"Noch immer fehlt eine klare Aussage der EZB, ab wann ein effektiver Rückzug aus den Märkten erfolgt"

Georg Fahrenschon, bis 24. November 2017 Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Berlin

Quelle: DSGV

Angesichts der guten Konjunktur im Euroraum sieht der Autor die Europäische Zentralbank in ihren geldpolitischen Entscheidungen weiterhin auf einen Krisenmodus festgelegt und hätte sich eine entschlossenere Umsteuerung gewünscht. Die Geldpolitik der Notenbank wertet er als Belastung der Ertragslage, eine Erschwernis für die notwendigen Investitionen in die Digitalisierung und damit letztlich einen Eingriff in die hiesige Banken- und Wirtschaftsstruktur. Als regulatorischen Irrweg stuft er die angestrebte Reform der Einlagensicherung ein und spricht der EU-Kommission eine Rechtsgrundlage ab, diesen gemeinsamen Standard in Richtung einer Vergemeinschaftung zu ändern. Aus gesellschaftspolitischer Sicht beklagt er die unerwünschten Auswirkungen der Geldpolitik auf die Altersvorsorge und schlägt der Politik eine vermögenspolitische Initiative vor. (Red.)

Die Entscheidung der EZB vom 26. Oktober bringt mehr Schatten als Licht. Die Notenbank wird das Anleihekaufprogramm für mindestens neun Monate weiterfahren, jedoch ab Anfang Januar 2018 mit gedrosselten Zukäufen von dann 30 Milliarden Euro pro Monat, statt wie zuletzt 60 Milliarden Euro. Noch immer fehlt aber eine klare Aussage dazu, ab wann ein effektiver Rückzug aus den Märkten erfolgt, wie die Bilanzsumme der EZB wieder abgeschmolzen und vor allem wie die Target-Salden im Euroraum reduziert werden können.

EZB weiterhin auf einen Krisenmodus festgelegt

Mit der Entscheidung hat sich die EZB weiterhin auf einen Krisenmodus festgelegt. Dadurch verzögert sich auch eine Erholung des Zinsniveaus. Die gute Konjunktur im gesamten Euroraum hätte es der EZB erlaubt, entschlossener umzusteuern.

Gleichzeitig ist die EZB bereits objektiv an ihren selbstgesetzten Grenzen angekommen. In manchen Anleiheklassen halten die Zentralbanken schon ein Drittel der verfügbaren Papiere, etwa bei Bundesanleihen. Diese Grenzen dürfen schon aus ordnungspolitischen Gründen nicht aufgeweicht werden. Und ohne an dieser Stelle das 2-Prozent-Ziel vertiefend zu behandeln, will ich doch einen Hinweis aus unserer Praxis geben: Selbst in einem niedrigeren Korridor ist das Wachstum qualitativ besser, als es die Zahlen sagen. Denn im Zuge des digitalen Wandels investieren Unternehmen vor allem in Know-how, Fachkräfte, Patente, Effizienz. Das löst weniger Preisdruck aus als die klassische Anlageinvestition, legt aber den Grundstein für Produktivitätsfortschritte.

All das rechtfertigt es aus unserer Sicht, den Ausstieg aus den expansiven Maßnahmen nicht mit einer "Salamitaktik" zu verschleppen, sondern für die Sparer und für die Märkte ein klares Signal zu geben. Es werden dann ohnehin noch viele kleine Schritte notwendig sein, um einen stabilen Übergang zu erreichen. Ein rasches "Zinsen rauf", wie sich viele Sparer das wünschen, ist auch mit einer Wende in der Geldpolitik voraussichtlich nicht verbunden. Dazu sind die Märkte weltweit vom billigen Geld inzwischen zu stark geprägt. Die volkswirtschaftlichen Folgen werden uns deshalb noch lange begleiten: Es gibt Anzeichen von Blasenbildungen in einzelnen Assetklassen, wie etwa bei gewerblichen Immobilien in Toplagen. Besonders beschäftigen mich aber die Fehlanreize für die Finanzpolitik und die Schädigung dynamischer Marktstrukturen.

Eingriff in die Wirtschaftsstruktur

Die Geldpolitik greift in die Wirtschaftsstruktur ein: Der Hunger der Notenbanken auf Firmenanleihen spült vor allem den größten Konzernen innerhalb und außerhalb der EU viel Geld zu. Das befördert die Übernahme mittelständischer Unternehmen und wir verlieren dadurch schrittweise die Steuerung in technologisch relevanten Branchen. Die Niedrigzinsen drücken zudem massiv auf die Bilanzen gerade der Mittelstandsfinanzierer und der realwirtschaftlich arbeitenden Banken, die vom Geschäft mit Einlagen und Krediten leben. Die EZB muss also aussteuern, um die Finanzstabilität zu wahren.

Als Sparkassen fangen wir die negativen Marktzinsen nun seit drei Jahren für unsere breite Kundschaft auf und verarbeiten dies zulasten unserer eigenen Ergebnisse. Das ist eine betriebswirtschaftliche Höchstleistung, die gesellschaftspolitisch stärker wiegt als die Frage, wie viel Ertrag ein Bankenmarkt theoretisch abwerfen sollte. Die Sparkassen können das nur leisten aufgrund ihrer sehr soliden, eigenständig aufgebauten Substanz. Die Bundesbank bestätigt in ihrer Niedrigzinsumfrage von Ende August, dass Sparkassen rechtzeitig vorgesorgt haben und insgesamt ein konservatives Risikomanagement fahren. Vor allem die Verzinsung des Eigenkapitals wird jedoch noch sinken, weil jetzt der zeitliche Nachklapp derjenigen Anlagen zu Buche schlägt, die schon bei sinkenden Zinsen getätigt wurden.

Als Sparkassen können wir aber mit dem Nullzinsumfeld umgehen, weil die Vorstände in direkter Tuchfühlung mit den lokalen Märkten die unternehmerische Feinsteuerung übernehmen können. Im letzten Jahr haben die Institute einen Rückgang des zinsabhängigen Ergebnisses von 800 Millionen Euro erwartet. Die Hälfte davon haben wir aufgefangen, ganz maßgeblich durch Vertriebsanstrengungen und die gute Lage im Mittelstandskreditgeschäft. Das Ergebnis waren 2,9 Milliarden Euro ertragsabhängige Steuern für die öffentlichen Haushalte. Und trotz Niedrigzinsen investieren die Institute: in schlankere Prozesse, in innovative Anwendungen, in ein besseres Zusammenspiel aller Verbundpartner, auch in die digitale Fitness von Mitarbeitern. Wir sind als Gruppe in einer starken Vorwärtsbewegung.

Regulatorik und Bankenunion

Allerdings: Die Geldpolitik nimmt uns Ertragsspielraum, die Regulatorik treibt die Kosten. Diese Kombination zerreibt selbst leistungsfähige und marktstarke Institute. Heute ist ein großer Teil unserer Kraft durch kundenferne Aufgaben gebunden. Das bringt sehr kleine Institute und auch Institute in Regionen mit starkem Wettbewerb und wenig Margenspielraum an ihre Effizienzgrenzen. Besonders Genossenschaftsbanken sind davon betroffen. 50 von ihnen sind letztes Jahr von der Landkarte verschwunden. Auch die Zahl der Sparkassen ist leicht gesunken. Das sind aber genau die Institute, die auch in demografisch benachteiligten Regionen dafür sorgen, dass Gründungen, Nachfolgen und Investitionsvorhaben in direkter Nähe betreut werden können.

Der neue Bundestag muss daher sicherstellen, dass die erfolgreiche Symbiose aus facettenreichem Mittelstand und mittelständischer Kreditwirtschaft nicht beschädigt wird.

Dafür bietet der sich abzeichnende Kompromiss im Baseler Ausschuss eine schwierige Grundlage, weil er deutlich zulasten der europäischen Institute, der bankbasierten Finanzierung und der langfristigen Kreditvergabe wirkt. Umso wichtiger ist, dass Europa nicht wieder bei der Umsetzung vorangeht, während sich andere Finanzplätze Zeit lassen oder wieder nur Teile umsetzen. Hier passt es: "America first"!

Machbares Maß an administrativen Auflagen

Zudem muss die Umsetzung von Basel genutzt werden, um mit der Proportionalität Ernst zu machen. Jetzt ist der Punkt, um für kleine und weniger komplexe Geschäftsmodelle Erleichterungen bei den bürokratischen Lasten zu schaffen - gerade in Europa, denn die USA haben schon längst ein abgestuftes Regulierungssystem. Deshalb fordern wir für die mittelständische Kreditwirtschaft eine "Small and Simple Banking Box" in der Regulierung (europaweit).

Zur Klarstellung: Es geht nicht um Deregulierung oder einen Nachlass bei den Eigenkapitalvorgaben. Es geht nur um ein machbares Maß an administrativen Auflagen. Die Bundesbank und auch das BMF haben diesen Antritt unterstützt und mit der Deutschen Kreditwirtschaft auf die europäische Ebene getragen - dafür sage ich meinen Dank. Mit Blick gerade auf den neuen Bundestag macht mir allerdings Sorgen, dass dort die Verbraucherorganisationen eine nochmals stärkere Lobby haben.

Mit weitreichenden Eingriffen in die Produkt- und Preispolitik der Institute torpedieren sie unseren Bewegungsspielraum im Kreditgeschäft. Wer allerdings keinen unternehmerischen Spielraum in der Bepreisung seiner Leistungen hat, der kann sie auch nicht überall in gleicher Intensität anbieten. Das wäre aus meiner Sicht eine Fehlentwicklung, die letztlich keinem Verbraucher nützt und die auch den gewerblichen Mittelstand und die Entwicklung in den Regionen trifft.

Wenn der Bundestag einen starken, facettenreichen Mittelstand will, muss er der mittelständischen Kreditwirtschaft Luft zum Atmen lassen und ihre unternehmerische Verantwortung respektieren. Gerade Deutschland hat gute Erfahrungen gemacht mit dem Drei-Säulen-Modell in der Kreditwirtschaft und mit starken kreditwirtschaftlichen Verbünden. Diese dezentrale Struktur passt sehr gut zu unserer Wirtschaftsstruktur insgesamt. Sie ist nicht selbstverständlich. Sie unterscheidet uns von vielen anderen Volkswirtschaften. Sie macht uns dynamischer und widerstandsfähiger. Und sie muss in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen erhalten bleiben.

Bei der weiteren Ausgestaltung der Bankenunion müssen wir genau darauf achten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Europäische Kommission propagiert in ihrem jüngsten Papier zur Bankenunion weiterhin die Idee einer Voll-Vergemeinschaftung der Einlagensicherung. Wir lehnen das ab. Das wäre der Einstieg in ein System unbegrenzter Haftung unter Banken innerhalb der Bankenunion. Auch der Vorschlag, erstmal nur eine "Rückversicherung" einzuführen, ändert nichts daran, dass die Grundidee falsch ist. Man kann nicht für jemanden haften, auf den man keinen Einfluss hat, dessen Verhalten man nicht kontrollieren kann und dessen tatsächliche Risiken nicht überschaubar sind.

Falsche Anreize

Mit keinem Wort erwähnt die Kommission zudem die Stabilitätsleistung der bestehenden Sicherungssysteme in Deutschland. Insofern ist nicht sichergestellt, dass die Institutssicherungssysteme auch in Zukunft unangetastet und funktionsfähig bleiben. Aber genau das wollen wir als Sparkassen-Finanzgruppe: Unser Sicherungssystem unverändert fortführen. Ich halte die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung für überflüssig - schon heute gilt für alle Sparer in Europa ein einheitliches Sicherungsniveau auf der Grundlage europäischer Vorgaben. Es gibt auch keine Rechtsgrundlage dafür, diesen gemeinsamen Standard in Richtung einer Vergemeinschaftung zu ändern. Es wäre zudem ordnungspolitisch falsch, weil es falsche Anreize setzt.

Unser Ziel sollte nicht sein, Risiken zu verteilen, sondern Risiken abzubauen. Wir haben in manchen nationalen Bankenmärkten einen hohen Anteil leistungsgestörter Kredite - darauf weist EZB-Präsident Draghi selbst hin. Nun werden Risiken aber nicht kleiner, nur weil man sie breiter verteilt. Diesem Irrtum ist man mit verbrieften Krediten schon einmal erlegen - das Ergebnis war eine weltweite Finanzkrise.

Bei allen Strukturentscheidungen, die wir jetzt auf der europäischen Ebene treffen, müssen deshalb immer Risiko und Haftung zusammenbleiben. Der Fokus sollte daher jetzt auf einer Überprüfung und gegebenenfalls Nachkorrektur der Regeln zur Bankenaufsicht und Bankenabwicklung liegen, nicht auf neuen Schritten zur Vergemeinschaftung.

Gesellschaftspolitische Perspektive

In einer 360-Grad-Betrachtung der Geldpolitik und damit verbundener Themen darf der gesellschaftspolitische Aspekt nicht fehlen. Wenn die besten Bonitäten vom Markt "gesaugt" werden, bleiben weniger rentierliche oder riskantere Papiere zum Beispiel für Lebensversicherer übrig. Das greift, zusammen mit dem Nullzinsniveau, massiv in die Altersvorsorge von Millionen Sparern europaweit ein. Das aktuelle Vermögensbarometer der Sparkassen-Finanzgruppe zum Weltspartag fasst das Problem in Zahlen:

- 75 Prozent der Deutschen zeigen sich im Hinblick auf ihre Ersparnisse besorgt - und diese Besorgnis bezieht sich bei mehr als der Hälfte der Befragten auf die Niedrigzinsen und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

- Gleichzeitig macht sich große Resignation breit: 38 Prozent derer, die aufgrund der niedrigen Zinsen ihr Sparverhalten ändern wollen, werden in Zukunft weniger sparen. Dabei müssten sie gerade in Zeiten niedriger Zinsen mehr sparen, früher anfangen und auch anders sparen als bisher.

- Bedenklich hoch ist zudem der Anteil derer, die gar nicht vorsorgen - etwa ein Viertel der Bevölkerung. Haushalte mit weniger als 1 500 Euro und junge Menschen liegen noch weit darüber. Sie brauchen konkrete finanzielle Anreize, um überhaupt sparen zu können.

Der DSGV hat deshalb eine neue vermögenspolitische Initiative in die Koalitionsverhandlungen eingebracht. Wir wollen, dass bewährte Instrumente wie etwa Vermögenswirksame Leistungen ausgebaut werden, damit auch Geringverdiener und Berufsanfänger frühzeitig ein finanzielles Polster aufzubauen können. Zusätzlich sind Entlastungen für den privaten Immobilienerwerb sinnvoll, zusammen mit einer starken familienbezogenen Komponente.

Lebendige Wirtschaftsstrukturen vor Ort fördern

In ländlichen Gebieten müssen wir Sorge tragen, dass der Wert bestehender Immobilien nicht weiter sinkt. Viele Menschen haben darin all ihr Erspartes gebunden. Deshalb ist es so wichtig, lebendige Wirtschaftsstrukturen vor Ort zu fördern, auch durch dezentrale Kreditinstitute. Und natürlich bieten wir als Sparkassen auch ein breites Feld von Wertpapiersparen an - für alle, die wollen und können.

Gerade in einem Umfeld anhaltend schwacher Zinsen bleiben Hausbanken wichtig, die in der Fläche provisionsbasierte Beratung anbieten - nicht nur Beratung gegen Eintrittsgeld, sondern mit offenen Türen für alle.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 63. Kreditpolitischen Tagung "Zins und Kreditwirtschaft - verkehrte Welt" der ZfgK am 10. November 2017.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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