Wirtschaftsnobelpreis

Angus Deaton - der Brückenbauer

Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Ph. D., Präsident, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI); Vorsitzender, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR); Professor für Wirtschaftspolitik und angewandte Ökonometrie, Ruhr-Universität Bochum*)

Mit Angus Deaton erhält im Jahr 2015 ein Ökonom den Nobelpreis, der unsere Disziplin in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich vorangetrieben hat. Seine thematische Spannbreite geht mit einer methodischen Prägekraft einher, deren Bedeutung kaum überschätzt werden kann.

Ich hatte das große Glück, Angus Deaton als Professor während meiner Promotionsjahre an der Princeton University erleben zu dürfen. Akademische Exzellenz bedeutet für ihn vor allem, einer Sache wirklich auf den Grund zu gehen und dabei auch vermeintliche Gewissheiten durch die rigorose Konfrontation mit Daten zu überprüfen.

Nachfragesysteme und Mikroökonomik

Die erste mit dem Nobelpreis gewürdigte Leistung ist seine Forschung zu Nachfragesystemen. Gemeinsam mit John Muellbauer entwickelte Deaton ein nicht durch strikte Annahmen, sondern durch hohe Flexibilität auf individueller Ebene geprägtes Gleichungssystem, das die Entwicklung der Nachfrage nach einzelnen Gütern als Funktionen der Preise aller Güter, der zur Verfügung stehenden Einkommen sowie in Abhängigkeit von demografischen Faktoren darstellen konnte und sich in empirischen Schätzungen besser bewährte als alle bisherigen Ansätze.

Die sukzessiven Erweiterungen dieses "Almost Ideal Demand System" aus dem Jahr 1980 bilden bis heute die Grundlage für Analysen wirtschaftspolitischer Maßnahmen, etwa zu den Wohlfahrtskonsequenzen einer Mehrwertsteuer-Reform, für die Konstruktion von Preisindizes sowie für den Vergleich von Lebensstandards über die Zeit und zwischen Ländern. Mit der in der Forschung zur Nachfrage gewonnenen Erkenntnis, dass der Durchschnitt oft in die Irre führt und gerade die individuellen Abweichungen entscheidend sind, bewirkte Deaton anschließend einen fundamentalen Brückenschlag zwischen Mikro- und Makroökonomik.

Konsum, Einkommen und Makroökonomik

Bis er sich einmischte, war die von Milton Friedman formulierte These der Konsumglättung (Permanent Income Hypothesis) weithin als Erklärung für die Beobachtung ak zeptiert, dass im Aggregat der Konsum weniger schwankt als das Einkommen: Rationale Individuen würden immer ihr erwartetes Lebenseinkommen im Auge haben und ihren Konsumpfad bei Einkommensschwankungen im Zeitablauf durch Ersparnisse und Verschuldung glätten.

Deaton zeigte jedoch zunächst theoretisch, dass der individuelle Konsum stärker schwanken müsste als das Einkommen, wenn Individuen eine Einkommenssteigerung als Hinweis interpretieren, dass sie auch künftig mit steigendem Einkommen rechnen können.

Diese Aussage stand im vermeintlichen Widerspruch zur Datenlage und wurde als "Deaton Paradox" bekannt. Allerdings konnte Deaton mit empirischen Analysen individueller Einkommens- und Konsumdaten seine Hypothese eindrucksvoll bestätigen. Erst durch die Aggregation gleichen sich die individuellen Unterschiede aus, sodass der aggregierte Konsum tatsächlich weniger stark schwankt als das aggregierte Einkommen. Das ist aber ein Artefakt der Aggregation und kann nicht als Ergebnis des Optimierungsverhaltens eines repräsentativen Individuums interpretiert werden. Mit dem Paradox und seiner empirischen Auflösung trieb Deaton die Mikrofundierung der Makroökonomik voran und gab zugleich der Entwicklung der Mikroökonometrie entscheidende Impulse.

Unter jüngeren Ökonomen ist Deaton vor allem für seine Beiträge zur Entwicklungsökonomik bekannt.

Wohlstandsmessung und Entwicklungsökonomik

Auch hier bewirkte er den überfälligen Schwenk von großen Theorien, die mithilfe aggregierter Daten mehr schlecht als recht hinterfragt wurden, zu sorgfältiger empirischer Arbeit auf Basis von Mikrodaten. So war er der Spiritus Rector hinter den Aktivitäten der Weltbank, systematische Haushaltserhebungen in Entwicklungsländern zu starten und argumentierte überzeugend dafür, statt des oft irreführenden Einkommens den Konsum ins Zentrum der Armutsmessung zu stellen. Deaton trieb nicht nur die Dateninfrastruktur voran, sondern zeigte durch geniale Forschungsstrategien in zahlreichen Publikationen, welche Erkenntnisse sich damit gewinnen lassen.

Unbequeme Warnungen vor (zu) einfachen Rezepten

Deaton hat immer darauf bestanden, dass vor der konkreten wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlung, sei sie auch noch so dringend, eine rigorose Analyse stehen muss. Sind elementare Qualitätsmaßstäbe verletzt oder in Gefahr, schaltet er sich auch mit unbequemen Warnungen in aktuelle Kontroversen ein. In jüngerer Vergangenheit hat er oberflächlichen Analysen der Einkommensungleichheit vehement widersprochen, pointiert auf die Gefahren eines naiven Umgangs mit randomisierten Feldstudien hingewiesen und differenziert vor unintendierten Konsequenzen der Entwicklungshilfe gewarnt. Diese Interventionen haben umso mehr Gewicht, als dass an dem tief verankerten Humanismus dieses trotz aller intellektuellen Aura sehr bodenständigen Ökonomen aus einfachen Verhältnissen und seinem Bestreben, die Erkenntnisse der Ökonomik zum Wohle der Menschen voranzutreiben, keinerlei Zweifel besteht.

*) Mitarbeit: Dr. Nils aus dem Moore (RWI)

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