Aufsätze

Die Transparenz globaler Derivatemärkte - Licht, Halbdunkel und Schatten

In öffentlichen Regulierungsdiskussionen wird häufig - fast schon reflexartig - gefordert, die Transparenz bestimmter Märkte zu erhöhen. Dies betrifft auch und in besonderem Maß die Derivatemärkte, die zur Verschärfung der globalen Finanzkrise beigetragen haben. Unklar bleibt dabei jedoch oft, welche Informationen im Einzelnen zur Erreichung welcher Ziele transparent gemacht werden sollen. Auch wird häufig nicht danach unterschieden, wem diese Informationen oder Teile dieser Informationen zur Verfügung stehen sollen.

Im Folgenden wird nach einem Überblick über die Struktur der globalen Derivatemärkte zunächst kurz auf die Transparenz gegenüber Marktteilnehmern eingegangen. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt anschließend auf der Transparenz gegenüber Aufsichtsbehörden, das heißt welche Informationen ihnen für laufende Stabilitätsanalysen vorliegen sollten, welche Informationen ihnen aktuell zur Verfügung stehen ("known knowns"1)) und wie die bislang fehlenden Informationen künftig erhoben werden können (Abbau der "known unknowns").

Struktur der globalen Derivatemärkte

Derivate wie Futures, Forwards, Swaps und Optionen sind Finanzinstrumente, deren Wert aus dem Wert anderer Variablen (Basiswert oder Referenzeinheit) abgeleitet wird. Man unterscheidet üblicherweise fünf Derivateklassen: Zins-, Aktien-, Währungs-, Rohstoff- und Kreditderivate. Viele Marktteilnehmer schließen Derivate ab, um sich gegen wirtschaftliche Risiken wie Wechselkursschwankungen abzusichern und eine größere Planungssicherheit zu erreichen. Andere spekulieren mit Derivaten oder nutzen mit ihnen Arbitragemöglichkeiten aus. Die oft enorme Hebelwirkung von Derivaten ermöglicht dabei den schnellen Aufbau von bedeutenden Positionen mit nur geringen finanziellen Mitteln.

Über ein Dutzend großer Dealer, vornehmlich Investmentbanken,2) wirken an den Derivatemärkten wie Marktmacher und stehen im Mittelpunkt des Marktgeschehens, indem sie einen Großteil der globalen außerbörslichen Geschäfte vermitteln und dabei selbst Risikopositionen übernehmen.3) Die einzelnen Derivateteilmärkte können deshalb eine hohe Konzentration aufweisen.4) Als Nachfrager von Derivateprodukten kommen praktisch alle professionellen Finanzmarktteilnehmer infrage: neben Banken auch Fonds, Versicherungen, Industrieunternehmen und Zentralbanken. Es kommt im Derivatehandel üblicherweise zu Kettenabschlüssen von Derivateverträgen, bis die Verteilung des Risikos im Finanzsystem ausgeglichen ist: Die Nachfrager schließen häufig ein Derivat mit ihrer Hausbank ab, die Hausbank reicht das Derivat an einen Dealer weiter, dieser wiederum gleicht die Position gegebenenfalls durch mehrere Teilverträge mit anderen Dealern wieder aus und diese suchen sich ebenfalls wieder passende Nachfrager oder weitere Dealer. Derivatekontrakte haben oft eine lange Laufzeit, die bis hin zu mehreren Jahrzehnten reichen kann. Die Vertragsbeziehungen können sich allerdings während des Lebenszyklus eines Kontrakts relativ häufig ändern, indem es zum Beispiel zu teilweisen Kündigungen oder Abtretungen kommt.

Handel auf Börsen oder außerbörslich

Der Handel von Derivaten erfolgt sowohl auf Börsen oder auf (anderen) elektronischen Handelsplattformen als auch außerbörslich (Over-the-Counter, OTC). Die wichtigsten Derivatebörsen in Europa sind die zur Deutschen Börse Gruppe gehörende Eurex und die von Nyse-Euronext betriebene Liffe. Bis zum Beginn der globalen Finanzkrise wies der OTC-Derivatemarkt, gemessen am ausstehenden Nominalvolumen,5) ein steiles Wachstum auf (siehe Abbildung 1). Während es bei Kreditderivaten nur den OTC-Handel gibt, werden alle anderen Derivateklassen sowohl an Börsen als auch OTC gehandelt.

Ein Vergleich der Märkte kann bislang nur anhand der Bestandsdaten erfolgen, da es für den OTC-Handel kaum Informationen über die Umsätze gibt. Aufgrund ihrer Natur ist allerdings zu erwarten, dass Börsenprodukte oft geschäftstäglich einen deutlich höheren Umsatz haben als die teilweise komplexeren und weniger liquiden OTC-Varianten. Dagegen liegen die offenen Positionen an Börsen deutlich unter denen im OTC-Bereich (siehe Abbildungen 2 und 4). Gemäß der Derivatestatistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)6) betrug zum 30. Juni 2012 der Nominalwert der ausstehenden aktienbezogenen Derivate an Börsen 56 Prozent der OTC-Nominalwerte, der der zinsbezogenen Derivate elf Prozent und der der währungsbezogenen Derivate nur ein Prozent.

Pflicht zum Clearing

Als ersten Anhaltspunkt für die relative Bedeutung der verschiedenen OTC-Derivateklassen kann man die jeweiligen Nominalwerte vergleichen (Abbildung 2). Danach entfällt auf Zinsderivate ein Anteil von 77 Prozent am aggregierten Nominalwert. Mit deutlichem Abstand folgen die währungsbezogenen Derivate mit einem Anteil von zehn Prozent, die Kreditausfall-Swaps (Credit Default Swaps, CDS) mit vier Prozent sowie die aktien- und rohstoffbezogenen Derivate mit jeweils rund einem Prozent. Mit sieben Prozent bilden sonstige Derivate eine Sammelposition für alle Kontrakte, bei denen mehrere Risikokategorien kombiniert werden und eine Aufteilung in die einzelnen Komponenten nicht möglich ist. Die Verhältnisse ändern sich kaum, wenn man statt der jeweiligen Nominalwerte die Bruttomarktwerte7) der Derivate vergleicht (Abbildung 3).

Die von den G20-Staats- und Regierungschefs im Jahr 2009 angestoßene Reform der außerbörslichen Derivatemärkte hat unter anderem zum Ziel, Kontrahentenausfallrisiken durch die Einbeziehung von zentralen Gegenparteien (Central Counterparties, CCPs) zu reduzieren. Durch den Aufbau und die Nutzung dieser Infrastrukturen soll die Finanzstabilität erhöht werden. Spätestens im Jahr 2014 soll in Europa durch die EU-Verordnung EMIR8) eine Pflicht zum Clearing über eine zentrale Gegenpartei in Kraft treten. Vergleichbare Regelungen sind in den meisten G20-Ländern vorgesehen.

So greift zum Beispiel in Japan seit November 2012 eine Clearingpflicht für bestimmte OTC-Derivateprodukte. In den USA wird eine Clearingpflicht im März 2013 in Kraft treten und stufenweise auf weitere Marktteilnehmer und Produkte ausgeweitet werden.

Zu beachten ist, dass ein OTC-Derivatekontrakt, in den eine CCP eintritt, rechtlich betrachtet beendet und durch zwei neue Verträge (Vertragspartei A mit der CCP und die CCP mit Vertragspartei B) ersetzt wird (Novation). Dies führt dazu, dass der Kontrakt doppelt in die BIZ-Statistik einfließt, da diese auf der Meldung aller ausstehenden Positionsbestände beruht. Eine vermehrte Nutzung von CCPs, die durch die Einführung der Clearingpflicht erfolgen wird, führt somit zu einer Erhöhung der Werte in der BIZ-Statistik. Dieser Effekt dürfte bereits teilweise zur Steigerung des in Abbildung 1 ausgewiesenen Derivatevolumens in den letzten Jahren beigetragen haben. In den Fortschrittsberichten des Finanzstabilitätsrates (Financial Stability Board, FSB) zur Reform der OTC-Derivatemärkte wird dieser Effekt heraus gerechnet. Für Ende August 2012 schätzt der FSB, dass 40 Prozent der weltweit ausstehenden Zinsderivate und zwölf Prozent der ausstehenden CDS über zentrale Gegenparteien abgewickelt wurden. Darüber hinaus sind CCPs bei bis zu 76 Prozent des CDS-Neugeschäfts eingeschaltet worden.9)

Handelstransparenz im Mittelpunkt

In der Regulierungsdiskussion zur Transparenz gegenüber Marktteilnehmern steht die Handelstransparenz im Mittelpunkt. Die Vorhandelstransparenz betrifft dabei insbesondere Informationen über die aktuelle Auftragslage und/oder die Quotierungen von Dealern - Prototyp ist dabei das offene Orderbuch bei Börsen. Die Nachhandelstransparenz umfasst Informationen über getätigte Transaktionen (unter anderem Preise, Volumina). Eine weitgehende Handelstransparenz liegt generell im Interesse des Gesamtmarktes, da aus den Handelsabsichten und getätigten Transaktionen wertvolle Informationen über den jeweiligen Markt abgeleitet werden können, die bei der Erstellung und Implementierung der eigenen Handelsstrategien der Marktteilnehmer hilfreich sein können.

Allerdings ist es aus der individuellen Perspektive jedes Handelsteilnehmers oft irrational, seine eigenen Handelsabsichten und getätigten Geschäfte dem Markt offenzulegen, da die Information darüber anderen Marktteilnehmern zugutekommen und den individuellen Handelserfolg einschränken können. Damit weist die Handelstransparenz Charakteristika eines positiven externen Effektes auf, weshalb regulatorische Eingriffe zur Herstellung einer angemessenen Handelstransparenz grundsätzlich gerechtfertigt erscheinen. Im Rahmen der aktuellen Überarbeitung der EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID10) ist deshalb geplant, das derzeit lediglich für Aktien existierende Transparenzregime auf weitere Finanzinstrumente, inklusive Derivate, auszudehnen. So sollen die auf Handelsplätzen getätigten Derivatetransaktionen gegenüber Marktteilnehmern grundsätzlich vor- und nachhandelstransparent gemacht werden.11)

Bei der exakten Kalibrierung der Vorschriften muss jedoch darauf geachtet werden, welche Effekte dies auf die Qualität des Marktes, insbesondere die Liquidität, haben könnte, da unter bestimmten Voraussetzungen eine uneingeschränkte Transparenz zu einer Verringerung der Liquidität auf dem Markt führen kann.12) Aus diesem Grund wird aktuell intensiv über bestimmte Ausnahmen beziehungsweise Erleichterungen von den Handelstransparenzpflichten für Derivate diskutiert.

Welche Informationen benötigen Aufsichtsbehörden? Da eine umfassende Aufzählung aller von Aufsichtsbehörden im weiteren Sinn13) durchgeführten Analysen mit Blick auf die Derivatemärkte den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde, wird lediglich das "Kerngeschäft" der Finanzstabilitätsanalyse besprochen.

Datenanforderungen

Die genannten Datenanforderungen sind deshalb nicht als abschließend zu sehen. Die "Kernanalysen" für Zwecke der Finanzstabilität sowie die jeweils benötigte Datengrundlage lassen sich dabei in zwei Arten unterteilen:

Analysen bezüglich der Derivatemärkte: Um Verwundbarkeiten des Finanzsystems frühzeitig erkennen zu können, müssen die Entwicklungen auf den Derivatemärkten laufend überwacht werden. Dies beinhaltet unter anderem die Analyse der Marktcharakteristika (zum Beispiel Liquidität eines Marktes) und die Analyse möglicher Ansteckungskanäle über abrupte Änderungen in den Marktbewertungen (zum Beispiel durch Ratingabstufungen oder gestiegene Volatilität ausgelöste Aufforderungen zur Stellung von zusätzlichen Sicherheiten oder erhöhte Abschläge auf Sicherheiten). Des Weiteren zählt das Identifizieren von strukturellen Änderungen dazu, die zum Beispiel von der Regulierung induziert oder durch Produktinnovationen hervorgerufen werden können. Für diese Analysen werden Daten zur Größe und Struktur einzelner Teilmärkte sowie (teilweise) Handelsdaten benötigt.

Analysen bezüglich der Marktteilnehmer sowie der Infrastruktur: Um mögliche systemische Risiken durch Schieflagen bei einzelnen Marktakteuren rechtzeitig begegnen zu können, müssen die Derivatepositionen der wichtigen Marktakteure laufend beobachtet werden. So lässt sich der Aufbau großer Positionen, wie beispielsweise im Fall des US-Versicherungskonzerns AIG geschehen, rechtzeitig erkennen. Darüber hinaus muss die Vernetzung der Marktteilnehmer untereinander analysiert und schließlich gleichgerichtetes Verhalten von Marktakteuren untersucht werden. Für diese Analysen reichen oft Daten zu den aggregierten Derivate-Positionen einzelner Marktteilnehmer nicht aus. So lassen sich mit Positionsdaten keine sogenannten Zweitrundeneffekte auf den Derivatemärkten analysieren - also beispielsweise die Frage, wie sich der Ausfall eines großen Marktteilnehmers auf den Derivatemärkten (zum Beispiel einer großen Bank wie Lehman Brothers) nicht nur in einem ersten Schritt auf die direkten Vertragspartner dieses Marktteilnehmers auswirkt, sondern auch, ob und gegebenenfalls wie sich mögliche Schockwellen aufgrund der Vernetzung der Marktteilnehmer untereinander fortsetzen.

Für diese Analysen sind häufig Daten zu den einzelnen Transaktionen und dem Grad ihrer Besicherung beziehungsweise der Besicherung von gesamten Positionen nötig, denn Derivatekontrakte werden durch den Ausfall der Gegenpartei wertlos, sofern sie nicht bilateral besichert waren oder ihr Fortbestehen durch die Einschaltung einer zentralen Gegenpartei gewährleistet wird. Daher ist eines der G20-Ziele, künftig alle standardisierten Derivate verpflichtend durch zentrale Gegenparteien clearen zu lassen, weshalb auch verstärkt Daten zu den zentralen Gegen parteien in den Blick genommen werden sollten.

Was wissen Aufsichtsbehörden aktuell?

Die aktuell beste Quelle, um einen Überblick über die weltweiten Derivatemärkte zu erlangen, stellen die bereits oben zitierten Daten der BIZ dar. Für die halbjährliche Statistik zu OTC-Derivaten werden aktuell von 13 Notenbanken wichtiger Finanzzentren (unter anderem von der Deutschen Bundesbank) Erhebungen bei Marktteilnehmern zu währungs-, zins-, aktien- und rohstoffbezogenen Derivaten sowie über CDS durchgeführt. Abgefragt werden jeweils Nominalwerte als auch Marktwerte aller zum Stichtag ausstehenden Kontrakte. Die Daten werden in aggregierter Form veröffentlicht und erlauben einen Einblick in Umfang, Struktur und Entwicklung der weltweiten OTC-Derivatemärkte. Sie können deshalb herangezogen werden, um in halbjährlichen Abständen einen Überblick über den weltweiten OTC-Derivatemarkt zu erhalten und mittel- und langfristige Trends aufzuspüren. Dagegen lassen sich auf Grundlage dieser wenig granularen Daten beispielsweise keine vertieften Risikoanalysen zu möglichen Ansteckungseffekten über die Derivatemärkte, etwa aufgrund des Ausfalls eines Marktteilnehmers (wie dies beispielsweise im Hinblick auf AIG befürchtet wurde) durchführen.

Ferner ist bei der Benutzung dieser Daten zu beachten, dass diese nur in einer beschränkten Anzahl von Ländern und von einer eingeschränkten Anzahl von Marktteilnehmern erhoben werden und nicht alle am Markt gehandelten OTC-Derivateinstrumente erfasst werden. Um einen vollständigen Einblick zu erhalten, führt die BIZ zusätzlich im dreijährigen Rhythmus eine weitergehende Umfrage bei einer größeren Anzahl von Marktteilnehmern in insgesamt 47 Ländern durch; dabei werden auch Daten zu anderen Kreditderivaten als CDS erhoben.14) Neben den eben aufgeführten Daten zu OTC-Derivaten veröffentlicht die BIZ schließlich vierteljährlich Statistiken zu an Börsen gehandelten Derivaten.15) Die Informationen umfassen ausstehende Nominalwerte, Anzahl der Kontrakte und Umsätze und sind sowohl nach Regionen als auch nach Art der Instrumente (zins-, währungs- und aktienbezogen) unterteilt.

Einblick in die Besicherungspraxis?

Deutlich granularere Daten sind vor allem für Derivatemärkte vorhanden, in denen bereits sogenannte Transaktionsregister (TRs) existieren. In diesen TRs melden die Marktteilnehmer wesentliche Informationen zu jeder einzelnen ihrer Transaktionen. Die Einrichtung von TRs für Derivatemärkte ist eine relativ junge Entwicklung. Am Längsten etabliert ist dabei die Erfassung des CDS-Marktes. Das von der US-amerikanischen DTCC betriebene Trade Information Warehouse (TIW) deckt fast den gesamten weltweiten CDS-Markt ab;16) die Daten reichen bis November 2008 zurück. Es bestehen verschiedene Stufen der Aggregation sowie des Datenzugriffs. Vereinfacht lässt sich sagen, dass ausschließlich Aufsichtsbehörden Zugriff auf die Daten zu einzelnen Transaktionen17) sowie zu aggregierten Positionsdaten einzelner Marktteilnehmer haben. Der Öffentlichkeit werden im Wesentlichen aggregierte Daten aller Kontrahenten zur Verfügung gestellt.18)

Neben dem schon länger etablierten TR für den CDS-Markt betreibt die DTCC seit Dezember 2011 ein TR für Zinsderivate und entwickelt weitere TRs für die übrigen Derivateklassen.19) Schließlich existieren zahlreiche lokale und regionale TRs für andere Derivate-Teilmärkte.

Aktuell werden in den TRs keine Informationen zur Besicherung der Derivate gespeichert. Einen Einblick in die Besicherungspraxis geben lediglich die jährlichen Margin Surveys der International Swaps and Derivatives Association (ISDA).20) Der ak tuelle Bericht von Mai 2012 basiert auf Antworten von 51 Marktteilnehmern und enthält unter anderem Informationen da rüber, welcher Prozentsatz der Derivatetransaktionen besichert wird. Darüber hinaus werden aggregierte Daten zur Art und Höhe der gestellten Sicherheiten sowie zur Wiederverwendung von Sicherheiten mitgeteilt. Zu beachten ist dabei, dass jede gestellte Sicherheit mindestens doppelt in die ISDA-Statistik einfließt, nämlich vom Sicherheitengeber und vom Sicherheitennehmer. Die BIZ schätzt, dass nur rund die Hälfte der offenen Risikopositionen in den OTC-Derivatemärkten tatsächlich als besichert gelten darf.21) Schließlich besteht für Adhoc-Analysen die Möglichkeit, benötigte zusätzliche Informationen in einer Umfrage oder im Rahmen von Stresstests von beaufsichtigten Marktteilnehmern zu erheben.

Die aufgeführten Datenquellen stellen den Aufsichtsbehörden derzeit nicht alle Informationen zur Verfügung, die für Stabilitätsanalysen benötigt werden. So gibt es zahlreiche Teilmärkte beziehungsweise Weltregionen, für die (noch) keine Transaktionsregister existieren. Hinsichtlich dieser Märkte haben Aufsichtsbehörden beispielsweise aktuell kein vollständiges Bild möglicher Risikokonzentrationen oder Ansteckungskanäle. Aber selbst wenn aufgrund der G20-Reform, die ursprünglich bis Ende 2012 hätte umgesetzt werden sollen, überall die Errichtung und Nutzung von TRs erfolgt, bleiben noch zahlreiche technische und rechtliche Hürden, die überwunden werden müssen.

Da sich die von einigen Marktteilnehmern und Infrastrukturanbietern erhobene Forderung nach nur einem globalen TR nicht durchsetzte, ist eine Fragmentierung der Daten in einer Vielzahl von TRs zu erwarten. Dies stellt eine nicht zu unterschätzende technische Herausforderung dar, zumal wenn die Daten in unterschiedlichen Formaten vorliegen. Überdies ist nicht gewährleistet, dass in jeder Jurisdiktion dieselben Datenfelder erhoben werden.

Die EU-Verordnung EMIR sieht beispielsweise vor, dass alle Derivate - also sowohl die OTC gehandelten als auch die auf Börsen oder anderen Handelsplätzen abgeschlossenen - an TRs gemeldet werden müssen. Damit wird es für europäische Aufsichtsbehörden möglich sein, den Gesamtderi vatebestand jedes einzelnen Marktteil nehmers einzusehen. Die meisten anderen Jurisdiktionen sehen dagegen lediglich die Meldung von OTC-Derivatetransaktionen an TRs vor, wie dies der ursprünglichen Intention der G20 entspricht.

Des Weiteren ist unklar, ob und welchen Datenzugang die verschiedene Aufsichtsbehörden zu TRs in anderen Jurisdiktionen erhalten und wie ein internationaler Austausch von Daten vonstattengehen könnte. Hier bestehen vor allem Datenschutzbedenken, da insbesondere die Information über die Positionen eines einzelnen Marktteilnehmers nicht ohne Weiteres an eine ausländische Aufsichtsbehörde weitergegeben werden kann. Deswegen gibt es seit einiger Zeit Bemühungen, auf internationaler Ebene eine Lösung zu erarbeiten.

Regelmäßige Bewertung der Derivatepositionen

Um den praktischen Nutzen der Daten in den TRs für die Finanzstabilitätsanalyse zu erhöhen, wäre neben den Informationen, die bei Geschäftsabschluss gemeldet werden, eine regelmäßige Bewertung der Derivatepositionen zu Marktpreisen und eine Darstellung über Art und Umfang der Besicherung (gegebenenfalls des gesamten Derivateportfolios eines Marktteilnehmers) notwendig. Dadurch ließe sich feststellen, inwieweit sich Kontrahentenausfallrisiken manifestieren könnten. So schützt zwar ein hoher Grad an Besicherung zunächst vor dem Ausfall eines Marktteilnehmers, allerdings könnte die gleichzeitige Liquidierung der Sicherheiten durch alle Kontrahenten dieses Marktteilnehmers wiederum zu unkontrollierten Verwerfungen an den Finanzmärkten führen. Erfreulicherweise sehen die von der EU-Kommission im Dezember 2012 erlassenen technischen Durchführungsstandards von EMIR genau diese Meldungen vor. Für die Marktteilnehmer bedeutet die tägliche Bewertung und Meldung zwar einen nicht zu unterschätzenden administrativen Aufwand, jedoch ergibt sich damit für sie auch frühzeitig ein Bild, ob die eingegangenen Derivate noch ihren ursprünglich beab sichtigten Zweck erzielen.

Licht, Halbdunkel und Schatten?

Schon seit einigen Jahren wird international intensiv daran gearbeitet, Aufsichtsbehörden den für ihre jeweiligen Aufgaben notwendigen Einblick in den globalen Derivatemarkt zu ermöglichen. Diese Arbeiten haben durch die Beschlüsse des G20-Gipfels in Pittsburgh von September 2009, wonach alle OTC-Derivategeschäfte an TRs gemeldet werden sollen, einen deutlichen Schub erhalten. Es ist zu erwarten, dass in absehbarer Zeit tatsächlich zumindest ein Großteil der weltweit OTC gehandelten Derivate in TRs erfasst wird. Bereits heute liegen den Aufsichtsbehörden zeitnah deutlich umfassendere und detailliertere Informationen als zur Zeit der Schieflagen bei Lehman Brothers und AIG vor.

Die notwendigen Arbeiten sind jedoch längst nicht abgeschlossen. Nach der Erarbeitung der großen politischen Leitlinien stehen nun allerdings eher technische und auch rechtliche Fragen im Zentrum. So muss darauf gedrungen werden, dass - wie derzeit in der EU geplant - auch in anderen Jurisdiktionen Daten zur Besicherung von Derivaten beziehungsweise Derivateportfolios erhoben werden. Auch müssen Lösungen für die zu erwartende Fragmentierung der Informationen in verschiedenen TRs gefunden werden. Insbesondere dürfen an sich berechtigte Datenschutzerwägungen nicht dazu führen, dass die Regeln für den Zugang zu den gespeicherten Informationen zu restriktiv ausgestaltet werden. Ansonsten wäre der große Auf

-wand, der bei der Erhebung der Daten betrieben wird, zumindest teilweise umsonst. Schließlich muss beachtet werden, dass eine umfassende Transparenz gegenüber Aufsichtsbehörden lediglich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür ist, Risiken der globalen Derivatemärkte wirksam zu begrenzen. So müssen die Analysekapazitäten der Aufsichtsbehörden, teilweise unterstützt durch die Wissenschaft, ständig weiterentwickelt werden. Mindestens ebenso entscheidend wie die Erhöhung der Transparenz ist die Einführung beziehungsweise Weiterentwicklung eines weltweit konsistenten und umfassenden materiellen Regulierungsrahmens. Die Reform der OTC-Derivatemärkte wird deshalb auch in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt der internationalen Regulierungsagenda bilden.

Fußnoten

1) Aufbauend auf einer bekannten Klassifizierung von Donald Rumsfeld (Pressekonferenz im Februar 2002) lassen sich Informationen über bestimmte Sachverhalte in vier Kategorien unterteilen: in 1. bekanntes Wissen (known knowns), 2. bekanntes Unwissen (known unknowns; die Informationsdefizite sind also bekannt), 3. unbekanntes Wissen (unknown knowns; unrichtigerweise wird von Informationsdefiziten ausgegangen) und 4. unbekanntes Unwissen (unknown unknowns; Informationsdefizite werden nicht erkannt).

2) Die den globalen OTC-Derivatehandel dominierenden Dealer werden teilweise als "G14", "G15" oder "G16" bezeichnet. In einzelnen Teilmärkten können die Handelsstrukturen auch anders aussehen.

3) Zur Rolle der großen Dealer auf dem Markt für Kreditausfall-Swaps vgl. Shachar (2012): "Exposing The Exposed: Intermediation Capacity in the Credit Default Swap Market", Working Paper NYU Stern.

4) Vgl. Chen u. a. (2011): "An Analysis of CDS Transactions: Implications for Public Reporting", Federal Reserve Bank of New York Staff Report no. 517, S. 9 f.

5) Darunter versteht man die Bruttosumme der Nennwerte aller zum Erhebungsstichtag noch nicht glattgestellten Geschäfte. Der Nennwert bei einem Zinsswap ist beispielsweise derjenige Betrag, auf den sich der variable Zinssatz als auch der Festzins beziehen, und kann auf 100 Millionen Euro lauten.

6) http://www.bis.org/statistics/derdetailed.htm.

7) Der Marktwert eines Derivategeschäfts spiegelt die Wiederbeschaffungskosten bei Ausfall der Gegenpartei wider. Der Marktwert eines Derivats liegt generell deutlich niedriger als der Nominalwert. Bei Abschluss eines CDS-Geschäfts beispielsweise ist er in der Regel nahe null, da die Summe der Prämien dem Barwert des erwarteten Verlustes entspricht. Verändert sich über die Vertragslaufzeit das zugrunde liegende Kreditrisiko, ergibt sich für eine Vertragspartei ein positiver Marktwert, während die andere einen negativen Marktwert in gleicher Höhe zu verbuchen hat.

8) Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, kurz EMIR für European Market Infrastructure Regulation genannt.

9) Vgl. Appendix IV in: Financial Stability Board, "OTC Derivatives Market Reforms - Fourth Progress Report on Implementation", Oktober 2012, http://www. financialstabilityboard.org/publications/r_121031a.pdf.

10) Markets in Financial Instruments Directive.

11) Da im Rahmen der MiFID-Überarbeitung auch die G20-Verpflichtung, standardisierte Derivate auf Börsen oder elektronischen Handelsplattformen zu handeln, umgesetzt werden wird, gewinnt diese Transparenzpflicht künftig eine zusätzliche Bedeutung. Der Vollständigkeit halber sei der aktuelle Verhandlungsstand erwähnt, wonach die mit einem "systematischen Internalisierer" (eine Wertpapierfirma, die in organisierter und systematischer Weise häufig regelmäßig Handel für eigene Rechnung durch Ausführung von Kundenaufträgen außerhalb eines Handelsplatzes treibt) getätigten Derivatetransaktionen vor- und nachhandelstransparent werden sollen, während Derivatetransaktionen von "Wertpapierfirmen" (eine juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt) außerhalb von Handelsplätzen nur nachhandelstransparent gemacht werden müssen. Damit die Transparenzpflicht greift, müssen die entsprechenden Derivate grundsätzlich auch auf einem Handelsplatz gehandelt werden.

12) Der Großteil der Studien zu anderen Märkten als Aktienmärkten untersucht die Auswirkungen der 2002 in den USA eingeführten Nachhandelstransparenzpflichten für Transaktionen auf OTC-Anleihemärkte (Trade Reporting and Compliance Engine, TRACE), vgl. zum Beispiel Bessembinder, Maxwell (2008): "Transparency and corporate bond market", Journal of Economic Perspectives Vol. 22, Nr. 2 (Spring 2008), S. 217-234 sowie CESR (2009): "Transparency of corporate bond, structured finance product and credit derivatives markets", Juli 2009. Die Untersuchungen kommen für diese Märkte zu gemischten Ergebnissen. Zwar weisen die Studien nach, dass nach Einführung von Handelstransparenzpflichten die Transaktionskosten und die Geld-Brief-Spannen sinken; zugleich ist jedoch zu beobachten, dass sich Makler zurückziehen und in anderen Wertpapiersegmenten tätig werden und die Ausführungsgeschwindigkeit für hochvolumige Geschäfte aufgrund der gestiegenen Suchkosten abnimmt.

13) Marktaufsichtsbehörden, mikroprudenzielle und makroprudenzielle Aufsichtsbehörden sowie Notenbanken benötigen jeweils unterschiedliche Informationen zur Erfüllung ihrer individuellen Aufgaben. Aus Vereinfachungsgründen werden im Folgenden alle diese Institutionen unter den Begriff "Aufsichtsbehörde" gefasst.

14) Die aktuelle Studie wurde im November 2010 veröffentlicht; http://www.bis.org/publ/otc_hy1011.htm.

15) http://www.bis.org/statistics/extderiv.htm.

16) Nach Angaben der DTCC werden zirka 98 Prozent des Marktes erfasst.

17) Insbesondere zu Kontrahent, Referenzeinheit und Nominalvolumen. Darüber hinaus werden alle Ereignisse (wie zum Beispiel eine teilweise Kündigung) während der Laufzeit des Kontrakts erfasst.

18) http://www.dtcc.com/products/derivserv/data/index.php.

19) http://dtcc.com/products/derivserv/suite/global_ trade_repository_for_otc_derivs.php.

20) http://www2.isda.org/functional-areas/research/surveys/margin-surveys/.

21) Vgl. Gyntelberg, Vause (2012): "Ungedeckte Kreditengagements am globalen Markt für außerbörslich gehandelte Derivate", in: BIZ-Quartalsbericht, Juni 2012, Seite 16.

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