Arbeitswelt 4.0: Folgen für die Unternehmens- und Personalführung in Banken

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin, Institut für Beschäftigung und Employability (IBE), Ludwigshafen

Quelle: IBE

Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin, Institut für Beschäftigung und Employability (IBE), Ludwigshafen - Unter dem Begriff Arbeitswelt 4.0 beschreibt die Autorin den Einfluss der Digitalisierung, der demografischen Entwicklung, ökonomischer Trends sowie des gesellschaftlichen Wandels auf das "System Arbeit" mit all seinen Ebenen. Der Digitalisierung attestiert sie beispielsweise die steigende Geschwindigkeit der Arbeitsabläufe, eine zunehmende Arbeitsintensität und -komplexität sowie ein hohes Maß an Selbstmanagement und Selbstdisziplin vonseiten der Mitarbeiter. Gleichzeitig verweist sie mit der Digitalisierung und dem Einsatz von digitalen Technologien am Arbeitsplatz auf Entlastungseffekte. Veränderungen in der Arbeitswelt erwartet sie jedoch auch strukturell. So müssen rechtliche Strukturen und Regelungen an veränderte Arbeitsformen und Beschäftigungsverhältnisse und für den Umgang mit der Datenfülle sowie der Datensicherheit festgelegt werden. Große Herausforderungen stellen ihrer Meinung nach auch die Beschäftigungseffekte dar. (Red.)

Die Arbeitswelt wird sich in Zukunft verändern. Neben der Digitalisierung nehmen die demografische Entwicklung, ökonomische Trends sowie der gesellschaftliche Wandel Einfluss auf die Art und Weise des Arbeitslebens und die Arbeitsbedingungen sowie auf den Arbeitskontext. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Megatrends nicht nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig beeinflussen.

Der Megatrend der Digitalisierung

Im Folgenden wird der Fokus auf den Megatrend der Digitalisierung gelegt. Die Digitalisierung wird als die vierte industrielle Revolution bezeichnet. Die erste industrielle Revolution ist mit der technologischen Innovation des mechanischen Webstuhls sowie der Dampfmaschine verbunden. Auch die Fabrikarbeit wird dazu gezählt. Soziale Konsequenzen, wie die Polarisierung der Gesellschaft und die Verelendung bestimmter Bevölkerungsgruppen, wurden in Kauf genommen. Diese Konsequenzen waren dann wesentliche Anknüpfungspunkte für die Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels. Die zweite industrielle Revolution ist durch die Arbeitsteilung gekennzeichnet. Auch hier spielten soziale Konsequenzen beziehungsweise die Konsequenzen für die Gesellschaft und für Menschen eine untergeordnete Rolle.

Der Film "Modern Times" zeigt dies sehr eindrücklich. Besonders die Szene, in der Charlie Chaplin mit dem Schraubenschlüssel durch ein Räderwerk gleitet, bleibt in Erinnerung. Die dritte industrielle Revolution wird mit der Computerisierung in Verbindung gebracht. Nachdem die technologische Innovation implementiert und die Ablauf- und Aufbau-Organisation angepasst war, wurde in den Betrieben der Fokus auch auf das Personal gelegt. Allerdings wurde ein eher reaktiver Ansatz verfolgt. Die Digitalisierung als die vierte industrielle Revolution steht am Anfang. Um die Potenziale der technologischen Innovation voll zu entfalten und die Risiken so gering wie möglich zu halten, sollten wir die Lehre aus der Geschichte ziehen und von Beginn an einen proaktiven Ansatz umsetzen, in der die soziale Transformation eine ebenso wichtige Rolle spielt wie die digitale Transformation in Bezug auf Geschäftsmodelle, Prozesse und Strukturen.

Derzeit ist jedoch zu beobachten, dass die Digitalisierung fast ausschließlich im Kontext von Technologie, Geschäftsmodell und Organisation diskutiert wird. Trotz der Erfahrungen aus der ersten, zweiten und dritten industriellen Revolution scheinen viele Unternehmen zu unterschätzen: Technologische Innovationen, Geschäftsmodell-Innovationen und Organisations-Innovationen bedürfen immer sozialer Innovationen und sozialer Transformation. Der Einfluss der Digitalisierung im "System Arbeit" muss also genauso mitgedacht werden.

Die soziale Transformation wird nicht selten mit dem Begriff "Arbeiten 4.0" verbunden. Um eine ganzheitliche Perspektive im Kontext von Arbeiten 4.0 einzunehmen und gleichzeitig die Komplexität zu erfassen, bedarf es einer Analyse der folgenden Themenstellungen:

- Der Einfluss der Digitalisierung auf die Mikroebene im Betrieb (Arbeitsplatzbezogene Faktoren)

- Der Einfluss der Digitalisierung auf die Mesoebene im Betrieb (Führung, Organisation, ...)

- Der Einfluss der Digitalisierung auf die Makroebene (Volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Faktoren und Bedingungen) - Der Einfluss der Digitalisierung auf die Metaebene (Gesellschaftliche, rechtliche und politische Faktoren und Bedingungen)

Arbeiten 4.0: Digitalisierung und die Konsequenzen jenseits der Technik

Wie kaum eine andere Technologie ist Digitalisierung nahe am Menschen, weil sie mit Information, Kommunikation, Kooperation und Interaktion verbunden ist. Wir verwenden digitale Technologien immer und überall. Wir kommunizieren miteinander, wir kaufen mit dem Smartphone ein, wir koordinieren mit dieser Technologie Haushaltsgeräte, wir tätigen Bankgeschäfte, ... Damit wird offensichtlich, dass Unternehmen als Anbieter den Anforderungen von Nachfragern gerecht werden müssen. Dies zeigt sich in den Geschäftsmodellen und in den Produkten und Dienstleistungen. Darüber hinaus sind Unternehmen Arbeitgeber. Wenn ihre Beschäftigten im Privatleben digitale Technologien nutzen, ist davon auszugehen, dass sie auch im Arbeitsumfeld diese Technologien erwarten.

Unbestritten führt die Digitalisierung zu einer steigenden Geschwindigkeit sowie einer zunehmenden Arbeitsintensität und -komplexität. Des Weiteren gilt es, mit einem stetig steigenden Informationsfluss und einer Wissensexplosion umzugehen. Vor allem in der Wissensexplosion wird der Einfluss der Digitalisierung gut sichtbar. Mittlerweile kann der Einzelne das für ihn relevante Wissen nicht mehr fassen angesichts der Dynamik der Wissensentwicklung und des Ausmaßes der Wissensbasis. Wir wachen am Morgen mit dem Gefühl auf, unser Wissen aktuell zu halten und gehen am Abend ins Bett mit der Gewissheit, dass wir am nächsten Morgen wieder vor der Herausforderung stehen, neue Informationen verarbeiten zu müssen.

Veränderungen am Arbeitsplatz

Auch der Arbeitsplatz selbst erfährt nicht selten eine Veränderung der Interaktionen. Haben die digitalen Technologien eine große Bedeutung und einen großen Einfluss am Arbeitsplatz, stellt sich die Frage, wer "den Takt vorgibt" - der Mensch oder die Maschine - und bei welchen Tätigkeiten der Mensch im Mittelpunkt steht. Bei manuellen und/oder kognitiven Tätigkeiten nicht nur in einfachen, sondern auch in komplexen Arbeitsprozessen besteht mehr und mehr die Möglichkeit der (Teil-) Automatisierung. Dies wird zwangsläufig mit einer Anpassung der Arbeitsstrukturen verbunden sein (müssen). Eine solche Entwicklung hat qualitative und quantitative Beschäftigungseffekte.

In der Diskussion darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass mit der Digitalisierung und dem Einsatz von digitalen Technologien am Arbeitsplatz auch Entlastungseffekte verbunden sein können. Assistenzsysteme erleichtern das Arbeitsleben. Es bestehen somit auch mehr Möglichkeiten, leistungsgewandelte Beschäftigte einzusetzen. Zudem schenkt uns die Digitalisierung Zeit, denn wir "verschwenden" keine Zeit mehr mit Routinearbeit, weil diese von Algorithmen und/oder Robotern übernommen werden kann. Stattdessen können wir die Zeit investieren, um neue Aufgaben und bestehende Aufgaben intensiver zu bearbeiten, Innovationen voranzutreiben, die persönliche Interaktion zum Kunden, im Team zu intensivieren. Darüber hinaus befördert die Digitalisierung die Entkoppelung von Ort und Zeit am Arbeitsplatz. Mobile Arbeitsmodelle sind aus der technischen Sicht leichter umsetzbar als bisher. Dabei scheint im Moment außer Acht gelassen zu werden, dass es vonseiten der Beschäftigten eines hohen Maßes an Selbstmanagement und Selbstdisziplin bedarf und es aufseiten des Unternehmens verbindliche Regeln braucht.

Nicht zuletzt liegt es in der Verantwortung der Stakeholder, wie Arbeitgebern, Sozialpartnern und Politik, Szenarien bezüglich der Konsequenzen der Digitalisierung jenseits von Technik zu erstellen und somit mehr Informationen zu generieren, was auf die Menschen zukommt. Nur so lassen sich Unsicherheit und Verunsicherung in der Gesellschaft reduzieren. Zudem müssen rechtliche Strukturen und Regelungen an veränderte Arbeitsformen und Beschäftigungsverhältnisse (zum Beispiel Arbeitszeitgesetz und Arbeitsstättenverordnung) angepasst werden. Daneben verändern sich die Anforderungen an Sozialpartnerschaft. Tarifverträge mit kollektiv geprägten Regelungen werden vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Arbeitswelt die Handlungsfähigkeit eher behindern als befördern. Es wird vielmehr darauf ankommen, dass bestimmte Mindeststandards, die für alle gelten, durch modular ausgerichtete Regelungen ergänzt werden. Für die Mitbestimmung gilt, dass die Betriebsratsarbeit nicht nur durch Schutz- und Unterstützungsaufgaben gekennzeichnet sein wird, sondern um die Funktion als strategischer Partner für das Management ergänzt werden sollte.

Enterprise 4.0: Agieren in Spannungsfeldern

Von hoher unternehmenspolitischer Relevanz sind Themen wie der Umgang mit der Datenfülle (Big Data und die Kompetenz des Data Mining) sowie der Datensicherheit. Dazu bedarf es der Kompetenz des Data Mining. Data Mining beschreibt die Fähigkeit das Wesentliche in einer Fülle von Daten und Informationen zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es künftig weniger darauf ankommt, alle Fakten zu kennen, sondern zu wissen, wo sie zu finden und in welchen Kontext sie einzuordnen sind. Auch die Frage des Daten-Ownerships gilt es zu klären. Wem gehören welche Daten an welcher Station der Wertschöpfungskette, wenn der Kunde aktiv eigene Daten in den Prozess gibt? Und wer trägt dann die Verantwortung für die Datensicherheit?

Ein weiterer Aspekt ist die Investition, die mit der Digitalisierung verbunden ist. Auf den ersten Blick nehmen wir die Investitionskosten im Kontext der technischen und Prozess-Innovationen wahr. Auf den zweiten Blick ist es jedoch notwendig, die Investitions- und Veränderungskosten, die sich aus der sozialen Transformation und den sozialen Innovationen ergeben, zu berücksichtigen. Nicht zuletzt: Digitalisierung ist mit sinkenden Produktions- und Distributionskosten verbunden. Daneben wird Unternehmenspolitik und -führung zunehmend durch "Spannungsfelder" gekennzeichnet sein, die es auszubalancieren gilt.

Gesamte Wertschöpfungskette im Fokus

Folgende Spannungsfelder im Kontext Unternehmenspolitik und -führung werden unter anderem derzeit diskutiert:

- Traditionelle Geschäftsmodelle - Digitale Geschäftsmodelle

- Bewahren - Verändern

- Linienorganisation - Agile Organisation

- Stationäre Arbeit - Mobile Arbeit

- Erreichbarkeit - Verfügbarkeit

Traditionelle Geschäftsmodelle - Digitale Geschäftsmodelle: Es ist nicht davon auszugehen, dass digitale Geschäftsmodelle die traditionellen Modelle komplett verdrängen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass traditionelle und digitale Geschäftsmodelle in Zukunft nebeneinander existieren (können). Darüber hinaus gibt es hybride Geschäftsmodelle, bei denen physische und digitale Leistungsbestandteile miteinander verbunden sind und der Leistungserstellungsprozess physisch und digital aufgebaut ist.

Grundsätzlich ist jedoch zu beachten, dass die Logik der Geschäftsmodelle unterschiedlich sein kann. So zeichnen sich traditionelle Geschäftsmodelle durch die Dominanz des Produktherstellers beziehungsweise Dienstleistungsherstellers aus. Ihm zur Seite stehen Zulieferer, die im wahrsten Sinne des Wortes zuliefern, was ihre Rolle nicht selten trefflich beschreibt. Digitale Technologien werden eingesetzt, jedoch vor allem als Tools, die den Leistungserstellungsprozess vereinfachen und produktiver machen (sollen). Traditionelle Geschäftsmodelle werden nicht selten auch als Pipeline-Wirtschaft bezeichnet.

Digitale Geschäftsmodelle hingegen stellen die gesamte Wertschöpfungskette in den Fokus. Alle, die an dem Leistungserstellungsprozess beteiligt sind, haben die gleiche Relevanz. Sie bilden eine strategische Allianz im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft. Somit wird gegenüber dem Kunden nicht nur Qualität versprochen, sondern auch ein Leistungsversprechen im Sinne von erheblichen Innovations- und Produktivitätssteigerungen gegeben. Voraussetzung ist dann ein perfektes Schnittstellenmanagement sowie eine optimale Verteilung von Know-how sowie die Nutzung der Vielfalt von Perspektiven und Ideen. Des Weiteren werden im Rahmen von digitalen Geschäftsmodellen digitale Technologien als Tools und als Substitut für ganze Prozessschritte eingesetzt. Nicht zuletzt zeichnen sich digitale Geschäftsmodelle dadurch aus, dass sie einen Marktplatz schaffen, auf dem Kunden und Anbieter zusammentreffen, um einen Mehrwert für beide zu schaffen. "Nur wer sich die Konkurrenz auf die eigene Plattform holt, hat Chancen."1) Digitale Geschäftsmodelle werden mit dem Begriff der Plattform-Ökonomie umschrieben.2)

Bewahren - Verändern: Digitalisierung ist mit zahlreichen und umfangreichen Veränderungen in allen Bereichen eines Unternehmens, der Wirtschaft sowie der Gesellschaft verbunden. Veränderungen ihrerseits lösen bei vielen Menschen das Gefühl von Unsicherheit und Ungewissheit aus. Um mit dieser Unsicherheit und Ungewissheit umzugehen, bedarf es Orientierung beziehungsweise Faktoren, auf die man zählen kann, die Verbindlichkeit und Konstanz vermitteln. Da Digitalisierung vor allem Geschäftsmodelle, Organisationsstrukturen, Prozesse und Kompetenzanforderungen verändert, sind diese Hard Facts keine Stabilisierungsfaktoren (mehr) und bieten eher wenig Orientierung. Denn sie sind Teil des umfassenden Veränderungsprozesses. Unter diesen Bedingungen muss Orientierung stattdessen mit Soft Facts verknüpft sein.

Unternehmenskultur

Zu diesen Soft Facts zählt die Unternehmenskultur mit den Werten der Glaubwürdigkeit, der Transparenz und der Partizipation. Egal mit welchen Veränderungen der Betrieb konfrontiert wird, diese Werte verändern sich nicht, sie sind der Stabilisierungsfaktor, der das System unter hoher Veränderungsgeschwindigkeit und -dynamik in der Bahn hält. Hierauf geben die Beschäftigten dann ihr Commitment ab. Damit wird deutlich, dass diese Faktoren bewahrt und gepflegt werden müssen, unabhängig von den Trends und Entwicklungen, mit denen Unternehmen konfrontiert sind. Sie sind die DNA eines Unternehmens und sind mit dessen Identität verbunden.

Linienorganisation - Agile Organisation: Auch wenn zahlreiche Experten bereits seit vielen Jahren propagieren, dass schon bald das bisherige Verständnis der klassischen Aufbauorganisation in Anbetracht der zunehmenden Veränderungsgeschwindigkeit der Märkte und Umfelder sich als eher ungeeignet erweisen wird, so wirkt die Vorstellung von der agilen Organisation dennoch immer wieder wie etwas völlig Neues und ausnahmslos Erstrebenswertes. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es die eine agile Organisationsform, die sich auf sämtliche Unternehmen übertragen ließe, nicht existiert. Zudem ist davon auszugehen, dass vor allem in etablierten, gewachsenen Unternehmen ein Nebeneinander von unterschiedlichen Organisationsstrukturen und -abläufen entsteht. Es bietet sich daher an, solchen Parallelorganisationen und damit auch Parallelkulturen - zumindest vorerst - ihren eigenen Raum zu geben und sie damit ein Stück weit vom regulären Betrieb zu separieren.

Die Idee ist, dem etablierten hierarchischen System ein zweites "Betriebssystem" mit einer agilen, netzwerkartigen Struktur (zum Beispiel als Digi-Factory, Innovations-Lap, Think Tank et cetera) zur Seite zu stellen, welches ständig an Fragen der Unternehmensstrategie und Innovationen arbeitet. Das Unternehmen wird also mit zwei "Betriebssystemen" ausgestattet: Eines für das Tagesgeschäft und eines um konstant nach neuen Lösungen und Ideen zu suchen.

Schnittstellenmanagement

Wenn die Linienorganisation und agile Organisationsformen gleichermaßen im Unternehmen implementiert sind, bedarf es eines Schnittstellenmanagements. Ist dieses nicht vorhanden, ergibt sich ein permanentes Konfliktfeld, was mit erheblichen ökonomischen Nachteilen, Fehlinvestitionen und Frustrationen verbunden ist. Das Ziel, mithilfe agiler Organisation die Innovationskraft und Flexibilität zu erhöhen, wird nicht erreicht.

Stationäre Arbeit - Mobile Arbeit: Digitalisierung befördert mobile Arbeit. Im Vergleich zur stationären Arbeit unterscheidet sich mobile Arbeit nicht nur durch den Ort. Um erfolgreich mobile Arbeit zu implementieren, bedarf es einer Abkehr von der Präsenzkultur und einer Etablierung einer Vertrauenskultur, der Vereinbarung von Zielen und der Definition von Arbeitspaketen, der Formulierung von verbindlichen Kommunikations- und Kooperationsregeln sowie der Kompetenzen von Selbstmanagement, Organisationsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Kom munikationsfähigkeit. Um Isolation vorzubeugen, braucht es neben der Nutzung digitaler Kommunikationskanäle auch regelmäßige Face-to-Face-Treffen.

Was in der Debatte um die mobile Arbeit wenig Beachtung findet, ist die Zusammenarbeit von Stationary Workers und Mobile Workers sowie die Führung von derart gemischten Teams. Nicht selten begegnen sich beide Gruppen im Alltag mit Vorurteilen und geraten in eine Stereotypen-Falle. Der Stationary Worker sieht im Mobile Worker einen Vertreter der Fun-Gesellschaft und der Work-Life-Balance-Fraktion. Der Mobile Worker betrachtet den Stationary Worker als den ewig Gestrigen. Darüber hinaus nehmen insbesondere nicht wenige Stationary Workers das Angebot von mobiler Arbeit als den Einstieg in die Zweiklassengesellschaft wahr. Um diese Stereotypen zu reduzieren beziehungsweise zu vermeiden, bedarf es einer Sensibilisierung aller Beschäftigten. Zudem braucht es klare unmissverständliche Definitionen von Möglichkeiten und Grenzen. Es ist Aufgabe von Führungskräften, mobile und stationäre Arbeit auszubalancieren und für eine konstruktive Arbeitsatmosphäre und -kultur zu sorgen.

Erreichbarkeit - Verfügbarkeit: In der Vergangenheit wurden Erreichbarkeit und Verfügbarkeit nicht selten gleichgesetzt - mit dem Effekt, dass wir in einer vernetzten, schnelllebigen Arbeitswelt der Gefahr ausgesetzt sind, uns als "Hamster im Rad" zu fühlen.

Permanente Erreichbarkeit

In einer vernetzten Welt herrscht eine permanente Erreichbarkeit. Wenn der Kollege der Kollegin eine Nachricht per E-Mail, SMS oder Whats App schickt, hat er sein Anliegen von seinem "Schreibtisch" wegbewegt und ihr zugestellt. Die zentrale Frage lautet dann: Ist sie für ihn auch direkt verfügbar? Es bedarf also weniger der Regelung der Erreichbarkeit, sondern vielmehr der Regelung der Verfügbarkeit. Allerdings besteht auch eine Wechselwirkung: Ist die Erreichbarkeit gegeben, erhöht dies die Erwartungshaltung - sowohl aufseiten des Unternehmens als auch des Individuums an sich selbst - auch verfügbar zu sein. Klar ist: "Aus der Möglichkeit des 'Anytime - Anyplace' darf für Beschäftigte nicht das Diktat des 'Always and Everywhere' werden."3)

Grundsätzlich gilt es bei den Fragestellungen der Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, das Bedürfnis nach Individualität zu beachten. Denn jeder Mensch empfindet die Grenzziehung unterschiedlich. Während es für manche Beschäftigte eine Belastung darstellt, jederzeit in der Freizeit oder im Urlaub mit arbeitsbezogenen Fragestellungen konfrontiert werden zu können, weil ein "Abschalten" dadurch nicht mehr möglich ist, bevorzugen es andere, auch im Urlaub auf dem neuesten Stand zu bleiben, um nach der Rückkehr nicht von den Ereignissen "überrollt" zu werden oder auch im Notfall sofort intervenieren zu können.

Mitarbeiter 4.0: Beschäftigungseffekte

Es lässt sich also festhalten, dass allgemein gültige Regelungen für diese Fragestellung zu kurz greifen - das heißt, das Abstellen der Servers um 18 Uhr kann nicht die Lösung sein. Es braucht also dezentrale Lösungen in der Abteilung, im Team und/ oder zwischen Führungskraft und Mitarbeitendem, die zum einen die Abgrenzung zwischen Erreichbarkeit und Verfügbarkeit definiert und zum anderen eine Verbindlichkeit im Handeln gewährleistet.

Große Herausforderungen stellen die Beschäftigungseffekte dar, die im Kontext der Digitalisierung vermutet werden. Die Beschäftigungseffekte sind in qualitative und quantitative zu gliedern. Auf der qualitativen Ebene, also den Anforderungen an Qualifikationen und Kompetenzen, wird von einer steigenden Bedeutung von

- IT-Grundkompetenz und Medienkompetenz,

- Methoden- und Social Skills,

- emotionaler und sozialer Kompetenz,

- kreativer Kompetenz,

- Lern- und Veränderungsbereitschaft sowie -fähigkeit,

- Fähigkeit im Umgang mit Geschwindigkeit und Komplexität,

- Selbstmanagement und - lebenslangem Lernen

ausgegangen. Auch die Fähigkeiten, mit und ohne direkten persönlichen Kontakt zu kommunizieren und zu kooperieren sowie Wissen zu teilen, gehören zu den essenziellen Anforderungen.4) Dabei werden alle Beschäftigten und Berufsgruppen in den Blick genommen. An dieser Stelle tun sich ad hoc zwei Fragen auf: Erstens ist eine solche Ausweitung des Anforderungsprofils realistisch? Zweitens ist die Ausweitung des Anforderungsprofils Gegenstand in der Aus- und Weiterbildung? Beziehungsweise werden Aus- und Weiterbildung entsprechend angepasst?

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in einer Wissens- und Innovationsgesellschaft, in der wir seit Jahren leben, Expertentum ein zentraler Faktor darstellt. Egal ob es sich um Banker, Ingenieure, Lehrer, Wissenschaftlicher, Mechatroniker, Verkäufer et cetera handelt, wir definieren uns über unser Wissen. Mit der Digitalisierung hingegen werden dieses Alleinstellungsmerkmal und dieser Absicherungsfaktor aufgelöst. Expertenwissen ist nicht mehr exklusiv, sondern kann von allen im Internet gegoogelt werden. Das führt zur dritten Frage: Was bleibt übrig?

Substitution durch die Technik

Grundsätzlich gilt: Im Rahmen der Gestaltung der Geschäftsmodelle und Leistungserstellungsprozesse, der Innovationsentwicklung, der Schaffung von strategischen Allianzen, der Maschine-Maschine-Schnittstellen und der Mensch-Mensch-Schnittstellen et cetera werden vielfältige Tätigkeiten zu bewältigen sein und neue Tätigkeits- und Jobprofile entstehen. Darüber hinaus schaffen neue Unternehmen, deren Wertschöpfung im Netz, in Netzwerken und auf Plattformen generiert wird, Arbeitsplätze.

Demgegenüber ist auch mit negativen Beschäftigungswirkungen zu rechnen. So wird derzeit diskutiert, dass sich wahrscheinlich die Chancen auf dauerhafte Beschäftigung für einige "durchschnittlich" Qualifizierte (mittlere Qualifikationsstufen) reduzieren könnten. Die bisher als selbstverständlich betrachtete Annahme, dass mit der Entwicklung neuer Technologien die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften steigt und die Nachfrage nach Niedrigqualifizierten sinkt, scheint nicht mehr zu gelten. Denn aktuelle Forschungsergebnisse zeigen veränderte Zusammenhänge. So wird es danach bei vielen Tätigkeiten, die bisher durch Beschäftigte mit mittlerem Qualifikationsniveau bearbeitet worden sind und die eine manuelle und/oder kognitive, teilweise auch hoch komplexe Routineaufgabe darstellen, zu einer Substitution durch die Technik kommen.5)

Kompensation

Diese auf den ersten Blick negativen Beschäftigungseffekte können jedoch teilweise aufgelöst werden.

Erstens kann hier die demografische Lücke zum Tragen kommen. Wenn das Angebot an Fachkräften angesichts der Demografie sinkt und gleichzeitig die Nachfrage nach bestimmten Fachkräften aufgrund des Substitutionseffekts im Kontext von Digitalisierung abnimmt, besteht die Möglichkeit der Kompensation des negativen Beschäftigungseffektes. Darüber hinaus könnte auch dem Fachkräfteengpass in bestimmten Berufen entgegengewirkt werden.

Zweitens werden durch die Technologisierung in bestimmten Tätigkeiten Ressourcen frei, die sinnvoll eingesetzt werden können. Es besteht durchaus die Option, Zeitwohlstand zu generieren, also Zeitreserven zu heben, die wir dann sinnvoll zum Beispiel im Rahmen der Individualisierung von Kundenwünschen, der Erweiterung des Leistungsspektrums, Generierung von Innovationen einsetzen könnten, was wiederum positive Beschäftigungseffekte nach sich ziehen kann.

Drittens können durch mittel- bis langfristig angelegte Qualifizierungen betroffene Beschäftigte für höherwertige Tätigkeiten befähigt werden, um ihnen damit auch in Zukunft eine Perspektive zu bieten. Dies ist mit einem ganzheitlichen und professionellen Personalmanagement verbunden, das eine Talent- und Stärkenorientierung im Personaleinsatz und der Personalentwicklung ebenso im Blick hat wie die Förderung der "Beweglichkeit" im Rahmen von Werdegängen.

Viertens können körperlich und geistig belastende und monotone Tätigkeiten abgelöst werden. Es erfolgt eine Humanisierung der Arbeit.6)

In einem sind sich die Experten einig: Trotz aller Digitalisierungsbemühungen werden sensomotorisch anspruchsvolle Arbeiten angesichts der Feinmotorik schwieriger zu automatisieren sein, ebenso wie kognitive Nichtroutinetätigkeiten aufgrund des hohen Maßes an sozialer und emotionaler Intelligenz sowie Kreativität. Beispiele sind Gesundheits- und Sozialwesen, Forschung und Entwicklung, Unternehmensdienstleistungen und Management sowie lokale Dienstleistungen mit hochspeziellen Tätigkeiten.

Personalführung 4.0: Demokratisierung und Partizipation?

Der Umgang

- mit Vielfalt in Teams und Organisationen,

- mit Veränderungen als Normalzustand,

- mit Komplexität resultierend aus den Megatrends,

- mit Agilität und Beschleunigung,

- mit Verdichtung und Vernetzung sowie

- mit Spannungsfeldern, die es auszubalancieren gilt,

stellt Führungskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Es reicht nicht mehr aus, einen Führungsstil im Sinne der Managementlehre zu praktizieren (arbeitsbezogener Führungsstil). Neben Managementstil und Managementinstrumenten braucht es eine Leadership-Philosophie mit den entsprechenden Skills und Einstellungen (mitarbeiterbezogener Führungsstil).

Werden konsequent die Ergebnisse der Analyse der Megatrends, das Spektrum der Konsequenzen der Digitalisierung jenseits der Technik, das Konzept von Arbeiten 4.0, der Umgang mit den Spannungsfeldern in der Unternehmensführung sowie die Notwendigkeit von Management und Leadership als wirksame Führungsstile zugrunde gelegt, ergibt sich folgendes Aufgaben- und Rollenprofil, welches Führungskräfte umsetzen müssen:

- Führungskräfte als Gestalter des operativen Tagesgeschäfts,

- Führungskräfte als strategischer Partner,

- Führungskräfte als normativer Bewahrer,

- Führungskräfte als Change Agent,

- Führungskräfte als Personalentwickler,

- Führungskräfte als Coach,

- Führungskräfte als Manager von Diversität/Diversity (Generationen, unterschiedliche Kulturen, ...),

- Führungskräfte als Protagonist zur Gestaltung von Work-Life-Balance,

- Führungskräfte als "Manager in eigener Sache".

Anforderungsprofil von Führungskräften

Aus dem Aufgaben- und Rollenprofil lässt sich dann das Anforderungsprofil von Führungskräften ableiten:

- Managementkompetenzen,

- Leadershipkompetenzen,

- Ganzheitliches, systemisches Denken und Handeln,

- Interkulturelle Kompetenzen,

- Übergreifendes Denken und Handeln/ Kompetenzen zum Schnittstellenmanagement,

- Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit,

- Lernbereitschaft und -fähigkeit,

- Analytische Fähigkeiten (nicht zuletzt im Kontext von Daten- und Informationsvielfalt),

- Entscheidungsfähigkeit,

- Revidierbarkeitskompetenz,

- Selbstmanagement.

Dieses doch sehr ambitionierte Anforderungsprofil stellt die Frage in den Raum, wer derartige Kompetenzen mitbringt. Es entsteht der Eindruck einer "eierlegenden Wollmilchsau".

Es ist damit zu rechnen, dass nur wenige Personen dem sehr umfangreichen Anforderungsprofil an Führungskräfte entsprechen. Dennoch bleibt der Anspruch, dass diese Anforderungen abgedeckt sein müssen. Bisher haben wir den Fokus darauf gelegt, dass eine Person (die Führungskraft) den wachsenden Anforderungen genügen muss. Bezeichnen wir diese Sichtweise als intrapersonelle Perspektive. Wenn wir nun zum einen davon ausgehen, dass eine solche Sichtweise zunehmend an Grenzen stößt, weil viele Führungskräfte an Grenzen stoßen und auch überfordert sind, und wenn wir zum anderen gleichzeitig die Notwendigkeit des Aufgaben- und Anforderungsprofils bekräftigen, bedarf es einer Änderung der Perspektive.

Es braucht die interpersonelle Sichtweise. Wenn eine Person es nicht schafft, dann sollten die Kompetenzen im Führungsteam und/oder im Team vorhanden sein. Um die Führungsaufgaben zu bewältigen, werden also mehrere Personen beteiligt. Das Leitprinzip ist somit die Partizipation. Partizipation kann horizontal erfolgen, also unter den Führungskräften und/oder vertikal, was mit der Übertragung von Handlungsspielräumen und der Delegation von Befugnissen und Aufgaben an Mitarbeitende verbunden sein kann. Partizipation stellt eine Form der Demokratisierung dar.

Das System Arbeit

Digitalisierung ist mehr als eine technologische Innovation, mehr als Innovationen im Geschäftsmodell und mehr als Innovationen in Struktur und Prozess. Digitalisierung hat einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitswelt. Die Arbeitswelt ihrerseits ist mehr als der Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen. Das sogenannte System Arbeit umfasst die Mikroebene im Betrieb (arbeitsplatzbezogene Faktoren), die Mesoebene im Betrieb (Führung, Organisation, ...), die Makroebene (volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Faktoren und Bedingungen) sowie die Metaebene (gesellschaftliche, rechtliche und politische Faktoren und Bedingungen). Die Konsequenzen jenseits der Technik sind dementsprechend vielfältig. Um sie zu bewältigen, braucht es Zeit und förderliche Faktoren.

Förderliche Faktoren sind zum Beispiel das Vorhandensein einer digitalen Strategie beziehungsweise eine Vorstellung, wie das "Big Picture" aussieht, eine hohe IT Qualität in der Infrastruktur, Führungskräfte, die sich der Konsequenzen jenseits der Technik bewusst sind, eine Anpassung des Personalmanagements und insbesondere der Aus- und Weiterbildung sowie die Beachtung von Beschäftigungseffekten. Nicht zuletzt bedarf es der Reformierung der rechtlichen Rahmenbedingungen.

Literatur

Autor, D. H./ Dorn, D. (2013): The Growth of Low-Skill Service Jobs and the Polarization of the US Labor Market, American Economic Review 2013, 103(5), S. 1553-1597.

BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) (2015): Grünbuch Arbeiten 4.0.

Bonin, H./ Gregory, T./ Zierahn, U. (2015): Forschungsbericht 455, Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland, Endbericht, Kurzexpertise Nr. 57.

Brynjolfsson, E./ McAfee, A. (2012): Research Brief - Race against the machine. How the digital revolution is accelerating innovation, driving productivity, and irreversibly transforming employment and the economy.

Brynjolfsson, E./ McAfee, A. (2014): The Second Machine Age: work, progress, and prosperity in a time of brilliant technologies. New York: W. W. Norton & Compay 2014.

FAZ (2017): Digitalisierung und Industrie 4.0 verändern schon jetzt den Arbeitsmarkt, Interview mit Hans-Peter Klös IW, in: FAZ, 24.4.17, S. V4.

Meck, G./ Weiguny, B. (2017): Die Plattform-Revolution, in: FAZ, Nr. 16, 23.4.2017, S. 23.

Zuboff, S. (2014): Der menschliche Faktor, Feuilleton, 17. Juli 2014, Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Lesen Sie auch weiter in dem 2017 im Springer-Verlag erschienenen Herausgeberband "Auf dem Weg zur Arbeit 4.0. Innovationen in HR" von Jutta Rump und Silke Eilers

Fußnoten

1) Meck, G./Weiguny, B. (2017), S. 23.

2) Vgl. Meck, G./Weiguny, B. (2017), S. 23.

3) Vgl. BMAS (2015), S. 65.

4) Vgl. FAZ, (2017), S. V4.

5) Vgl. Brynjolfsson, E./ McAfee, A. (2012, 2014); Autor, D. H./ Dorn, D. (2013); Zuboff, S. (2014); Bonin, H. et al. (2015).

6) Vgl. FAZ (2017), S. V4.

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X