IWF-Herbsttagung 2014 - Wachstumsstrategien und Infrastrukturinvestitionen

Dr. Andreas Dombret, Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main - Wie bei vielen Konjunkturausblicken dieser Tage wurden bei der Herbsttagung von IWF und Weltbank die Wachstumsprognosen nach unten angepasst. Die Weltwirtschaft erholt sich nur verhalten und ungleichmäßig, mit erheblichen Abwärtsrisiken. Aus Sicht des Autors sollte diese Bestandsaufnahme angesichts des hohen Schuldenstandes vieler Staaten keineswegs zu staatlichen Konjunkturprogrammen zur Ankurbelung der kurzfristigen Nachfrage führen. Aber auch mit Blick auf die Förderung langfristiger Investitionen, wie sie die G20 ganz oben auf ihrer Agenda haben, warnt er vor pauschalem Optimismus. Inwieweit etwa die geforderten öffentlichen Investitionen in Deutschland die erhofften positiven Ausstrahleffekte auf andere Euro-Länder haben, will er nicht überschätzt wissen. Der Tendenz nach sieht er eine größere Gefahr für die wirtschaftliche Erholung im Euro-Raum durch nachlassende Reform- und Konsolidierungsanstrengungen. Mit Blick auf die Finanzmarktregulierung ist ihm nach wie vor die Lösung des "Too big to fail"-Problems ein großes Anliegen. (Red.)

Drei Themen standen im Zentrum der diesjährigen Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank sowie des parallel stattfindenden Treffens der G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure: der etwas eingetrübte Ausblick für die Weltwirtschaft, Maßnahmen zur Stärkung des globalen Wirtschaftswachstums und die Förderung von Infrastrukturinvestitionen. Das G20-Treffen diente außerdem dazu, das bevorstehende Gipfeltreffen der G20-Staats- und Regierungschefs in Brisbane vorzubereiten. Im Vordergrund standen dabei die G20-Wachstumsstrategien und die G20-Initiative zur langfristigen Investitionsfinanzierung. Geschäftspolitische Themen des IWF und Fragen der Finanzmarktregulierung wurden nur am Rande behandelt. Am Rande der Tagung fanden auch Treffen des Financial Stability Boards (FSB) statt.

Weltwirtschaft - Abwärtsrisiken steigen

Die Teilnehmer der Jahrestagung teilten die überwiegend nach unten revidierten Wachstumsprognosen des IWF. Danach wird sich die Weltwirtschaft trotz einiger Rückschläge weiter moderat erholen, allerdings etwas schwächer als erwartet und mit wachsenden Unterschieden zwischen Ländern und Regionen. Die USA werden stärker expandieren, Japan und der Euro-Raum werden sich dagegen schwächer entwickeln. Die Schwellenländer weisen weiterhin vergleichsweise solide Wachstumsraten auf, doch auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen den Ländern, und das Wachstum könnte moderater ausfallen als bisher angenommen.

Zudem sind nach allgemeiner Einschätzung die Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft gestiegen. Insbesondere könnten zunehmende geopolitische Spannungen die Konjunktur dämpfen. Auch gibt es Anzeichen dafür, dass die gestiegenen Risiken auf den internationalen Finanzmärkten unterschätzt werden, was die Gefahr steigender Volatilitäten birgt. Weitere Abwärtsrisiken für die Weltkonjunktur sieht der IWF im Zusammenhang mit der Normalisierung der US-Geldpolitik und einer anhaltend niedrigen Inflation im Euro-Raum.

Aus Sicht der Bundesbank gibt es jedoch derzeit keine Anzeichen für einen breit angelegten Preisrückgang im Euro-Raum. So resultieren die niedrigen Inflationsraten vor allem aus rückläufigen Energie- und Lebensmittelpreisen sowie Anpassungsprozessen in den Krisenländern. Eine größere Gefahr für die wirtschaftliche Erholung im Euro-Raum droht durch nachlassende Reform- und Konsolidierungsanstrengungen.

Wirtschaftswachstum durch Strukturreformen nachhaltig stärken

Die Weltwirtschaft erholt sich zurzeit also nur verhalten und ungleichmäßig. Vor diesem Hintergrund wurden bei den Treffen von IWF und G20 intensiv Maßnahmen diskutiert, die helfen könnten, ein robustes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum der Weltwirtschaft sicherzustellen.

Diese Diskussion knüpft auch an die Agenda der australischen G20-Präsidentschaft an, auf der die Stärkung des globalen Wirtschaftswachstums eine prominente Rolle einnimmt. Auf ihrem Treffen in Sydney im Februar 2014 hatten sich die G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure auf die "2 in 5"-Wachstumsinitiative verständigt. Mit dieser Initiative soll das gemeinsame Bruttoinlandsprodukt in den fünf Jahren bis 2018 um zusätzlich mindestens 2 Prozent über den damals vom IWF prognostizierten Pfad gesteigert werden. Dazu wurden die Mitgliedsländer aufgefordert, bis zum G20-Gipfel in Brisbane umfassende und detaillierte nationale Wachstumsstrategien auszuarbeiten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Strukturreformen, was ausdrücklich zu begrüßen ist.

Die G20-Länder haben bereits umfangreiche Reformzusagen gemacht. IWF und OECD gehen davon aus, dass diese Reformen ein Wachstumsplus von 1,8 Prozent bewirken werden. Um die angestrebten 2 Prozent zu erreichen, sind also noch weitere Maßnahmen erforderlich. Damit die ambitionierte "2 in 5"-Wachstumsinitiative jedoch erfolgreich ist, kommt es darauf an, die zugesagten Reformen auch tatsächlich umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist es zu begrüßen, dass die G20-Mitglieder die Umsetzung der Reformen gegenseitig überwachen werden.

Risiken einer anhaltend lockeren Geldpolitik

Der IWF-Lenkungsausschuss (IMFC) hat während der Tagung betont, dass in Volkswirtschaften mit unterausgelasteten Kapazitäten auch weiterhin eine akkommodierend makroökonomische Politik erforderlich ist, um das kurzfristige Wachstum zu fördern. Nach Ansicht des IWF sollte insbesondere vermieden werden, die Geldpolitik in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu früh zu normalisieren.

Nicht angebracht scheinen Forderungen des IWF, die Geldpolitik im Euro-Raum noch weiter zu lockern, falls die Inflationsraten anhaltend niedrig bleiben sollten. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund der erst kürzlich beschlossenen unkonventionellen Maßnahmen der EZB, die erst noch ihre volle Wirkung entfalten müssen. Es gilt auch angesichts der zunehmenden Risiken einer anhaltend lockeren Geldpolitik für die Finanzstabilität. Letztlich kann die Geldpolitik nur Zeit kaufen. Diese Zeit muss die Politik nutzen, um die notwendigen Reformen umzusetzen.

Mit Blick auf die Fiskalpolitik ist hervorzuheben, dass der IMFC empfiehlt, die Staatsverschuldung auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen sowie die Qualität und Zusammensetzung der Staatsausgaben zu verbessern. Problematisch sind dagegen Vorschläge, staatliche Konjunkturprogramme aufzusetzen, um kurzfristig die Nachfrage zu stimulieren. Konjunkturpolitische Strohfeuer sind wenig hilfreich, wenn es darum geht, ein nachhaltiges Wachstum zu fördern.

Hinzu kommt, dass solche Programme die Staatsschulden weiter erhöhen würden, die in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften bereits jetzt historische Höchstwerte erreicht haben. Stattdessen sollte das Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen durch eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik gestärkt und auf diese Weise ein förderliches Umfeld für privatwirtschaftliche Investitionen und Beschäftigung geschaffen werden.

In diesem Sinne ist auch die Forderung des IWF kritisch zu sehen, dass Deutschland seine öffentlichen Investitionen deutlich erhöhen sollte. Zwar gibt es in Deutschland sicherlich Möglichkeiten für zusätzliche öffentliche Investitionsausgaben, doch sollte deren wirtschaftlicher Nutzen und fiskalische Neutralität beachtet werden. Zudem dürfen die positiven Ausstrahleffekte öffentlicher Investitionen in Deutschland auf andere Länder des Euro-Raums nicht überschätzt werden.

Langfristige Investitionsfinanzierung als zentrales Thema der G20

Ein weiterer Schwerpunkt der australischen G20-Präsidentschaft ist die Finanzierung von langfristigen Investitionen - insbesondere in Infrastrukturprojekte und in kleinere und mittlere Unternehmen - sowie deren Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung beziehungsweise zur Steigerung des Potenzialwachstums. Bei diesem Arbeitsstrang der G20 geht es darum, den internationalen Wissensaustausch zu fördern, Datenlücken zu schließen und Informationen über "investitionsfertige" Infrastrukturprojekte bereitzustellen. Auf diese Weise soll die Finanzierung langfristiger Investitionen gestärkt werden.

In diesem Zusammenhang wurde in Washington auch mehrjährige "Globale Infrastruktur-Initiative" zur Erhöhung der Qualität und Quantität von Infrastrukturmaßnahmen diskutiert, die beim Treffen der G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure im September in Cairns vereinbart worden war. Begrüßenswert bei dieser Initiative ist insbesondere, dass ihr Schwerpunkt darauf liegen soll, in stärkerem Maße privates Kapital zu mobilisieren, indem das Investitionsklima verbessert und die Kapitalmärkte stärker genutzt werden. Bei der konkreten Ausgestaltung der Initiative sollte bei Bedarf auf bestehende Institutionen wie zum Beispiel die Weltbank zurückgegriffen werden. Nicht geboten wäre in diesem Zusammenhang hingegen die Gründung einer neuen internationalen Organisation.

Mit den beabsichtigten Beschlüssen der G20 zur Globalen Infrastruktur-Initiative beim Gipfel im November in Brisbane wird auf diesem Arbeitsgebiet ein wichtiger Meilenstein erreicht. Da es sich bei der Stärkung der Investitionen um ein längerfristiges Thema handelt, dürften die entsprechenden Arbeiten unter der türkischen G20-Präsidentschaft fortgesetzt werden.

Finanzmarktreformen schreiten voran

Auch Fragen der Finanzmarktregulierung wurden am Rande des G20-Treffens behandelt. Ziel der G20 ist es, die 2008 vereinbarten Reformen bis zum G20-Gipfel im November 2014 so weit wie möglich abzuschließen. Wichtige Meilensteine der G20-Reformagenda sind bereits erreicht, es gibt aber noch offene Punkte. Dazu gehören die Lösung des "Too big to fail"- Problems, die Überwachung und Regulierung des Schattenbankensystems sowie die Schaffung sicherer und transparenter Derivatemärkte.

Mit Blick auf das "Too big to fail"-Problem arbeitet der Finanzstabilitätsrat (FSB) derzeit mit Hochdruck an Mindestanforderungen für die Verlustabsorptionsfähigkeit global systemrelevanter Banken im Abwicklungsfall. Diese Anforderungen sollen sicherstellen, dass diese Banken künftig über genügend bail-in-fähige Verbindlichkeiten verfügen, sodass sie abgewickelt werden könnten, ohne die öffentlichen Haushalte zu belasten. Erst dadurch werden Sanierungs- und Abwicklungspläne großer Finanzinstitute für den "Ernstfall" glaubwürdig.

Aus Sicht der Bundesbank ist es als weiterer Durchbruch zu werten, dass sich 18 globale Großbanken und die Derivatevereinigung "International Swaps and Derivatives Association" (ISDA) jüngst auf neue globale Bestimmungen für Derivategeschäfte verständigt haben. Diese Bestimmungen sehen vor, dass künftig im Abwicklungsfall bestimmte Rechte von Banken temporär und grenzüberschreitend ausgesetzt werden können. Betroffen sind solche Rechte, die im Abwicklungsfall eine sofortige Kündigung von Derivatekontrakten ermöglicht hatten. Diese Einigung dürfte die Abwicklungsfähigkeit von Banken verbessern, da die Abwicklungsbehörden wertvolle Zeit gewinnen und so mögliche Dominoeffekte verhindert werden können.

Quoten- und Governance-Reform des IWF - weiterhin Stillstand

Geschäftspolitische Fragen des IWF wurden bei der diesjährigen Jahrestagung nur am Rande behandelt. Der IMFC brachte seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die Quoten- und Governance-Reformen von 2010 wegen der noch fehlenden Ratifizierung durch die USA noch immer nicht in Kraft treten konnten und sich dadurch auch der Abschluss der darauf aufbauenden 15. Allgemeinen Quotenüberprüfung verzögert hat. Die USA wurden vom IMFC abermals aufgefordert, die Reform schnellstmöglich zu ratifizieren. Für den Fall, dass die Reformen nicht bis Jahresende in Kraft getreten sind, soll der IWF weiterführende Optionen bereithalten.

Aus Sicht der Bundesbank ist es wichtig, die Reformen von 2010 bald zu ratifizieren, um die Legitimität und Glaubwürdigkeit des IWF zu wahren. Das Reformpaket sieht vor, die Quoten- und Stimmrechtsanteile deutlich in Richtung dynamischer Schwellenländer zu verschieben und den Wandel in der Weltwirtschaft besser in den Leitungsgremien des IWF und den Finanzierungsbeiträgen seiner Mitgliedsländer abzubilden. Zudem würde der IWF durch die damit verbundene Verdoppelung der Quotenmittel und parallele Rückführung des Volumens der neuen Kreditvereinbarungen seine primär quotenbasierte Finanzierungsstruktur zurückerhalten.

Stärkung der Surveillance und der Mechanismen für Umschuldungen

Die Teilnehmer der IWF-Jahrestagung begrüßten die Ergebnisse der turnusgemäßen Überprüfungen der wirtschaftspolitischen Überwachung und des Programms zur Bewertung des Finanzsektors des IWF. Der Fonds hat die richtigen Lehren aus der Finanzkrise gezogen, indem er seine bilaterale und multilaterale Surveillance stärker verzahnt, die Risikobetrachtung ausgebaut sowie die Analyse von Ausstrahleffekten, makrofinanziellen Verbindungen und Finanzsektor-Fragen intensiviert hat. Doch auch wenn in den genannten Bereichen vieles bereits verbessert wurde, sind weitere Anstrengungen notwendig.

Die Bundesbank unterstützt die Bemühungen zur Stärkung der Surveillance, da diese eine Kernaufgabe des IWF ist und sein primäres Instrument zur Krisenprävention darstellt. Auch ist eine hohe Qualität und Relevanz der Analysen und Empfehlungen wichtig, damit der IWF von seinen Mitgliedsländern weiterhin als glaubwürdiger Berater akzeptiert und geschätzt wird.

Zu Recht hat der IMFC auch gewürdigt, dass der IWF daran arbeitet, die Mechanismen für staatliche Umschuldungen zu stärken. Vor dem Hintergrund der jüngeren Erfahrungen mit der Umstrukturierung öffentlicher Verschuldung, zum Beispiel in Griechenland und Argentinien, wird im IWF diskutiert, welche Lehren aus der derzeitigen Praxis bei staatlichen Umschuldungen gezogen werden können.

Diese Diskussion ist zu begrüßen. Zu unterstützen sind insbesondere die jüngsten Bemühungen des IWF, die vertragsrechtlichen Grundlagen von Staatsanleihen dahingehend zu stärken, dass es einzelnen Investoren im Falle von Umschuldungen erschwert wird, Lösungen zu verhindern, die sich auf einen breiten Konsens der Gläubiger stützen. Dies dürfte die Effizienz und Effektivität von Schuldenrestrukturierungen erhöhen, wenn sie erforderlich werden sollten. Daher ist es zu begrüßen, dass sowohl der IWF als auch seine Mitgliedsländer sowie der Privatsektor aufgefordert wurden, die Verwendung entsprechender Klauseln bei der Begebung internationaler Anleihen zu fördern.

Dr. Andreas Dombret , Global Senior Advisor , Oliver Wyman GmbH, München (und Vorstand i.R., Deutsche Bundesbank)
Noch keine Bewertungen vorhanden


X