Aufsätze

Wer trägt die Schuld für die Schuldenkrise - und was ist jetzt zu tun?

Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, weckt Erinnerungen an den Höhepunkt der Finanzkrise im Herbst 2008: Die Märkte reagieren hoch nervös; die Daten zur Lage, die heute in der Zeitung stehen, sind morgen womöglich überholt; es gibt Krisensitzungen, die vor Handelsbeginn der Märkte früh am nächsten Tag Ergebnisse bringen müssen; und Rettungsaktionen scheinen in immer kürzerer Abfolge nötig zu sein. Und Schuld an alledem sind' wieder einmal, "ungebändigte Finanzmärkte", "verantwortungslose Finanzjongleure" und "die Spekulanten". Jetzt, so heißt es, "haben sie es nicht nur auf die Finanzmärkte, sondern auf demokratische Staaten und ihre Währungen, ja, auf die gemeinsame europäische Währung, den Euro, abgesehen." Gravierende Probleme in den öffentlichen Finanzen Doch stimmt das? Ist es so einfach? Richtig ist: Griechenland steckt in einer - ökonomisch gesehen - klassischen staatlichen Verschuldungskrise, und auch andere Euro-Länder haben gravierende, wenngleich kontrollierbare Probleme mit ihren öffentlichen Finanzen. Das Gleichgewicht aus Steuereinnahmen, Staatsausgaben, Wirtschaftswachstum und internationaler Wettbewerbsfähigkeit ist in den betroffenen Ländern aus dem Lot geraten. Die Ursache dafür sind in allererster Linie Fehler der jeweils nationalen Politik, ist vor allem Staats- und nicht Marktversagen. Die Kernfrage ist insofern: Wer wäre - hätte man hier nicht eingegriffen - heute bereit, einem hoch verschuldeten Land wie Griechenland neues Geld zu leihen? Einem Land, das allein mit dem Schuldendienst für seine bestehenden Verbindlichkeiten an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Kraft stößt? Einem Land, in dem offizielle Haushaltsdaten mehrfach und gravierend manipuliert wurden und das auch deshalb viel von dem Vertrauen seiner Geldgeber verloren hat? Kein Wunder also, dass Investoren ihr Engagement in griechische Staatsanleihen schon vor Monaten skeptischer zu beurteilen begannen. Der Kursrückgang beziehungsweise - spiegelbildlich - der Renditeanstieg dieser Wertpapiere ist der ökonomisch konsequente, unbestechliche Ausdruck dieses gewachsenen Misstrauens. Anleger, denen das Risiko zu groß geworden ist, verkaufen ihre Anleihen. Das ist nicht nur ökonomisch rational, sondern zeigt auch, dass der Markt seine Signalfunktion erfüllt - so wie das Fieber das Symptom und nicht die Ursache einer Grippe ist. Die Rolle der "Spekulanten" Anders als bei der Grippe kann der prinzipiell normale und notwendige Risiko-Ren-dite-Mechanismus an den Finanzmärkten allerdings auch selbst zu einer Gefahr werden. Dann nämlich, wenn - gerade bei verunsicherten und damit sehr volatilen Kapitalmärkten - die Risikoaversion sprunghaft zunimmt. Steigende Refinanzierungskosten verschlechtern dann die Verschuldungssituation, was in der Folge zu einem wiederum höheren Ausfallrisiko führt. In diesem Fall stellt sich in der Tat die Frage: Sind die an den Märkten ermittelten Risikopreise Ausdruck einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung und bringen sie überschuldete Staaten gar ungerechtfertigt in Not? Oder bewerten die Märkte nicht doch die Risiken in effizienter Weise und legen nur da den Finger in die Wunde, wo politische Versprechen und wirtschaftliche Realität über Jahre allzu weit auseinanderklaffen? Sind die Risikoaufschläge der Staatsanleihen eines Landes also doch nichts anderes als die Quittung für eine fatale Fiskalpolitik? Niemand kann in der derzeitigen Situation gewisse Übertreibungen an den Märkten ausschließen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass für diese Situation zuallererst die Schuldnerländer selbst und ihre Haushaltspolitik verantwortlich sind. Das jedoch wird gern ausgeblendet, wenn "Spekulanten" und Ratingagenturen voreilig zum Sündenbock gestempelt werden. Dies zu beklagen ist kein blindes Vertrauen in den Markt. Vielmehr sind spekulative Blasen und irrationale Übertreibungen eine Gefahr und können, wenn zu spät erkannt, Schaden anrichten. Und zweifellos hat die Skepsis, ob spekulative Marktreaktionen stets sinnvolle Signale aussenden, gerade im Zuge der Finanzkrise neue Nahrung bekommen. Im Kern wird damit - mittlerweile weit verbreitet - in Frage gestellt, ob Märkte tatsächlich bestmögliche Preisinformationen liefern. Das Modell informationseffizienter Kapitalmärkte scheint als die theoretische Grundlage für möglichst freie Kapitalmärkte empirisch widerlegt worden zu sein. Es heißt nun eher, Märkte neigten generell zu Übertreibungen und beförderten die Bildung von Blasen, deren Platzen ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen könnten. Hilfreiche Warner Und dennoch: Bei dieser Argumentation werden Ursache und Wirkung vertauscht. Spekulationen - wie Marktprozesse insgesamt - haben vor allem eine Entdeckungsfunktion. Mit ihnen tragen professionelle Beobachter auf der Basis ihrer Zukunftsschätzungen zu einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung und damit zur Wohlfahrt bei. Sie sind regelmäßig nicht Verursacher von Krisen, sondern in erster Linie hilfreiche Warner und helfen so, Krisen zu vermeiden. Funktionierende Anlageinstrumente erhöhen die Transparenz komplexer Systeme und wirken stabilisierend. Zu kritisieren wäre vielmehr, dass die "Spekulanten" nicht schon längst, sondern zu spät auf die Probleme in Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien den so genannten PIIGS - reagiert haben. Die skeptische Sicht auf den Markt mag politisch nachvollziehbar sein. Es hilft aber nichts, dem Markt, vorzugsweise in schwieriger Zeit, den Schwarzen Peter zuzuschieben. Denn das kann für alle Bürger zu einem handfesten ökonomischen Nachteil werden, wenn Marktskepsis in Marktbegrenzung umschlägt und Wachstumschancen vertan werden. Ein Beispiel ist der aktuelle politische "Kreuzzug" gegen Leerverkäufe oder Credit Defaults Swaps (CDS). Aber würde deren Verbot tatsächlich die aktuelle Verschuldungskrise zu lösen helfen oder die Stabilität des Finanzsektors erhöhen? Weder noch. Auch verhaltenstheoretische Experimente zeigen vielmehr: Leerverkäufe von Wertpapieren verbessern die Marktliquidität und tragen dazu bei, Preisentwicklungen zu glätten, und sie reduzieren die Gefahr spekulativer Blasen eher als sie zu erhöhen. Hinzu kommt: Die Möglichkeit, sich gegen Kreditausfälle mit CDS abzusichern, lässt die Refinanzierung von Risikostaaten insgesamt günstiger werden. Wer moderne Finanzinstrumente pauschal verteufelt, erweist der Stabilität also schnell einen Bärendienst. Aber moderate, ausgewogene Töne finden in der gegenwärtig politisch wie ökonomisch aufgeheizten Lage leider wenig Gehör. "Systemrelevanz" in der Währungsunion Wer die richtigen Konsequenzen aus der schwierigen Situation ziehen will, in die Europa und der Euro geraten sind, der muss an anderer Stelle ansetzen: nämlich an der Sicherstellung fiskalischer Disziplin in allen Euro-Ländern. Denn die Lage, in die die hoch verschuldeten Euro-Staaten geraten sind, wird durch die Logik einer Währungsunion zwangsläufig verschärft. So steht die Möglichkeit, wirtschaftlichen Problemen - etwa einer geringen internationalen Wettbewerbsfähigkeit - durch eine Abwertung der eigenen Währung abzuhelfen, in einer Währungsunion nicht mehr zur Verfügung. Auch ein beschleunigter nationaler Inflationsprozess - etwa durch eine besonders lockere Geldpolitik oder eine kräftige Abwertung -, um Staatsschulden real zu entwerten, ist nicht möglich. Zum einen deshalb, weil die Instrumente dafür, nämlich Geld- und Währungspolitik, nicht in der nationalen Verfügungsgewalt liegen, und zum anderen, weil sich durch einen nationalen Inflationsprozess das Problem wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit noch weiter zuspitzen würde. Damit hat zum Beispiel Griechenland vier Handlungsoptionen: (1) den Austritt aus der Währungsunion, (2) eine Umschuldung, (3) bedingungslose Hilfen der übrigen Eu-ro-Staaten oder (4) grundlegende wirtschaftspolitische Reformen, vor allem einen schmerzhaften Deleveraging-Prozess über sinkende Ausgaben und Löhne sowie eine steigenden Sparquote. (1) Was aber wären die Folgen eines Austritts aus der Währungsunion? In Griechenland würde es zu einer kräftigen Abwertung der neuen Währung kommen, verbunden mit einer massiven Kapitalflucht aus dem Land. Das Verschuldungsproblem würde sich sogar noch verschärfen, da die Schulden nach wie vor in Euro nominiert wären. Bei den inländischen Besitzern von Staatsanleihen - derzeit werden nur etwa 20 Prozent der griechischen Anleihen von Inländern gehalten könnte eine Umwandlung in die neue nationale Währung stattfinden. Die Erwartung einer solchen Umwandlung wäre allerdings ein Grund für die Kapitalflucht. Zugleich sind die auf Euro lautenden Schuldtitel ein gravierendes Problem für Unternehmen und private Haushalte. Deshalb wäre die Gefahr, dass bei einem Austritt aus der Währungsunion der Schuldendienst nicht mehr gezahlt werden kann, sehr groß. Eine Umschuldung und gravierende Finanzierungsengpässe in der gesamten Wirtschaft wären die Konsequenz und würden zu einer extrem scharfen Rezession führen. Selbst wenn sich die wirtschaftliche Lage durch eine abwertungsbedingte Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit - nach einiger Zeit wieder stabilisieren sollte, müsste Griechenland allein wegen des Wechselkursrisikos in Zukunft sehr hohe Zinsen für Kredite bezahlen. Und schließlich: Die sozialen Kosten wären immens - und zwar für große Teile der griechischen Bevölkerung. Auch ist keineswegs sicher, dass dieser Kurs in Griechenland politisch überhaupt durchsetzbar wäre. (2) Was würde ein Staatsbankrott mit Umschuldung bedeuten? Zurzeit gibt es kein geregeltes Verfahren für eine staatliche Insolvenz. Neben den bereits oben skizzierten Konsequenzen hätte Griechenland im Falle einer Umschuldung zunächst ein massives Glaubwürdigkeitsproblem der Zugang zu neuen Krediten wäre extrem schwierig. Die aber sind dringend nötig, um laufende Staatsausgaben wie Beamtengehälter oder Renten zu bezahlen. Immerhin betrug das Primärdefizit - also das laufende Haushaltsdefizit ohne Zinsbelastungen - im vergangenen Jahr rund acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem: Im Vergleich zum Austritt aus der Währungsunion wäre das Problem der geringen Wettbewerbsfähigkeit nicht entschärft. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass in der Währungsunion die "Ansteckungsgefahr" besonders groß ist. Wegen der eingeschränkten nationalen Handlungsmöglichkeiten in der Geld- und Wechselkurspolitik wurden sehr schnell Parallelen zwischen Griechenland und anderen hoch verschuldeten Euro-Staaten gezogen, insbesondere zu Portugal und Spanien. Der Fall Griechenland stellt somit für die Währungsunion ein "systemrelevantes Problem" dar. Die Ansteckungseffekte lassen sich in einer wachsenden Skepsis der Anleger gegenüber diesen Ländern erkennen. Auch deren Anleihen wurden verkauft, die Kurse sanken und die Refinanzierungskosten stiegen. (3) Wären bedingungslose Hilfen der übrigen Euro-Staaten ohne Auflagen eine Lösung? Nein, denn sie würden nicht nur den Konsolidierungsdruck in den hoch verschuldeten Staaten reduzieren, sondern auch in den übrigen Euro-Ländern die Tendenz zu unsolider Haushaltspolitik befördern. Die Währungsunion würde sich dadurch zügig in eine Transfergemeinschaft wandeln: Da alle für jeden haften, hält niemand seine Finanzen in Ordnung - dem, was Ökonomen "moral hazard" nennen, wären Tür und Tor geöffnet. Das Ende vom Lied wären ein an Wert verlierender Euro, eine höhere Inflation, weniger Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitslosigkeit. (4) Es bleibt die Option einer konsequenten Konsolidierung und umfassender Reformen. Man kann es daher drehen und wenden wie man will: An einer strikten und überzeugenden Konsolidierungspolitik nicht nur in den hoch verschuldeten, sondern in allen Euro-Staaten - führt kein Weg vorbei. Griechenland hat dazu sehr umfangreiche und ehrgeizige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dass sie auch tatsächlich umgesetzt werden, ist noch nicht sicher. Vor allem aber braucht es Zeit, bis sich positive Wirkungen bei den Staatsfinanzen zeigen. Deswegen ist es schwierig, die Skepsis am Kapitalmarkt rasch abzubauen. Rettungsmaßnahmen sind der Situation angemessen Aus diesem Grund war es richtig und im jeweils eigenen Interesse der übrigen Euro-Staaten, den ambitionierten Konsolidierungskurs mit Überbrückungshilfen zu flankieren. So wurde die nötige Zeit für den unvermeidlichen Anpassungsprozess gewonnen, der für die Zukunft der Währungsunion und die Zukunft Europas so nötig ist. Gerade in Deutschland, der größten Volkswirtschaft des Kontinents, sollte niemand vergessen, wie sehr Europa und der Euro - wirtschaftlich wie politisch - im nationalen deutschen Interesse liegen. Weil Griechenland - aber auch Portugal und Spanien - sich zu einem Kurs konsequenter Konsolidierung bekennen, sind die beschlossenen Hilfsprogramme des IWF und der Euro-Zone gerechtfertigt. Sie bieten Griechenland die Chance, den Worten auch Taten folgen zu lassen und den Marktteilnehmern die Ernsthaftigkeit der Strategie zu belegen. Sie bieten zugleich den Wirtschafts- und Währungspolitikern der Euro-Zone eine zweite Chance, wenn es darum geht, das Regelwerk der Währungsunion auf eine neue, eine stabilere Basis zu stellen. Die beschlossenen Hilfen sind auch deshalb positiv zu werten, weil sie - nicht zuletzt durch Einbindung des Internationalen Währungsfonds - so ausgestaltet sind, dass sie den hoch verschuldeten Ländern keinen leichten Ausweg aus der selbst verursachten Schuldenfalle bieten, sondern ihnen große eigene Anstrengungen abverlangen. Das reduziert die Gefahr von Fehlanreizen für die Haushaltspolitik in der Währungsunion. Allerdings muss ebenso klar sein: Das Rettungspaket ist nur ein erster Schritt, der ohne den zweiten - eine tatsächliche Konsolidierung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit - und ohne den dritten ein neues, striktes finanzpolitisches Regelwerk für die Währungsunion - kaum Erfolg haben wird. Denn die Hilfen des Internationalen Währungsfonds und der Euro- Zone werden die Märkte nur vorübergehend beruhigen können. Damit steht die eigentliche Arbeit noch aus. Um die Staatsfinanzen in den Euro-Staaten in Ordnung zu bringen, sind auch beherzte Strukturreformen notwendig, die zu höherem Potenzialwachstum und mehr Beschäftigung führen. Besonders zügig müssen nun aber auch härtere Regeln für die Finanzdisziplin im Euro-Raum aufgestellt und vor allem eingehalten werden. Nötig sind ein verstärktes Kontrollrecht des Europäischen Amtes für Statistik zur Qualität der finanzpolitischen Daten in den einzelnen Euro-Staaten; verbindliche Regeln, die bei guter Konjunktur sowie in Ländern mit hoher Schuldenstandsquote größere Konsolidierungsanstrengungen verlangen; automatische und konsequente Sanktionen bei Regelverstößen, die bereits im Vorfeld eine abschreckende Wirkung auf "fiskalische Sünder" entfalten. Erste Überlegungen der EU-Kommission gehen in diese Richtung. Die Glaubwürdigkeit der härteren Finanzregeln muss auch durch eine frühzeitige Überwachung gestärkt werden. Denn Fehlentwicklungen zu vermeiden ist allemal besser, als diese später zu korrigieren. Darüber hinaus muss aber auch ein Regelwerk zum Umgang mit zahlungsunfähigen Euro-Ländern entwickelt werden, sprich: ein geordnetes Verfahren bei Staatsinsolvenzen. Droht Inflation in der Euro-Zone? Die Europäische Zentralbank (EZB) hat flankierende Maßnahmen zum europäischen Kredit- und Bürgschaftsprogramm ergriffen. Dies war nötig, um neuen Verspannungen insbesondere an den Geldmärkten vorzubeugen. Neben dem bereits wirksamen Ankaufprogramm für Covered Bonds wird die EZB Staatsanleihen und private Schuldverschreibungen am Sekundärmarkt kaufen, um gezielt Funktionsstörungen auf diesen Märkten zu beheben. Die monetäre Wirkung solcher Ankäufe soll durch andere Instrumente neutralisiert werden; durch Absorption der so geschaffenen zusätzlichen Zentralbankgeldmenge will die EZB die eigentliche Geldpolitik von diesem Eingriff entkoppeln. Als weitere Maßnahmen werden zusätzliche Tender mit voller Zuteilung bereitgestellt. Damit haben Banken die Möglichkeit, sich ausreichend mit Liquidität einzudecken. Zudem wird auch die Fremdwährungszahlungsfähigkeit der Banken durch US-Dollar-Swaps der EZB sichergestellt. Verständlicherweise lösen diese Sondermaßnahmen zur Flankierung des Hilfspakets Sorgen aus. Teils werden gar Inflationsängste in der Bevölkerung wach, teils werden sie auch geschürt. Doch die Gefahr einer deutlichen Geldentwertung als Folge der jetzt beschlossenen Maßnahmen besteht - jedenfalls auf absehbare Zeit nicht. Die nachfragewirksame Geldmenge - wie zum Beispiel das breit definierte Geldmengenaggregat M3 - wird von diesem Schritt weitestgehend unberührt bleiben. Das ist nicht nur durch die mit der Neutralisation angestrebte stabile Zentralbankgeldmenge gewährleistet. Auch der Geldschöpfungsmultiplikator verharrt auf einem historisch niedrigen Niveau. Darüber hinaus sprechen der unvermeidliche Konsolidierungsprozess in den öffentlichen Haushalten, die äußerst geringe Auslastung der Produktionskapazitäten und die hohe Arbeitslosigkeit im Euro-Raum auch von der realwirtschaftlichen Seite gegen deutlich anziehende Preissteigerungsraten. Damit besteht auf Sicht eindeutig keine nennenswerte Inflationsgefahr. Und doch: In der momentanen Situation mag die geldpolitische Hilfestellung unvermeidlich gewesen sein - sie muss aber die Ausnahme bleiben. Der bisherige geschickte Einsatz der außerordentlichen geldpolitischen Maßnahmen während der Finanz- und Wirtschaftskrise spricht dafür, dass die EZB auch bei dem jetzigen Schritt eher aus Überzeugung denn auf politischen Druck hin gehandelt hat. Wenn es mittelfristig gelingt, das Vertrauen in die Unabhängigkeit und den Stabilitätsauftrag der EZB wieder fest in den Überzeugungen der Finanzmarktakteure zu verankern, dann dienen die getroffenen Sondermaßnahmen der Sicherung des Wohlstands, ohne die Kaufkraft des Euro zu gefährden. Das muss auch künftig die Richtschnur bleiben. Voraussetzung dafür ist jeweils eine nüchterne Betrachtung der ökonomischen Fakten - das schließt eine klare Antwort auf die Frage ein, wer die Verantwortung für die Staatsschuldenkrise trägt. Sündenbock Markt? Und hier kann die Antwort nur lauten: Die aktuellen Probleme hoch verschuldeter Euro-Staaten haben zwar durchaus auch mit den finanziellen Folgen der Finanzmarktkrise zu tun, sind in erster Linie aber durch fiskal- und wirtschaftspolitische Versäumnisse entstanden. Daher müssen die Umrisse einer Reform des Stabilitätspaktes möglichst bald klar erkennbar werden. Nur dann kann die Euro-Zone glaubhaft machen, dass die Fehler, die in die Misere geführt haben, künftig ausgeschaltet werden. Demgegenüber lässt sich die heftige Kritik an anonymen "Spekulanten" durch die Faktenlage nicht begründen. Den Sündenbock bei Märkten und Marktteilnehmern zu suchen, lenkt nur von der eigentlichen Ursache - einer über Jahre zu unsoliden europäischen Haushaltspolitik und einer lange Zeit vernachlässigten internationalen Wettbewerbsfähigkeit - ab. Die Überbringer der schlechten Nachricht, zu bestrafen, hat noch nie zur Lösung von Problemen beigetragen.

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