Wir sind nicht ängstlich? Banken im Wettstreit mit anderen Zahlungsverkehrsdienstleistern

Abbildung 1: Die Bankkunden schätzen beim Bezahlen auch weiterhin das Bewährte

Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstands, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V., Berlin - Innovationen und Digitalisierung sind in der Finanzindustrie kein neues Phänomen. Schon das Aufkommen von Btx- und Internetbanking und deren Integration in die Filialbanken interpretiert der Autor als Beginn der Multikanalstrategie. Für den Zahlungsverkehr als Teilbereich des Bankgeschäftes sieht er zwar besondere Herausforderungen, setzt aber auch darauf, dass die Genossenschaftsbanken als Hausbanken das Vertrauen vieler Kunden genießen und sich dieses im Wettbewerb erhalten können. Den Praxiseinsatz des gemeinsamen Bezahlverfahrens der deutschen Kreditwirtschaft Paydirekt erwartet er im Weihnachtsgeschäft dieses Jahres. Und auch für die Girocard kündigt er Weiterentwicklungen an, die in Nordhessen getestet werden sollen. Zahlungsverkehrsangebote durch wenig regulierte Dritte unter Nutzung von Bankinfrastrukturen ohne Entgelt bezeichnet er als wettbewerbsverzerrend. (Red.)

Das spannendste an dem mir gestellten Titel ist sicher das Fragezeichen. Es steht nicht hinter der Feststellung "Banken im Wettstreit mit anderen Zahlungsverkehrsdienstleistern" - zu Recht, denn dies beschreibt die Realität. Worauf bezieht sich also die Vermutung der Ängstlichkeit? Haben Banken Angst vor Innovationen oder vielleicht auch vor Innovatoren? Oder Angst vor der aktuell viel zitierten Digitalisierung?

Innovationen und Digitalisierung sind in der Finanzindustrie beileibe kein neues Phänomen. Treiber der elektronischen Kundenselbstbedienung waren allerdings eher Technologie und Effizienz, weniger die "customer convenience" der heutigen Netzwirtschaft. Fakt ist, dass die Banken die technologischen Innovationen des 20. Jahrhunderts, zumeist im Zahlungsverkehr, gut in ihre Geschäftsmodelle integriert haben. Hierfür sprechen die eindrucksvollen Zahlen von 19 614 Geldautomaten und 20 444 Kontoauszugsdruckern allein bei den Genossenschaftsbanken - eine große Infrastrukturleistung. Erfreulicherweise haben die Kunden hierauf positiv reagiert und die Kundenselbstbedienung zunehmend als Mehrwert ihrer stationären Bankverbindung empfunden.

Neuausrichtung der Kundennachfrage

Die Multikanalstrategie war sicher noch kein Schlagwort der neunziger Jahre. Aus heutiger Sicht war aber die Integration von Btx- und später Internet-Banking nichts anderes - neben die Nähe der stationären Filiale tritt die Nähe der Online-Filiale. Auch diese Integration in das Geschäftsmodell der Universalbank kann als gelungen bezeichnet werden: So verfügten die 1 047 deutschen Genossenschaftsbanken Ende 2014 nicht nur über 12 770 Bankstellen, sondern auch über 16,4 Millionen Online-Konten. Und bereits 3,6 Millionen Mal wurde eine genossenschaftliche Banking-App heruntergeladen.

Interessant ist die Entwicklung bei den SB-Zweigstellen. Nach Jahren des Zuwachses gab es in der genossenschaftlichen Finanzgruppe 2014 erstmals einen leichten Rückgang auf 3 434 Standorte. Zusammen mit dem Rückgang bei den bedienten Zweigstellen vo n 350 Standorten im Jahr 2014 zeigt dies: Die Kundennachfrage richtet sich neu aus und die Institute tragen diesem Fakt Rechnung. Einfach-Zweigstellen ohne qualifiziertes Beratungsangebot können keine ausreichende Benutzerfrequenz allein aus der Bereithaltung beleghafter Zahlungsverkehrsdienstleistungen mehr darstellen.

Als Informationsmedium hat sich längst das Internet etabliert. Auch die genossenschaftliche Finanzgruppe hat aktuell ihr Angebot auf der zentralen Plattform vr.de weiter ausgebaut. 600 000 Besucher pro Monat informieren sich hier über Finanzdienstleistungen und werden bei Interesse auf das konkrete Produktangebot der Mitgliedsbanken übergeleitet. Dort erfolgen zirka 60 Millionen Aufrufe monatlich, natürlich mit einem hohen Anteil von Zahlungsverkehrsinformationen und -transaktionen. Ergänzend investieren wir derzeit erheblich in die Online-Abschlussfähigkeit weiterer Bank- und Allfinanzprodukte der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Girokontoeröffnung und Kreditkartenbestellung gehören selbstverständlich zum Leistungsumfang dazu.

Zeitgemäße Integration?

Im Kontext der aktuellen Digitalisierungsdiskussion fällt häufig der Begriff der disruptiven Innovation. Oder anders formuliert: ist die bisherige Strategie der Integration von Innovationen in das Geschäftsmodell der Universalbank noch zeitgemäß? In der Tat stellen sich die Herausforderungen für die Kreditwirtschaft insbesondere im Zahlungsverkehr. Mit Wagniskapital gut finanzierte, agile Startup-Unternehmen klopfen den Zahlungsverkehr als relevantes Massenmedium auf Optimierungsmöglichkeiten ab. Sie konzipieren Mehrwertleistungen, sie gestalten einzelne Teilprozesse besonders nutzerfreundlich, sie entwickeln intelligente und vernetzte Architekturen. Sie haben auch Wege gefunden, ihre Angebote mit Entgelten oder Provisionen zu unterlegen, direkt sichtbar für den Kunden oder indirekt über die Veredelung von Daten. Dies erfordert die erhöhte Aufmerksamkeit der klassischen Kreditwirtschaft, denn die Bedrohung eines einzelnen Geschäftsfeldes kann schnell zur Bedrohung einer ganzen Wertschöpfungskette werden.

Beispiel POS-Geschäft: Anbieter von Internet-Bezahlverfahren - Marktanteil an allen Zahlungen heute bei 2,8 Prozent - drängen an den stationären POS. Das ist nachvollziehbar, wandeln sich viele Händler ja selbst zunehmend zu Multikanalanbietern. Werden wir in zwei Jahren, spätestens in vier Jahren auf dieser Konferenz noch zwischen dem Bezahlen am stationären und am virtuellen POS unterscheiden? Nein, der Handel wird hier Angebote aus einer Hand erwarten. Die Kreditwirtschaft wird ihren Firmenkunden auf diesem Weg folgen müssen und darf schon heute den Bereich der Internet-Bezahlverfahren nicht vernachlässigen. Dies gilt erst recht, wenn man die beim Zahlungsverkehr beginnende Wertschöpfungskette tiefer betrachtet und Dienstleistungen rund um den Kredit oder die gesamte Kontobeziehung mit in den Blickwinkel nimmt.

Erwartungshaltung an die Hausbank

Gerade aus Sicht der Genossenschaftsbanken ergibt sich hierbei aber auch die einzigartige Chance, nämlich das Konto bei der Hausbank weiterhin als sicheren Hafen und Heimat des Geldes - auf allen Kanälen - zu verankern. Gestützt auf das bestehende Vertrauensverhältnis, ist die Genossenschaftsbank der natürliche Begleiter ihrer Kunden in die digitale Welt des Zahlungsverkehrs. Das heißt auch, den Kunden neue Zahlverfahren umfassend zu erklären, Grundwerte wie Sicherheit, Datenschutz und Bankgeheimnis zu erläutern.

Aus der aktuellen Studie der Deutschen Bundesbank zum Zahlungsverkehrsverhalten in Deutschland wissen wir, dass gerade im Bereich des E-Commerce die größte Nachfrage nach sicheren und bequemen Zahlverfahren besteht. Sowohl Privatkunden als auch Firmenkunden haben hier eine klare Erwartungshaltung an ihre Hausbank. Man traut uns durchaus zu, solche Verfahren anzubieten. Man traut uns auch die Sicherheit und die Expertise zu. Und man weiß, dass wir Zahlungsverkehr betreiben, weil wir dies als eigenständiges Geschäftsfeld ansehen und nicht, um andere Geschäftsfelder - insbesondere den Handel mit persönlichen Daten - damit zu organisieren.

Wir freuen uns daher über den weite Teile der deutschen Kreditwirtschaft umfassenden Antritt, mit Paydirekt ein wettbewerbsfähiges Internet-Bezahlverfahren im Markt zu etablieren, das die genannten Grundwerte mit erlebbarer Bequemlichkeit verbindet. Aus der genossenschaftlichen Finanzgruppe waren DZ Bank und WGZ Bank bereits in der Konzeptionsphase in der Projektarbeit mit den privaten Banken dabei und haben sich auch als Gesellschafter an der Gründung eines Geschäftsbesorgungsunternehmens beteiligt. Mit der inzwischen erfreulicherweise zugesagten Beteiligung auch der Sparkassenorganisation wird eine breite Kundschaft in der Lage sein, das Verfahren zu nutzen.

Paydirekt im Weihnachtsgeschäft einsetzbar

Paydirekt wird die Bankbeziehung wieder in den Mittelpunkt stellen: bequemes Zahlen ohne Umwege mit "meinem Konto". Paydirekt wird einen zeitgemäßen Käuferschutz bieten und Beträge bei Nichtleistung des Händlers zurückbuchen können. Auch auf der Händlerseite kann Paydirekt mit der Abwicklung über das Konto bei der Hausbank punkten, ohne Umwege über Dritte. Die große Kundenzielgruppe und schnelle Registrierungsmöglichkeiten im Online-Banking erhöhen die Reichweite. Die Volksbanken Raiffeisenbanken werden von Anfang an dabei sein. Zum Weihnachtsgeschäft 2015 werden alle Online-Kunden sich für das Verfahren registrieren und damit bezahlen können.

Unangefochtener Spitzenreiter am stationären POS ist - in Deutschland natürlich nach dem Bargeld - die Girocard. Die Girocard ist mit 100 Millionen Karten und über 2,6 Milliarden Transaktionen pro Jahr ein vom Kunden sehr geschätztes und auch in der Anwendung sehr gut verstandenes Instrument für den Massenzahlungsverkehr. Das heute schon multifunktionale Produkt Debitkarte muss ebenfalls durch kontaktlose beziehungsweise mobile Anwendungen ergänzt werden. Die genossenschaftliche Finanzgruppe wird das kontaktlose Bezahlen mit der Girocard ab der zweiten Jahreshälfte 2015 im Raum Kassel/Göttingen testen, im Kleinbetragsbereich auch schnell und einfach ohne Eingabe der Geheimzahl. Vereinfachte Akzeptanzterminals für Händler werden hier ebenfalls zum Einsatz kommen. Wir sehen dies als logische Fortsetzung der Kontaktlos-Projekte im Kreditkartenbereich, die wir bereits in den Jahren 2012 und 2013 in Hamburg (Mastercard Paypass) beziehungsweise Dortmund (Mobile Payment mit dem Smartphone) initiiert haben.

Kassel als Girocard-City

Die gesamte deutsche Kreditwirtschaft hat sich im Übrigen darauf geeinigt hat, Kassel als "Girocard-City" zu etablieren, in der Innovationen gebündelt in den Markt gebracht werden können. Hieraus soll eine dauerhafte Initiative zur Weiterentwicklung der VR-Bank-Card entstehen. Im Selbst verständnis muss dies auch beinhalten, dass das Ausprobieren neuer Services zum Scheitern oder zur Anpassung eines Projekts führen kann.

Die Kreditwirtschaft sieht es als ihre natürliche Aufgabe an, durch ihre Infrastruktur die Stabilität des Massenzahlungsverkehrs zu gewährleisten. Die notwendige Weiterentwicklung des Innovationsmanagements im Zahlungsverkehr muss man auch unter dieser Überschrift betrachten. Die Kreditwirtschaft wird nicht das bessere Start-up sein oder das schnellere Fintech-Unternehmen. Wenn es aber gelingt, aus dieser Kernfunktion heraus, unter Bewahrung von Sicherheit und Datenschutz, erlebbaren Kundennutzen im Zahlungsverkehr schneller umzusetzen, dann müssen wir - siehe Vortragstitel - im Wettstreit mit anderen Zahlungsverkehrsdienstleistern nicht ängstlich sein.

Dabei ist natürlich eine notwendige Nebenbedingung, dass die Kreditwirtschaft nicht durch Regulierungsarbitrage einseitig belastet wird. Analog regulierter Zahlungsverkehr ohne Banken - wäre als Wett bewerbsszenario zu akzeptieren. Zahlungsverkehrsangebote durch wenig regulierte Dritte unter Nutzung von Bankinfrastrukturen ohne Entgelt - das wäre eine Wettbewerbsverzerrung. Insofern wird die Deutsche Kreditwirtschaft nicht müde, im Zusammenhang mit der europäischen Regulierung ein echtes "level playing field" auf allen Ebenen des Zahlungsverkehrs einzufordern. Die von der Kreditwirtschaft getätigten - Stichwort: Sepa-Migration - und offensichtlich noch erwarteten - Stichwort: Instant Payments - Investitionen sind nur zu stemmen, wenn in den Instituten entsprechende Business Cases dafür abgebildet werden können.

Die Genossenschaftsbanken stellen sich gern dem Wettbewerb im Zahlungsverkehr: mit neuen Angeboten wie Paydirekt, mit weiterentwickelten Angeboten auf Basis der Girocard und im Online- beziehungsweise Mobile Banking. Und natürlich fühlen wir uns auch einem bewährten Medium weiter verpflichtet: dem Bargeld als geprägter Freiheit.

Dieser Beitrag basiert auf einer Rede des Autors beim Zahlungsverkehrssymposium 2015 der Deutschen Bundesbank am 15. Juni 2015 in Frankfurt am Main. Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Dr. Andreas Martin , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin

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