Fintech 2.0 und Robo Advisor - Drohpotenzial oder sinnige Ergänzung?

Deutsche Robo-Advisor-Anbieter*)

Prof. Dr. Klaus Fleischer, Professur für Finanz-, Bank- und Investitionswirtschaft, Hochschule München; Of Counsel Baker Tilly Roelfs, München - Neben Regulierung und Digitalisierung gehört derzeit ohne Frage das Thema Fintechs zu den Herausforderungen der Kreditwirtschaft. Viele Praktiker aus den etablierten Banken, das zeigen auch die Beiträge dieses Heftes aus dem Geschäftsbereich Private Banking und Wealth Management, nehmen die neue Konkurrenz überaus ernst. Aus Sicht des Autors sind nicht die Insellösungen die eigentliche Gefahr für die Kreditwirtschaft, sondern Angriffe finanzkräftiger Weltkonzerne mit mächtigen Netzwerken. Mit Blick auf die Anlageberatung registriert er im Umfeld der Robo-Advisor-Ansätze zwar einen deutlichen Druck auf die Verwaltungs- und Vertriebsgebühren, sieht aber für das wirklich gehobene Private-Banking-Geschäft unter den Fintech-Robos bislang noch keine bahnbrechende Geschäftsmodelle, um eine individuelle professionelle Beratung zu ersetzen. (Red.)

Derzeit herrscht eine hohe Euphorie und der internationale Fintech-Hype gewinnt zunehmend an Fahrt. Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es weltweit über 12000 Fintechs mit zirka 250 000 Beschäftigten mit einem Investitionsvolumen von mehreren Milliarden Euro. In Deutschland lassen sich derzeit rund 250 Jungunternehmen mit Fintech-Hintergrund lokalisieren.1) Die erzielten Erfolge und Perspektiven von Fintechs werden dennoch unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert.

Nur ein Hype?

Die Anhänger traditioneller Bankkulturen mahnen zur Vorsicht. Sie versuchen, die Erfolge als temporären Kult mit segmentiertem Nutzen und hoher Verfallszeit zu entkräften. Sie führen unter anderem ins Feld, dass die derzeitige Erfolgsquote von Startups mit Fintech-Bezug im Verhältnis von zirka 1 zu 50 wenn nicht gerade mal 1 zu 100 gering sind. Zudem seien die Geschäftsmodelle vieler neuer Marktteilnehmer auf Dauer nicht tragfähig. Somit zeichne sich ähnlich wie vor 15 Jahren mit dem Internet-Hype womöglich eine neue Dotcom-Blase für die Fintech-Welt ab, wenn nicht eine überfällige Marktbereinigung erfolge.

Diese Betrachtungsweise greift aber zu kurz. Richtig ist, dass die Newcomer auf den Siegeszug der Digitalisierung und den Stärken des Internets aufbauen, denn zwischenzeitlich ist Onlinebanking zur Selbstverständlichkeit mit hohem Sättigungsgrad bei den Deutschen geworden. Daher sinkt die Annahmeschwelle für im Netz angebotene Fintech-Dienstleistungen. Sie definieren folglich Bankdienstleistungen klassischer Provenienz neu mit der Zielsetzung in einzelnen Nischen und Prozessketten Gebühren, bei zugleich höherer Transparenz und Schnelligkeit, einzusparen (Klassifizierung als erste Generation Fintech 1.0).

Nicht nur Einzelauftritte

Bevorzugt greifen sie isoliert die Wertschöpfungskette der Dienstleistungssegmente wie Direkt-Payment, Finanzierungen und neuerdings beratungsfreies Portfoliomanagement der Banken an. Durch Aufbrechen lokalisierter Schwachstellen führen sie mittels neuester Technologien und Internetanbindung innovative "Insellösungen" zum Erfolg. Ermöglicht wird dies durch Wettbewerbsvorteile, da Fintechs schnell und wendig sind und sich ohne Altlasten vom Start an in erfolgversprechende Zukunftssegmente des Banking 4.0 einklinken können.

Die Hauptgefahr für Banken liegt aber weniger in den Einzelauftritten der Fintech 1.0, da deren Gefahrenpotenzial sich lokalisieren lässt und durch kritische schnelle Überarbeitung vorhandener Geschäftsmodelle - etwa durch einen Digitalisierungsschub - eingegrenzt werden kann. Größeres Gefahrenpotenzial besteht, wenn Fintechs der zweiten Generation (Fintech 2.0) über eine Segmentierung hinausgehen und ein Kurswechsel in Richtung Open Data und Programmschnittstellen APIs (Application Programming Interfaces) bewirken und im Schwarm auftreten.

Das Beispiel Mobile Wallet zeigt, wie digital und mobil verschiedene Funktionen, Produkte und Dienstleistungen über Software-Applikationen (Apps) integrierbar sind. Hinter den operativen Angreifern lauern mit Amazon, Google, Apple & Co zudem finanzkräftige Weltkonzerne mit mächtigen Netzwerken. Eine Bündelung würde in wichtigen Finanzdienstleistungsbereichen die Bildung von Parallelwelten mit Monopolcharakter etablieren und somit eine ernsthafte Gefährdung der Bankenwelt darstellen. Großvolumige Finanzierungen2) und erfolgreiche Börsengänge3) vor allem in Übersee, verbunden mit spektakulären Marktauftritten und Wachstumsraten vor allem im Bereich der Kredit vermittlung, verdeutlichen das kommende Gefahrenpotenzial durch Fintechs 2.0.

Reaktion vonseiten der Großbanken

Begünstigt wird diese Entwicklung durch den hohen Vertrauens- und Imageverlust der Banken aufgrund der Finanzkrise. In Zeiten extrem niedriger Zinsen, volatiler Märkte und steigender regulatorischer Anforderungen verschärft sich der Wettbewerb unter den Banken und hinterlässt deut liche Spuren in den Bilanzen. Speziell kleine und mittlere Institute sind von dieser Entwicklung zunehmend betroffen. Infolge straffer Kosteneinsparungsprogramme wer den sie immer mehr in die Defensive gedrängt mit der Folge, dass sich unter anderem die Defizite in der Digitalisierung nicht abbauen, sondern noch ausweiten.

Große Banken stehen der Herausforderung gelassener gegenüber. So betonte der Vorstand von Goldman Sachs Europa, Richard Gnodde, jüngst in einem Interview, dass man richtig läge, sich selbst als globales Fintech zu bezeichnen, da nahezu ein Fünftel der Belegschaft bei Goldman Sachs Technologieexperten sind und zudem enorm hohe Investitionen in die Digitalisierung gepumpt werden.

Die Großbanken haben die Gefahren erkannt und entsprechend reagiert. Sie haben zwischenzeitlich die erste Welle der Digitalisierung bewältigt und haben ihre Innovationstechniken vor allem für einfache Onlinetransaktionen erfolgreich modernisiert. Zudem sichern sie sich durch direkte Beteiligungen oder über Risikokapitalmarktfonds Fintech-Erkenntnisse und zapfen sie als "externes Reserach Lab" an. Um die besten digitalen Angebote ist bereits ein harter Wettbewerb entbrannt. Ein rein finanzielles Engagement oder der Aufbau eines Inkubators dürften dabei nicht ausreichen. Vielmehr müssen Banken Fintechs in ihre Kerngeschäfte integrieren, um nachhaltige Synergien abschöpfen zu können.4)

Kooperationen als Lösung

Auch über den Weg partnerschaftlich gleichberechtigter Kooperationen wird nachgedacht, um für die weiteren Herausforderungen gerüstet zu sein. Lösungen zur Befriedigung der immer komplexer werdenden Kundenbedürfnisse erfordern hohen Ressourceneinsatz, um eine geschlossene Kette von Onlineprozessen schaffen zu können.5) Der Trend weist eindeutig in Richtung Kooperation. Der Markt ist hierzu bereit, denn bereits 60 Prozent der Fintechs bieten ihre Dienste den Banken an. Auf Start-up-Netzwerken wie beispielsweise dem geschlossenen Netzwerk Fintech Headquarter sollen Akteure und Institutionen der Fintech-Szene mit der Anbahnung von Geschäftskontakten und Partnerschaften bis hin zu einzelnen Finanzierungsrunden vernetzt werden. Auch im Wissenschaftsbereich werden aktive Plattformen betrieben beziehungsweise sind im Entstehen. Nützliche Informationen und aktuelle Übersichten über bestehende Kooperationen liefern fachbezogene Blogs.6)

Triebfeder ist die Erkenntnis, dass beide Gruppen, Banken und Fintechs, aufeinander angewiesen sind, um gegen große bestehende und kommende Herausforderungen gewappnet zu sein und langfristig überleben zu können. Dies gilt besonders für den Bereich der Cyberkriminalität, die beide Parteien gleichermaßen bedroht. Die Regulierer wie die Deutsche Bundesbank und EZB werden deshalb auch nicht müde auf die Gefahren speziell bei der Terrorfinanzierung hinzuweisen, bei denen auch Fintechs behilflich sein könnten.7) Dies tangiert insbesondere die Bereiche der Payments-Programme und speziell die Entwicklung von Blockchain-Technologien.8) Nach Expertenmeinungen dürften sie möglicherweise den nächsten disruptiven Wandelschub im Transaktionsgeschäft der Banken hervorrufen.

Newcomer im Anlagesektor

Weltweit 30 global tätige Banken, unter ihnen auch die Deutsche Bank und Commerzbank, sitzen schon sehr frühzeitig in der Entwicklung in einem gemeinsamen Boot. Sie haben sich unter dem Dach der Industrie-Initiative R3 zusammengeschlossen, um vergleichbar mit Swift einen gemeinsamen Standard zu schaffen. Inwieweit die Gefahr einer Fragmentierung nach Assetklassen besteht und dies einschneidende Veränderungen auf die An lageberatung haben wird, lässt sich im gegenwärtigen Stadium9) schwer abschätzen.

Private Banking erfreut sich großer Beliebtheit und weist trotz hartem Wettbewerbs- und starkem Margendruck erfreuliche Wachstumsraten auf.10) Nach traditionellem Verständnis entscheidet der persönliche Kontakt und die qualifizierte Beratung maßgeblich den Erfolg im Private Banking. IT und Digitalisierung werden eher als notwendige Basis und Musskriterium für ein reibungsfrei ablaufendes Middle- und Back-Office angesehen.

Durch Fintech-Aktivitäten im Anlagesektor wird nun aber eine neue Dimension und Betrachtungsweise angestoßen. Der Trend zeigt in Richtung Multikanal und Digitalisierung, um gerade in den gehobenen Segmenten des Private Banking vor allem via mobiler Geräte inklusive intelligenter Apps Anlageentscheidungen zu treffen.

Robo Advisors

Dies aufgreifend und im offenen Wettbewerb sind im Markt bereits sogenannte Robo Advisors. Sie bestehen im Wesentlichen aus Onlinetools mit Algorithmen aus wissenschaftlich fundierten Modellen wie der Modernen Portfoliotheorie. Sie enthalten aber im Gegensatz zu den komplexen CAPM-Ansätzen (Capital Asset Pricing Model), die auf den Erkenntnissen der Nobelpreisträger Markowitz und Sharp aus den fünfziger Jahren aufbauen, in der Regel nur wenige Variablen wie Vermögens- und Risikosteuerung sowie Rebalancing-Automatismen. Durch einen laufenden Ausgleich besonders gut und eher schlecht laufender Assetklassen beziehungsweise einer optimierten Mischung wird eine positive Performance einer vollautomatisierten Anlageberatung - orientiert an allgemeinen Benchmarks - angestrebt.

Zielgruppe von Fintech-Robos sind Kunden, die eine objektive und produktunabhängige vollautomatische Anlageberatung suchen. Für sie steht im Vordergrund ein hoher quantitativer und qualitativer Datenservice via Internet, hohe Transparenz und Schnelligkeit und jederzeitige Verfügbarkeit.

Preis als Verkaufsinstrument

Den Programmen gemeinsam ist, dass sie nach einem Evaluierungscheck ihren Usern eine teils stark begrenzte Anzahl passiver Indexprodukte (ETFs und World-Indexfonds) anbieten, um somit den Zugang zum Anlageuniversum gerade Kleinanlegern zu gewährleisten. Aufgrund vollautomatisierter Prozessabläufe können sie einen hohen Kostenvorteil gegenüber den klassischen Anlage- und Vermögensverwaltern generieren.

So übersteigt die jährliche Kostenbelastung bei Robo Advising in der Regel nicht die 1-Prozent-Marke. Der auf Honorarberatung basierende Anbieter Quirion (Quirin Bank) verzichtet sogar weitgehend auf einen laufenden Kostenersatz. Das aktive Vermögensmanagement verlangt demgegenüber von seinen Kunden aufgrund seiner hohen persönlichen Verfügbarkeit und qualifizierten Beratung um die 2 bis 3 Prozent und mehr für laufende Verwaltungs- und Vertriebsgebühren von der Anlagesumme neben teils hohen einmaligen Abschlusskosten.

Aktuell lässt sich aus der Erkenntnis zahlreicher Marktstudien ableiten, dass ein großer Run weg von der individuellen Anlageberatung und ein damit verbundener Aderlass verwalteter Assets noch keine existenzielle Bedrohung im Private Banking darstellen. Dies bedeutet aber keine Entwarnung, denn gleichfalls gesicherter Erkenntnisstand ist, dass sehr wohl beträchtliche Marktanteile in einigen Bereichen des Retail-Bankings mit Schwerpunkt Microgeschäft im Kredit- und Anlagegeschäft von 20 Prozent und mehr abwandern werden.

Für das gehobene Private-Banking-Geschäft ist aber nicht zu übersehen, dass es den Fintech-Robos bislang noch an bahnbrechenden neuen Geschäftsmodellen mangelt. Zudem sind am Markt längst Gegenreaktionen zu beobachten. So haben schon seit geraumer Zeit Universalbanken über ihre Direktbanken und Vermögensverwalter erfolgreich sogenannte Portfolio-Optimiser im Programm, die teils deutlich komplexer und mit mehreren Schnittstellen ausgestattet sind, als Robo Advisors.11)

Finanzierung und Banklizenz als Hürden

Nach wie vor stellt die Finanzierung in Deutschland im Gegensatz zur Entwicklung in Übersee eine hohe Hürde für Robo Advisors dar, um Marktanteile durch IT-Wettbewerbsvorteile generieren zu können. Derzeit ist aber das Volumen an Kapital, das für reine Fintech-Finanzierungen bereitgestellt wird, eher bescheiden.12) Entscheidender erweisen sich Einstiegs- und Wachstumshürden der Fintech-Branche durch die wachsenden Anforderungen vonseiten der Regulierung, die selbst die Netzgiganten wie Google & Co fürchten, aber auch die immer deutlicher sich abzeichnende Notwendigkeit zum Erwerb und Führung einer Banklizenz.

Banken und Fintechs müssen zueinander finden. Sie sind aufeinander angewiesen, um überleben zu können. Fintechs müssen als willkommene Partner für standardisierte Anlageberatung angesehen werden. Robo Advisors als Insellösung im Portfoliomanagement haben bereits ihre Berechtigung und Anerkennung in der digitalen Angebotspalette im Markt gefunden. Sie können aber individuelle professionelle Beratung (noch) nicht ersetzen, da ihnen unter anderem die erforderlichen Schnittstellen fehlen. Die Zukunft liegt in der Kooperation und gegenseitigen Einbindung. Fintechs sorgen bereits heute für eine kräftige Auffrischung und sinnvolle Ergänzung im traditionellen Private Banking.

Insgesamt ist aber mit einem verlangsamten Wachstum der Fintech-Branche zu rechnen. Die Erfüllung wachsender Qualitätsstandards erfordert mehr Zeit und bindet höhere Ressourcen. Marktbereinigungen sind deshalb nicht ausgeschlossen. Die Zeit- und Projektzyklen bei getrennter Vorgehensweise passen sich durch die gleichen Aufgabenstellungen, insbesondere durch regulatorische Anforderungsprozesse an, sodass Wettbewerbsvorteile gleichermaßen abnehmen. Deshalb ist die Fortführung dualer Entwicklungen ökonomisch nicht vertretbar. Die Zukunft liegt in gleichberechtigten Kooperationen.

Fußnoten

1) Abruf am 2. Dezember 2015 unter http://de.statista.com/statistik/daten/studien/436311/ umfrage/fintech-unternehmen-in-deutschlandnach-geschäftsbereichen/

2) Derzeit sammeln Fintechs alleine in den USA eine Milliarde US-Dollar pro Monat ein. Für das Jahr 2014 beliefen sich die weltweiten Investitionen in Fintechs auf 12,2 Milliarden US-Dollar und konnten sich binnen Jahresfrist verdreifachen. Vgl. accenture: The Future of FinTech and Banking. Digitally disrupted or remained? 2014.

3) Deutschland weist einen Nachholbedarf aufgrund seiner im Vergleich zu den USA und Großbritannien schwachen IPO-, Start-up- und VC-Kultur auf.

4) Vgl. Oliver Wayman: FinTech2.0: Neue Chancen für Finanzdienstleister 2015, S. 5.

5) Zu den Veränderungen in der Branche durch Fintechs vergleiche auch die Studie Endava, Kommalpha: Asset Management2.0, September 2015, S. 23.

6) Beispielsweise der Blog PaymentandBanking. Abruf am 2. Dezember 2015 unter http://paymentandbanking.com/2015/05/17/cooperationsbeetwinbanksandfintechsinger-17-05-2015/

7) Vgl. Deutsche Bundesbank: Finanzstabilitätsbericht 2015.

8) Dahinter steht ein System, das beispielsweise die digitale Krypto-Währung Bitcoin absichern und kostengünstig gestalten soll. Zur Problematik vgl. Bitkom: Positionspapier zum Status Quo der Fintechs in Deutschland. 23. November 2015, S. 8.

9) Als erstes Pilotprojekt hat die Deutsche Bank eine Bondemission mittels eines privaten Blockchains erfolgreich durchgeführt.

10) Vergleiche Allianz Global Wealth Report 2015, S. 7 bis 10; Capgemini/RBC Wealth Management: World Wealth Report 2015.

11) Somit zählen die Directbroker der ersten Stunde wie Comdirect, Cortal Consors und DAB-Bank zu den Fintech-Pionieren und Vorgängern der heutigen Robos.

12) Detaillierte Aufschlüsselung über die Struktur und Finanzierungen von Fintech-Startups gibt Barkov Consulting: FinTech Money Map Germany 2015.

Klaus Fleischer , Prof. (em.) Finanz- und Bankwirtschaft, Hochschule München, München
Noch keine Bewertungen vorhanden


X