Point-in-Time und Through-the-Cycle Risikomanagement: Irrungen und Wirrungen

Dr. Philipp Gerhold und Dr. Anne Kleppe, beide d-fine GmbH, Frankfurt am Main - Soll ein Ratingsystem zur Bonitätsbeurteilung jede kurzfristige Schwankung der Wirtschaftslage oder nur fundamentale Änderungen der Kreditwürdigkeit von Unternehmenskunden widerspiegeln? Diese Differenzierung halten die Autoren für äußerst wichtig, um Fehler bei der Risikomodellierung und damit letztlich Fehlsteuerungen zu vermeiden. Neben einer grundsätzlichen fachlichen Auseinandersetzung mit den Implikationen beider Ansätze für das Risikomanagement plädieren sie für die Überprüfung von Stresstest-Verfahren sowie der Methoden zur Integration von Migrationsrisiken in die Risikotragfähigkeitsrechnung. (Red.)

Im Kontext von Ratingsystemen wird grundsätzlich zwischen sogenannten Pointin-Time (PiT) und Through-the-Cycle (TtC) Ratings unterschieden. Um die beiden Begrifflichkeiten gegeneinander abzugrenzen, sollen diese kurz an einem einfachen Beispiel erläutert werden. Betrachtet sei ein Institut, das sich zum Ziel gesetzt hat, ein Ratingsystem zum Beispiel für Unternehmenskunden zu entwickeln. Noch vor der eigentlichen Entwicklung sollte sich das Institut die Grundsatzfrage stellen, ob die zu erzielenden Bonitätsbeurteilungen im Zeitverlauf soweit irgend möglich jede auch kurzfristige Änderung in der gesamtwirtschaftlichen Situation widerspiegeln sollten oder aber, ob es gerade wünschenswert ist, dass die Bonitätsbeurteilungen im Zeitverlauf unabhängig von kurzfristigen makroökonomischen Schwankungen gerade nur solche Änderungen widerspiegeln, die als fortwährende, fundamentale Änderungen an der individuellen Kreditwürdigkeit des Unternehmenskunden eingeschätzt werden.

Gefahr von Fehlsteuerungsimpulsen

Im ersten Fall sollte die Entwicklung auf ein sogenanntes PiT-Ratingsystem abzielen, im zweiten Fall auf die Entwicklung eines TtC-Ratingsystems. Im Weiteren soll auf die Differenzierung der beiden Ansätze noch detaillierter eingegangen werden. Hervorgehoben sei jedoch schon an dieser Stelle, dass eine uneinheitliche beziehungsweise unscharfe Anwendung der Begrifflichkeiten leicht zu Fehlern bei der Risikomodellierung und damit zu Fehlsteuerungsimpulsen führen kann - sei es in Bezug auf das Stress Testing oder aber auch im Kontext der Risikotragfähigkeitsrechnung.

PiT- und TtC-Ratingsysteme: Während die durch Ratingagenturen vergebenen Ratings ganz gezielt TtC-Charakter aufweisen, finden sich unter den intern entwickelten und betriebenen Ratingsystemen beide Subtypen, also sowohl eher PiT-ähnliche wie auch eher TtC-ähnliche Ratingsysteme. Dabei hängt der Charakter des Ratingsystems davon ab, auf welche Risikofaktoren primär abgestellt wird; gehen verstärkt Verhaltensdaten in das Ratingsystem ein, wird dieses eher PiT-ähnlichen Charakter haben, stellt das Ratingsystem hingegen primär auf Stammdaten ab, so wird das Ratingsystem eher TtC-ähnlichen Charakter haben.

Im Sprachgebrauch finden hingegen beide Begrifflichkeiten oft unscharfe Verwendung; "PiT-Parameter" werden dann oft als auf Basis eines kurzen Zeitraums kalibriert angesehen, während ein entsprechender TtC-Parameter im Gegensatz dazu als auf Basis langer Zeiträume kalibriert betrachtet wird. Diese weit verbreitete Charakterisierung geht jedoch am Kern der vorgenannten Begrifflichkeiten vorbei und führt sowohl in der praktischen Anwendung als auch in konzeptionellen Überlegungen zu Inkonsistenzen wie in diesem Artikel erläutert werden soll. Um hieraus möglicherweise erwachsende Fehlsteuerungsimpulse für das Risikomanagement aufzuzeigen, soll daher im Folgenden zunächst eine exakte Abgrenzung beider Begrifflichkeiten getroffen werden.

Charakteristika eines PiT-Ratingsystems

Basis eines jeden Ratingsystems ist dabei eine (institutsspezifische) Masterskala, die jeder Ratingklasse (Bonitätsstufe) eine Ausfallwahrscheinlichkeit zuordnet. Dabei müssen Institute gemäß CRR Artikel 180 "die PD für die einzelnen Schuldner-Bonitätsstufen ausgehend von den langfristigen Durchschnitten der jährlichen Ausfallraten" schätzen. Die konkrete Wahl der Masterskala wird für die nachstehend vorgetragenen Argumente jedoch keine Rolle spielen; sie ist insbesondere auch unabhängig von der Wahl des Ratingsystems. Im Folgenden wird daher angenommen, dass eine solche durch das Institut einheitlich angewandte Masterskala existiert, ohne aber bestimmte Eigenschaften dieser Masterskala vorauszusetzen.

Die wesentlichen Charakteristika eines PiT-Ratingsystems können dann wie folgt beschrieben werden:

- Basierend auf der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation und der spezifischen Bonitätsbeurteilung des einzelnen Schuldners wird diesem eine Bonitätsstufe zugeordnet.

- Verschlechtert sich die gesamtwirtschaftliche Situation und/oder die schuldnerspezifische Bonitätsbeurteilung, so migriert der Schuldner in eine schlechtere Bonitätsstufe. Dies gilt auch bei nur kurzfristiger Veränderung der Einflussfaktoren, also zum Beispiel innerhalb eines ökonomischen Zyklus.

Dies bedeutet also insbesondere, dass:

- bei Änderung der gesamtwirtschaftlichen Situation die einzelnen im Portfolio enthaltenen Schuldner simultan in eine andere Ratingklasse migrieren. Migrationen als Wechsel zwischen zwei Ratingklassen sind somit in einem PiT-Ratingsystem über den ökonomischen Zyklus gesehen vor allem durch systematische Einflüsse getrieben.

- die pro Jahr realisierten Ausfallraten je Ratingklasse (im Rahmen des statistischen Fehlers) nur geringfügige Schwankungen um die der einzelnen Bonitätsstufe zugeordnete PD zeigen.

- die mittlere Portfolio-PD zu einem Stichtag einen akkuraten Schätzer der jährlich beobachteten Portfolioausfallrate darstellt, die in dem auf den Stichtag folgenden Jahr beobachtet wird.

Charakteristika eines TtC-Ratingsystems

Im Gegensatz dazu lässt sich ein TtC-Ratingsystem wie folgt charakterisieren:

- Basierend auf der langfristigen Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Situation, das heißt über den ökonomischen Zyklus hinweg, sowie der langfristigen Beurteilung der spezifischen Bonität des einzelnen Schuldners, wird dem Schuldner eine Bonitätsstufe zugeordnet.

- Verschlechtert sich die gesamtwirtschaftliche Situation und/oder die schuldnerspezifische Bonitätsbeurteilung kurz- oder mittelfristig (zum Beispiel innerhalb des ökonomischen Zyklus), so behält der Schuldner seine Ratingklasse bei. Lediglich bei einer angenommenen langfristigen Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Situation und/oder der schuldnerspezifischen Bonitätsbeurteilung migriert der Schuldner in eine andere Ratingklasse.

Dies bedeutet also insbesondere, dass:

- bei Änderung der gesamtwirtschaftlichen Situation, das heißt während zyklusbedingter Ab- und Aufschwungphasen, die einzelnen im Portfolio enthaltenen Schuldner nicht migrieren, sondern ihr Rating beibehalten. Migrationen sind somit in einem TtC-Ratingsystem über den ökonomischen Zyklus gesehen nicht durch systematische Einflüsse getrieben.

- die pro Jahr realisierten Ausfallraten je Bonitätsstufe in der Regel starke Schwankungen um die der einzelnen Bonitätsstufe zugeordnete PD aufzeigen.

- die mittlere Portfolio-PD zu einem Stichtag einen akkuraten Schätzer nicht der jährlich beobachteten Portfolioausfallrate darstellt, die in dem auf den Stichtag folgenden Jahr beobachtet wird, sondern der zukünftig langfristig zu beobachtenden Portfolioausfallrate.

Entscheidend an dieser Stelle ist also, dass nicht etwa die der Masterskala zugeordneten PDs in dem einen Fall auf einem kurzen Zeitraum und in dem anderen Fall auf einem langen Zeitraum kalibriert wurden - was durch den unscharfen Sprachgebrauch suggeriert werden könnte. Stattdessen beruht im Falle eines PiT-Systems die Zuordnung der Schuldner zu den einzelnen Bonitätsstufen auf einer kurzfristigen Bonitätsbeurteilung und im Falle eines TtC-Systems auf einer langfristigen Bonitätsbeurteilung, die einen gesamten ökonomischen Zyklus umfasst. Die CRR-Anforderung an die Kalibrierung der PDs je Bonitätsstufe als langfristiges Mittel der jeweiligen Ausfallrate ist in beiden Fällen erfüllt.

Zuordnung der Schuldner als Differenzierungskriterium

Der wesentliche Unterschied zwischen PiT- und TtC-Ratingsystemen liegt also weder in der Wahl der verwendeten Masterskala noch (primär) in der Wahl des Kalibrierungszeitraumes, sondern vielmehr in der spezifischen Art und Weise der Zuordnung einzelner Schuldner zu den Bonitätsstufen.

Perspektiven der Risikotragfähigkeit: Für eine in sich konsistente Risikotragfähigkeitsrechnung sowie die Ableitung optimaler interner Steuerungsimpulse spielt die Charakterisierung des Ratingsystems im Sinne der zuvor diskutierten PiT-/ TtC-Perspektive eine besondere Rolle. Die Quantifizierung des Risikokapitalbedarfs als ein wesentlicher Bestandteil der Risikotragfähigkeitsrechnung soll dabei das Institut in die Lage versetzen, ein hinreichend großes Kapitalpolster bilden zu können, um den Ausfall des Kreditinstituts (Liquidationsansatz) oder die Verletzung der regulatorischen Mindestkapitalanforderungen (Fortführungsansatz) abzuwenden. Dies ist generell nur zu einem vorgegebenen Konfidenzniveau (zum Beispiel 99,9 Prozent) möglich; die Interpretation dieses Konfidenzniveaus fällt jedoch höchst unterschiedlich aus, je nachdem welches Ratingsystem bei der Quantifizierung des (Kredit-)Risikokapitalbedarfs zugrunde gelegt wird.

Berechnung des Risikokapitalbedarfs basierend auf einem PiT-Ratingsystem: In diesem Fall spiegeln die in die Quantifizierung des Kapitalbedarfs eingehenden Risikoparameter bereits die gesamtwirtschaftliche Situation wider. Wie eingangs bemerkt, ändern sich die Bonitätseinstufungen der einzelne Schuldner dabei mit dem ökonomischen Zyklus; diese sind mithin als kurzfristige, auf den Horizont eines Jahres ausgerichtete Bonitätseinstufungen zu verstehen. Dementsprechend ergibt sich in diesem Fall, dass auch die Risikotragfähigkeitsrechnung darauf abzielt, im kommenden Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit (entsprechend dem spezifizierten Konfidenzniveau von zum Beispiel 99,9 Prozent) nicht auszufallen beziehungsweise die regulatorischen Mindestkapitalanforderungen nicht zu verletzen. Der Risikokapitalbedarf wird also hier abhängig von der derzeitigen gesamtwirtschaftlichen Situation ermittelt. Ein derart quantifizierter Risikokapitalbedarf wird somit über den ökonomischen Zyklus hinweg starken Schwankungen unterliegen.

Berechnung des Risikokapitalbedarfs basierend auf einem TtC-Ratingsystem: In diesem Fall zeigen die zur Quantifizierung des Kapitalbedarfs verwendeten Risikoparameter keine Abhängigkeit vom ökonomischen Zyklus. Die Bonitätseinstufungen der einzelnen Schuldner spiegeln nur fortwährende, fundamentale Änderungen an der gesamtwirtschaftlichen Situation wider; sie sind mithin auch als auf einen langjährigen Horizont ausgerichtete Bonitätseinstufungen zu verstehen. Dementsprechend ergibt sich in diesem Fall, dass sich auch die Risikotragfähigkeitsrechnung auf einen langfristigen Zeithorizont bezieht. Ein der Risikotragfähigkeitsrechnung zugrunde gelegtes Konfidenzniveau von 99,9 Prozent würde sich in diesem Fall dahingehend interpretieren lassen, dass die Risikotragfähigkeitsrechnung darauf abzielt, in den kommenden 1000 Jahren nur einmal auszufallen beziehungsweise nur einmal die regulatorischen Mindestkapitalanforderungen zu verletzen. In diesem Fall wird also der Risikokapitalbedarf unabhängig von der derzeitigen gesamtwirtschaftlichen Situation ermittelt. Der Risikokapitalbedarf würde sich also nur ändern, wenn eine fortwährende, fundamentale Änderung der gesamtwirtschaftlichen Situation anzunehmen ist; prozyklische Effekte werden so vermieden.

Sehr unterschiedliche Interpretationen des Risikokapitalbedarfs

Mit Bezug auf die PiT-Perspektive bedeutet dies zudem, dass der zu quantifizierende Risikokapitalbedarf lediglich den Schätzfehler zwischen den geschätzten Risikoparametern und den tatsächlich eintretenden Ausfallraten und Verlustquoten widerspiegeln muss, da die Risikoparameter in diesem Interpretationsansatz bereits als erwartungstreue Schätzer für das kommende Jahr kalibriert worden sind.

Mit Bezug auf die TtC-Perspektive ergibt sich hingegen, dass der zu quantifizierende Risikokapitalbedarf nicht nur den Schätzfehler zwischen den geschätzten Risikoparametern und den tatsächlich eintretenden Ausfallraten und Verlustquoten widerspiegeln muss, sondern vor allem auch die über den gewählten langjährigen Zeithorizont zu beobachtende Fluktuation eben dieser Risikoparameter.

Aufgrund der sehr unterschiedlichen Interpretationen des Risikokapitalbedarfs gemäß PiT- beziehungsweise TtC-Perspektive sollte ein Kreditinstitut mit großer Sorgfalt abwägen, welche der beiden Perspektiven (PiT/TtC) in seinem Steuerungsansatz eingenommen werden soll. Die wesentlichsten Unterschiede zwischen beiden Ansätzen sollen daher hier noch einmal abschließend zusammengefasst werden:

- Basierend auf der PiT-Perspektive, also insbesondere bei Verwendung von Risikoparametern aus PiT-basierten Ratingsystemen, ergibt sich ein stark prozyklisch schwankender Risikokapitalbedarf, der sich jeweils nur auf das kommende Jahr bezieht.

- Basierend auf der TtC-Perspektive, also insbesondere bei Verwendung von Risikoparametern aus TtC-basierten Ratingsystemen, ergibt sich ein über den ökonomischen Zyklus hinweg sehr stabiler Risikokapitalbedarf, der sich auf einen langjährigen zukünftigen Zeitraum bezieht. Prozyklische Effekte werden so vermieden; jedoch verliert der Risikokapitalbedarf bezogen auf den konkreten 1-Jahres Horizont seine einfache Interpretierbarkeit.

Merton-Modell weitverbreitet

Implikationen für die Kreditportfoliomodellierung: Die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Differenzierung zwischen der PiT- beziehungsweise TtC-Perspektive im Kontext der Risikotragfähigkeit hat weitreichende Konsequenzen für die Kreditportfoliomodellierung. Ins besondere zeigt sich, dass die Korrelationsparametrisierung auf die gewählte Steuerungsperspektive (PiT beziehungsweise TtC) abgestimmt werden muss. Darüber hinaus führt die marktübliche Methodik zur zusätzlichen Berücksichtigung des Migrationsrisikos im Kreditportfoliomodell, also des Risikos einer Bonitätsverschlechterung, zu konzeptionellen Inkonsistenzen und somit in Abhängigkeit der gewählten Steuerungsperspektive zu einer teilweise deutlichen Fehleinschätzung des Risikokapitalbedarfs.

Der für die Kreditportfoliomodellierung am weitesten verbreitete Ansatz ist das sogenannte Merton-Modell. Dieses beschreibt das Ausfallverhalten eines Schuldners sowohl durch systematische Einflussfaktoren wie die gesamtwirtschaftliche Situation, als auch durch sogenannte idiosynkratische, das heißt dem Schuldner eigene Einflussfaktoren. Hierzu sind zwei Kategorien von Korrelationsparametern maßgeblich. Die sogenannten Intra-Korrelationsparameter (auch oft als R2-Parameter bezeichnet) bestimmen die Gewichtung zwischen systematischen und idiosynkratischen Einflussfaktoren - je höher der Einfluss des systematischen Risikos auf das Ausfallverhalten des Schuldners, desto höher der Wert des Intra-Korrelationsparameters.

Die sogenannten Inter-Korrelationsparameter bestimmen hingegen die Stärke der Abhängigkeit zwischen den unterschiedlichen systematischen Einflussfaktoren. Je stärker die ökonomische Verflechtung zwischen den verschiedenen systematischen Einflussfaktoren (zum Beispiel zwischen unterschiedlichen Branchen innerhalb eines Wirtschaftsraums), desto höhere Werte werden die Inter-Korrelationsparameter annehmen. Dabei ist zu bemerken, dass beide Korrelationsparameter signifikanten Einfluss auf die Höhe des zu quantifizierenden Risikokapitalbedarfs haben; je höher die Korrelationen, desto höher auch der Risikokapitalbedarf. Für die folgende Diskussion des Zusammenwirkens mit der Steuerungsperspektive (PiT/TtC) wird die Betrachtung hier jedoch auf ein Einfaktormodell beschränkt, in dem es dementsprechend keine Inter-Korrelationen gibt. Zudem werden der Einfachheit halber die Intra-Korrelationen, also die R2-Paramter, im Folgenden schlichtweg als Korrelationen bezeichnet werden.

Zusammenwirken mit der Steuerungsperspektive

Bereits aus dieser Darstellung wird ersichtlich, dass die Bedeutung beziehungsweise die Höhe der zu parametrisierenden Korrelationen in starkem Maße von der Wahl des Steuerungsansatzes abhängt. Liegt eine PiT-Steuerungsperspektive zugrunde, so spiegelt die Bonitätsbeurteilung der Schuldner - als Eingangsgröße in das Kreditportfoliomodell - bereits die aktuelle gesamtwirtschaftliche, sowie auch die schuldnerspezifische Situation wider. Insbesondere bedeutet dies, dass sich in einer Rezessionsphase bereits die Bonitätsbeurteilungen der einzelnen Schuldner im Portfoliodurchschnitt verschlechtert haben werden; systematische Einflüsse auf das Ausfallverhalten der Schuldner - wie im Kreditportfoliomodell über die Korrelationsparameter modelliert - werden also im Wesentlichen bereits im erwarteten Verlust und somit vor Modellierung des "unerwarteten Verlusts" im Rahmen des Kreditportfoliomodells berücksichtigt.

Im (praktisch unmöglichen) Extremfall von perfekt erwartungstreu kalibrierten PiT-Risikoparametern, also Bonitätseinschätzungen, die zu jedem Zeitpunkt des ökonomischen Zyklus das Ausfallverhalten der Schuldner exakt antizipieren, wären daher die R2-Parameter auf null zu setzen. In der Praxis ist dieser Extremfall natürlich ausgeschlossen, jedoch bleibt die Kernaussage bestehen, dass die zu parametrisierenden Korrelationen umso kleiner werden, je besser die verwendeten Ratingsysteme die tatsächlichen Risiken des kommenden Jahres antizipieren können.

Liegt hingegen eine TtC-Steuerungslogik zugrunde, so spiegeln die Bonitätsbeurteilungen der einzelnen Schuldner als Eingangsgröße in das Kreditportfoliomodell weder die aktuelle gesamtwirtschaftliche Lage noch zeitliche Fluktuationen in der schuldnerspezifischen Komponente wider. Systematische Einflüsse auf das Ausfallverhalten der Schuldner sind daher im Rahmen des Kreditportfoliomodells über die Korrelationen zu berücksichtigen. Diese fallen daher im Falle der TtC-basierten Steuerung in der Regel sehr hoch aus. Der so quantifizierte Risikokapitalbedarf spiegelt in diesem Falle also wie bereits zuvor diskutiert insbesondere die über den gewählten langjährigen Zeithorizont zu beobachtende Fluktuation eben dieser Risikoparameter wider.

In der Praxis werden die Korrelationsparameter allerdings nur sehr selten tatsächlich in Abhängigkeit von der Steuerungslogik bestimmt.

Am Markt sind verschiedene Verfahren zur Korrelationsbestimmung verbreitet; diese beruhen teilweise auf der Parametrisierung über Aktienzeitreihen, teilweise auf der Verwendung von Zeit reihen historischer Ausfälle. Fehlt bei der Parametrisierung jedoch der Bezug zur Steuerungslogik, wird das Kapital im Regelfall nicht korrekt quantifiziert; dies kann sowohl eine deutliche Unter- als auch eine deutliche Überschätzung des Risikokapitalbedarfs zur Folge haben.

Unstimmigkeiten bei der Parametrisierung

Zwei der häufigsten Unstimmigkeiten bei der Parametrisierung sollen im Folgenden erläutert werden.

Bestimmung der Korrelationsparameter auf Basis von Aktienzeitreihen: Bei diesem Vorgehen werden die Korrelationsparameter, auch im Sinne der MaRisk, oftmals auf Basis von Aktienzeitreihen bestimmt, die mindestens einen ganzen ökonomischen Zyklus abdecken. Neben dem grundsätzlichen und vielfach diskutierten Problem einer fehlenden direkten Verbindung zwischen Equity- und Ausfallkorrelation soll hier ein subtilerer Aspekt betont werden, nämlich dass die Korrelationen in jedem Fall entsprechend der gewählten Steuerungslogik zu schätzen sind. Liegt eine TtC-Steuerungslogik zugrunde, so kann die Ableitung auf Basis langjähriger Equity-Zeitreihen durchaus als adäquat aufgefasst werden.

Liegt jedoch eine PiT-Steuerungslogik zugrunde, so würde die üblicherweise in diesem Kontext vorgenommene Ableitung der Korrelationen auf Basis eines kurzen Zeithorizonts in der konzeptionellen Inkonsistenz resultieren, dass nun sowohl die Korrelationen als auch die herangezogenen PiT-Bonitätseinschätzungen die systematischen Effekte berücksichtigen.

In diesem Fall würde es also zu einer doppelten Berücksichtigung der ökonomischen Systematik und somit zu einer einhergehenden Kapitalüberschätzung kommen. Im Falle einer PiT-Steuerungsperspektive muss eine in sich konsistente Bestimmung der Korrelationsparameter daher analysieren, zu welchem Anteil systematische Einflussfaktoren bereits in den Risikoparametern berücksichtigt werden. Nur der Residualanteil darf dann noch über die Korrelationsparameter Berücksichtigung finden.

Bestimmung der Korrelationsparameter auf Basis historischer Ausfallzeitreihen: In diesem Fall werden oftmals aufgrund der unzureichenden Anzahl an Ausfallereignissen, nicht nur diese zur Korrelationsbestimmung herangezogen, sondern zusätzlich auch Migrationsereignisse, also Up- und Downgrades der einzelnen betrachteten Schuldner. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich als nicht adäquat einzustufen. Liegt der Modellierung nämlich eine PiT-Steuerungslogik zugrunde, so spiegeln - wie zuvor diskutiert - die Migrationen über die Zeit gerade den systematischen Einfluss der gesamtwirtschaftlichen Situation auf die Bonitätsbeurteilung wider - also gerade jenen Effekt, welcher durch die Verwendung eines PiT-basierten Ratingsystems bereits in der sich permanent an die ökonomische Situation anpassende PiT-Bonitätsbeurteilung berücksichtigt ist und somit in der Quantifizierung des Risikokapitalbedarfs keine weitere Berücksichtigung mehr finden sollte.

In diesem Fall würde also eine regelrechte "Doppelzählung" des systematischen Risikos resultieren. Umgekehrt unterliegen bei zugrunde liegender TtC-Steuerungslogik Migrationen grundsätzlich keinem systematischen Einfluss. Die Berücksichtigung von Migrationsereignissen ist daher per se nicht geeignet, die R2-Parameter in der TtC-Steuerungsperspektive zu bestimmen, da diese hier gerade die Stärke der systematischen Effekte auf das Ausfallverhalten der Schuldner parametrisieren.

Einbindung der Migrationsrisiken

Schließlich soll die Einbindung der Migrationsrisiken im Rahmen des Kreditportfoliomodells kurz diskutiert werden. Marktüblich wird diese Integration vorgenommen, indem die Intra-Korrelationsparameter, über die das Gewicht der systematischen Einflussfaktoren auf das Ausfallverhalten festgelegt wird, gleichzeitig als Gewichtungsfaktor für den Einfluss der systematischen Faktoren auf das Migrationsverhalten verwendet werden.

Dabei werden sowohl das Ausfallverhalten als auch das Migrationsverhalten über dieselben Ausprägungen derselben systematischen Faktoren zum gleichen Zeitpunkt simuliert. Dass dies augenscheinlich keine korrekte Form der Modellierung darstellt, wird durch eine einfache Überlegung evident: Wie bereits erläutert, müssten im (praktisch unmöglichen) Extremfall von perfekt erwartungstreu kalibrierten Risikoparametern, also bei zugrunde liegender perfekter PiT-Steuerungslogik, die Intra-Korrelationen auf null gesetzt werden. Damit würden aber bei dieser Form der Modellierung auch keine systematisch getriebenen Migrationsereignisse mehr modelliert - was im direkten Gegensatz zur Natur von PiT-Ratingsystemen steht. Umgekehrt sollte der Risikokapitalbedarf bei zugrunde liegender perfekter TtC-Steuerungslogik keiner Erhöhung durch Migrationsrisiken unterliegen; über die marktübliche Form der Modellierung würde jedoch das Gegenteil erzielt.

Zeitpunktbetrachtung als Kernproblem

Letztendlich liegt das Kernproblem bei der Berücksichtigung von Migrationen im Rahmen des Kreditportfoliomodells darin, dass die marktüblichen Modellierungen jeweils nur einen Zeitpunkt betrachten. Dies ist historisch begründet, da die ursprüngliche Intention des Merton-Modells in der Betrachtung von Ausfallereignissen bestand, für die eine punktweise Betrachtungsweise angemessen ist.

Im Gegensatz dazu sind Migrationen jedoch ihrem Wesen nach per se Prozesse, die den Übergang zwischen (mindestens) zwei Zuständen, das heißt also (mindestens) zwei Zeitpunkten, beschreiben. Für ihre konsistente Modellierung müssen demnach auch (mindestens) zwei Zeitpunkte mit entsprechend zwei verschiedenen Sätzen an systematischen Risikofaktoren simuliert werden. Die marktübliche Methodik zur Abbildung von Migrationsrisiken müsste also auf die Betrachtung von (mindestens) zwei Zeitpunkten erweitert werden, um einer Fehlberechnung des Risikokapitalbedarfs entgegenzuwirken.

Implikationen für das Stress Testing: Auch im Stress-Testing-Kontext müssen PiT- und TtC-Risikoparameter voneinander unterschieden werden. Im jüngsten EBA Stresstest wurde insbesondere eine Unterscheidung zwischen sogenannten "regulatorischen" Parametern und "PiT"-Parametern getroffen. So heißt es in Artikel 64 der methodischen Hinweise zum EBA Stresstest: "Regulatorische Risikoparameter (PDreg und LGDreg) beziehen sich auf diejenigen Parameter, die zur Berechnung der Kapitalanforderungen gemäß CRR/ CRD IV verwendet werden [...]. Point-in-Time Risikoparameter (PDpit und LGDpit) sollten zukunftsgerichtete Projektionen der Ausfall- und Verlustraten darstellen und aktuelle Trends im ökonomischen Zyklus widerspiegeln. Im Gegensatz zu Through-the-Cycle Parametern sollten diese nicht zyklusneutral sein [...]." Weiterhin heißt es in den Artikeln 87 und 88: "Die Banken sind dazu angehalten bei der Berechnung gestresster RWAs dem regulatorischen Rahmenwerk zu folgen; dies bedeutet, dass regulatorische Risikoparameter zu verwenden sind, die sich von PiT-Parametern unterscheiden [...]. Grundsätzlich wird erwartet, dass sich - gegeben ein makroökonomisches Szenario - nicht nur die PiT-Parameter, sondern auch die regulatorischen Risikoparameter verschlechtern."

Mit der CRR in Einklang?

Während die Definition der PiT-Parameter gemäß Artikel 64 nicht im Gegensatz zu der in diesem Artikel getroffenen Defini tion steht, verwundert es, dass die regulatorischen Parameter offensichtlich im Kontrast zu PiT-Parametern gesehen werden. Im Prinzip scheinen die zitierten Artikel zu suggerieren, dass regulatorische Parameter eher TtC-Charakter besitzen. Wie bereits zu Anfang diskutiert, stehen aber grundsätzlich sowohl PiT- als auch TtC-Risikoparameter mit der CRR in Einklang und könnten insofern regulatorischen Parametern im Sinne der EBA-Methodik entsprechen. Eine differenzierte Anwendung von regulatorischen Parametern zur Berechnung gestresster RWAs und von PiT-Parametern für alle weiteren kreditrisikorelevanten Berechnungen - wie von der EBA gefordert - wäre daher eigentlich nicht in jedem Fall erforderlich; vor allem nicht dann, wenn eine PiT-Steuerungslogik verfolgt wird.

Bei der Ableitung gestresster Risikoparameter, zum Beispiel auf Basis makroökonomischer Regressionsmodelle, ist es in jedem Fall von besonderer Bedeutung, den PiT- beziehungsweise TtC-Charakter, der den institutseigenen Risikoparametern inne ist, adäquat aufzugreifen. Auch dies wird in der Praxis oftmals nicht konsequent so gehandhabt. So werden zum Beispiel die Ergebnisse makroökonomischer Regressionsmodelle, die auf Zeitreihen historischer Ausfallraten und makroökonomischer Treiber, wie zum Beispiel dem Bruttoinlandsprodukt, basieren, oftmals direkt auf die institutseigenen Risikoparameter übertragen. Dies ist jedoch aufgrund der ausgeprägten Abhängigkeit der Ausfallraten von zyklusbedingten Einflussfaktoren nur dann adäquat, wenn die institutseigenen Risikoparameter ebenfalls ausgeprägten PiT-Charakter aufweisen und dementsprechend also die zyklusabhängige Komponente direkt in die Bonitätsbeurteilung mit einfließt.

Ist dies nicht oder nur in reduziertem Maße der Fall, so führt die direkte Anwendung der auf Basis von Zeitreihen historischer Ausfallraten erzielten Modellresultate zu einer deutlichen Überschätzung der gestressten institutseigenen Risikoparameter. Eine konsistentere Ableitung gestresster Risikoparameter würde daher eher auf der Verwendung von Zeitreihen historischer Portfolio-PDs beruhen, da diese adäquat den PiT- beziehungsweise TtC-Charakter des zugrundeliegenden Ratingsystems widerspiegeln.

In diesem Kontext ist eine weitere Anforderung aus den methodischen Hinweisen zum EBA-Stresstest bemerkenswert. So wird in Artikel 71 gefordert, dass die Institute in der Wahl ihrer Methoden zur Ableitung gestresster PiT-Parameter zunächst eine Ableitung auf der Ebene einzelner Bonitätsstufen avisieren sollten. Bei Verwendung makroökonomischer Regressionsmodelle auf Ebene der Bonitätsstufen, das heißt zum Beispiel Regression der je Bonitätsstufe beobachteten Ausfallrate gegen einen geeigneten makroökonomischen Treiber, wird dies jedoch kaum zu verwertbaren Ergebnissen führen. Grund dafür ist die anfangs geschilderte Tatsache, dass die Ausfallraten je Bonitätsstufe in einem PiT-System grundsätzlich nur unwesentlich mit dem ökonomischen Zyklus schwanken, da zum Beispiel bei antizipierter Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Situation eine Migration der Schuldner in eine schlechtere Bonitätsstufe auftreten wird.

Anders formuliert spiegelt sich in der Schwankung der Ausfallraten pro Bonitätsstufe gerade nur derjenige Anteil des systematischen Einflusses wider, der nicht bereits in der eigentlichen Bonitätsbeurteilung berücksichtigt wurde und insofern konsequenterweise auch nicht für die Ableitung gestresster Risikoparameter herangezogen werden sollte.

Aus diesem Grund sollte daher zur adäquaten Ableitung des Einflusses makroökonomischer Treiber auf die Ausfallwahrscheinlichkeiten der einzelnen im Portfolio befindlichen Schuldner auf entsprechende Portfoliogrößen (Portfolioausfallrate, Portfolio-PD) abgestellt werden. Zwar sind dann entsprechende Annahmen erforderlich, die es ermöglichen, den Portfolioeffekt auf die einzelnen Schuldner herunterzubrechen, jedoch können überhaupt nur auf diese Weise sinnvolle Ergebnisse erzielt werden.

Die hier vorgetragenen Argumente machen deutlich, dass eine klare Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten PiT und TtC insbesondere auch im Kontext des Stress Testings von überragender Bedeutung ist, da andernfalls Fehleinschätzungen des Einflusses von adversen makroökonomischen Szenarien auf das Kapitalpolster der Institute resultieren können.

Gefahr von Fehlsteuerungsimpulsen

Die am Markt geläufige Charakterisierung von PiT- und TtC-Parametern als auf kurzen beziehungsweise langen Zeiträumen kalibriert geht am Kern dieser Begrifflichkeiten vorbei und führt sowohl in der praktischen Anwendung als auch in konzeptionellen Überlegungen zu Inkonsistenzen. So kann die unscharfe Verwendung im Stresstest-Kontext sowohl zu einer deutlichen Unter- wie auch Überschätzung kreditrisikorelevanter Größen wie dem Risikokapitalbedarf oder den RWAs führen, sodass sich hieraus Fehlsteuerungsimpulse ergeben können.

Darüber hinaus halten in diesem Kontext auch die marktüblichen Methoden zur Integration von Migrationsrisiken in die Risikotragfähigkeitsrechnung einer kritischen Betrachtung nicht immer stand. Neben einer grundsätzlichen fachlichen Auseinandersetzung mit den Implikationen der PiT- beziehungsweise TtC-Perspektive für das Risikomanagement, wird daher die Überprüfung von Stresstest-Methoden sowie der Methoden zur Integration von Migrationsrisiken in die Risikotragfähigkeitsrechnung empfohlen.

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