalten haben wie erwartet. Es gab hier einfach zu viele Herabstufungen um zu viele Ratingstufen. Aber in allen anderen Bereichen haben die Ratings funktioniert und aus diesem Grund kann ich die teils sehr unqualifizierte und pauschale Kritik nicht nachvollziehen.

Im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise hieß es immer wieder, dass Investoren Geld in Produkte angelegt haben, die sie nicht verstanden hätten. Sind auch Ihre Ratings zum Teil nicht oder falsch verstanden worden oder wurde zu viel hineininterpretiert?

Man muss aus Sicht einer Ratingagentur sicher feststellen, dass viele Marktteilnehmer deutlich mehr in Ratings "hineininterpretiert" haben, als in deren Kernaussage drin steckt. Dies gilt vor allem für die Annahme, dass Wertpapiere aus dem Verbriefungsbereich, die ein "AAA" haben, eine ähnliche Sekundärmarktliquidität aufweisen müssen, wie zum Beispiel Staatsanleihen mit einem "AAA" Ein Rating sagt jedoch nichts über die Handelbarkeit von Wertpapieren aus. Die Tatsache, dass ein Wertpapier mit einem "AAA" aus dem Verbriefungs- im Sekundärmarkt nicht so gehandelt wird wie eine Staatsanleihe, bedeutet nicht automatisch, dass das Rating falsch ist. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass Ratings nur Kreditrisiken analysieren und keine Marktpreisrisiken.

Darf sich ein Investor bei seinen Investmententscheidungen im Schwerpunkt auf Ratings verlassen oder sollte er seine Entscheidungsbasis stärker ausweiten?

Ratings sollten in der Investitionsentscheidung eine von mehreren Informationsquellen sein, die bei Entscheidungen mit berücksichtigt werden. Sie sollten jedoch nicht alleinige Grundlage für eine Kaufentscheidung eines Wertpapiers sein. Auch hier hat die Finanzkrise gezeigt, dass einige Investoren sich zu stark auf Ratings verlassen haben. Ein Vorteil der Ratings, die Zusammenfassung der möglichen Ausfallwahrscheinlichkeit in einer Buchstabenkombination, hat sich hier sicher als Nachteil erwiesen. Zu viele Investoren haben sich dadurch ihre Anlageentscheidungen zu einfach gemacht. In vielen Fällen hat man sich gar nicht erst die Mühe gemacht den Research zu lesen und die ausführliche Begründung für das Rating nachzuvollziehen.

Was hat Fitch Ratings während der Krise und aktuell besser gemacht als seine beiden Mitbewerber beziehungsweise worin unterscheidet sich Ihre Agentur von den anderen zweien?

Alle Ratingagenturen haben ihre Fehler im Rahmen der Finanzkrise gemacht. Auch die Analysten von Fitch sind von der Schwere der Krise überrascht worden. In Teilbereichen haben wir jedoch schon vor Ausbruch der Krise vor möglichen Problemen gewarnt. So hatte Fitch bereits 2006 Anpassungen an den Ratingmodellen vorgenommen, die zur Bewertung von US-Sub-prime-Produkten verwendet wurden. Dies hat dazu beigetragen, dass wir strengere Maßstäbe an die Bewertung solcher Transaktionen gelegt haben. Im Resultat haben wir dann weniger Transaktionen analysiert als unsere Wettbewerber im letzten Jahr vor Ausbruch der Krise.

In anderen Fällen wie zum Beispiel bei besonders aggressiven Verbriefungsprodukten - wie sogenannten CDO Square - hat Fitch schon früh verkündet, dass diese Strukturen entsprechend unserer Methodik kein "AAA" erzielen können. Als Konsequenz hat unsere Agentur für diese Produkte keine Ratings vergeben. Man muss jedoch anmerken, dass es vor der Krise ein Marktumfeld gab, in dem solche kritischeren Meinungen nur sehr schwer Gehör gefunden haben und von den Investoren großteils nicht beachtet worden sind.

Welche Lektionen haben Sie und Ihre Agentur aus der Krise gelernt und welche Schlüsse haben Sie gezogen?

Wie bereits erwähnt, müssen Ratingagenturen klarer zum Ausdruck bringen was Ratings aussagen und was nicht. Die Ratingagenturen müssen jedoch auch zeigen, dass sie aus Fehlern gelernt haben. In diesem Zusammenhang hat Fitch eine umfangreiche Überprüfung seiner Vorgehensweisen, Verhaltensregeln und Organisationsstrukturen durchgeführt und - falls nötig - Anpassungen vorgenommen. So haben wir zum Beispiel die Rolle eines Chief Credit Officers geschaffen, der zusammen mit den jeweiligen Group Credit Officers der einzelnen Bereiche die Trends bei Emissionsvolumen, Produktinnovationen und strukturellen Veränderungen an den Märkten beobachten, um mögliche Auswirkungen auf Ratings zu analysieren. Darüber hinaus haben wir umfangreiche Überprüfungen aller bestehenden Ratings durchgeführt. Hierbei wurden Teilbereiche unseres Portfolios umfangreichen Stresstests unterzogen - sowohl mit Blick auf die Qualität der Assets, aber auch vor dem Hintergrund der Liquiditätssituation. Auch bei dem Thema Transparenz kann man sicher in Teilbereichen noch mehr Informationen, allen voran unterschiedliche Annahmen und Szenarien, beispielsweise im Verbriefungsbereich, veröffentlichen. Hier muss man aber beachten, dass erhöhte Transparenz nur dann nützlich ist, wenn Ratingnutzer diese auch beachten und in ihrem Handeln aktiv mit berücksichtigen.

Wie sehen Sie insgesamt das Thema Kapitalmarktratings in Deutschland: Erkennen Sie hier noch viel Potenzial oder kommt man an Wachstumsgrenzen? Wo sehen Sie die Zukunftsfelder für Ihre Agentur?

Trotz der Kritik an Ratingagenturen im Zusammenhang mit der Finanzkrise, wird das Thema Kapitalmarktrating in Deutschland in Zukunft eine größere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Vor allem die Veränderungen am Bankenmarkt - Stichworte Konsolidierung und Regulierung - werden dazu führen, dass Kreditinstitute in Zukunft ein größeres Interesse haben werden, dass vor allem langfristige Firmenkredite verstärkt über den Kapitalmarkt laufen werden.

Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass Unternehmen direkt Anleihen begeben müssen. Jedoch bedeutet es, dass Unternehmen verstärkt Kapitalmarktprodukte, wie

Schuldscheine oder Verbriefungen nutzen werden, um sich Fremdkapital zu beschaffen. Aber auch beim traditionellen Unternehmensrating sehen wir in Deutschland noch Potenzial. Besonders, wenn man die Zahl der Unternehmensratings mit anderen europäischen Ländern, allen voran England, vergleicht. Daraus folgt, dass das Wachstum für Ratings in Deutschland - und damit auch für Fitch - verstärkt aus dem Bereich Unternehmensratings kommen wird.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X