Finanzbildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Hans Joachim Reinke Foto: Union Investment

Das Marktforschungsinstitut Kantar Emnid hat in einer Studie untersucht, wie Bevölkerung und Experten den Wissensstand über Geld und private Finanzen einschätzen, welche Herausforderungen sie sehen und wer die Verantwortung für eine Verbesserung übernehmen soll. Der Autor erläutert die Schlüsse, die aus der von seinem Haus beauftragten Studie gezogen werden können, und welche weiteren Maßnahmen geplant sind, um die Finanzbildung in Deutschland mittel- bis langfristig zu verbessern. (Red.)

Wenig ist passiert, seit sich vor zwei Jahren die 17-jährige Naina über den Kurznachrichtendienst Twitter beklagte, dass sie zwar in mehreren Sprachen Gedichte analysieren könne, aber von Steuern, Miete oder Versicherungen keine Ahnung habe, und damit eine öffentliche Debatte auslöste. Die Riesenwellen, die die Schülerin mit ihrem Tweet in den Medien ausgelöst hat, sind zumindest in der Öffentlichkeit weitgehend abgeebbt. Es gibt zwar etliche Initiativen, die sich für eine bessere Finanzbildung engagieren. Häufig decken sie aber nur einen Teilbereich wie Überschuldung, Altersvorsorge oder Geldanlage ab. Einen 360-Grad-Blick auf das Thema haben nicht besonders viele Akteure.

Auch gesellschaftspolitisch erreicht das Thema ebenfalls noch nicht den Stellenwert, der notwendig wäre. Dabei macht eine neue Studie deutlich, dass gerade auch die Politik gefordert ist. Aber allein kann sie es natürlich nicht richten. Eltern, Schulen und auch Unternehmen wie etwa Banken sollten ihren Teil zu einer besseren Finanzbildung beitragen.

Hoher Stellenwert für Wissen über Geld und Finanzen

Tatsächlich ist das Wissen über Geld und persönliche Finanzen für die Deutschen der wichtigste Bildungsbereich, noch vor Gesundheit, Politik und Ernährung. Nach Expertenmeinung wird die Bedeutung in den nächsten zehn Jahren sogar weiter ansteigen. Auseinander gehen die Einschätzungen zwischen der befragten breiten Bevölkerung und den befragten Experten beim Thema Aktien und Fonds: Von den Experten sieht immerhin jeder zweite (53 Prozent) auch bei diesem Thema eine bessere Finanzbildung als wichtig an. Bei der befragten Bevölkerung ist es nur rund jeder Dritte (33 Prozent).

Wie es um das Wissen rund ums Geld steht, da gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Während sich die breite Bevölkerung bei der eigenen Finanzkompetenz die Schulnote 2,5 gibt, erhält sie von den Experten nur eine 3,8. Mehr als 50 Prozent der befragten Bevölkerung bewerten das eigene Wissen optimistisch mit gut oder sehr gut. Nur 5 Prozent der Experten vergeben diese Note. Die Studie zeigt, dass Experten Defizite bei der finanziellen Bildung feststellen. Das

Überraschende dabei ist, dass diese den eigentlich Betroffenen im Alltag möglicherweise gar nicht auffallen. Das kann sie teuer zu stehen kommen.

Die größten Defizite verspüren die Deutschen, wenn es um Themen wie Altersvorsorge (89 Prozent), Zinsen und Schulden, Ratenzahlung und Haushaltsbudget (je 79 Prozent), Zinsen und Sparen (76 Prozent) oder Versicherungen (72 Prozent) geht. Mangelndes Wissen zum Thema Geld und Finanzen zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografien vieler Menschen im Land. In jeder Altersstufe rücken unterschiedliche Fragestellungen in den Mittelpunkt. Kinder und Jugendliche sehen Probleme am ehesten bei den Themen Schulden, Ratenzahlung und Haushaltsbudget. Im dritten Lebensjahrzehnt, wenn die meisten langsam auf eigenen Beinen stehen, tritt der Fragenkomplex Versicherungen in den Vordergrund. Die 30- bis 39-Jährigen sehen sich durch mangelndes Finanzwissen vor allem bei der Geldanlage mit Aktien und Fonds gelähmt. Bei den 40- bis 49-Jährigen liegt das Thema Zinsen und Sparen mit vorn, bei den 50- bis 59-Jährigen Versicherungen. Die Generation 60-plus wiederum verspürt Wissensdefizite bei der Geldanlage mit Aktien und Fonds.

Mix der Hindernisse

Als größte Hindernisse auf dem Weg zu einer besseren Finanzbildung sehen Experten eine zu geringe Behandlung des Themas in der Schule, mangelnde Wissensvermittlung im Elternhaus und fehlende Eigenverantwortung junger Menschen. Das Wissen über Geld ist kein positiv besetztes Lifestyle-Thema, daher benennt knapp die Hälfte der befragten Experten "Desinteresse" als weiteres großes Hindernis. Die Zahlen legen nahe, dass es nicht die eine ultimative Ursache für die Herausforderungen in der Finanzbildung gibt. Es scheint ein Mix aus verschiedenen Faktoren zu sein.

Die Hauptverantwortung für die Vermittlung von Finanzwissen weisen Experten derzeit vor allem den Familien zu (73 Prozent), gefolgt von den Schulen (55 Prozent). Die Eltern erhalten von den Fachleuten allerdings nur eine schwache Schulnote von 3,7 für die Qualität ihrer Wissensvermittlung. Noch schlechter fallen die Noten für die Vermittlung von Finanzwissen in den Schulen (4,1) aus. Die Politik bekommt von den Experten eine 4,0. Besonders umstritten ist die Rolle der Schule: Nur jeder dritte Deutsche (36 Prozent) gibt an, dass ihm wichtiges, auch heute noch relevantes Finanzwissen in der Schule vermittelt wurde. Ihre Rolle sollte deutlich gestärkt werden. Doch die Schule kann nur ein Teil der Lösung sein. 73 Prozent der Bevölkerung wünschen sich eine bessere Verankerung der Finanzbildung bereits in unteren Jahrgängen, 61 Prozent fordern dafür ein eigenes Schulfach.

Überrascht hat das Ergebnis der Studie, dass als Lösungsansatz am häufigsten die unternehmensinterne Weiterbildung genannt wurde. Vier von fünf Befragten (83 Prozent) halten es für chancenreich, das Thema Finanzbildung über innerbetriebliche Maßnahmen zu verbessern. Drei Viertel der Befragten (74 Prozent) wünschen sich eine Stärkung der Elternkompetenzen. Auf Platz drei folgt die Schule mit 73 Prozent. Hier anzuknüpfen könnte ein Baustein auf dem Weg zu einer verbesserten Finanzbildung in Deutschland sein. Interessant ist aber, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter zunehmend auch über Themen wie Altersvorsorge oder Pflege informieren. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, Eltern hier zum Thema finanzielle Bildung abzuholen und so auf dieser Seite ebenfalls tätig zu werden.

Traurige Realität ist, dass bei vielen Menschen die sprichwörtliche Klappe fällt, wenn es ums solide Planen der eigenen Finanzen geht. Und das ist angesichts des festgestellten mangelnden Finanzwissens auch kein Wunder. Wer beschäftigt sich schon gern mit einem Thema, mit dem er sich nicht so gut auskennt. Stattdessen muss klar werden, dass bessere Kenntnisse nicht belasten, sondern entlastend wirken. Es ist kein Universitätsstudium nötig, um die wichtigsten finanziellen Angelegenheiten zu regeln. Das Thema darf nicht überakademisiert werden. Schließlich geht es darum, dass die Menschen ein klares Koordinatensystem haben sollten, auf dessen Basis sie besser beurteilen können, was finanziell gut und was schlecht für sie ist.

Die Studienergebnisse zeigen einerseits, wie groß der Handlungsbedarf bei der Finanzbildung ist, und andererseits, wie erheblich teilweise die Unterschiede im Meinungsbild der verschiedenen befragten Gruppen sind. Mit der Studie will Union Investment die öffentliche Debatte über das Thema voranbringen und sucht dazu den Dialog mit den betroffenen Gruppen. Denn wer letztlich für eine bessere Finanzbildung verantwortlich ist und wie diese verbessert werden könnte, sind Fragen, die keine Studie beantworten kann.

Als erste Maßnahme wurde daher im vergangenen November ein Workshop "Finanzbildung - Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit" mit allen relevanten Stakeholdern organisiert, um genau über diese Fragen gemeinsam zu diskutieren. Rund 40 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Banken, Verbraucherschutz und Schulen kamen nach Frankfurt. Die beim Workshop diskutierten Ideen reichten von der Gründung einer Stiftung bis hin zu kleinteiligeren Maßnahmen wie etwa einer Implementierung von Finanzpaten etwa in Schulen. Einigkeit bestand darin, dass Finanzbildung in den Schulen verstärkt gelehrt werden muss - sei es als eigenes Schulfach, im Rahmen einer Projektwoche oder eines Planspiels. Wichtig hierbei und bei diesem Punkt bestand Konsens: Die Ausbildung der Lehrer muss verbessert werden, damit sie das Wissen adäquat vermitteln können.

Der Berater als Wissensvermittler

Auf die Frage, was die Banken tun könnten, um die Finanzbildung zu fördern, lautete ein Vorschlag, dass die Beratung wissensvermittelnder sein solle. Diese Wissensvermittlung dürfte nach Meinung der Teilnehmer gerne auch im Schulunterricht stattfinden. Banken sollten ein "Netzwerk zu Schulen aufbauen" und bei regelmäßigen Besuchen "möglichst konkrete Hilfestellung" geben. Dieser Einsatz soll nach Wunsch der Teilnehmer langfristig angelegt sein.

Eine Idee für langfristigeres Engagement ist etwa fachliche Unterstützung bei der Gründung und der Arbeit von Schülergenossenschaften. Unternehmen hingegen könnten "Geschäftsberichte in einfacher Sprache" verfassen. Ein anderer Vorschlag ist die "einschlägige Ausbildung von Ausbildern" zum Thema Finanzen. Denn Ausbilder gehören zu den Multiplikatoren für das Thema. Sie sind in der Lage, in Unternehmen, Schulen oder anderen Einrichtungen ihr Wissen weiterzugeben. Vorstellen können sich die Teilnehmer des Workshops "Starterpakete bei der Berufs- und Studienberatung" oder "Bildungsurlaub" zur Erweiterung des Finanzwissens. Zudem regten die Teilnehmer eine steuerfinanzierte Stiftung an, die Trainer zertifiziert und diese dann in Schulen und Unternehmen zur Weiterbildung einsetzt. Auf Basis der Ergebnisse dieses ersten Workshops wird ein Thesenpapier erstellt, das grundsätzliche Leitlinien für eine nachhaltige Verbesserung der finanziellen Bildung in Deutschland aufzeigt. Dieses soll dann am 29. Mai in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dies kann ein erster Baustein auf dem Weg zu einer besseren Finanzbildung in Deutschland sein.

Hans Joachim Reinke

Vorstandsvorsitzender, Union Investment, Frankfurt am Main

Hans Joachim Reinke , Vorsitzender des Vorstands , Union Investment, Frankfurt am Main
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