Digitalisierung als Chance für etablierte Vermögensverwalter

Chris Bartz Foto: Elinvar

Nicht die Abgrenzung im harten Wettbewerb zwischen Fintechs und etablierten Finanzdienstleistern, sondern die Partnerschaft unter Bündelung der jeweiligen Kernkompetenzen führt nach Ansicht der Autoren zu den besten Lösungen. Mit Blick auf die Vermögensverwaltung wollen sie diese Erkenntnis mit einer gemeinsam entwickelten und im Oktober 2017 an den Markt gebrachten digitalen Vermögensverwaltung in der Praxis zum Erfolg führen. Selbst über neue Chancen für den Ausbau des Geschäftsmodells wird schon nachgedacht, beispielsweise über den Einsatz im Stiftungsbereich. (Red.)

Wer "Robo Advisor" in die Suchmaske von Google eingibt, erhält knapp eine halbe Million Treffer. Unter den Suchergebnissen finden sich neben den neuen Playern inzwischen auch immer mehr traditionelle Banken und Vermögensverwalter. Damit ist die klassische Vermögensverwaltung aber noch lange nicht fit für das Zeitalter der Digitalisierung. Es ist entscheidend, den Kunden durch ein individualisiertes Angebot zu überzeugen, das die eigenen Kernkompetenzen widerspiegelt. Entscheidend sind Fragen wie diese: Wie richtet man sein Geschäftsmodell grundsätzlich auf das digitale Zeitalter aus? Was sind relevante Kompetenzen und wem bietet die Digitalisierung welche Chancen?

Vermögensverwaltung als Vertrauenssache

Bis 2021 wird das investierbare Nettovermögen von Wohlhabenden weltweit um knapp 25 Prozent auf 70 000 Milliarden US-Dollar ansteigen, prophezeit der jüngste EY Wealth Management Outlook. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge geht davon aus, dass in den kommenden Jahren bis 2024 jeder dritte Euro in Deutschland vererbt wird. Parallel zum Trend steigender Vermögen sowie der Verjüngung der Vermögenden werden erste Auswirkungen der Digitalisierung in der Vermögensverwaltung deutlich. Das digitale Angebot des US-amerikanischen Vermögensverwalters Vanguard verwaltet mittlerweile mehr als 80 Milliarden US-Dollar. Auch der deutsche Markt wandelt sich rasant - sowohl Fintechs als auch Banken haben eigene Angebote entwickelt. Dieser Prozess wird sich nicht aufhalten lassen. Im Gegenteil: Insbesondere vermögende Kunden sind affin für digitale Lösungen und erwarten schlüssige Konzepte, die auf ihre individuellen Vorgaben und Ziele eingehen. Entsprechend suchen auch etablierte Vermögensverwalter nach der richtigen Strategie.

Erfolgreiche Strategien basieren auf Kompetenz und eigenen Stärken. Dabei bleibt in der Vermögensverwaltung ein Wert besonders wichtig: das Vertrauen der Kunden. Und genau hier sind die Etablierten den jungen Start-ups weit voraus. Die langjährige Erfahrung in der Betreuung von Vermögenden und die breite Basis an Expertenwissen, wie es viele Banken vorweisen können, stellt ein wesentliches Auswahlkriterium bei der Wahl des richtigen Partners zur Delegation der eigenen Anlageentscheidungen dar. Welchen Einfluss das über viele Jahre etablierte und gepflegte Kundenvertrauen haben kann, belegt das Beispiel des erwähnten Vermögensverwalters Vanguard. Dieser entwickelte unter seiner eigenen Marke und auf Grundlage seiner fundierten Kapitalmarktexpertise ein digitales Angebot und konnte damit innerhalb von nur zwei Jahren die genannten 80 Milliarden US-Dollar sammeln. Damit hat das etablierte Unternehmen rein digitale Wettbewerber wie etwa Betterment (10 Milliarden US-Dollar Assets under Management in zehn Jahren) in kürzester Zeit deutlich hinter sich gelassen.

Auch diesseits des Atlantiks gilt es für etablierte Vermögensverwalter und Privatbanken genau diese Stärke rund um ihre etablierte Marke, ihre bewiesene Investmentexpertise und ihre von Kunden geschätzten Inhalte zu nutzen. Die Digitalisierung bietet das Potenzial, durch effiziente Prozesse und individualisierte Kundenansprachen größere Zielgruppen zu erreichen. Die Möglichkeiten konsequent weiter gedachter digitaler Vermögensverwaltung gehen dabei über die heute verfügbaren Angebote weit hinaus. Auf Basis digitalisierter Anlageprozesse können individuelle Kundenvorgaben und Einschränkungen in hochpersonalisierte Portfolios überführt werden. Regelgebundene Anlageprozesse können sinnvoll mit qualitativen Markteinschätzungen aus dem Asset Management verknüpft werden.

Banken und etablierte Vermögensverwalter verfügen über das erforderliche Wissen, die Erfahrung sowie die Kapazitäten, diese Themen inhaltlich zu besetzen und in kundengerechte Angebote zu überführen. Sie sind prädestiniert dafür, diesen Transformationsprozess aktiv zu gestalten und von ihm zu profitieren. Schließlich seien noch zwei weitere Umstände genannt, die geradezu verkaufsfördernd für eine digitale Vermögensverwaltung wirken: zum einen die Anforderungen durch die Regulierung, die sich digital einfacher erfüllen lassen. Zum anderen das andauernde Niedrigzinsumfeld, das den Vermögenserhalt in liquiden Anlagen zu einer komplexen Herausforderung macht.

Individuelle Kernkompetenzen klar kommunizieren

Bereits in anderen Bereichen hat sich eines deutlich gezeigt: Wer versucht, zu viele Bereiche mittelmäßig abzudecken, verliert in der Kundenwahrnehmung an Profil und steht für nichts. Dies beweist ein Blick auf andere Branchen wie zum Beispiel den Handel, für den diese Entwicklung durch die Digitalisierung besonders früh einsetzte. Amazon ist es dort gelungen, disruptiv zu wachsen. Sukzessive wurde der klare Fokus auf den Verkauf von Büchern aufgegeben und das Angebot auf andere Warengruppen ausgeweitet. Etablierte Anbieter, Warenhäuser wie Fachhändler, wurden so verdrängt. Bestehen können die, die entweder über ähnliche Prozesse im Preis wettbewerbsfähig bleiben oder solche, die ihr Angebot auf bestimmte Produkte und Zielgruppen konzentrieren und hierdurch Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufbauen. Im E-Commerce wird dies sichtbar durch das Aufkommen von Spezial- und/oder Premiumanbietern, denen es gelingt, das Markenerlebnis in ein digitales Umfeld zu überführen.

Wahrnehmung als Ziel

Wer zu viele unterschiedliche Leistungen anbietet und sich nicht auf seine Kernkompetenzen konzentriert, setzt sich der Gefahr aus, kaum oder nur als durchschnittlich wahrgenommen zu werden. Die Digitalisierung führt zu Transparenz und Zugang, sodass rausfällt, wer nicht auffällt. Bereits seit einigen Jahren sind deshalb vor allem jene erfolgreich, deren Strategie den konkreten Kundennutzen in den Mittelpunkt stellt und auf klaren Kernkompetenzen beruht. Beispiele wie das der Interhyp zeigen, dass Kunden auch im Finanzbereich häufig Spezialisten vertrauen. Interhyp fokussiert sich ausschließlich auf private Baufinanzierungen und war damit zuletzt erfolgreich.

Die glaubhafte Vermittlung von Kernkompetenzen ist demnach eine wichtige Voraussetzung, um die Digitalisierung als Chance zu nutzen. Dies gilt gerade auch in der Vermögensanlage, bei der Individualisierung, Asset-Management-Erfahrung und Vertrauen von besonderer Relevanz sind. Zum nachhaltigen Erfolg kommen allerdings weitere Faktoren hinzu: Skalierbarkeit und Adaptionsfähigkeit. Digitalisierung ermöglicht es, das auf den Kernkompetenzen beruhende Geschäftsmodell schnell über regionale Grenzen wachsen zu lassen, neue Kundengruppen zu erreichen, Cross-Selling im Kundenbestand zu realisieren und die eigene Leistungsfähigkeit durch Effizienz zu steigern. Dafür bedarf es grundsätzlich der Offenheit für digitale Prozesse und moderne Technologien.

Die oben beschriebenen erfolgreichen Lösungen, die etwa Onlineanbieter wie Amazon, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook etabliert haben, beeinflussen heute in hohem Maße die Erwartungshaltung, die Kunden auch gegenüber ihren Banken und Vermögensverwaltern vorbringen. Sie bricht sich nicht nur Bahn im Neukundengeschäft, sondern mittlerweile genauso im Bestandsgeschäft. Die Vermögensverwalter müssen sich also darauf einstellen, dass alle Kunden einen branchenübergreifend hohen Anspruch an das digitale Nutzererlebnis haben. Dies schließt sowohl Design und intuitive Nutzerführung ein als auch ein personalisiertes Service- und Beratungserlebnis, das Informationen über alle Kontaktpunkte zum Kunden intelligent verbindet, um Qualität und Kundennutzen systematisch zu maximieren.

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit führt jedem vor Augen, dass sich diese Entwicklung zunehmend beschleunigt. Das I-Phone feierte 2017 erst seinen zehnten Geburtstag und ist schon heute aus vielen Lebens- und Arbeitsbereichen nicht mehr wegzudenken. Auch die Entwicklung von Alexa-Skills (das Ökosystem für Lösungen externer Anbieter auf Basis von Amazons Sprachassistenten, vergleichbar mit dem App-Store von Apple) veranschaulicht das Tempo: In weniger als zwei Jahren stieg die Anzahl der verfügbaren Skills für Amazons Sprachassistenten von wenigen 100 auf über 20 000. Das Motto "mobile first" wurde innerhalb kürzester Zeit von "voice first" und nunmehr von "artificial intelligence first" als Leitmotiv der Entwicklung abgelöst.

Die Zukunft bleibt ungewiss. Allerdings kann und sollte man aus der Vergangenheit lernen: Das rasante Tempo, mit dem sich Technologie entwickelt, wirkt sich auf Märkte und Nutzerverhalten aus. Die Vermögensverwaltung wird hier keine Ausnahme machen. Für eine erfolgreiche Digitalisierung der Vermögensverwaltung bedeutet das vor allem: Die eingesetzte technologische Plattform muss entsprechend adaptionsfähig sein, um auch kurzfristige Veränderungsschritte zu ermöglichen und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern.

Partnerschaft für die besten Lösungen

Bei aller Theorie stellt sich die Kernfrage: Wie geht man die Digitalisierung praktisch an? Wo liegen die eigenen Kernkompetenzen, für die man bei den Kunden wahrgenommen wird? Und welche Leistungen werden besser und effizienter über Partner abgewickelt? Am erfolgreichsten sind dabei jene, die ihre eigenen Kompetenzen sinnvoll mit denen eines oder mehrerer Partner ergänzen, ohne Brüche zu erzeugen. Die gemeinsam von M. M. Warburg & CO und Elinvar entwickelte und eingeführte digitale Vermögensverwaltung Warburg Navigator steht hier beispielhaft für eine solche Partnerschaft und die erfolgreiche Digitalisierung eines etablierten Angebots.

Ausgangspunkt der Partnerschaft waren Überlegungen der Hamburger Privatbank, eine eigene teils auf prognosefreien und teils auf prognosebasierten Elementen beruhende Anlagestrategie in ein digitales Angebot zu überführen. Das Berliner Fintech Elinvar wiederum war angetreten, eine digitale Vermögensverwaltungsplattform für Banken und Vermögensverwalter zu etablieren. Im Herbst 2016 mündeten die Bestrebungen Warburgs in konkrete Umsetzungsschritte, Elinvar wiederum sondierte mögliche Erstkunden. Beim Kennenlernen wurde schnell deutlich, dass beide Seiten eine ähnliche Zukunftsvision für die digitale Vermögensverwaltung haben.

Anfang 2017 wurde mit der Entwicklung des digitalen Angebotes begonnen, das nach einer dreimonatigen Soft-Launch-Phase bereits im Oktober 2017 an den Markt gehen konnte. Warburg Navigator, der Anlegern die Vermögensverwaltungsexpertise der Privatbank digital zugänglich macht, basiert inhaltlich vollständig auf der Marke und fachlichen Expertise von M.M. Warburg & CO. Die technische Plattform hingegen, vom Onboarding-Prozess inklusive Kundenidentifikation über das Ordermanagement bis hin zum Kundenportal und Hosting des gesamten Angebots, stellt Elinvar maßgeschneidert bereit - inklusive der entsprechenden internen Plattform für M.M. Warburg & CO zur Steuerung des Geschäfts.

Verbindung von prognosebasierten und prognosefreien Ansätzen

Mit dem Warburg Navigator erhält der Anleger im Ergebnis ein Angebot, das ihm die bewährte Anlageexpertise mit modernster Technologie kombiniert. Diese digitale Vermögensverwaltung verbindet dabei prognosebasierte und prognosefreie Ansätze bei der Portfoliokonstruktion, um die Vorteile aus beiden Welten zu vereinen. Im Warburg Navigator wird diese nicht triviale Herausforderung gelöst, indem ein prognosefreies, mathematisches Grundmodell durch prognosebasierte Elemente so "gelotst" wird, dass die Navigator-Portfolios direkt von den fundamentalen Einschätzungen des Makro-Researchs und der langjährigen Erfahrung des Asset Managements der Privatbank profitieren. Damit wird aus einer prognosefreien Black Box ein nachvollziehbarer Anlageprozess.

Auf dieser Grundlage wird sich das Angebot stetig weiterentwickeln und sieht für die Zukunft zum Beispiel hochpersonalisierte Portfolios vor, die aus den individuellen Vorgaben und Präferenzen der Investoren digital konzipiert, umgesetzt und laufend angepasst werden. Es wird schon bald möglich sein, selbst spezifische Vorgaben im Bereich der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen und die wachsende Nachfrage danach mit individuellen Einzeltitelportfolios zu bedienen.

Was sich jetzt noch wie reine Zukunftsmusik anhört, könnte schon in einem Jahr Realität werden und damit beweisen, dass das vielzitierte Wort "Disruption" auch für das Asset Management selbst eine Relevanz hat. Wer mit dieser Entwicklung eine kalte, virtuelle Welt des Investierens ohne menschliche Komponenten assoziiert, liegt übrigens falsch. Gerade die Personalisierung von Strategien verlangt nach hochqualifizierten Beratern, die den Kunden Möglichkeiten und Grenzen solcher Systeme erklären und aufzeigen können. Die stetige Weiterentwicklung von Warburg Navigator wird durch die Microservices-Architektur der Elinvar Plattform ermöglicht. Diese erinnert eher an die technologische Architektur von Netflix als an die einer traditionellen Bank - Ergebnis sind Innovationszyklen von Wochen statt Jahren.

Digitale Angebote für eine größere Zielgruppe im Neugeschäft sind allerdings nur ein Schritt. Die nachhaltige Aufstellung des Geschäftsmodells im digitalen Zeitalter und die Ansprüche an ein modernes Nutzererlebnis erfassen wie oben erwähnt zwangsläufig auch das Bestandsgeschäft. Wesentliches Handlungsfeld ist die smarte Verknüpfung von Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette als Voraussetzung aller zukünftigen Entwicklungen und einem durchgehenden Service- und Beratungserlebnis über alle Kundenkontaktpunkte.

Vom digitalen Angebot zum Geschäftsmodell im digitalen Zeitalter

Zudem werden durch die analytischen Möglichkeiten der Microservices-Architektur die Erfüllung und Dokumentation regulatorischer Anforderungen wie beispielsweise durch MiFID II genauso wie Backtestings über die gesamte Wertschöpfungskette zur kontinuierlichen Verbesserung der eigenen Prozesse signifikant vereinfacht. Diese Adaptionsfähigkeit und flexible Reaktion auf Veränderungen von Technologien, Endgeräten und Nutzerverhalten wie auch Regulierung ist Voraussetzung nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit.

Zugleich entstehen neue Chancen für den Ausbau des Geschäftsmodells. Mit geringem Aufwand können neue Angebote kundenzentriert umgesetzt werden. So kann beispielsweise durch die Kombination intelligent angeschlossener Nachhaltigkeitsratings und Echtzeitinformationen über Cashflowplanungen sowie spezieller Restriktionen im Stiftungsbereich ein Individualisierungsgrad erreicht werden, der bisher selbst für größte Anlagevolumen nicht möglich war.

Die Digitalisierung der Vermögensverwaltung bietet somit Chancen auf jeder Ebene. Etablierte Player haben dabei einen Vorteil durch ihre bekannte Marke, ihre bewährte Anlageexpertise sowie durch das bestehende Geschäftsvolumen. Um diesen ausspielen zu können, müssen sie die Digitalisierung aktiv angehen und das eigene Geschäftsmodell auf Basis klarer Kernkompetenzen weiterentwickeln. Dabei entstehen die besten, tragfähigsten und erfolgreichsten Lösungen in Partnerschaft.

Chris Bartz, CEO und Co-Gründer, Elinvar, Berlin
Jan Kühne, Leiter Digitalisierungsstrategie, M.M. Warburg & CO, Hamburg
Chris Bartz , CEO & Co-Founder , Elinvar GmbH

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