Aufsätze

Sonderkonjunktur für M&A im Mittelstand

Die nüchternen Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Gemäß einer von der M&A Review1) geführten Statistik liegt die Anzahl der in 2011 vollzogenen Zusammenschlüsse und somit die M&A-Aktivität auf dem Allzeittief der letzten 27 Jahre. Die Tendenz in Q4 des vergangenen Jahres zeigte ebenfalls steil nach unten, und die von Brancheninsidern für 2012 geäußerten Prognosen gehen eher von einer Seitwärtsbewegung aus. Alles in allem eine eher triste Perspektive auf dem Markt für Unternehmenstransaktionen. Es lohnt jedoch ein differenzierterer Blick.

Probleme für großvolumige Transaktionen

Bei der Betrachtung der Transaktionsvolumina fällt bereits in 2011 auf, dass gerade im Top-Segment die Werte überproportional rückläufig sind. Diese Erkenntnis stützen auch die von M&A Review veröffentlichten Zahlen für angekündigte Transaktionen. Trotz Anstieg der für 2012 erwarteten Abschlüsse hat sich das mit diesen Deals verbundene gesamte Transaktionsvolumen reduziert. Verantwortlich sind, neben dem weitgehenden Ausstieg der Private-Equity-Familie, die Zurückhaltung der Banken, gerade vor dem Hintergrund eines durch Basel III erforderlich werdenden erhöhten Eigenkapitalausweises, um großvolumige Engagements eingehen zu können. Langfristiges Fremdkapital steht insgesamt nur eingeschränkt zur Verfügung.

Anders sieht es im sogenannten Midmarket aus. Diese Bezeichnung trifft in Deutschland primär auf mittelständische Unternehmen mit einer Umsatzgrößenordnung von zirka zehn bis 500 Millionen Euro zu. Der deutsche Mittelstand ist seit Jahrzehnten der bedeutendste und stabilste Leistungsträger der Wirtschaft und als solcher auch entscheidender Motor der derzeitigen Konjunktur. Entsprechend sind kleinere und mittelgroße Unternehmen überproportional an den Erfolgen beteiligt und werden auch in 2012 von der Binnennachfrage überdurchschnittlich profitieren. Darüber hinaus sind sie maßgeblicher Träger des Exports.

Im Vergleich zum Top-Segment stellt sich im Mittelstandssektor deshalb ein völlig verändertes Szenario dar. Durch die Hochkonjunktur in Deutschland sind viele Unternehmenskassen prall gefüllt, und strategische Investitionen finden in vielen Unternehmensplanungen eine wachsende Bedeutung. Dies erklärt sich auch vor dem Hintergrund, dass externes Wachstum die einzige Möglichkeit ist, kurzfristige Expansionsziele zu erreichen. Insbesondere auf den Auslandsmärkten, die derzeit weniger von der Konjunktur begünstigt sind, bieten sich attraktive Chancen. Einhergehend mit der relativ schlechten Ergebnissituation kann dort vielfach zu Schnäppchenpreisen eingekauft werden.

Der Zeitpunkt zum Kauf ist auch deshalb ideal, weil durch die in den vergangenen Monaten erzielten positiven Ergebnisse die Unternehmenswerte gestiegen sind. Die auf EBIT und EBITDA basierten Multiples sind in allen Branchen auf einem hohen Niveau wie seit Jahren nicht mehr2) und in den herausragenden Jahren 2010 und 2011 wurde in verstärktem Maße Eigenkapital gebildet. Die vorhersehbaren Zyklen lassen mittelfristig jedoch wieder fallende Unternehmenswerte erwarten. Vor diesem Hintergrund wächst neben der Kauf- gleichzeitig auch die Verkaufsbereitschaft im Mittelstand. Das steigende Angebot trägt erheblich zu einer Marktstimulanz bei. Die deutliche Belebung lässt sich auch aus den veröffentlichten Zahlen für angekündigte Transaktionen ableiten. Deutschland ist hier im internationalen Vergleich mit Abstand führend. So ist die Anzahl der für 2012 bereits initiierten Transaktionen im Vergleich zum Vorjahr um bemerkenswerte 33 Prozent3) angestiegen.

Interesse aus dem Ausland

Als Konjunkturlokomotive weltweit geachtet, wird dem "German Wunder" eine hohe mediale Aufmerksamkeit zuteil. Viele internationale Unternehmen blicken mit großem Kaufinteresse nach Deutschland. Die Bundesrepublik gilt seit Langem wieder als "Safe Haven" für strategische Investitionen in Europa. Der nachhaltige AAA-Status hilft, das ohnehin gute Image zusätzlich weiter aufzupolieren. Sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite gibt es eine deutliche Belebung des M&A-Marktes, von der primär der Mittelstand aufgrund seiner eher überschaubaren Größenordnung zu profitieren vermag. Hier bedarf es in der Regel keiner oder nur einer begrenzten Bankenfinanzierung. Der Komplexitätsgrad einer Transaktion wird dadurch deutlich verringert und die Abschlusswahrscheinlichkeit erhöht.

Das Hauptinteresse an Akquisitionen in Deutschland kommt seit Jahren neben den Nachbarländern Schweiz und Österreich aus den USA und Großbritannien. Zusätzlich gibt es derzeit verstärkt Anfragen von Unternehmen aus Frankreich, Italien und Spanien, die in ihren jeweiligen Heimatmärkten nur noch wenige attraktive Targets identifizieren können. Trotz eines zusammenwachsenden Europas stellten kulturelle Unterschiede in der Vergangenheit häufig nur schwer überbrückbare Hürden dar. Gegenwärtig werden diese Hindernisse allerdings deutlich von der Attraktivität mittelständischer deutscher Unternehmen und den in den Medien herausgestellten hiesigen wirtschaftlichen Tugenden der Bundesrepublik überkompensiert. Die Art, wie hierzulande eine globale Krise bewältigt wird, veranlasst eine Vielzahl europäischer Unternehmen zur Suche nach interessanten Targets zwischen Oder und Rhein.

Übernahme von Entwicklungseinheiten

Aber nicht allein aus Europa wird der deutsche Mittelstand nachgefragt, auch die bereits oft genannten Asiaten unter den BRIC-Staaten, Indien und China, haben ihre Scouts nach Deutschland entsandt. Neben der attraktiven Performance, die Strategen aus Asien hier schätzen, ist es die zentrale logistische Position, die Deutschland für eine Präsenz in Europa auszeichnet. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die starke Exportorientierung, die bereits kleinere Mittelständler aufzeigen und damit zu einem idealen Hub asiatischer Unternehmen in Europa werden lassen. Über die bestehenden und langjährig gefestigten Handelsstrukturen können die ehrgeizigen Strategien asiatischer Käufer oftmals überhaupt erst realisiert werden.

Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang die Übernahme der Dystar, ein ehemaliger Zusammenschluss der Textilfarbaktivitäten von Bayer, BASF und Hoechst, durch das kleine indische Unternehmen Kiri Dyes zu nennen. Die zwischenzeitlich indische Dystar ist Weltmarktführer, deren Zentrale nach Frankfurt verlagert wurde. Deutsche Unternehmen, zumal sie über eine weltweite oder auch nur europäische Vertriebsstruktur verfügen, finden mittlerweile eine hohe Aufmerksamkeit bei asiatischen Unternehmen, die früher ihre Zentralen oft wegen traditionellen Verbindungen aus der Kolonialzeit eher nach England oder Frankreich gelegt hatten.

Deutscher Mittelstand auf Einkaufstour

Gerade für besagte asiatische Käufer spielt die Übernahme von Forschung und Entwicklungseinheiten hinsichtlich ihrer global angelegten Strategien eine zunehmend bedeutende Rolle. Der gehobene deutsche Mittelstand verfügt diesbezüglich über erhebliche Potenziale, die Begehrlichkeiten wecken. Deshalb bemühen sich nicht nur technologieorientierte Unternehmen aus China und Indien, sondern ebenso Japaner, Südkoreaner, Taiwanesen und Käufer aus Singapur um diese attraktiven Targets.

Aber nicht nur Unternehmen anderer Länder, auch deutsche Mittelständler selbst blicken inzwischen verstärkt über die Grenzen. Mittelständische Unternehmen haben das unternehmerische Potenzial auch außerhalb Deutschlands entdeckt und beauftragen zunehmend einschlägig erfahrene, gut aufgestellte Investmentbanken und internationale Allianzen von M&A-Beratungsunternehmen mit der strategischen Suche nach passfähigen Kandidaten außerhalb deutscher Sprachgrenzen. Verglichen mit den zurückliegenden Jahrzehnten, in denen dieses Einkaufsverhalten eher die Ausnahme darstellte, ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung. Die Hochkonjunktur der letzten Monate hat Zuversicht und Unternehmergeist spürbar beflügelt. Lang gehegte Visionen der grenzüberschreitenden Expansion werden endlich realisiert. Teilweise allerdings nicht ganz ohne Druck von außen.

Wettbewerb und starke Abhängigkeiten zu einzelnen Abnehmern in oligopolistischen Märkten, wie der Automobilindustrie, lassen den Unternehmen mittlerweile häufig keine andere Wahl, als mitzuziehen und sich in den Absatzmärkten mit räumlicher Nähe zu den Kunden anzusiedeln. Starke globale Konsolidierungstendenzen stellen den deutschen Mittelständler oft nur vor die Alternative "wachsen oder weichen". Gestützt durch das Konjunkturgefälle in die wesentlichen Auslandsmärkte werden grenzüberschreitende Akquisitionen oft zusätzlich attraktiv. Durch die auf Auslandsmärkten aktuell häufig nur geringen Renditen werden Unternehmen in konjunkturell schwächeren Regionen naturgemäß niedriger bewertet. Damit entstehen dort Käufermärkte, die Nachfrage generieren.

Als primäre Treiber dieser Entwicklung lassen sich die Stärkung der eigenen Unternehmensposition durch bessere Marktdurchdringung und internationale Präsenz sowie die Ergänzung des eigenen Produktportfolios identifizieren. Auffällig ist dabei ein häufiges Interesse an der Erschließung von komplementären Produktfeldern, die zu wechselseitiger Befruchtung in der Produktentwicklung und im Vertrieb führen können. Synergien werden damit nicht allein mehr durch Kostenregression und Verschmelzung von bestehenden Einheiten gesucht.

Erschließung neuer Märkte ...

Eine Studie von Pricewaterhouse-Coopers aus 2011 ergab eine bemerkenswerte Aufschlüsselung der Motive für die Aufnahme von Transaktionen im Mittelstand. Mit deutlichem Abstand wurden als wichtigste Auslöser "die Erschließung von neuen Produktmärkten" sowie "die Erschließung von neuen geografischen Märkten und die Erzielung von Größenvorteilen einschließlich wirtschaftlicher Druck zur effizienten Unternehmensgröße" genannt. Dieser Trend verstärkt sich seit Anfang 2012 deutlich, da sich durch die relative Unabhängigkeit des Mittelstandes von den Kapitalmärkten diese Ziele zurzeit sinnvoll umsetzen lassen.

Viele Mittelständler beginnen, sich allmählich stärker mit dem Thema M&A zu beschäftigen. Einer Umfrage von Frankfurt Partners zufolge haben in den vergangenen zwölf Jahren die Hälfte aller Familienunternehmen mindestens ein Unternehmen ganz oder teilweise übernommen. Der M&A-Markt ist somit keineswegs eine Domäne der Großindustrie oder der Pri-vate-Equity-Familie. Diese jüngste Entwicklung geschieht nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die heutige Unternehmergeneration oft eine internationale Ausbildung genossen hat, mit Finanzierungsmodellen vertraut ist und sprachlich international kompetent verhandeln kann.

... als Kompensation für die Stagnation im Inland

Das wachsende Selbstbewusstsein von Mittelständlern hat seine Ursache auch in der hervorragenden wirtschaftlichen Verfassung, in der sich viele Unternehmen zurzeit befinden. Die Zurückhaltung der Banken in der Finanzierung mittelständischer Unternehmen in den vergangenen Jahren hat zu einem Umdenken der Unternehmer geführt. Der Frustration über versagte Kreditlinien ist ein Umdenken gefolgt, das vielfach zu einer stärkeren Eigenfinanzierung geführt hat. Gewinne wurden im größeren Umfang thesauriert. Außerdem verfügt der Mittelstand heute vielfach über eine starke Eigenkapitalausstattung, die Akquisitionen aus eigener Kraft ermöglicht. Eine gesicherte Auftragslage und gewachsene, robuste Wettbewerbssituationen tun ein Übriges, um den Blick für externe Wachstumspotenziale zu schärfen.

Chancen tun sich auch auf, wenn es aufgrund des Strukturwandels in einzelnen Branchen zu Anpassungen kommt, wie es sich unter anderem im Bereich der Medien vollzieht. Das Beispiel von MAN Roland hat deutlich gemacht wie ein Mittelständler, in Person des britischen Unternehmers Anthony Langley, entschlussfreudig in nur wenigen Wochen ein einträgliches Paket schnüren konnte. Ein entscheidender Vorteil des Mittelständlers liegt zumeist in den kurzen Entscheidungsprozessen. In der Regel entscheidet der Unternehmer selbst, oft aus dem Bauch heraus und, wie im Beispiel von Langley, ohne Due Diligence und ohne Gremienvorbehalte in den Verträgen.

Krisen anderer als Chance

Das sind Voraussetzungen, wie maßgeschneidert für Insolvenzverwalter. In einem insgesamt optimistischen wirtschaftlichen Umfeld werden gerade aus dem Mittelstand heraus Krisensituationen anderer Unternehmen als Chance betrachtet. Darüber hinaus gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass Unternehmensübernahmen in Krisensituationen erfolgreicher sind als wenn sie auf dem Peak des Konjunkturzyklus erfolgen.

Auf der Einkaufsliste deutscher Mittelständler stehen heute natürlich verstärkt auch Exoten aus den BRIC-Staaten. Hier ist die Rationale oft eine andere. Mit den überdurchschnittlichen Wachstumsraten in diesen Ländern kann eine heimische Stagnation kompensiert werden.

Zusammenfassend bleibt die Einschätzung, dass gerade der deutsche Mittelstand aufgrund einer vielfältigen Einflusskonstellation zurzeit von den Rahmenbedingungen des M&A-Marktes begünstigt erscheint. Die düsteren Perspektiven vom Jahresanfang gelten sicher nicht für den unternehmerisch handelnden Mittelständler. Chancen sind mehr als genug vorhanden, es bedarf nur einer mutigen und professionellen Herangehensweise. Allerdings konnte eine Studie von Pricewaterhouse-Coopers aus 2011 zufolge eine Vielzahl von mittelständischen Unternehmen noch keine Erfahrung mit komplexen Transaktionen erwerben. Ihnen fehlen oft eigene Ressourcen, um die Potenziale selbst zu heben. Dieses Manko kann jedoch durch die Mandatierung einschlägig erfahrener externer Berater behoben werden.

Fußnoten

1) M&A Review 2/2012, S. 42

2) Finance 1/2012, S. 66

3) M&A Review 2/2012, S. 43

Noch keine Bewertungen vorhanden


X