Special Zahlungsverkehrssymposium

"Betreiber müssen ihre Systeme immer wieder auf den Prüfstand stellen und fortentwickeln"

Dr. Jens Weidmann, Präsident Deutsche Bundesbank

Bild: Manjit Jari

Dr. Jens Weidmann, Präsident, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main - Bankgeschäfte und Zahlungsverkehr werden immer digitaler. Das stellt die Institute selbst, aber auch die Notenbanken, die stets marktneutral auftreten müssen, vor Herausforderungen. Wie geht man mit den Schnittstellen zu Drittanbietern um, die auf die Konten bei den Banken zugreifen können? Wird sich bei Instant Payments ein europäischer Standard ähnlich wie bei der Wertpapierabwicklung etablieren lassen? Wird die Blockchain irgendwann massentauglich? Welche Veränderungen gehen von Fintechs aus und wie müssen Aufsichtsbehörden darauf reagieren? Und schließlich: Sind Institute und Notenbanken schnell genug in der Lage, auf die zunehmende Cyberkriminalität zu reagieren und das System insgesamt sicherer zu machen? Die Themen mit Blick auf den Zahlungsverkehr und die Wertpapierabwicklung 2017 gehen keineswegs aus. (Red.)

Mein Eindruck ist, dass es mit dem Zahlungsverkehr und der Wertpapierabwicklung ähnlich ist wie mit der Stromversorgung: Jeder nutzt sie wie selbstverständlich und nur die wenigsten machen sich Gedanken darüber, welche komplexen Systeme im Hintergrund arbeiten, damit diese Schlüsselinfrastrukturen für eine Volkswirtschaft schnell, effizient und jederzeit störungsfrei funktionieren. Das regelmäßig stattfindende Bundesbank-Symposium liefert deshalb nicht nur eine Plattform für den Austausch von Experten, sondern es dient auch dazu, der Öffentlichkeit die Bedeutung von Zahlungsverkehr und Abwicklung zu verdeutlichen und aktuelle Entwicklungstrends aufzuzeigen.

Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren auch für den Zahlungsverkehr und die Wertpapierabwicklung enorm zugenommen. Ein Blick auf die Themen der heutigen Vorträge zeigt: Kaum eines Ihrer Arbeitsgebiete kann sich den Fliehkräften der sich rasant entwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologie entziehen. Sie zerren an den existierenden Systemen. Und die Betreiber, und damit meine ich auch die Zentralbanken, müssen ihre Systeme immer wieder auf den Prüfstand stellen und fortentwickeln.

Migration auf Target2-Securities

Einen Quantensprung der Veränderung, einen sehr gelungenen Systemwechsel hat es in Deutschland erst jüngst gegeben. Mit Abschluss des Geschäftstages 6. Februar 2017 ist der deutsche Markt mit seinem Zentralverwahrer Clearstream Banking AG planmäßig auf die Eurosystem-Plattform Target2-Securities migriert. Seitdem laufen rund 90 Prozent der für T2S erwarteten Wertpapierabwicklung über diese Plattform. Auch die deutschen Marktteilnehmer können nun also von den Möglichkeiten zur Optimierung ihres Liquiditäts- und Sicherheitenmanagements profitieren - neben den Erleichterungen durch Standardisierung und Harmonisierung im Rahmen der Abwicklung, versteht sich. Liquidität und Sicherheiten können nun gepoolt, Liquiditätspuffer und Sicherheitenpuffer können abgebaut werden.

Weitere Vorteile könnten auch dann entstehen, wenn mit Target2 und T2S zwei der weltweit bedeutendsten Marktinfrastrukturen im Zahlungsverkehr und in der Wertpapierabwicklung konsolidiert und auf eine moderne Technik gehoben würden. Dann könnten die Nutzer nicht nur die Liquiditätssteuerung weiter optimieren, sondern es könnte auch ein einheitlicher Zugang der Kunden zu allen Marktinfrastrukturen des Eurosystems geschaffen werden. Daneben wäre die Öffnung der Systeme für weitere Netzwerkanbieter möglich. Das würde den Wettbewerb fördern. Noch ist freilich nichts beschlossen. Über die mögliche Weiterentwicklung der Marktinfrastrukturen des Eurosystems wird der EZB-Rat im Dezember dieses Jahres entscheiden.

Neben den Kostengesichtspunkten darf ein zweiter Mehrwert der integrierten europäischen Wertpapierabwicklung nicht übersehen werden, nämlich ihr positiver Beitrag auf dem Weg hin zu einer Europäischen Kapitalmarktunion. Europäische Unternehmen finanzieren sich zum Großteil über Bankdarlehen. Gemessen am BIP liegt der Anteil der Bankfinanzierung in Europa etwa viermal höher als in den Vereinigten Staaten.1) Natürlich spiegelt die Struktur des Finanzsystems auch die Unternehmensstruktur einer Volkswirtschaft wider - und in einer Volkswirtschaft wie der europäischen mit einem vergleichsweise hohen Anteil an kleinen Unternehmen wird auch in Zukunft der Bankkredit dominieren.

Eine Verbesserung und Harmonisierung der Kapitalmarktregulierung, etwa auf dem Gebiet des Insolvenzrechts, könnte aber dennoch dazu beitragen, gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen das Angebot an alternativen Finanzierungsinstrumenten zu vergrößern. Denn die Bereitschaft der Anleger, grenzüberschreitend Risikokapital zur Verfügung zu stellen, dürfte bei einheitlichen Kapitalmarktregeln zunehmen. Große Unternehmen können ja ohnehin bereits heute die globalen Kapitalmärkte nutzen. Die Kapitalmarktunion stärkt damit außerdem die grenzüberschreitende Risikoteilung, weil ökonomische Schocks auf mehr Schultern in Europa verteilt würden. Sie sorgt damit tendenziell für eine Angleichung der Konjunkturverläufe. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die private Risikoteilung über integrierte Kapitalmärkte wesentlich besser geeignet ist, Schocks aufzufangen, als die öffentliche Risikoteilung, die ja die politischen Diskussionen dominiert. Die integrierten Eigenkapitalmärkte in den USA fangen etwa 40 Prozent der gesamten konjunkturellen Schwankungen zwischen den Bundesstaaten ab.2) Wird eine Branche oder eine bestimmte Region von einem negativen Schock getroffen, so verteilen sich die Verluste weit über die betroffene Region hinaus. Und umgekehrt profitieren bei positiven Entwicklungen natürlich auch die Regionen stärker in der Breite.

Digitale Lösungen durch Fintechs

Es ist unstrittig, dass Innovationen ein wichtiger Treiber für Wachstum und Wohlstand sind. Das gilt in der Realwirtschaft, aber auch in der Finanzwirtschaft. Innovationen werden im Finanzsektor derzeit insbesondere mit den sogenannten Fintechs in Verbindung gebracht. Das sind nicht nur die vielen kleinen und wendigen Start-up-Unternehmen, die in großer Zahl digitale Lösungen für Finanzdienstleistungen entwickeln, sondern auch große Softwareschmieden. Fintechs gestalten beispielsweise die Schnittstelle zum Privatkunden neu und bieten alternative Zahlungswege zu den bekannten Zahlungsverfahren. So werden aktuell verschiedenste Verfahren etwa für Zahlungen mit dem Smartphone im Handel oder zwischen Privatpersonen - Stichwort "P2P" - erprobt. Fintechs erhöhen damit auch den Anpassungsdruck, dem die Banken ausgesetzt sind. Zwar nutzen Banken verstärkt die Innovationskraft von Fintechs, um ihre Kosten zu senken. Gleichzeitig wird mit den neuen Zahlungsverfahren aber die Bank-Kunden-Beziehung unter Umständen lockerer. Im Extremfall nimmt der Kunde seine Bankverbindungen sogar nur noch über eine einzige Schnittstelle wahr. Die Banken werden für den Kunden damit stärker austauschbar, der Wettbewerb zwischen den Instituten steigt. Ihre Möglichkeit, etwa über höhere Gebühren die Ertragslage zu verbessern, nimmt ab.

Nun ist aber natürlich das Angebot neuer Zahlungswege allein noch kein Garant für einen Markterfolg. Um es in der präzisen Sprache der Fußballer auf den Punkt zu bringen: "Entscheidend ist auf'm Platz", das wusste schon Alt-Trainer Adi Preißler. Und dort steht der Kunde. Der wird vom Mehrwert einer Innovation nur dann überzeugt sein, wenn die Zahlung schneller, bequemer, günstiger und sicherer ist. Nur wenn eine Innovation hier punkten kann, wird sie sich durchsetzen und eine kritische Masse an Zahlungen erreichen. Und genau darum geht es im Netzwerkgeschäft "Zahlungsverkehr". Denn beim Zahlungsverkehr hängt der Vorteil für jeden einzelnen Kunden letztlich auch davon ab, wie viele andere Kunden diesen Zahlungsweg ebenfalls nutzen. Auch deshalb arbeiten Fintechs inzwischen zunehmend mit etablierten Instituten zusammen. Solche Kooperationen können für beide Seiten nützlich sein: Fintechs erreichen über den Bankpartner eine große Zahl potenzieller Kunden. Banken wiederum können so ohne lange Entwicklungszeiten innovative Leistungen anbieten.

Bundesbank bleibt neutral

Letztlich entscheiden aber die Nutzer über Richtung und Ausmaß der Veränderungen. Und das ist auch richtig so. Deshalb vertritt die Bundesbank eine Position der Marktneutralität. Das gilt natürlich erst recht für die Entscheidung, ob der Bürger lieber elektronisch oder lieber bar bezahlt. Denn wie Sie wissen, ist das Bargeld noch immer das beliebteste Zahlungsmittel der Deutschen an der Ladenkasse. Zwar nimmt der Anteil elektronischer Zahlungsverfahren hierzulande zu. Dieser Wandel vollzieht sich aber nur vergleichsweise langsam.

Mit Blick auf die Finanzstabilität tragen Fintechs einerseits zur Heterogenität des Finanzsektors bei, was dessen Widerstandsfähigkeit stärken könnte. Andererseits könnten sie Anreizstrukturen verändern und Ansteckungsrisiken schaffen, zum Beispiel wenn eine verstärkte Vernetzung der einzelnen Parteien untereinander zu einem Bedeutungsverlust zentraler Gegenparteien führt. Deren Rolle wurde aber ja als eine wichtige Lehre aus der Finanzkrise erst vor kurzem gestärkt.

Der Fintech-Sektor entwickelt sich äußerst dynamisch. Innovationen entstehen, manche Geschäftsmodelle erobern den Markt, andere scheitern. Um die von Fintechs ausgehenden Risiken für die Finanzstabilität konkret abschätzen zu können, benötigen wir ein genaues Bild über Art und Umfang der Aktivitäten dieser Unternehmen. Die G20-Staaten haben deshalb alle Länder dazu aufgefordert, die digitalen Finanzentwicklungen in ihren Ländern sehr sorgfältig zu beobachten und dabei besonders die grenzüberschreitenden Aspekte zu berücksichtigen. Das soll auch in Zusammenarbeit mit dem Finanzstabilitätsrat (FSB) und anderen internationalen Organisationen geschehen. Darüber hinaus unterstützen die G20-Länder die Arbeiten des FSB, der zentrale regulatorische Aspekte identifizieren soll. Bei solchen Überlegungen muss freilich das Gleiche gelten wie bei jeder Regulierung: Es braucht einen geeigneten Kompromiss zwischen einem vernünftigen regulatorischen Rahmen, der Sicherheit und Stabilität bietet und den notwendigen Freiraum, der Wettbewerb durch das Entstehen neuer Geschäftsideen ermöglicht.

Instant Payment wird wichtiger

Unter den technologiegetriebenen Entwicklungen im Zahlungsverkehr ist es insbesondere das Instant Payment, das hierzulande und im Euroraum die Geschäftsbanken zunehmend beschäftigt. In nicht wenigen Ländern rund um den Globus gibt es solche Systeme bereits, mit denen bargeldlose Zahlungen in Echtzeit abgewickelt werden können: an 365 Tagen im Jahr an 24 Stunden am Tag - an der Ladenkasse, direkt bei Lieferung oder direkt bei der Bestellung. In Europa gehört Dänemark zu den Vorreitern. Dort kann inzwischen auch auf dem Wochenmarkt mobil und in Echtzeit gezahlt werden. Auf neun von zehn Smartphones ist in Dänemark bereits eine Instant Payment App installiert.

Denn Zahlungen in Echtzeit bieten alle Vorteile eines Zug-um-Zug-Geschäfts. Nicht umsonst werden noch immer rund 80 Prozent aller Transaktionen an der Ladenkasse mit Bargeld abgewickelt, das ja genau diese Eigenschaft auszeichnet. Mit Instant Payment nähern sich elektronische Zahlungen also diesbezüglich der Barzahlung an. Außerdem dürfte diese bargeldlose Zahlungsform von vielen als die komfortable und effiziente Bezahlmethode wahrgenommen werden, entspricht sie doch am ehesten den heute üblichen digitalen Kommunikationskanälen. Darüber hinaus lassen sich mit Instant Payment auch Zahlungen zwischen Privatpersonen beschleunigen und vereinfachen, zum Beispiel wenn eine Restaurantrechnung unmittelbar geteilt werden soll oder wenn Eltern den akuten Hilferuf eines auswärts studierenden Kindes mit einer Überweisung innerhalb von Sekunden beantworten können. Ob letzteres unter Anreizgesichtspunkten allerdings empfehlenswert ist, sei dahingestellt.

Besonderes Engagement bei der Einführung von Instant Payment zeigt aber vor allem der Handel. Er verspricht sich geringere Kosten im Vergleich mit einer heutigen Kartenzahlung. Und der Onlinehandel rechnet mit einer geringeren Zahl an abgebrochenen Einkäufen. Darüber hinaus kann der Handel bei Zahlungen in Echtzeit unmittelbar über den Verkaufserlös verfügen und mit ihm arbeiten. Dagegen benötigen bargeldlose Zahlungen heutzutage in der Regel einen Tag, bis der Betrag auf dem Konto des Empfängers eingeht. Noch vor wenigen Jahren brauchte der Geldeingang teilweise bis zu fünf Tagen.

Neue IT-Anforderungen

Eines ist allerdings klar: Zahlungen in Echtzeit erfordern eine moderne, leistungsfähige IT-Infrastruktur bei allen am Zahlungsverkehr Beteiligten. So würden Zahlungen nicht wie bisher in großen Paketen von Zahlungsnachrichten zu vereinbarten Zeitpunkten verarbeitet, sondern einzeln und fortlaufend, zeitlich extrem eng getaktet. Das stellt ganz neue Anforderungen an die IT-Landschaft. Allerdings haben sich viele Banken die Modernisierung ihrer IT-Systeme ohnehin bereits auf ihre Fahnen geschrieben. Grundsätzlich zeichnet sich im Banken- und Sparkassensektor inzwischen auch eine recht positive Haltung zu Instant Payment ab. Nach anfänglich zögerlicher Reaktion hat auch die Diskussion über die Herausforderungen durch Fintechs dafür gesorgt, dass die Banken und Sparkassen bei diesem Thema nun mehr Offenheit zeigen. Schließlich gilt es, verlorenes Terrain im Zahlungsverkehr, etwa bei Onlinebezahlungen, zurückzugewinnen.

Sollen Zahlungen in Echtzeit im Euroraum auch grenzüberschreitend möglich werden, bergen nationale Lösungen den Nachteil, dass sie miteinander verzahnt werden müssten. Das kann aufwendig werden, wenn die nationalen Systeme sehr unterschiedlich sind. Die Vergangenheit hat außerdem gezeigt, dass die Kooperation zwischen privaten Zahlungsverkehrsanbietern eher schwierig ist. Bei Zahlungen in Echtzeit müssten die Systeme aber besonders gut aufeinander abgestimmt sein, damit die Weiterleitung von Zahlungen über mehrere Clearinghäuser wirklich sekundenschnell funktioniert. Deshalb fordern manche eine starke Rolle des Eurosystems bei der Einführung von Instant Payment. Gerne wird dabei darauf verwiesen, dass bei einer möglichen Integration von Target2 und T2S gleichzeitig eine europäische Infrastruktur für Zahlungen in Echtzeit recht kostengünstig entwickelt werden könne.

Auf der anderen Seite schwächt eine zentralisierte Lösung für den Euroraum möglicherweise die Innovationskraft privater Zahlungsverkehrsanbieter, denn es unterbindet faktisch den Wettbewerb zwischen ihnen. Letztlich gilt auch für Zahlungssysteme, dass es in unserer Marktwirtschaft immer einer besonderen Begründung bedarf, wenn eine Funktion, die im Prinzip auch privat angeboten werden kann, durch den Staat beziehungsweise das Notenbanksystem bereitgestellt werden soll. Mit diesem Thema wird sich der EZB-Rat im Juni befassen.

Blockchain ist immer noch ein Nischenprodukt

Zahlungen auf Basis der Blockchain- beziehungsweise Distributed-Ledger-Technologie sind immer noch ein Nischenprodukt. Sie sind von der Massenanwendung noch weit entfernt, was sicher auch daran liegt, dass solche Transaktionen vergleichsweise langsam sind. Für Zahlungen an der Ladenkasse scheinen mir Blockchain-basierte Währungen deshalb - zumindest noch - nicht besonders geeignet zu sein. Das schließt natürlich nicht aus, dass diese Technologie an anderer Stelle im Finanzsektor eingesetzt werden könnte. Im Gegenteil: Es sind grundsätzlich zahlreiche Anwendungen auf den Gebieten Wertpapierabwicklung, Handelsfinanzierung, Stammdatenverwaltung oder Revision und Aufsicht denkbar. Denn in der Blockchain-Technologie werden die Daten bekanntlich über alle Transaktionen in einem dezentralen digitalen Register gespeichert, das heißt bei allen oder vielen Teilnehmern, die sich gegenseitig kontrollieren. Damit gibt es in diesem System keinen sogenannten Single Point of Failure, was dieses System grundsätzlich besonders widerstandsfähig gegenüber Datenverlust macht.

Diese Widerstandsfähigkeit geht allerdings zulasten der Geschwindigkeit. Deshalb werden der Blockchain-Technologie heute vor allem dort Vorteile zugeschrieben, wo Akteure in komplexen Transaktionsketten zusammenwirken. So gibt es gerade in der Wertpapierabwicklung heute noch einen relativ hohen manuellen Abstimmungsbedarf zwischen den beteiligten Transaktionspartnern. Deshalb werden die Wertpapierabwicklung und die damit verbundenen, nachgelagerten Aktivitäten der zahlreichen beteiligten Akteure häufig als vielversprechendes Anwendungsfeld für die Blockchain-Technologie genannt.

Dieses hat sich auch die Bundesbank gemeinsam mit der Deutschen Börse ausgesucht, um zusammen einen funktionstüchtigen Blockchain-Prototyp zu entwickeln. Mit ihm sollen Wertpapierkäufe und Zahlungen gleichzeitig abgewickelt werden können sowie die weiteren in der Wertpapierabwicklung anfallenden Transaktionen. Damit soll getestet werden, ob unter Berücksichtigung der geltenden Regulierung im Finanzsektor eine Blockchain-basierte Wertpapierabwicklung möglich und ob sie effizient und sicher ist. Hierbei experimentiert die Zentralbank mit einem reinen Erkenntnisinteresse. Schließlich können sie als Aufseher und Betreiber von Marktinfrastrukturen nur dann ihrer Verantwortung gerecht werden und einen reibungslosen Zahlungsverkehr und Sicherheit in der Abwicklung gewährleisten, wenn sie bei technologischen Entwicklungen auf dem neuesten Stand sind.

So ist die Bundesbank im Rahmen eines solchen Projekts in die Lage, auch Blockchain-basierte Anwendungen auf ihre technische Leistungsfähigkeit und Skalierbarkeit hin zu analysieren und sie mit der gegenwärtigen Abwicklungsinfrastruktur zu vergleichen. Denn eines steht außer Frage: Die Blockchain-Technologie wird nur dann auf breiter Basis genutzt werden, wenn sie mindestens so sicher, effizient, kostengünstig und schnell ist wie die konventionelle Technologie. Und hier hängt die Latte sehr hoch: Die existierenden großen Finanzmarktinfrastrukturen, zum Beispiel Target2 und T2S, sind schließlich ausgesprochen effizient und stabil. Ich persönlich wage derzeit keine Vorhersage, ob sich die Blockchain-Technologie am Ende durchsetzen wird oder nicht. Denn wir alle wissen, dass gerade die Geschichte der Informationstechnologie eine Geschichte misslungener Vorhersagen ist. Nicht, dass es mir am Ende ergeht wie Ken Olsen, dem Mitgründer von Digital Equipment Corporation. Er sagte 1977, dass er keinen Grund dafür sehe, warum jemand einen eigenen Computer zu Hause haben wollte.

Cyberrisiken drastisch gestiegen

Durch die Digitalisierung wird die Widerstandsfähigkeit der Finanzmarktinfrastruktur gegenüber Cyberrisiken immer wichtiger. Laut dem Verfassungsschutz verursachen Cyberattacken Schäden in Höhe von zirka 50 Milliarden Euro jährlich für die deutsche Wirtschaft. Weltweit sollen sie bei 400 Milliarden Euro liegen. Das Risiko von Cyberattacken gilt auch für die Infrastrukturen und Anwendungen der europäischen Zentralbanken. Mittlerweile ist nicht mehr die Frage, "ob" eine Infrastruktur oder eine Institution Ziel eines Angriffs sein wird, sondern nur noch "wann" und "wie oft".

Zum Beispiel wurde die Bundesbank auch im vergangenen Jahr vereinzelt mit sogenannten Distributed-Denial-of-Service-Attacken angegriffen, bei denen ein über das Internet erreichbarer Dienst mit gleichzeitigen Anfragen in großer Zahl in die Knie gezwungen und das System dadurch zum Ausfall gebracht werden sollte. Und weitere Angriffe erfolgten mit dem Erpressungs-Trojaner Locky, der sich im Februar 2016 insbesondere in Deutschland über E-Mails mit über 5 000 Neuinfektionen pro Stunde rasend schnell verbreitete.

Mit ihren Schutzmechanismen hat die Bundesbank die gegen sie gerichteten Angriffe bis heute erfolgreich abgewehrt. Im vergangenen Jahr fingen sie zum Beispiel rund 10 000 verseuchte E-Mails ab. Darüber hinaus wurden im zurückliegenden Jahr mehrere hunderttausend nicht legitimierte Zugriffsversuche auf die Bundesbankinfrastruktur unterbunden und abgewehrt.

Bankenaufsicht und Notenbanken in der Pflicht

Angesichts der Gefährdungslage insbesondere in der Finanzbranche sind die laufende Optimierung von zentralen und dezentralen Schutzmechanismen und die Verankerung einer Cybersicherheitskultur von elementarer Bedeutung. Banken, aber auch Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwickler, müssen ihre IT- und Cyberrisiken mindestens mit der gleichen Sorgfalt steuern wie ihre traditionellen Bankrisiken. Während Banken den Kreditausfall eines durchschnittlichen Kreditnehmers üblicherweise wegstecken können sollten, kann schon eine einzige erfolgreiche Cyberattacke die Aktivitäten einer Bank stilllegen - und der Reputationsschaden wäre sicherlich immens. Die Bankenaufsicht muss die potenziellen Gefahren im Zusammenhang mit Cyberkriminalität deshalb noch stärker als bisher in den Blick nehmen.

Und die Notenbanken stehen für sich selbst in der besonderen Verantwortung, sich gegen Cyberrisiken zu schützen und damit das Vertrauen in das Finanzsystem zu sichern. Deshalb arbeiten wir auch international eng abgestimmt daran, Cyberrisiken für uns selbst und für die Finanzmarktinfrastrukturen zu reduzieren. Dabei ist entscheidend, dass nicht nur die IT ihren Beitrag leistet, sondern die fachlich Verantwortlichen, jeder einzelne Nutzer und die Aufsicht gleichermaßen in der Pflicht stehen. Hierauf zumindest baut die Cyber-Resilience-Strategie des Eurosystems.

Die weltweiten Ransomware-Angriffe vom vergangenen Wochenende haben die Verwundbarkeit der digitalen Infrastrukturen noch einmal deutlich vor Augen geführt. Deshalb haben Bundesregierung und Bundesbank die Cybersicherheit zu einem Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft gemacht. Und deshalb haben wir auch am letzten Wochenende beim G7-Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure intensiv über das Thema Cybersicherheit gesprochen.

Wir haben dabei nicht nur das Mandat der vor zwei Jahren unter deutscher Präsidentschaft ins Leben gerufenen Cyber Expert Group verlängert, sondern auch ihr Mandat ausgeweitet. Die Gruppe soll nun bis Oktober 2017 Eckpunkte für eine effektive Beurteilung der Cybersicherheit vorlegen. Außerdem werden die Länder ausdrücklich ermutigt, Wissen auszutauschen und sich international zum Beispiel mit anderen kritischen Infrastrukturen abzustimmen.

Fußnoten

1) www.bankofengland.co.uk/

2) P. Asdrubali, B. Sørensen und O. Yosha (1996), Channels of Interstate Risk Sharing: US 1963-1990, Quarterly Journal of Economics, 111(4), S. 1081-1110.

Dieser Beitrag basiert auf einer Rede des Autors beim Zahlungsverkehrssymposium der Deutschen Bundesbank am 18. Mai 2017 in Frankfurt am Main.

Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Dr. Jens Weidmann , Aufsichtsratsvorsitzender (bis 31.12.2021 Präsident der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main) , Commerzbank AG
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