Wirtschaftsnobelpreis

Suche nach der optimalen Vertragsgestaltung

Prof. Achim Wambach, PhD, Präsident, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, und Vorsitzender der Monopolkommission, Bonn

Verträge bilden den Kitt für die Gesellschaft. Es gibt keine Transaktion ohne einen Vertrag, keine Ware, die ohne AGB verkauft wird, keinen Mitarbeiter ohne Arbeitsvertrag. Und dieser Kitt wird zunehmend gewichtiger. Während etwa Basel I, die erste internationale Vereinbarung zur Bankenregulierung aus dem Jahr 1988, nur 30 Seiten lang war, hatte Basel II, deren Regeln 2004 publiziert wurden, bereits 347 Seiten.

Basel III, das aktuelle Reformpaket, das 2014 in Europa in Kraft trat, kommt auf 616 Seiten. Während Verträge immer aufwendiger werden und versucht wird, möglichst viele Eventualitäten abzudecken, gibt es vieles, was sich nicht in Verträgen erfassen lässt. Ein Grund dafür ist, dass ein Vertragspartner Informationen haben kann, die der anderen Partei nicht bekannt sind - ein Zustand der asymmetrischen Information. Falls dieser Informationsunterschied bereits zu Vertragsabschluss vorliegt, sprechen Ökonomen von adverser Selektion. Der Kreditnehmer weiß besser über seine Risiken Bescheid als der Kreditgeber und der Versicherungskunde ist sich seines aktuellen Gesundheitszustands besser bewusst als der Krankenversicherer. Die Untersuchung der Konsequenzen dieser Problematik wurde bereits 2001 mit dem Nobelpreis an George Akerlof, Michael Spence und Joseph Stiglitz ausgezeichnet.

Aber auch nach Vertragsabschluss können Probleme auftreten. Ein Versicherungsnehmer kann einen ungesunden Lebensstil annehmen, da er sich mit der abgeschlossenen Versicherung versorgt sieht. Ein Kreditnehmer kann in riskante Projekte investieren und dadurch ein höheres Insolvenzrisiko in Kauf nehmen. Auch ein Manager, der einen Arbeitsvertrag hat, kann sich mehr oder weniger engagiert für sein Unternehmen einsetzen. Dieses Phänomen, wenn das Handeln der einen Vertragspartei von der anderen Vertragspartei nicht beobachtbar ist oder im Zweifelsfall vor Gericht nicht einklagbar ist, wird als Moral Hazard bezeichnet. Die grundlegenden Arbeiten zu Konsequenzen des Moral Hazard auf die Vertragsgestaltung stammen von Bengt Holmström, einer der beiden Nobelpreisträger für Ökonomie dieses Jahres. Der geborene Finne, der zunächst in Helsinki Mathematik und Physik studierte und dann in Stanford promovierte, ist seit 1994 Professor am Massachusetts Institute of Technology.

Holmström hat untersucht, wie die vertraglichen Anreize gesetzt werden sollten, damit sich die eine Vertragspartei mehr im Interesse der anderen Vertragspartei verhält. Versicherungsnehmer etwa bekommen einen Selbstbehalt, damit sie den Schaden im Eigeninteresse vermeiden. Kreditnehmer müssen eine Sicherheit hinterlegen, damit eine Insolvenz (noch) unattraktiver wird, und Manager werden am Gewinn beteiligt, damit sie sich mehr für die Firma einsetzen. Noch interessanter wird es, wenn die Ausgangslage komplexer ist. Wie etwa motiviert man ein Team zu hoher Arbeitsleistung - eine Frage, die sich jede Beratung und Anwaltskanzlei stellt. Oder wie werden die richtigen Anreize gesetzt, wenn ein Vertragspartner mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen soll? Kann etwa die Fokussierung auf messbare PISA-Kennziffern dazu führen, dass Lehrer sich weniger darauf konzentrieren, die Kreativität ihrer Schüler zu fördern? Diese Prinzipal-Agenten-Modelle von Holmström haben viele Fächer beeinflusst. Die Personalökonomie forscht heute in Labor- und Feldexperimenten zu Fragen zur richtigen Anreizsetzung bei Arbeitsverträgen. Versicherungsökonomen und Finanzwirtschaftler gehen Fragen der optimalen Vertragsgestaltung im Finanzwesen nach.

Der zweite Nobelpreisträger dieses Jahres ist ebenfalls ein Europäer, der in den USA lehrt. Der Brite Oliver Hart hat in Cambridge zunächst Mathematik studiert und wechselte dann zu den Wirtschaftswissenschaften. Er hat einen Master von Warwick und promovierte in Princeton. Seit 1993 ist er Professor an der Harvard University. Harts Arbeiten beschäftigen sich mit unvollständigen Verträgen. Bei diesen kann es zu Situationen kommen, die von den Verträgen nicht erfasst sind. Somit ist unklar, wie in der spezifischen Situation zu verfahren ist. Dann kommt es wesentlich auf die Entscheidungsrechte und damit auf die Verteilung der Eigentumsrechte an. Wer das Eigentum hat, entscheidet.

Die Anwendungen von Harts Forschung sind vielfach: Sollte ein Unternehmen ein Zwischenprodukt selbst anfertigen, also in eigenem Eigentum, oder dessen Produktion einem Fremdunternehmen in Auftrag geben? Sollte eine öffentliche Leistung wie etwa ein Gefängnis, eine Mülldeponie oder die Versorgung mit Trinkwasser unmittelbar durch den Staat erfolgen, also in eigenem Besitz, oder durch ein Dienstleistungsunternehmen in Fremdbesitz? Werden Wohnungen anders gepflegt und renoviert, wenn sie vermietet werden statt wenn es sich um Eigentumswohnungen handelt? Die Arbeiten von Hart, und die darin erfolgte Modellierung der Auswirkungen von Eigentum, haben das Forschungsfeld zu "Property Rights" (Eigentumsrechte) noch einmal neu auf die Agenda der Wirtschaftsforschung gesetzt. Insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung und Big Data gewinnen die Fragen nach der Zuweisung und Anwendung von Eigentumsrechten an Relevanz. Man denke nur an die Sharing Economy, die zu neuen Formen der Nutzung von Eigentum führt.

Wie die Entwicklung des Vertragswerks zur Bankenregulierung zeigt, versuchen Verträge immer mehr, alle Details und mögliche Situationen zu erfassen. Probleme der asymmetrischen Informationen können durch bessere Daten gemildert werden. Je mehr Eventualitäten im Vertragswesen berücksichtigt werden, desto seltener kommt es dazu, dass der Eigentümer entscheiden muss. Wenn Verträge perfekt und vollständig gestaltet wären, würden Anreize und Eigentum keine Rolle mehr spielen. Der perfekte Vertrag hätte eine Antwort auf alle strittigen Fragen. Bis dahin werden uns die Arbeiten von Hart und Holmström bei der optimalen Vertragsgestaltung begleiten.

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