Europa

Blauäugiges EU-Vertrauen und Realpolitik

Quelle: Michael Altenburg

Ein Gastkommentar im Wall Street Journal vom 30. Mai, gemeinsam verfasst von Donald Trumps oberstem Sicherheitsberater, H. R. McMaster, und seinem engsten Wirtschaftsberater, Gary Cohn, findet zunehmend Beachtung. Er wurde nach Präsident Trumps erster Auslandsreise nach Saudi-Arabien, Israel und dem Vatikan veröffentlicht, nach seiner Teilnahme am NATO-Gipfel in Brüssel und nach dem anschließenden G7-Gipfel in Taormina. Der Gastkommentar würdigt diese ersten Auslandsauftritte von Trump als historischen Erfolg der neuen amerikanischen Außenpolitik, die sinngemäß wie folgt zusammengefasst wird: "Die Welt ist keine 'globale Gemeinschaft', sondern eine Arena, in der Nationen, Nichtregierungsakteure und Businesses interagieren und miteinander um einen Vorteil wetteifern. Anstatt diese elementare Wahrheit zu bestreiten, werden wir ihr gerecht."*

Diese Position ist die totale Abkehr von der durch die USA nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten Strategie einer von ihnen geführten, aber auf demokratischen und marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden Weltordnung. Militärische Sicherheitsgarantien, regelbasierte Abstimmungen im Welthandel, universale Grundwerte von Menschenrechten, Gewaltenteilung, Legitimierung von Herrschaft durch Verantwortlichkeit ... gelten nichts mehr gegenüber der Macht des Stärkeren, sei es ein Staat oder ein Unternehmen?

Soll man diese Position ernst nehmen? Sie rührt so nicht von Trump selbst, der sich lieber per Tweets artikuliert. Verteidigungsminister Jim Mattis und Außenminister Rex Tillerson hätten sich sicher gemäßigter geäußert. Manche vermuten eine Demütigung vonseiten Steve Bannons, Chefstratege im Weißen Haus, der Trumps jungen Redenschreiber Stephen Miller zum Verfassen des Gastkommentars veranlasst und dann McMaster und Cohn genötigt hätte, ihn unter ihrem Namen zu veröffentlichen, um so Einheitskurs im Weißen Haus zu demonstrieren. Dass ein Gastkommentar zugleich von zwei Autoren veröffentlicht wird, ist sicher ungewöhnlich. Das kann aber ungeklärt bleiben, denn er erschien nun einmal signiert von beiden. Angesichts des brutalen, geradezu nihilis tischen Zynismus, der in ihm zum Leitbild internationaler Beziehungen erhoben wird, ist nicht verwunderlich, dass in Europa die Alarmglocken zu schrillen beginnen.

Über abfällige Bemerkungen Trumps zu NATO, WHO, UN, IWF, Weltbank hatte man sich zwar in Europa schon länger Sorgen gemacht, aber sie seiner politischen Unerfahrenheit zugutegehalten, die durch kompetente Berater auf Dauer schon wieder ausbalanciert werden würde. Natürlich bleibt als Trost, dass Trumps Persönlichkeit so labil ist, dass er gar nicht imstande wäre, den knallharten Kurs von Steve Bannon durchzuhalten. Aber Europa meinte bislang, wie zuvor auf die USA als engsten Verbündeten sowohl militärisch wie in der Verteidigung demokratisch marktwirtschaftlicher Grundsätze vertrauen zu dürfen. Dieses blauäugige Vertrauen ist inzwischen radikaler Skepsis gewichen.

Es geht ja nicht nur um einen fairen Ausgleich von Wirtschaftsinteressen, sondern um einen konstruktiven Umgang mit global immer schärferen demografischen Ungleichgewichten und Problemen des Klimawandels, um von den Herausforderungen bei der Befriedung militärischer Konflikte oder der Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus gar nicht erst zu sprechen. Allen diesen Problemen ist gemein, dass sie nicht isoliert national, sondern nur international abgestimmt gelöst werden können. Selbst scheinbar innenpolitische Problembereiche wie die Aushöhlung der Mittelschicht durch Arbeitsplatzverluste infolge Dumpingimporten oder technologischen Fortschritt verweisen über Wechselkursentwicklungen und international eng vernetzte Wertschöpfungsketten auf engen internationalen Abstimmungsbedarf.

Wie das im Rahmen der EU besser berücksichtigt werden kann, hat jetzt der neue französische Staatspräsident Emmanuel Macron auf seinem ersten Gipfel der EU-Staatschefs am 22. Mai deutlich gemacht. Ein gemeinsames Budget der Euroländer, einen gemeinsamen Finanzminister und ein gemeinsames parlamentarisches Kontrollgremium hatte schon sein Vorgänger Hollande vor zwei Jahren vorgeschlagen. Damit ist er damals sofort am deutschen Widerstand gescheitert, der sich gegen alles richtet, was auch nur entfernt nach Haftungsunion und Vergemeinschaftung von Schulden riecht.

Jetzt ist die Reaktion aus Deutschland schon wesentlich geschmeidiger. Bei einer gemeinsamen Verteidigungskapazität werden noch leichter Fortschritte zu erzielen sein. Aber bevor Macron Fortschritte bei der von ihm mit Priorität geplanten Reform des Arbeitsmarktes vorweisen kann, an der sich schon seine Vorgänger Chirac, Sarkozy und Hollande die Zähne ausgebissen haben, sind von Deutschland keine substanziellen Zugeständnisse zu erwarten.

Die von Macron ausgelöste Begeisterung für eine engere Integration der EU mag übertrieben sein und wird allein auf Dauer nicht tragen. Aber sie bietet trotzdem eine große Chance für die vielfältigen innerhalb der EU ungelösten Problembereiche. Natürlich werden Macron und seine im politischen Alltagsgeschäft oft noch unerfahrenen Mitstreiter auch Fehler machen. Aber Optimismus und Zuversicht stecken an, fördern den Diskurs, wirken weiterer Polarisierung entgegen und helfen so, konstruktive Kompromisse zu finden und den Vertrauensschwund zu überwinden, der sich vielfach gegenüber den führenden wirtschaftlichen und politischen Eliten eingenistet hat. Das ist auch in Deutschland so, wo Netzwerke und Seilschaften nach zwölf Jahren Merkel bereits stark verfilzt und erstarrt wirken. Das versteht auch die Bundeskanzlerin, die auf Macrons Erfolg mit der Gedichtzeile von Hesse reagierte: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne."

Michael Altenburg, Luzern

* Das Zitat im Original:

"The world is not a 'global community' but an arena where nations, non-governmental actors and businesses engage and compete for advantage. Rather than deny this elemental nature of international affairs, we embrace it."

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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