"Der Niedrigzins ist die Chance für die Deutschen, vom traditionellen Sparer zum diversifizierten Anleger zu werden"

Susanne Klöß, Mitglied des Vorstands, Deutsche Postbank, Bonn

Quelle: Deutsche Postbank

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa ist eher besser als erwartet. Bei den privaten Kunden wie auch in der Wirtschaft registriert die Autorin anhaltende beziehungsweise noch wachsende Bereitschaft zu Konsum und Investition. Dass ihr im aktuellen Niedrigzinsumfeld dennoch die Altersvorsorge breiter Bevölkerungsschichten Sorge bereitet, führt sie maßgeblich auf das traditionelle Sparverhalten und eine mangelnde Anpassungsfähigkeit an die neuen Gegebenheiten zurück. Eine Stärkung der ökonomischen Bildung und eine breite Imagekampagne für das Aktien- und Wertpapiersparen hält sie für geeignete Maßnahmen, um die Ansätze für eine bewusstere Beschäftigung mit der Geldanlage weiter zu fördern. Als wichtige Beiträge zur Reduktion der Unsicherheit in der Wirtschaft wie bei den Privaten wertet sie Rechtsicherheit, eine realistische Kosten-Nutzen-Betrachtung der Regulierungsvorschriften sowie eine Gleichbehandlung mit den neuen Wettbewerbern aus dem Nichtbanken-Bereich und den Fintechs. (Red.)

Wir haben ja nun schon viele Perspektiven zum Thema "Zins und Kreditwirtschaft - verkehrte Welt" gehört. Die Sicht des Regulators, die Sicht des Lobbyisten und auch einen politischen Blick. Ich stehe hier vor Ihnen als diejenige am Ende der Nahrungskette, als Vertreterin der Privatkundenbanken und möchte deshalb gerne eine weitere Perspektive hinzufügen: nämlich die der Kundensicht. Welche zusätzlichen Anforderungen haben Kunden, neben den bereits betrachteten Perspektiven an Banken?

Überschneidungsfreie Übergänge von digitalen Angeboten und Beratung

Kunden erwarten heute von uns überschneidungsfreie Übergänge zwischen digitalen Angeboten und Beratung, Bequemlichkeit und Transparenz - "digital und persönlich" eben. Was haben "digital und persönlich" mit der kreditpolitischen Tagung und dem eigentlichen Thema des Podiums - die andauernde Niedrigzinspolitik der EZB - zu tun?

Über die Kundensicht lässt sich am besten die weltweite, aber insbesondere die Niedrigzinspolitik der EZB zusammenfassen. Wäre ich heute übrigens zu einem Vortrag auf der "Sparpolitischen Tagung" eingeladen, hätte ich mir meine Zusage sicherlich zweimal überlegt, denn aus dieser Perspektive lässt sich kaum Optimismus verbreiten.

Die Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandsprodukt wurden jüngst auf breiter Front sehr deutlich nach oben revidiert. So hat gerade der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten der deutschen Wirtschaft einen kräftigen Aufschwung für dieses und nächstes Jahr vorhergesagt: in diesem Jahr um 2,0 Prozent und im nächsten Jahr 2,2 Prozent. Noch im April war man mit 1,5 Prozent deutlich pessimistischer. Auch der Internationale Währungsfonds erwartet in seiner kürzlich veröffentlichten Prognose für Deutschland 2017 ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent. Noch im April waren nur 1,6 Prozent vorausgesagt.

Bereitschaft zu Konsum und Investition

Diese Rahmenbedingungen fördern bei vielen Menschen in Deutschland die Bereitschaft, in der Gegenwart zu konsumieren, aber vor allem in ihre Zukunft zu investieren. 74 Prozent der Deutschen wünschen sich Wohneigentum. Aber nur 45 Prozent leben wirklich in der eigenen Immobilie. Im europäischen Durchschnitt liegen wir damit weit hinten. Nur in der Schweiz ist der Anteil an Wohneigentum noch geringer. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist diese Tatsache beunruhigend. Gerade mit Blick auf die Altersvorsorge ist der Erwerb einer eigenen Immobilie eine der wichtigsten Investitionen in die persönliche Zukunft.

Dass wir Kreditinstitute dank der Niedrigzinspolitik auch momentan so viele Lebensträume unserer Kunden positiv begleiten können, freut uns natürlich sehr. Es ist doch großartig, dass sich viele Menschen, insbesondere junge Familien, in unserem Land durch die niedrigen Kreditzinsen (endlich) eine Baufinanzierung leisten können. Die Erfüllung von solchen Lebensträumen bringt für uns Banken aber auch eine sehr große Verantwortung mit sich. Denn aus Träumen können ganz schnell Albträume werden, wenn Kunden sich die Belastungen ihrer Baufinanzierungsengagements plötzlich nicht mehr leisten können.

Das Kerngeschäft genau im Blick behalten

Banken müssen dennoch - bei aller Begeisterung für unser Kerngeschäft, das Verleihen von Geld - sehr genau im Blick behalten, was sich Kunden im Einzelnen finanziell zumuten können, wenn es darum geht, ihren Traum von der eigenen Immobilie zu verwirklichen. Diese Fürsorgepflicht nehmen wir sehr ernst. Zudem können die deutschen Konsumenten nach wie vor davon ausgehen, dass sie auch künftig spürbare Einkommenszuwächse erwarten können. Niedrige Arbeitslosenzahlen sorgen dafür, dass die Tarifsteigerungen der Löhne und Gehälter auch künftig ansehnlich sein werden.

Und offenbar ficht die deutschen Verbraucher selbst die hier und da schwierige Gesamtgemengelage nicht an, beispielsweise die stockenden Brexit-Verhandlungen und die Spannungen mit Nordkorea. Alle diese Faktoren führen also dazu, dass die Verbraucher auch zu größeren Anschaffungen mit höherem finanziellem Risiko bereit sind. Und auch hier sind wir Banken also wieder in der Verantwortung, zumal das Sparen angesichts des niedrigen Zinsniveaus keine attraktive Alternative bietet.

Sparen in einer Niedrigzinsphase

Und damit nun zum zweiten Punkt, der Herausforderung in einer Niedrigzinsphase, dem Sparen. Noch immer leben wir in einer Zinswelt, die bis vor einigen Jahren unsere Vorstellungskraft gesprengt hätte und die das Bankgeschäft erheblich unter Druck gesetzt hat. Wir kennen die Gründe, wir kennen die Argumente, wir wissen, dass die niedrigen Zinsen teilweise ihre Berechtigung haben oder vielmehr hatten. Und wir Banken müssen uns darauf einstellen.

Schauen wir nun ein weiteres Mal auf die Verbraucher in Deutschland, so sehen wir ein tief gehendes Dilemma: Viele Deutsche haben von klein auf gelernt, dass Sparen gut und wichtig ist. Immer wurde ein Teil dessen, was man bekommt, zurückgelegt. So haben es viele, vermutlich auch hier im Saal, schon mit ihrem ersten Taschengeld oder Lehrlingslohn gemacht und machen es vielleicht auch heute noch mit ihren hoffentlich deutlich höheren Gehältern. Keine Schulden, dafür ein Sparbuch, lautete das Ideal für viele - und so gilt es oft immer noch. Nach wie vor lieben wir Deutschen das Sparen. Das Sparbuch ist oft das erste Buch, das ein deutsches Kind in der Hand hält - noch vor der "Kleinen Raupe Nimmersatt".

Dabei reichte es unseren Kunden jedoch nie aus, Geld nur zurückzulegen, es sollte oft erstens sicher und zweitens frei verfügbar sein, falls etwa die Waschmaschine kaputtging oder eine größere Reparatur am Auto anstand. Dabei stimmte lange das Sprichwort: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Viele leben auch heute von erspartem Wohlstand. Doch seit einigen Jahren besteht das Problem: Klassisches Sparen lohnt sich nicht mehr.

Ein wachsender Widerspruch

Dabei entsteht ein wachsender Widerspruch. Zinsen von 0 Prozent - nicht mal mehr die Bundesanleihen bringen eine nennenswerte positive Rendite - trotzdem scheint das viele in ihrer Sparbegeisterung nicht abzuschrecken. Im Gegenteil. Vielmehr gilt offenbar: Je weniger Zins es gibt, desto mehr wird gespart. Hierauf weist die Entwicklung der Sparquote hin, die in den vergangenen Jahren leicht angestiegen ist, von 8,9 Prozent im Jahr 2013 auf zuletzt 9,7 Prozent. Dabei ist es rational kaum zu erklären.

Das hat im Wesentlichen einen Grund: Das Sicherheitsdenken hierzulande steht häufig im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Wissen um Alternativen zum Vermögensaufbau. Sich mit Wertpapieren auszukennen, hat eigentlich überhaupt keine Priorität im deutschen Bildungswesen. Denken Sie an ihr Umfeld: Wer Goethe oder Schiller auf einem Elternabend zitieren kann, ist angesehen, Keynes gelesen zu haben ist kein Anlass für Bewunderung.

Die Deutschen und das Bargeld

Hinzu kommt auch noch eine kulturelle Komponente: Geldausgeben und Schuldenmachen war gesellschaftlich lange Zeit nicht anerkannt. Zudem fehlen für Aktieninvestments hierzulande die großen Vorbilder. In den USA kennt man Investoren wie Warren Buffett, bei uns gibt es solche Ikonen nicht. Und nicht zuletzt: Die Deutschen lieben Bargeld. Das gibt vielen von uns Sicherheit. Lieber die Münzen und Scheinchen in der Hand als ein Betrag auf dem Kontoauszug.

Wenn man sich die Zahlen dazu anschaut, sind diese beeindruckend: Die deutschen Privathaushalte horten insgesamt 179 Milliarden Euro ihres Geldvermögens in bar. Das ist ein Zuwachs von 76 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Die Menschen hierzulande stehen also vor nichts Geringerem als einem Paradigmenwechsel beim Vermögensaufbau und damit ihrer Altersvorsorge.

Ansätze für eine bewusstere Beschäftigung mit der Geldanlage

Unkenntnis, Unsicherheit und manchmal auch Urvertrauen in den Staat sorgen nach wie vor dafür, dass viele Menschen immer noch am traditionellen Sparverhalten festhalten. Und das ist gefährlich. Jeder konventionell gesparte Euro verliert über die Jahrzehnte an Wert. Die Deutschen müssten also nicht mehr nur sparen, sondern intelligenter sparen. Das ist jedoch bisher leider nicht passiert, und dadurch ist das durchschnittliche reale Vermögen in den vergangenen Jahren gesunken. Langfristig besteht also die absolut reale Gefahr, dass wir Deutschen uns arm sparen.

Aber wie so oft in der Dunkelheit, gibt es auch hier Licht am Ende des Tunnels! Immerhin wissen die Menschen mittlerweile, dass sie nicht mehr mit hohen Zinsen rechnen können, wenn sie ihr Geld auf dem Giro- oder Sparkonto liegen lassen. Und nicht zuletzt die Finanzmarktkrise hat auch dazu geführt, dass Menschen sich bewusster mit Geldanlagen beschäftigen. Viele möchten mittlerweile auch eine ausführliche Beratung, wie sie ihr Vermögen erhalten können und welches Risiko sie dafür eingehen müssen. Wir merken, dass vor allem Anleger mittleren Alters bereit sind, auch andere Anlagemöglichkeiten als das traditionelle Sparen in Betracht zu ziehen.

Ist also der Niedrigzins die Chance für die Deutschen, vom traditionellen Sparer zum diversifizierten Anleger zu werden? Ja, absolut! Einen echten umfassenden Mentalitätswandel können wir aber wohl noch nicht ausrufen. Aber schon kleine Erlebnisse können etwas ins Rollen bringen. Wenn ein Kunde etwa für ein paar Tausend Euro eine Zinsgutschrift über 50 Cent auf seinem Kontoauszug entdeckt, reicht das oft auch schon aus, zumindest ein Anfangsinteresse für andere Formen des Vermögensaufbaus zu entwickeln. Hierzu braucht es zwingend aber auch den Mut, Wertpapiere in die persönlichen Überlegungen einzubeziehen.

Eine Imagekampagne für Aktien und Wertpapiere

Aktien und Wertpapiere benötigen also eine "Imagekampagne". Hier sehe ich vor allem zwei Ansatzpunkte: Die Politik kann erstens dafür sorgen, dass Wertpapiere bei der Altersvorsorge als zweites Standbein neben der Rentenversicherung stärker zum Tragen kommen. Der zweite Ansatzpunkt ist die ökonomische Bildung: In der Schule sollten wirtschaftliche Grundlagen, insbesondere Finanzwissen und Geldanlage, deutlich stärker gelehrt werden, als es heute der Fall ist. Dann können Sie beim Elternabend auch mit Keynes glänzen.

Bei meiner "Freud-Leid"-Betrachtung möchte ich es mir abschließend erlauben, noch kurz auf einen Themenkomplex einzugehen, der Banken plagt und momentan eine erhebliche Unsicherheit beziehungsweise Belastung darstellt. Das ist das Thema der immer vielfältigeren und komplexer werdenden Regulierung. Ich möchte überhaupt nicht in Abrede stellen, dass eine bessere und eine wirkungsvollere Regulierung die richtige und die notwendige Antwort auf die Krise waren. Und dass Regulierung vor allem dann wirkungsvoll ist, wenn es international einheitliche Vorschriften gibt. Deshalb - und das betone ich vor allem mit Blick auf die USA - wäre es keineswegs im Interesse der deutschen Banken, wenn nun pauschal an einer Deregulierungsschraube gedreht würde und dies auch noch unabgestimmt geschähe.

Aber: Regulierung muss sich auch daran messen lassen, ob der damit verbundene Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zur Wirkung steht.

Gerade im Jahr zehn nach der Krise führt kein Weg daran vorbei, Regulierung immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und zu hinterfragen: Was ist gut, was hat sich bewährt, wo gibt es vielleicht noch Lücken und wie können die Banken im Wettbewerb zu neuen Playern aus dem Nichtbanken-Bereich oder den Fintechs bestehen. Diese Wettbewerbsfrage ist vor allem mit Blick auf die eingangs erwähnten Anforderungen unserer Kunden von "digital und persönlich" ein besonders wichtiger Punkt. Ich gebe Ihnen gern einige Beispiele: Wie unsere Kunden sich auf eine ordentliche Zinsgutschrift auf ihrem Sparbuch verlassen konnten, so konnten wir Banken uns auf die deutsche Rechtssicherheit verlassen. Doch so wie der Kunde sich über die niedrigen oder nicht mehr vorhandenen Zinsen wundert, wunderten wir uns, als wir plötzlich damit konfrontiert wurden, dass unsere Kunden Bearbeitungsentgelte für zehn Jahre rückwirkend zurückfordern konnten.

Alter Streitpunkt: Steuerliche Behandlung der Bankenabgabe

Und auch in einem anderen Punkt möchte ich gerne konkret werden - die europäische Bankenabgabe ist gut und hat sich bewährt. Warum aber können Banken in Deutschland diese Abgabe nicht steuerlich geltend machen, so wie es der Logik des deutschen Steuerrechts entsprechen würde? Und schließlich: Warum müssen europäische Richtlinien wie die Wohnkreditimmobilien-Richtlinie oder MiFiD II national strenger ausgelegt werden als auf EU-Ebene?

Die Menschen und Banken in Deutschland stehen nicht nur aufgrund der Niedrigzinsen vor großen Herausforderungen. Aber wie sagte schon Aristoteles: Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel anders setzen. Und die Segler unter Ihnen wissen, dass man Ziele auch gegen den Wind erreichen kann.

Der Beitrag basiert auf einer Rede der Autorin anlässlich der 63. Kreditpolitischen Tagung "Zins und Kreditwirtschaft - verkehrte Welt" der ZfgK am 10. November 2017.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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