Aufsätze

Die Rolle des IWF bei der Sicherung der Finanzmarktstabilität

Als Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble bei der IWF-Herbsttagung in Tokio angesichts der Frage die Klingen kreuzten, wie viel Zeit man Griechenland zur Anpassung noch geben sollte, wurde einmal mehr deutlich: Nicht immer herrscht Einigkeit über die Rolle, die der IWF im Zuge der Krisenbekämpfung und der Stabilisierung der Finanzmärkte spielen soll.

Welches Mandat und welche Arbeitsteilung?

Die Kontroverse in Tokio rückt - über die konkrete Frage hinausreichend - zwei Streitpunkte in den Fokus: einerseits den Vorwurf an den IWF, seine "Surveillance" habe im Vorfeld der Krise nicht gewirkt; Verwundbarkeiten des Finanzsystems seien entweder nicht erkannt oder doch zumindest nicht offensiv genug kommuniziert worden, und die Mitglieder hätten die IWF-Vorschläge zur Remedur nicht beachtet. (Genau dem scheint Lagarde ja nun entgegenzutreten.) Andererseits den grundsätzlicheren Vorwurf, der Währungsfonds nutze die Krisenlage, um seine Kompetenzen über Gebühr auszuweiten. Wie die Bundesbank es jüngst formulierte: Seine Bereitschaft zu einer immer weitreichenderen Absicherung und damit der Substituierung der Finanzierung seitens Privater berge "die Gefahr, den IWF in seinem institutionellen Aufbau zu überfordern."

Das Problem sitzt also tiefer. Letztlich geht es darum, dass der IWF sich von dem Mandat, das man ihm legaliter einmal gegeben hat und das nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems durchaus verschiedentlich angepasst wurde, faktisch weit entfernt hat - teilweise von den Mitgliedern selbst (im Zuge der Krisenbekämpfung) so gewollt. Es geht nach den bitteren Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre aber auch - und vielleicht vor allem - um die Frage, mit welchen institutionellen Arrangements globale Finanzstabilität künftig gewährleistet, Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt und rechtzeitig abgestellt werden können.

Wachsende Bedeutung des Fonds in der makroprudenziellen Aufsicht

Soll und kann der Fonds diese Rolle übernehmen? Soll und kann eine solche Aufgaben- und Machtfülle nur einer einzigen Institution überlassen werden? Welches Mandat und welche Arbeitsteilung ist also mit Blick auf die globale Finanzstabilität "das Richtige"?

Entsprechend seiner "Articles of Agreement" kommen dem IWF zwei zentrale Aufgaben zu: Er soll das Funktionieren der Weltwirtschaft durch stabile monetäre Rahmenbedingungen sichern - dies etwa durch die enge Überwachung der Wechselkurspolitik seiner Mitglieder und, bereits in einer ersten Ausweitung seines Mandats, anderer relevanter Politikfelder, insbesondere der Finanzpolitik. Und er soll durch (konditionierte) Überbrückungskredite an vorübergehend in Zahlungsbilanzschwierigkeiten geratene Länder die nationalen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft unterstützen - mit allen positiven Folgen, die aufgrund der damit einhergehenden Signalwirkung an die Finanzmärkte mit einem IWF-Programm verbunden sein können.

Zusammenwirken mit der Aufsicht

Die Überwachung der Finanzstabilität und die Bewertung regulatorischer Rahmenbedingungen der Finanzmärkte gehören nicht zu den ursprünglichen Aufgaben des IWF. Allerdings wurde der Fonds schon lange vor 2007 mit Aufgaben stabilisierungspolitischer Natur betraut: Als im Zuge der Krisen der neunziger Jahre - Asien, Russland, LTCM - "blind spots" in seiner Überwachungsfunktion offenkundig wurden, hat der Währungsfonds mit dem Financial Sector Assessment Program (FSAP) ein Instrument entwickelt, das nun bei der Analyse der Schwachstellen des Finanzsystems nach dem Ausbruch der jüngsten Krise wertvolle Dienste geleistet hat. Die mit den FSAPs gewonnenen länderspezifischen Einsichten werden durch die Erkenntnisse aus der multilateralen Perspektive im Globalen Finanzstabilitätsbericht ergänzt. Geholfen hat zudem, dass über das International Monetary and Financial Committee (IMFC) und durch die enge Einbindung des Fonds in das "Financial Stability Forum" (dem heutigen Financial Stability Board), regelmäßige, institutionalisierte Kontakte zu Aufsichtsbehörden bestanden.

Mit der Schaffung des Monetary and Capital Markets Department hat der Fonds seine Expertise im Bereich Finanzstabilität zusätzlich erweitert. Seitdem finden in den regelmäßigen Artikel-IV-Konsultationen nicht nur die jeweiligen Bank- und Finanzmärkte mehr Aufmerksamkeit als zuvor; auch die FSAPs wurden deutlich aussagekräftiger.

Insofern überrascht es nicht, dass der IWF auch im Zuge der jüngsten Krise eine aktive - und positive - Rolle übernahm. Er konnte als einer der ersten die hauptsächlichen Schwächen des Finanzsystems benennen und hielt sich zugute, schon früh auf Verwundbarkeiten des Systems, etwa die Konstruktionsschwächen des US-Subprime-Marktes und riskanter Verbriefungen, hingewiesen zu haben.

Weg von der Krisenbewältigung, hin zur Prävention

In der Debatte über Reaktionen auf die Krise innerhalb der G20, brachte der IWF nicht nur Handlungsempfehlungen ein, er hat auch seinen Werkzeugkasten nochmals erweitert und angepasst - nicht nur hinsichtlich der Volumina der Programme selbst, sondern auch was deren Ausrichtung betrifft: weg von der Krisenbewältigung hin zur Prävention. Damit hat er sich recht weit von seiner originären statuarischen Aufgabe entfernt. Dies bringt ihm nun Kritik ein. Durch die Übernahme hoher Risiken würde sich der IWF tendenziell von einem Liquiditätsmechanismus zum Kreditinstitut wandeln, so fasst etwa die Bundesbank das offensichtliche Dilemma zusammen.

Der Verbesserung des Instrumentariums für Finanzstabilität dient auch die nun bei der jüngsten IWF-Jahrestagung in Tokio angenommene integrierte Überwachungsstrategie (Integrated Surveillance Decision), mit der die bilaterale und die zuletzt gestärkte multilaterale Überwachungs-Perspektive zusammengeführt werden. Das erleichtert es, makroprudenzielle Analysen auf globaler und auf Länderebene zu integrieren, und schafft insgesamt einen besseren Überblick über potenzielle Risiken, Verflechtungen und Ungleichgewichte. Dies war der vorerst letzte Schritt zur Abrundung der Überwachungsfunktion, dem die Etablierung der Frühwarnübungen von IWF und FSB seit 2009 und die verbind liche Durchführung der zuvor freiwilligen FSAPs auch in bislang nicht teilnahmewilligen Ländern wie China und den USA vorausgingen.

Alles in allem ist das Hereinwachsen des Fonds in den Aufgabenbereich der eher makroprudenziellen Aufsicht und der Beobachtung der Finanzmarktstabilität also nichts völlig Neues. Und schon gar nicht stellt es eine Revolution dar, sondern eher ein Kontinuum angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten. Nun gilt es aber zu entscheiden, in welche Richtung sich der IWF weiterentwickeln soll.

Bessere Finanzmarktstabilität nur bei optimierter Arbeitsteilung

Sieben Jahrzehnte nach seiner Gründung, in deren Verlauf es durchaus zahlreiche Höhen und Tiefen gegeben hat, steht der IWF derart im Fokus der Weltfinanzpolitik wie schon lange nicht mehr. Für ihn, so könnte man behaupten, war die Schuldenkrise ein "Glücksfall". Er verfügt über mehr finanzielle Ressourcen, mehr Mitspracherechte und mehr Einflussmöglichkeiten als jemals zuvor. Das hat zu weitreichenden Überlegungen zur Weiterentwicklung des Fonds bis hin zur zentralen Finanzkrisen-Koordinierungszentrale geführt.

Wäre das eine denkbare Lösung? Einerseits ist es richtig, dass es schon immer Ziel und Aufgabe des Fonds war, die Vereinbarkeit nationaler Politikentscheidungen im globalen Kontext zu gewährleisten. Schließlich wurde der Fonds ins Leben gerufen, um "der" Mechanismus für globale Abstimmungen in internationalen (wenn freilich auch währungspolitischen) Fragen zu sein. Eben darum geht es mit Blick auf die dauerhafte Stabilität der Finanzmärkte auch jetzt.

Dennoch: Die globale Strategie zur Bekämpfung der Finanzmarktkrise wurde nicht im Fonds, sondern im Kreis der G20 (wenn auch unter Hinzuziehung des IWF-Sachverstandes) entworfen. Bedenkt man zudem, dass es bei der Sicherung der Finanzstabilität letztlich um eine Kombination aus geld- und währungspolitischen Makro-Maßnahmen einerseits, aber eben auch um neue gesetzgeberische Regeln und aufsichtliche Mikro-Standards geht, wird rasch deutlich, dass nicht nur der IWF, sondern jede einzelne Institution von dieser Aufgabe überfordert wäre.

Ein zukunftsfähiges stabilisierungspolitisches System muss beide Aufsichtsperspektiven integrieren. Und es muss die strukturelle Vielfalt der Finanzmärkte adäquat abbilden. Zugleich darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität der Finanzmärkte sich weder auf die Regulierung von Finanzinstrumenten oder einzelnen Marktteilnehmern beschränken können noch auf die Analyse grenzüberschreitender Liquiditäts- und Kapitalströme oder von Leistungsbilanz-Ungleichgewichten.

Um diese komplexe Optimierungsaufgabe lösen zu können, sind Institutionen ganz unterschiedlicher Provenienz und Ausrichtung vonnöten: Notwendig sind intensive Marktkenntnisse und "On-site"-Erfahrungen und zugleich der makroökonomische Überblick. Neben IWF und FSB treten in einem solchen System dann makroprudenzielle Institutionen (wie das US-Financial Stability Oversight Council und das European Systemic Risk Board, das Financial Policy Committee in Großbritannien und der Ausschuss für Finanzstabilität hierzulande), aber eben auch Zentralbanken, Aufsichtsbehörden und Standardsetzer.

Verständnis für das Management von Schnittstellen

Entsprechend der grundsätzlich gleichrangigen Bedeutung aller genannten Aufgaben und Sichtweisen macht in einer solchen Struktur eine hierarchische Anordnung der Mitwirkenden keinen Sinn. Man wird keinen anderen Weg beschreiten können, als alle einschlägigen Institutionen in zielführender Weise systematisch und ohne Über- oder Unterordnung einzubinden. Ziel muss eine "Architektur" sein, bei denen die einzelnen "Gewerke" dort aktiv und legitimiert sind, wo ihnen optimale Kompetenz im Rahmen einer konsistenten Arbeitsteilung zukommt.

Das verlangt viel Verständnis für das Management von Schnittstellen. Ein positives, bereits existierendes Beispiel wäre etwa das FSB, das institutionell hauptsächlich nicht beim IWF, sondern bei der BIZ in Basel angebunden ist. Das macht Sinn, denn letztlich sollte eine Institution "im lead" sein, die den Zentralbanken nähersteht (wie die BIZ) als den Regierungen (wie der IWF). Entscheidend für eine solche optimale Struktur für die Stabilität der internationalen Finanzmärkte ist also die Antwort auf die Frage, ob es gelingen wird, die institutionellen Zuständigkeiten und Vereinbarungen, die bislang eher eklektisch nebeneinander gewachsen sind, künftig möglichst friktionslos miteinander zu verbinden.

Fachliche Kompetenz eindeutig auf der Makro-Ebene

Welche Rolle käme dabei dem IWF zu? Seine fachliche Kompetenz liegt eindeutig auf der Makro-Ebene, auch im Bereich "Finanzstabilität". Seine Arbeit zielt auf die Analyse von Systemrisiken, und seine Kenntnisse zu Ansteckungsrisiken zwischen Bankensektoren und Realwirtschaft und zwischen Sovereign Risk und Bankenstabilität sind im globalen Vergleich ein wichtiges Asset. Diese spezifischen Erfahrungen und Kenntnisse (wohl kaum eine Institution verfügt über ähnlich umfangreiches Datenmaterial zu globalen Finanzströmen) gilt es in das System einzubinden - und zwar in robusterer Form als bisher.

Es ist sicher kein Zufall, dass sich die Finanzkrise in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften entwickeln konnte, die sich lange Zeit außerhalb des hauptsächlichen Fokus der Überwachung des Fonds befunden haben, weil man allzu lange ohne kritische Überprüfung von der Stärke und Widerstandskraft dieser Ökonomien ausgegangen war. Schon dies lässt Reformbedarf in Richtung einer künftig unvoreingenommen Surveillance erkennen. Daneben besteht die zusätzliche Aufgabe, den Umfang der vom Fonds analysierten Märkte und Institutionen so auszuweiten, dass keine systemrelevante Entwicklung außer Acht und keine Preisblase an den Assetmärkten unentdeckt bleibt.

Regulierungsstandards entwerfen

Auf der Basis dieser Analysen müssen dann internationale Regulierungsinstitutionen - vom Baseler Ausschuss über die IOSCO im Wertpapierbereich oder die International Association of Insurance Supervisors (IAIS) im Versicherungssektor (und deren Joint Forum) bis hin zum IASB - tätig werden. Es gilt, Regulierungsstandards und Kodizes zu entwerfen, mit denen risikoreiche Entwicklungen besser erkannt und verhindert werden und auf die sich der IWF bei seiner Surveillance wiederum stützen kann. Diese Rollenverteilung ist sinnvoll und sollte beibehalten, wenn auch an den Schnittstellen deutlicher gefasst werden.

Eine direkte Regulierung von Instituten oder Märkten durch den Fonds oder gar eine Ausweitung seiner Überwachungsfunktion hin zu einem "Welt-Finanzaufseher", zum Beispiel über große, grenzüberschreitend tätige Finanzinstitute, wäre jedoch nicht im Sinne einer optimierten Arbeitsteilung. Der Fonds hätte auch gar nicht die notwendigen fachlichen Kompetenzen für diese komplexe Aufgabe.

Eine wichtige Rolle im Gesamtsystem

Die Finanzkrise - erster Teil - in den Jahren 2007/2008 resultierte nicht zuletzt aus massivem institutionellem Versagen in vielerlei Hinsicht. Sie war Resultat von Fehlern seitens der Marktteilnehmer ebenso wie der Aufsichtsbehörden und Ratingagenturen, aber eben auch der internationalen und nationalen Finanzinstitutionen. Es stellte sich zudem heraus, dass der regulatorische Rahmen der Finanzmärkte alles andere als angemessen war. Und die Krise bietet reichlich Anschauungsmaterial für die These, dass die Abwärtsspirale auch dann nicht vollständig zu verhindern gewesen wäre, wenn alle Aufgaben im Institutionengeflecht gewissenhaft wahrgenommen worden wären.

Diese Schwachstellen gilt es nun Schritt für Schritt zu beseitigen - in vielerlei Hinsicht ist man einem besseren Zustand auch schon näher gekommen. Der IWF hat hierzu zahlreiche wichtige Beiträge geliefert. Auch von daher ist es richtig, dass er künftig im Gesamtsystem eine bedeutende Rolle spielt.

Mit Blick auf die umfassende Aufgabe der Sicherung der Finanzstabilität gilt es nun, die jeweils geeignetsten Institutionen mit ihren spezifischen Stärken einzubinden. Auch dabei darf der IWF nicht übergangen werden. Das darf umgekehrt jedoch nicht dazu verleiten, ihm Aufgaben zu übertragen, denen er letztlich nicht gerecht werden kann.

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