Aufsätze

Schwerpunkte der internationalen Reformagenda nach der IWF-Jahrestagung

Die Jahrestagung von IWF und Weltbank sowie das gleichzeitig stattfindende Treffen der G20 in Washington waren auch in diesem Jahr wieder Großereignisse, im Rahmen derer über ein breites Spektrum von Themen diskutiert wurde. Im Zentrum standen dabei die globale wirtschaftliche Entwicklung und aktuelle wirtschaftspolitische Herausforderungen. Auch die internationale Finanzarchitektur war Gegenstand der Gespräche, allerdings deutlich weniger prominent als in den vergangenen Jahren.

Die G20 tagten letztmalig unter dem Vorsitz Russlands und hoben erneut hervor, wie wichtig es sei, das Wirtschaftswachstum zu stärken und die beschlossene Reform des Finanzsektors zügig zu implementieren. Darüber hinaus wurde diskutiert, welche Möglichkeiten es gibt, die langfristige Investitionsfinanzierung zu verbessern. Diese Themen werden auch unter der künftigen Präsidentschaft Australiens in nächster Zeit die Reformagenda bestimmen.

Wirtschaftspolitische Herausforderungen

Positiv ist festzuhalten, dass sich das Wirtschaftswachstum in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften gefestigt hat. Zudem haben sich die Unsicherheiten an den Finanzmärkten verringert, und die Gefahr eines US-Zahlungsausfalls scheint vorerst gebannt.

Bei dem Treffen herrschte gleichwohl Einigkeit, dass nach wie vor beträchtliche Risiken für die Weltwirtschaft bestehen und die Wirtschaftspolitik somit weiter vor großen Herausforderungen steht.

Nach allgemeiner Auffassung ist eine der drängendsten Herausforderungen die Notwendigkeit, in manchen fortgeschrittenen Volkswirtschaften glaubwürdige mittelfristige Strategien zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu entwerfen und umzusetzen - insbesondere in den USA und Japan. Mit Blick auf den Euro-Raum ist es entscheidend, die fiskalpolitischen und strukturellen Reformen in den einzelnen Ländern fortzuführen, um die wirtschaftlichen Perspektiven nachhaltig zu verbessern.

Hervorgehoben wurde aber auch, wie wichtig es ist, den institutionellen Rahmen der Währungsunion zu stärken. Speziell die Fortschritte bei der Implementierung der Bankenunion wurden dabei gelobt; gleichwohl wurde weiterer Handlungsbedarf angemahnt. Damit die Bankenunion einen echten Stabilitätsbeitrag leisten kann, ist Sorgfalt in der Umsetzung notwendig. Dabei sollte klar sein, dass die Bankenunion nicht geeignet ist, gegenwärtig bestehende Schieflagen einzelner Finanzinstitute zu heilen.

Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung

Getrübt werden die wirtschaftlichen Aussichten dadurch, dass sich seit ein paar Monaten in einigen aufstrebenden Volkswirtschaften die wirtschaftliche Entwicklung abschwächt. Damit richtet sich der Blick wieder verstärkt auf strukturelle Schwächen in den betroffenen Ländern. Diese Länder stehen vor der Herausforderung, Strukturreformen durchzuführen, um die Fähigkeit der Wirtschaft und des Finanzsektors zur Absorption von Schocks weiter zu erhöhen. Dies würde etwaige Verwundbarkeiten gegenüber sich verschlechternden externen Finanzierungskonditionen verringern.

Die Bewältigung der genannten Herausforderungen wird dazu beitragen, die Voraussetzungen für ein stärkeres Wirtschaftswachstums zu schaffen. Wachstum aber ist kein Selbstzweck. Daher sollte es nicht das primäre Ziel der internationalen Staatengemeinschaft sein, um jeden Preis möglichst hohe Wachstumsraten in der Weltwirtschaft zu realisieren. Im Vordergrund der Bemühungen sollte vielmehr die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung stehen.

Vor diesem Hintergrund sollte vor allem vermieden werden, die Schätzungen des Potenzialwachstums - und damit der noch zu schließenden Outputlücke - zu hoch anzusetzen. Das nämlich könnte die Politik anregen, die Wirtschaft übertrieben zu stimulieren und so die Gefahr kurzlebiger, nicht nachhaltiger Wachstumsimpulse erhöhen. Zudem sollte das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass eine nachhaltige fiskalische Entwicklung das Wachstum mittelfristig nicht bremst. Sie ist vielmehr eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum.

Normalisierung der Geldpolitik - ein Thema von internationaler Dimension

Mit der Erholung der Wirtschaft rückt auch die Frage der geldpolitischen Normalisierung ins Blickfeld. Das seit geraumer Zeit herrschende Niedrigzinsumfeld in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften erhöht auf Dauer die Risiken für die Finanzstabilität. Schon jetzt sind bei manchen Vermögenstiteln starke Preissteigerungen zu beobachten, aus denen zukünftig Blasen entstehen könnten.

Die Normalisierung der Geldpolitik ist ein Thema von internationaler Dimension, und auf der Tagung herrschte Einigkeit da rüber, dass die betroffenen Notenbanken diesen Prozess umsichtig einleiten und gestalten müssen. Jede Notenbank wird die Normalisierung gemäß ihrem Mandat und mittels einer detaillierten Analyse vielfältiger ökonomischer Indikatoren gestalten.

Wichtig ist aber auch die Kommunikation der Zentralbanken untereinander, damit alle bestmöglich informiert sind, wenn es gilt, geldpolitisch relevante Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet aber keineswegs eine verpflichtende internationale Koordinierung der Geldpolitik. Vielmehr kann die Normalisierung der Geldpolitik dann am besten gestaltet werden, wenn jede Notenbank für ihren Währungsraum Preisstabilität gewährleistet.

Finanzmarktreformen auch weiterhin oben auf der Agenda

Auf dem Gebiet der Finanzsektorregulierung wurden einige Fortschritte gemacht, es wurden jedoch noch nicht alle Probleme gelöst. Viele der konzeptionell schon relativ weit gediehenen Maßnahmen gilt es nun auch umzusetzen. In einigen Feldern besteht jedoch weitergehender Handlungsbedarf: beim "too-big-to-fail"-Problem, bei der Regulierung des Schattenbankensystems und perspektivisch bei der Behandlung von Krediten an Staaten.

Ein Schlüssel zur Lösung des "too-big-tofail"-Problems liegt darin, die vom Financial Stability Board (FSB) beschlossenen "Key Attributes for Effective Resolution Regimes" über die verschiedenen Rechtsräume hinweg konsistent umzusetzen. Hier haben die einzelnen Länder recht unterschiedliche Fortschritte gemacht.

Die EU finalisiert zurzeit die Richtlinie zur Bankenabwicklung und liegt damit gut im Zeitplan. Es gilt nun, in allen Ländern nationale Behörden für die Abwicklung insolventer Institute einzurichten, sie mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten und Vereinbarungen für eine internationale Kooperation im Abwicklungsfall zu treffen. Außerdem müssen Sanierungs- und Abwicklungspläne aufgestellt werden.

In diesem Zusammenhang ist positiv hervorzuheben, dass den Risiken von systemrelevanten Versicherungsunternehmen größere Beachtung geschenkt wird. Für die vom FSB identifizierten global systemrelevanten Versicherer werden in Zukunft schärfere regulatorische Auflagen gelten. Ebenso wie bei global systemrelevante Banken beziehen sich diese Auflagen auf die Aufsichtsintensität, die Verlusttragfähigkeit und die Abwicklung insolventer Institute. Dies ist ein erster Schritt, den internationalen Aufsichts- und Regulierungsrahmen für die Versicherungsbranche zu stärken.

Fahrplan zur Beaufsichtigung und Regulierung des Schattenbankensystems

Nachdem sich die G20-Staats- und Regierungschefs im September 2013 auf einen Fahrplan zur Stärkung der Beaufsichtigung und Regulierung des Schattenbankensystems geeinigt haben, müssen nun noch einzelne Arbeitsstränge fortgeführt und abgeschlossen werden. So muss der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht innerhalb der nächsten Monate Vorschriften entwickeln, nach denen die Exponiertheit gegenüber Akteuren des Schattenbankensystems begrenzt werden muss und Beteiligungen an Fonds mit Kapital unterlegt werden müssen.

Der FSB wird noch in diesem Herbst eine Studie zu Mindestabschlägen auf bei Wertpapierfinanzierungsgeschäften hinterlegte Sicherheiten anfertigen. Bis März 2014 wird er zudem einen Prozess zum Informationsaustausch über erfasste Akteure des Schattenbankensystems - ausgenommen Geldmarktfonds - und angewandte Regulierungsmaßnahmen entwickeln.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Ausleihungen an Staaten nicht risikolos sind. Mittelfristig wäre deshalb eine Diskussion darüber wünschenswert, wie die regulatorische Behandlung von Ausleihungen an Staaten derjenigen angepasst werden kann, die für sonstige Ausleihungen gilt.

Unter der russischen Präsidentschaft widmeten sich die G20 auch der Frage, wie die langfristige Investitionsfinanzierung verbessert werden kann. Die entsprechende Diskussion wird unter der australischen G20-Präsidentschaft fortgesetzt werden. Im Kern geht es darum, privates Kapital stärker zu mobilisieren. Hier sollen drei Schwerpunkte gesetzt werden: Erstens soll ein volkswirtschaftlicher Rahmen geschaffen werden, der das Investitionsklima verbessert; zweitens sollen lokale Kapitalmärkte entwickelt werden; drittens soll die katalytische Rolle der Entwicklungsbanken bei der Attrahierung privaten Kapitals gestärkt werden. Auf der Tagung wurde betont, wie wichtig langfristige Investitionen, vor allem auch Infrastrukturinvestitionen, für die Stärkung des Wachstums sind.

Unterschiedliche Fortschritte bei IWF-Reformen

Mit Blick auf die Anpassung der internationalen Finanzarchitektur an die veränderte weltwirtschaftliche Entwicklung sind auf dem Treffen keine neuen Beschlüsse gefasst worden. In einigen Bereichen, wie beispielsweise der wirtschaftspolitischen Überwachungsfunktion des IWF (Surveillance), geht es zunächst darum, die in den Vorjahren verabschiedeten Reformvorhaben umzusetzen. Hierzu zählt die Surveillance-Reform von 2011. Diese sieht vor, die bilaterale und multilaterale Surveillance des IWF besser zu integrieren, Risiken intensiver zu betrachten sowie die finanz- und außenwirtschaftliche Stabilität tiefer zu analysieren. Wichtig ist zudem die weitere Umsetzung der im Jahr 2012 beschlossenen Strategie zur Verbesserung der finanzsektorbezogenen Surveillance des IWF.

Der Abschluss der im Herbst 2010 beschlossenen IWF-Quoten- und Governance-Reform steht noch aus. Mit dieser Reform werden die Ressourcenausstattung des IWF angepasst, die Vertretungsrechte von Schwellenländern gestärkt und die Governance-Regeln im IWF verändert. Die Verzögerung beim Abschluss der Reform belastet auch die Diskussionen um die bereits anstehende 15. Allgemeine Quotenüberprüfung des IWF. An diese sind Erwartungen hinsichtlich eines größeren Stimmrechts von dynamischen Ländern insbesondere aus dem Kreis der Schwellenländer geknüpft.

Teil dieser Quotenüberprüfung wird zudem sein, die Angemessenheit der Finanzausstattung des IWF zu beurteilen sowie die offenen Punkte hinsichtlich der Formel zur zukünftigen Berechnung der Quoten der einzelnen Mitgliedsländer zu klären. Während die Finanzausstattung des IWF aktuell angemessen erscheint, ergibt sich insbesondere in Bezug auf die Formel ein komplexes Geflecht unterschiedlicher Interessen der Mitgliedsländer. Hier stehen intensive Verhandlungen bevor.

Dr. Andreas Dombret , Global Senior Advisor , Oliver Wyman GmbH, München (und Vorstand i.R., Deutsche Bundesbank)
Noch keine Bewertungen vorhanden


X