Interview

Redaktionsgespräch mit Uwe Fröhlich "Viele Tendenzen der Bankenunion beobachten wir aus ordnungspolitischer Sicht skeptisch"

Wie erlebt der BVR-Präsident die Wochen vor der Veröffentlichung der Ergebnisse von Stresstest und Bilanzprüfung durch die EZB? Wird der BVR in die Erklärung und Bewertung der Ergebnisse für die einbezogenen genossenschaftlichen Banken eingebunden sein? Oder bleibt das Sache der betroffenen Institute und/oder der Aufsicht?

Der Asset Quality Review und der darauf aufbauende Stresstest stellt vier Institute aus unseren Reihen mit auf den europäischen Prüfstand. Alle vier Institute tun das Ihre, um alle Tests zu bestehen. Und natürlich wird die genossenschaftliche Finanzgruppe getragen von dem gemeinsamen Willen, die Zukunft auch weiterhin aus eigener Kraft zu gestalten.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Amtsperiode der EU-Kommission?

Unsere Grundforderungen gelten unverändert fort: Bei jedem europäischen Gesetzesakt der Finanzmarktregulierung gilt es, sorgfältig auf Proportionalität und Verhältnismäßigkeit zu achten. Regional tätige Banken dürfen nicht genauso behandelt werden wie international tätige systemrelevante Institute. Dies gilt für die Errichtung der Bankenunion wie alle künftigen Einzelakte. Bei der Menge der Maßnahmen muss auch das Zusammenspiel mehr als bisher Beachtung finden. Hier wäre eine sorgfältige Folgenabschätzung für den Banksektor gut. Vom designierten EU-Kommissar für Bankenfragen, Lord Hill aus Großbritannien, erwarten wir, dass er die Vielgestaltigkeit des europäischen Bankensektors, der nicht nur aus grenzüberschreitend tätigen Privatbanken besteht, anerkennt und berücksichtigt.

Ist unter den Abgeordneten im neuen Europaparlament noch etwas von dem Wohlwollen für die Genossenschaftsidee zu spüren, wie sie sich nach der Finanzkrise europaweit breit gemacht hatte?

Ich glaube tatsächlich, dass quer über die Parteigrenzen hinweg gerade bei den deutschen Europaabgeordneten unser Geschäftsmodell an Zustimmung gewonnen hat. Bei den Regelungen zum Abwicklungsfonds beispielsweise haben wir Unterstützung aus allen Parteien erhalten. Trotzdem stehen Banken generell weiter bei allen politischen Entscheidungsträgern unter Beobachtung. Hier ist insgesamt viel Vertrauen verloren gegangen. Entscheidend ist jetzt, dass es trotz des guten Willens zu einer vernünftigen Finanzmarktregulierung nicht zu teilweise unbeabsichtigten Kollateralschäden für unser Modell kommt. Insbesondere an dieser Stelle werden wir weiterhin mit großem Engagement argumentieren.

Gibt es Projekte in Brüssel, die der Genossenschaftsorganisation besonders wichtig sind? Auf welche Inhalte legen Sie dabei besonderen Wert?

In den letzten Jahren haben wir über 30 Gesetzesakte für den Finanzmarkt von Seiten der europäischen Union erlebt. Viele davon befinden sich weiter in der Beschlussphase oder Umsetzung, darunter so unterschiedliche Themen wie Trennbanken, Finanztransaktionssteuer und Liquidität. Herausragend in seiner Wirkung ist weiterhin das epochale Projekt der europäischen Bankenunion, in seiner Tragweite nur mit der Wirtschafts- und Währungsunion zu vergleichen. Hier werden Weichen für Aufsicht und Abwicklung gestellt, die tief gehende Eingriffe in die Bankenstruktur erlauben. Wenn es hier nicht gelingt, das Prinzip der Proportionalität zu verankern, dürfte es schwer sein, diesem Gedanken in den nächsten Jahren mehr Raum zu erkämpfen. Aber auch bei den anstehenden Fragen des Finanzverbraucherschutzes gilt es, ein gutes Gleichgewicht herzustellen. Nicht alles, was gut gemeint ist, nutzt dem Verbraucher.

Welche Regelungen oder Diskussionsstände empfinden sie in den laufenden EU-Vorhaben im Sinne des Genossenschaftssektors als korrekturbedürftig? Welche Projekte sehen Sie auf gutem Wege?

Mit viel Engagement und Argumentation im Detail ist es dem BVR in den letzten Jahren immer wieder gelungen, in bestehende Regelungen das Prinzip der genossenschaftlichen Bank einzupassen. Ein herausragendes Ergebnis war sicher die Anerkennung unserer Institutssicherung, die in diesem Jahr auf 80 erfolgreiche Jahre zurückblickt. Auch die Ausklammerung nicht systemrelevanter Banken aus der unmittelbaren EZB-Aufsicht ist als Erfolg zu werten.

Trotzdem beobachten wir viele Tendenzen der Bankenunion aus ordnungspolitischer Sicht skeptisch: Ist es gerechtfertigt, alle Banken an einem europäischen Abwicklungsfonds zu beteiligen? Wird es in der Praxis der EZB gelingen, den nationalen Aufsehern ihren Spielraum zu erhalten? Welche Gesamtbelastungen kommen durch die Menge der Regulierungsakte auf die Banken zu?

Wie bewerten Sie nach fast einem Jahr die Arbeit der Bundesregierung? Welche Punkte aus dem Koalitionsvertrag sollten noch umgesetzt werden? Welche eher nicht?

Nach meinem Eindruck arbeitet die große Koalition sehr konzentriert an einer fast buchstabengetreuen Umsetzung des Koalitionsvertrages. Gegenwärtig haben wir in der Bundesgesetzgebung rund 15 Rechtsakte identifiziert, die im Steuer- und Finanzbereich anhängig sind. Dazu gehören die Umsetzung europäischer Gesetze, aber auch - gerade im Finanzverbraucherschutz - eigenständige nationale Maßnahmen. Hier ist es wichtig, die im Koalitionsvertrag gefundene Balance auch zu halten. Ein aktuelles Beispiel ist der Dispokredit: Ein Warnhinweis der Bank bei intensiver Kundennutzung kann sinnvoll sein, eine strikte politische Deckelung des Sollzinssatzes setzt hingegen Marktmechanismen außer Kraft und kann in Gänze für den Verbraucher eher schädlich wirken.

Inwieweit fühlt sich die Genossenschaftsorganisation von der Kritik der Monopolkommission am Regionalprinzip im jüngsten Hauptgutachten tangiert? Was ist falsch an den Überlegungen der Wettbewerbshüter?

Die Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen Sparkassen und die der Genossenschaftsbanken auf regionale Geschäftsgebiete unterscheiden sich grundsätzlich voneinander. Bei den Sparkassen existiert ein gesetzlich verankertes Regionalprinzip, welches sich aus dem Wirkungskreis ihrer Anstaltsträger ableitet. Bei den Genossenschaftsbanken existiert ein derartig verankertes Regionalprinzip nicht. Eine gewisse räumliche Schwerpunktbildung ergibt sich vielmehr durch das Prinzip der Mitgliedschaft bei Genossenschaftsbanken. Da die Genossenschaftsbanken kraft Genossenschaftsgesetz die Förderung der Interessen ihrer Mitglieder zu verfolgen haben, konzentriert sich die Tätigkeit der Genossenschaftsbanken zwangsläufig auf den Wohnbezirk oder den Firmensitz ihrer Mitglieder.

Allerdings ist die Kritik an dezentral organisierten Verbundstrukturen nicht nachvollziehbar. Auch weil die Monopolkommission zu Recht herausstellt, dass die bestehenden Verbundstrukturen gerade kleineren Banken ermöglichen, im Wettbewerb zu bestehen und diesen damit zu bereichern. Dieses Prinzip der Arbeitsteilung ist wesentliche Grundlage der Verbundstruktur innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe.

Richtig ist allerdings, dass sich die Monopolkommission dafür ausspricht, bei der Ausgestaltung der Finanzmarktregulierung Wettbewerbsverzerrungen durch ungleichmäßige regulatorische Belastungen zu vermeiden.

Hat der BVR eine offizielle Meinung zu den Fusionsgesprächen zwischen den genossenschaftlichen Regionalverbänden in Düsseldorf und Frankfurt?

Es ist ausschließlich Sache der Mitglieder der betroffenen Verbände, darüber zu befinden, ob die beiden Verbände zusammengehen sollen.

Haben die Verhandlungen zwischen den beiden Regionalverbänden Auswirkungen auf den künftigen Antritt des BVR? Ist im Falle einer Verschmelzung eine Machtverschiebung zwischen Bundes- und Regionalverbänden zu spüren: Wo sehen Sie in Zukunft die Aufgaben des BVR, wo die der Regionalverbände?

Bei der genossenschaftlichen Verbändestruktur gibt es eine klare Aufgabenteilung, die übereinstimmend vom BVR und den Regionalverbänden gesehen und derzeit auch nicht infrage gestellt wird.

Muss ein Bundesverband sich künftig noch so intensiv mit Themen der operativen Marktbearbeitung beschäftigen wie heute?

Ein Bundesverband muss sich mehr denn je mit Themen der operativen Marktbearbeitung beschäftigen. Natürlich müssen diese Themen zuvor aus einem gemeinsamen Strategieprozess innerhalb der genossenschaftlichen Gruppe abgeleitet und abgestimmt sein. Wir wissen alle, dass Papier geduldig sein kann und die Umsetzung und Überführung in die operative Ebene herausfordernd ist. Dies bedarf einer klaren und stringenten Projekt- und Prozesssteuerung, für die der Bundesverband gern und mit voller Unterstützung der gesamten Finanzgruppe die Verantwortung übernimmt.

Wozu bedarf es noch der Arbeitsteilung mit dem DGRV?

Die Ausrichtung der Verbände ist durchaus unterschiedlich. Rechnungswesen und Rechnungslegung ist Sache des DGRV, Bankaufsichtsrecht, Steuerrecht und Interessenvertretung für die Banken liegen beim BVR. Als Präsident beider Verbände bin ich übrigens das beste Beispiel dafür, dass Synergien bereits genutzt werden.

Wie ist der Zwischenstand bei den Großprojekten des BVR zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit?

Wir freuen uns sehr, dass die strategische Initiative "Kunden Fokus 2015" mit den zwei Großprojekten "Beratungsqualität" und "Web-Erfolg" nunmehr in der breiten Implementierungsphase ist. Alle Ortsbanken haben die strategische Relevanz erkannt. Das stimmt uns sehr zuversichtlich. Die Kraftanstrengung der gesamten Organisation hat sich bereits jetzt ausgezahlt. Wir wissen allerdings auch, dass wir den eingeschlagenen Weg konsequent weiter gehen müssen, um uns zukunftsfähig aufzustellen und um uns auf das sich ständig verändernde Kundenverhalten einzustellen. Im nächsten Schritt werden wir uns mit der intensiven Verzahnung aller Vertriebswege beschäftigen. Parallel ist allerdings die vollständige Umsetzung der Kunden-Fokus-Projekte Beratungsqualität und Web-Erfolg Pflicht.

Wie sieht aus Sicht des BVR der richtige Mix aus stationärem Geschäft, Online-Banking und Digitalisierung aus?

Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben in ihren Märkten eine hohe Kundenreichweite - bei Privatkunden 25 Prozent, bei Firmenkunden über 50 Prozent - und sind ein gesuchter Geschäftspartner. Nicht zuletzt, weil Genossenschaftsbanken in ihren regionalen Netzwerken für jeden erreichbar sind. Darin liegt der Schlüssel, auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Die Filiale wird sicherlich nicht mehr der alleinige Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Kunde-Bank-Beziehung sein, sondern ein wichtiger Vertriebsweg im gut orchestrierten Einsatz aller Vertriebskanäle. Aber die Filiale mit ihren Beratern wird den entscheidenden Unterschied ausmachen gegenüber einem reinen technikbasierten Geschäftsmodell. Denn ein kostengünstiger, technisch organisierter Vertrieb allein schafft noch kein Vertrauensverhältnis.

Hat sich das Thema einer verbundeigenen Direktbank angesichts der Niedrigzinsphase erledigt?

Eine verbundeigene Direktbank wird es nicht geben. Das hat nichts mit der Niedrigzinsphase zu tun, sondern damit, dass die genossenschaftliche Finanzgruppe mit der Kundenfokus-Initiative einen anderen Weg geht, der dem Kunden die Nutzung aller Kommunikationskanäle gleichwertig ermöglicht und die erfolgreiche Aufstellung unserer Finanzgruppe angemessen berücksichtigt.

Die Bundesbank hat für die Ertragslage Ihrer Ortsbanken ein eher düsteres Zukunftsszenario gemalt: Warum irrt die Bundesbank beim Blick auf die Konsequenzen der Niedrigzinsphase?

Das Zukunftsszenario der genossenschaftlichen Finanzgruppe im Ganzen und der mehr als 1 000 Primärbanken ist überhaupt nicht düster. Ein solches Szenario hat die Bundesbank übrigens auch nicht gemalt. Richtig ist, dass sich die Genossenschaftsbanken natürlich nicht den Bedingungen am Markt entziehen können, auch der

Niedrigzinsphase nicht. Die Zinssituation belastet insbesondere die Margen im Einlagengeschäft. Auch bei den Wiederanlagen im Wertpapiergeschäft müssen die Banken niedrigere Zinskonditionen akzeptieren. Dem steht gegenüber, dass die genossenschaftliche Finanzgruppe über geordnete Ertragsverhältnisse verfügt. Die Zahlen der konsolidierten Abschlüsse der Gruppe in den vergangenen Jahren belegen das. Aus dieser Position reagieren die Banken nicht etwa verunsichert auf die Niedrigzinsphase, sondern setzen auf die Attraktivität der wettbewerbsfähigen Produkte und das Vertrauen der Kundschaft und der Mitglieder in ihre Kreditgenossenschaft. Unser Markterfolg zeigt sich an der anhaltenden positiven Entwicklung des Kundengeschäftsvolumens.

Allein 2013 waren die Kundenforderungen um 4,1 Prozent bei den Ortsbanken gewachsen, dieser Trend setzt sich erfreulicherweise auch im laufenden Jahr weiter fort. Das Vertrauen der Kundschaft in die Stabilität der genossenschaftlichen Banken hat sich auch bei den Kundeneinlagen mit einem Plus von 3,4 Prozent für die Ortsbanken im vergangenen Jahr gezeigt. Die Kreditgenossenschaften stellen sich erfolgreich dem Wettbewerb und auf diesem Weg gelingt es auch - trotz Niedrigzinsphase - die Ertragslage stabil zu halten. Mit Sorge betrachten die Banken allerdings die zunehmenden regulatorischen Kosten, auf die selbst die Bundesbank jüngst hingewiesen hat.

Werden die Ergebnisse 2014 (Stand heute) wieder ordentlich Spielraum zur Bildung von Eigenkapital lassen?

Nach den ersten Prognosezahlen zeichnet es sich ab, dass die Ergebnisrechnung 2014 eine gute Basis für die Dividende an die Mitglieder wie auch für die angemessene Verstärkung der Eigenkapitalbasis durch Gewinnthesaurierungen darstellen wird. Dabei vergessen die Banken nicht, dass die Finanzmarktkrise nicht überwunden ist, und Prognosen deshalb besonders schwer sind. In ihrer dezentralen Struktur zählt die Gruppe der genossenschaftlichen Banken zu den kapitalstarken Bankengruppen in Europa. Dies spiegelt sich im Übrigen auch in der sehr guten Ratingeinschätzung mit "AA-" von S&P und "A+" von Fitch Ratings wider.

Wie können die Ortsbanken künftig auf der Ertragsseite gegensteuern, allein Kostensenkungen können nicht die Lösung sein?

Anhand unseres Zinsüberschusses, der im Geschäftsjahr 2013 um 1,9 Prozent zulegte und in Summe rund 20 Milliarden Euro beträgt, erkennen Sie, dass es uns derzeit recht gut gelingt, den durch die anhaltende Niedrigzinsphase induzierten Druck auf die Margen durch deutliche Volumensteigerungen im Kundengeschäft in großen Teilen auszugleichen. Dieser Erfolg schlägt sich letztendlich auch im guten Ergebnis nieder.

Ist eine neue Konsolidierungswelle zu erwarten? Wie viele Mitgliedsinstitute haben Sie noch im Jahr 2019?

Natürlich muss jede Bank ihre personalintensive flächendeckende Filialstruktur permanent hinterfragen und optimieren. Eine Konsolidierungswelle ist aber nicht zu erwarten. Eine Zielgröße für eine optimale Banken- oder Zweigstellenzahl gibt es nicht. Es kommt ganz entscheidend darauf an, wie gut es die Bank versteht, ihr jeweiliges Marktgebiet optimal auszuschöpfen.

Wie beurteilt der BVR-Präsident die Gesamtaufstellung des Verbundes, auch mit Blick auf die Positionierung der Verbundunternehmen: Gibt es hier Handlungsbedarf?

Die genossenschaftliche Finanzgruppe ist in ihrer Arbeitsteilung sehr erfolgreich aufgestellt. Für die Zukunftsfähig keit werden allerdings die Veränderungsbereitschaft und die Umsetzungskraft aller Entscheidungsträger maßgeblich sein.

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