Sanierungs- und Abwicklungsplanung als Ergänzung der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR und SREP

Dr. Philipp Gann, Senior Spezialist Risikocontrolling, Unternehmensbereich Group Risk Control, Bayerische Landesbank

Dr. Philipp Gann, Senior Spezialist Risikocontrolling, Unternehmensbereich Group Risk Control, Bayerische Landesbank, München - Durch die Einführung des Sanierungs- und Abwicklungsregimes registriert der Autor trotz des aktuellen geldpolitischen Kurses der EZB teilweise substanzielle Veränderungen der mit einzelnen Finanzierungsinstrumenten verbundenen Kapitalkosten. Den ökonomischen Nutzen einer integrierten Kapital- und Risikosteuerung sieht er somit weiter gestiegen, verweist an dieser Stelle aber auf ein ungenutztes Optimierungspotenzial. Der vom Regulator gewünschten Steuerungswirkung bescheinigt er nur dann eine verstärkte Disziplinierung der Institute durch die Marktkräfte, wenn eine glaubwürdige Umsetzung der Vorgaben der BRRD im Abwicklungsfall gelingt. (Red.)

Die durch die US-amerikanische Subprime-Krise ausgelöste internationale Finanzkrise führte in den Jahren nach 2008 zu einer umfassenden Reform der internationalen und europäischen Bankenregulierung. Ursächlich hierfür war die Erkenntnis des Gesetzgebers, dass in Schieflage geratene Institute, die hinsichtlich ihrer internationalen oder auch nationalen Bedeutung als systemrelevant eingestuft wurden (Global Systemically Important Banks, G-SIBs beziehungsweise Domestic Systemically Important Banks, D-SIBs) im Krisenfall keinem klassischen Insolvenzverfahren zugeführt werden können. Vielmehr bestand die faktisch zwingende Notwendigkeit, diese Institute mit hohen Summen von Steuergeldern zu stützen (Government Bail-out), um die adversen Implikationen zu vermeiden, die mit einer Terminierung der für die nationalen und globalen Volkswirtschaften sowie die Stabilität der internationalen Finanzmärkte (Reduktion des Contagion Risk) essenziellen Funktionen des Instituts (zum Beispiel Derivate- und Kreditgeschäft) einhergehen.

Die hohen Kosten für die Staatshaushalte verbunden mit den zu exzessiver Risikoübernahme verleitenden negativen Anreizeffekten (Moral Hazard) impliziter Staatsgarantien für systemrelevante Institute (Too-big/Connected-to-fail) führten bereits im Jahr 2008 auf Ebene der G20 zu der Initiierung umfassender Reformen, um zukünftig vergleichbare Krisensituationen beziehungsweise Handlungszwänge ex ante vermeiden zu können.

Zielsetzung der Reforminitiativen

Die intendierten Reformen fokussierten sich dabei auf zwei grundsätzliche Themenfelder, nämlich die Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Krise einschließlich der Reduktion des potenziellen Ausmaßes systemischer Risiken einerseits und die glaubwürdige Beendigung der Bail-out-Politik und damit auch die Lösung des Too-big-to-fail-Problems andererseits (Abbildung 1). Hinsichtlich der Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Krise beziehungsweise der Reduktion des potenziellen Ausmaßes systemischer Risiken erfolgte mit dem Ziel einer Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Finanzinstitute eine umfassende Weiterentwicklung des Basel-II-Frameworks hin zu dem deutlich ausgeprägter normativen Regulierungsrahmen Basel III.

Zum anderen erfolgten ergänzend zu dem bis dato faktisch ausschließlich mikroprudenziellen Regulierungsansatz der Aufsichtsbehörden die Einführung eines makroprudenziellen Regulierungsregimes und damit auch eine grundlegende Veränderung des institutionellen Regulierungsrahmens. Innerhalb des European System of Financial Supervision (ESFS) wurde dies durch die Einführung des European Systemic Risk Boards (ESRB) abgebildet.

Für die glaubwürdige Beendigung der Bailout-Politik und damit die Lösung des Toobig-to-fail-Problems wurde das Financial Stability Board (FSB) zur Entwicklung internationaler Standards für ein Sanierungs- und Abwicklungsregime beauftragt. Mit dem Ziel der Sicherstellung der Finanzmarktstabilität sollte es innerhalb des Abwicklungsregimes im Gegensatz zum normalen Insolvenzverfahren möglich werden, trotz Beteiligung der Eigen- und Fremdkapitalgeber an den auftretenden Verlusten eines in Schieflage geratenen Kreditinstituts, die potenziell kritischen Funktionen dieses Instituts auch im Abwicklungsfall störungsfrei fortzuführen.

SREP Guidelines als Brücke zwischen CRR und BRRD

Die Umsetzung der mikroprudenziell orientierten globalen Reforminitiativen wurde auf europäischer Ebene wesentlich durch die Neueinführung der Capital Requirements Regulation (CRR, Regulation 2013/36/EU), der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD, Directive 2014/59/ EU) sowie der EBA Guidelines on common pro cedures and methodologies for SREP (SREP-GL, EBA/GL/2014/13) geprägt. Letztere bilden dabei faktisch die Brücke zwischen CRR und BBRD (Abbildung 2). Im Rahmen des in den SREP Guidelines beschriebenen Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) überprüft die Aufsichtsbehörde - bei den durch den Single Supervisory Mechanism (SSM) beaufsichtigten Institute ist dies die EZB - regelmäßig die Angemessenheit der Strategien, der Governance sowie der Kapital- und Liquiditätsausstattung (Overall SREP Assessment) und aggregiert ihre Bewertungsergebnisse für die einzelnen Prüfungsbereiche zu einer Gesamtbewertung (Overall SREP Score).

Das aggregierte Ergebnis spiegelt zum einen die Bewertung der Risiken durch die Aufsichtsbehörde wider, denen das Institut in einer Fortführungsperspektive (Going Concern) ausgesetzt ist. Zum anderen bildet es die Fähigkeit des Instituts ab, diese Risiken - zum Beispiel durch Kapital- und Liquiditätsreserven, eine angemessene Governance sowie glaubwürdige Geschäftsstrategie - dauerhaft tragen beziehungsweise mildern zu können. Die SREP Guidelines ermöglichen der Aufsicht dementsprechend eine an genau definierten Standards ausgerichtete institutsindividuelle Beurteilung, ob die für alle Institute der EU einheitlichen Mindestkapitalanforderungen der CRR für ein spezifisches Institut auch tatsächlich angemessen sind.

Falls die Mindestkapitalanforderungen der CRR auf Grundlage des Overall SREP Assessment durch die Aufsichtsbehörden als nicht ausreichend erachtet werden, erfolgt die Vorgabe von institutsindividuellen SREP-Kapitalaufschlägen - in der für den SSM seit 2017 gültigen Vorgehensweise (vergleiche zum Beispiel SSM SREP Methodology Booklet 2016 der EZB) in Form der Pillar 2 Requirements (P2R) sowie Pillar 2 Guidance (P2G). Die SREP Guidelines ermöglichen es der Aufsichtsbehörde somit, die Vorgaben der CRR institutsindividuell in Abhängigkeit der getroffenen Risikoeinschätzung nach oben zu skalieren. Ferner stellen die SREP Guidelines die Grundlage für die in der BRRD beschriebenen und den Guidelines on triggers for the use of early intervention measures (EBA/GL/2015/03) der EBA weiter detaillierten Vorgaben für das Ergreifen von sogenannten Early Intervention Measures durch die Aufsichtsbehörden dar. So kann die Aufsicht unter anderem ausgehend von dem Ergebnis des SREP Assessments frühzeitig - und auf Grundlage eines großen diskretionären Handlungsspielraums - intervenieren, um zu verhindern, dass sich identifizierte Problemfelder eines Kreditinstituts in eine Bedrohung für den Bestand dieses Instituts oder die Stabilität des Finanzsystems entwickeln. Insbesondere besteht dabei die Möglichkeit, das Ergreifen von Sanierungsmaßnahmen zur Stärkung der Kapital- und Liquiditätsbasis und damit den Übergang in das Sanierungsregime zu verordnen.

Gleichzeitig beurteilt die Aufsicht auf Grundlage des SREP Assessments die Lebensfähigkeit des Instituts und damit, ob ein Institut gemäß Artikel 32 BRRD nach Rücksprache mit der Abwicklungsbehörde - bei den durch den Single Resolution Mechanism (SRM) beaufsichtigten Kreditinstituten ist dies das Single Resolution Board (SRB) - als "Failing or likely to fail" betrachtet werden muss. Die Definition eines "Failing or likely to fail"-Zustands ist eine wesentliche Voraussetzung für den Übergang in das Abwicklungsregime. Die Vorgaben der SREP Guidelines stellen somit die logische Verknüpfung zwischen der CRR sowie der auf die Sanierung und Abwicklung ausgerichteten BRRD dar und bilden die Grundlage für die Definition des Aufsichtsregimes, in dem sich ein Kreditinstitut aktuell befindet.

Mögliche Zustände eines Kreditinstituts und Aufsichtsregime

Aufgrund der skizzierten regulatorischen Entwicklungen der vergangenen Jahre sind die möglichen Zustände eines Kreditinstituts - nämlich laufender Geschäftsbetrieb (Going Concern) versus Liquidation (Gone Concern) - nun grundsätzlich nicht länger digital. Vielmehr bestehen zwischen diesen beiden Polen weitere (glaubwürdige) Zustände, welche mit unterschiedlichen Eingriffsbefugnissen der Aufsichtsbehörde sowie des Gesetzgebers verbunden sind. Die Identifikation des aktuellen Zustands erfolgt dabei aus bankexterner Perspektive auf Grundlage des SREP Assessments sowie aus bankinterner Perspektive auf Grundlage der Überwachung von Schlüsselindikatoren (zum Beispiel CET1-Quote, Distance to Illiquidity). Prinzipiell kann dabei zwischen dem Normalzustand, der Sanierungsphase sowie der Abwicklungsphase unterschieden werden (Abbildung 3).

Der Normalzustand lässt sich weiter differenzieren in eine gewöhnliche Geschäftstätigkeit sowie eine gewöhnliche Geschäftstätigkeit unter Stress. Letztere indiziert eine Belastungssituation ohne akute Notwendigkeit, durch das Ergreifen von kapital- oder liquiditätsbezogenen Maßnahmen die Fortführbarkeit des Geschäftsbetriebs sicherzustellen. Jedoch sind ein erweitertes Monitoring sowie gegebenenfalls die Durchführung von präventiven Maßnahmen notwendig, um genau diese akute Notwendigkeit zukünftig vermeiden zu können. Bei der Sanierungsphase ist zu unterscheiden, ob die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen intern in Eigenverantwortung des Instituts oder extern durch die Aufsichtsbehörde (Early Intervention) initiiert wird.

Der Übergang in die Abwicklungsphase erfordert wie dargestellt die Feststellung eines Failing-or-likely-to-fail-Zustandes. Gleichzeitig müssen gemäß Artikel 32 BRRD die Erfolgsaussichten für Maßnahmen des privaten Sektors oder der Aufsicht für eine Sanierung (zum Beispiel Einbezug Institutssicherung, Wandlung von Kapitalinstrumenten) in sinnvollem Zeitrahmen gering sein und die Abwicklung im öffentlichem Interesse als erforderlich angesehen werden. Die der Abwicklungsbehörde zur Verfügung stehenden Abwicklungsinstrumente umfassen dabei unter anderem die Unternehmensveräußerung, die Schaffung eines Brückeninstituts, die Ausgliederung von Vermögenswerten und das sogenannte Bail-in.

Bail-in als zentrales Instrument des Abwicklungsregimes

Insbesondere dem Bail-in soll dabei zur Lösung der mit dem Too-big-to-fail-Problem verbundenen adversen Anreizeffekte eine besondere Bedeutung zukommen, da durch dieses Instrument die Möglichkeit geschaffen wird, die im Geschäftsbetrieb anfallenden Verluste sowohl durch die Eigen- als auch die Fremdkapitalgeber selbst tragen zu lassen, anstatt externe Dritte - in der Regel den Steuerzahler - am Verlust zu beteiligen.

Im Rahmen eines Bail-in wird in einem ersten Schritt der Betrag bestimmt, der zur Absorption der aufgelaufenen Verluste ohne den Einsatz von Steuergeldern notwendig ist. In einem zweiten Schritt wird dieser Betrag gemäß der in der BRRD definierten Haftungskaskade auf die Anteilseigner und Gläubiger verteilt. Damit die Durchführung eines Bail-in ex ante für das Management und die Investoren des Instituts glaubwürdig ist, muss vonseiten des Regulators eine ausreichende Verlustabsorptionskapazität - das heißt ein ausreichend großes Volumen bail-infähiger Instrumente - sichergestellt werden.

Dies bedingt die Notwendigkeit der Definition von Mindestanforderungen für verlustabsorptionsfähige Verbindlichkeiten. Auf globaler Ebene erfolgte aus diesem Grund durch den FSB die Definition von Mindestanforderungen an die Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC) und darauf basierend auf Ebene der in den Anwendungsbereich der BRRD fallenden Institute die Definition der Minimum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL). TLAC und MREL haben zum Ziel, dass ein Institut seine Verbindlichkeiten derart strukturiert, dass ein ausreichender Puffer an bail-in-fähigem Kapital für den Abwicklungsfall vorhanden ist. MREL soll von der Abwicklungsbehörde unter Einbindung der zuständigen Bankenaufsichtsbehörde individuell für jedes Institut festgelegt werden (Pillar 2 Case-by-Case approach).

Kritische Funktionen im Blick

Besonderes Augenmerk wird bei der Definition der MREL-Quote auf die kritischen Funktionen eines Instituts gelegt. Gemäß Artikel 6 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/778 der Kommission gilt eine Funktion dann als kritisch, wenn diese von einem Institut für Dritte erbracht wird, die nicht dem Institut oder der Gruppe angehören, und der plötzliche Ausfall dieser Funktion wahrscheinlich wesentliche negative Auswirkungen auf die Dritten besitzt, zu Ansteckungseffekten führen oder das allgemeine Vertrauen der Marktteilnehmer aufgrund der Systemrelevanz der Funktion untergraben kann.

Die im Sanierungsplan zu definierenden kritischen Funktionen sind auch im Abwicklungsfall fortzuführen. Die Festlegung der MREL-Quote erfolgt dementsprechend nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verlustabsorptionsfähigkeit, sondern ferner unter Berücksichtigung der notwendigen Rekapitalisierungskapazität für die kritischen Funktionen eines Instituts, da die Fortführung dieser Funktionen in einem potenziellen Abwicklungsfall die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Mindestkapitalanforderungen gemäß CRR sowie SREP Guidelines erfordern wird.

Risikotragfähigkeitsanalyse und Aufsichtsregime

Kern der Vorgaben sämtlicher bankaufsichtsrechtlicher Dokumente mit mikroprudenzieller Perspektive ist die Sicherstellung der jederzeitigen Kapitaladäquanz - welche im Fokus dieses Beitrags steht - sowie der Zahlungsfähigkeit. Die Bewertung der Kapitaladäquanz basiert dabei wesentlich auf einer Analyse der Risikotragfähigkeit, bei welcher eine Gegenüberstellung des gemessenen Risikopotenzials zu dem Risikodeckungspotenzial des Instituts erfolgt. Das Risikodeckungspotenzial bezeichnet dabei grundsätzlich die Kapitalien, welche bei einer potenziellen Materialisierung von Risiken zur Verlustabsorption zur Verfügung stehen. Anzumerken ist dabei, dass die Analyse der Risikotragfähigkeit für die Beurteilung der Kapitaladäquanz grundlegend ist, diese jedoch stets durch eine Bewertung der Art und Qualität der geschäfts- und risikostrategischen Vorgaben des Instituts sowie der Unternehmens-Governance ergänzt werden muss.

Grund ist, dass eine aussagekräftige Beurteilung der Kapitaladäquanz stets die zukünftige Entwicklung des Risikopotenzials zu berücksichtigen hat, welche maßgeblich durch die geschäfts- und risikostrategische Ausrichtung des Instituts sowie dessen Fähigkeit determiniert wird, Risiken effizient und effektiv auf Grundlage der implementierten Unternehmens-Governance möglichst unabhängig von der Entwicklung des Geschäftsumfelds steuern zu können. Entsprechend stellt die Analyse des Geschäftsmodells sowie der internen Governance wie oben beschrieben einen weiteren essenziellen Bestandteil des SREP Assessments dar.

Risikotragfähigkeitsanalyse als Element der Beurteilung der Kapitaladäquanz

Die Bedeutung der Risikotragfähigkeitsanalyse als Kernelement der Beurteilung der Kapitaladäquanz spiegelt sich in den zentralen Vorgaben der CRR sowie den SREP Guidelines beziehungsweise den MaRisk wider. So definiert die CRR verbindliche Vorgaben für die Sicherstellung einer adäquaten Eigenmittelausstattung bezüglich der übernommenen Risikopositionen und damit die dauerhafte Gewährleistung einer normativ definierten (regulatorischen) Risikotragfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der Fortführbarkeit des Geschäftsbetriebs (Going Concern). Die SREP Guidelines konkretisieren die qualitativen Vorgaben der zweiten Säule von Basel II/III und definieren unter anderem umfassende Erwartungen an die Ausgestaltung des Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP), dessen Herzstück die ökonomische Risikotragfähigkeitsanalyse darstellt.

Die BaFin formuliert mit den MaRisk bereits seit 2005 umfassende Anforderungen an die ökonomische Risikotragfähigkeitsanalyse deutscher Kreditinstitute, welche in den Folgejahren durch aktualisierte Fassungen der MaRisk sowie dem 2011 veröffentlichten Dokument "Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte" weiter konkretisiert wurde.

Gemäß der deutschen Prüfungspraxis hat die ökonomische Risikotragfähigkeitsanalyse bei bedeutenden Instituten dabei sowohl das Ziel der Fortführung des Instituts (Going Concern) als auch den Schutz der Gläubiger vor Verlusten in der Liquidationsperspektive (Gone Concern) umfassend zu berücksichtigen. Die Risikotragfähigkeit muss dabei unter Berücksichtigung von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftsaktivitäten nicht nur für die Normalsituation, sondern auch unter Stressbedingungen umfassend analysiert werden. Die ökonomische Risikotragfähigkeit ist genau dann gegeben, sofern das Kreditinstitut nach Einschätzung des eigenen (umsichtigen) Risikomanagements über eine ausreichende Kapitalausstattung zur Unterlegung eingegangener und durch die strategischen Vorgaben induzierten zukünftigen Risikopotenziale verfügt, um die angestrebten Geschäftsziele erreichen zu können.

Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR und SREP

Die Vorgaben zur regulatorischen Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR als auch zur ökonomischen Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß SREP beziehungsweise Ma-Risk verfolgen das identische Ziel einer umfassenden Beurteilung der Kapitaladäquanz. Neben der Zusammensetzung des Risikodeckungspotenzials unterscheiden sich die Berechnungsweisen des Risikopotenzials in Abhängigkeit von der betrachteten Risikotragfähigkeitsperspektive jedoch deutlich. So basiert die Bestimmung des Risikopotenzials im Rahmen der regulatorischen Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR zumindest zu großen Teilen (zum Beispiel Kreditrisiko) auf von Aufsichtsseite aus genau definierten Verfahren, welche die institutsindividuellen Charakteristika (zum Beispiel bestehende Korrelationsbeziehungen zwischen einzelnen Kreditrisikopositionen) nicht oder nur sehr pauschal berücksichtigen (zum Beispiel Standard- oder IRB-Ansatz). Auch die das Risiko deckungspotenzial konstituierenden Eigen mittelbestandteile sind in der CRR detailliert definiert.

Im Rahmen der ökonomischen Risikotragfähigkeitsanalyse unter Liquidationsgesichtspunkten (Gone Concern) erfolgt die Ermittlung des Risikopotenzials in der Praxis regelmäßig auf Basis quantitativer Ansätze auf Grundlage des Value-at-Risk oder Expected Shortfalls unter Verwendung hoher Konfidenzniveaus (zum Beispiel 99,95 Prozent). Das Risikodeckungspotenzial wird dabei aus einer wertorientierten Perspektive institutsindividuell definiert und kann neben Eigenkapitalien auch nachrangige Fremdkapitalien enthalten, die im Liquidationsfall unter der Maßgabe des Schutzes vorrangiger Gläubiger zur Abdeckung materialisierter Risiken zur Verfügung stehen. Bei ökonomischen Going-Concern-Analysen wird das Risikopotenzial im Allgemeinen ebenfalls auf Basis quantitativer Ansätze (unter Verwendung eines verglichen mit Liquidationsansätzen geringeren Konfidenzniveaus) oder auch Szenariobetrachtungen ermittelt. Die Grundgesamtheit der zu berücksichtigenden Risiken kann sich dabei jedoch von Liquidationsansätzen teilweise deutlich unterscheiden (zum Beispiel Vernachlässigung von Migrationsrisiken).

Unterschiedliche Beurteilungen der Risikosituation

Auch das im Going Concern betrachtete bilanzorientierte Risikodeckungspotenzial weicht elementar von dem in der CRR oder dem in einem ökonomischen Liquidationsansatz definierten Risikodeckungspotenzial ab. Infolge der verschiedenartigen Definitionen der Risikodeckungspotenziale sowie der unterschiedlichen Ansätze und Methoden zur Quantifizierung des Risikopotenzials ergeben sich in den individuellen Risikotragfähigkeitsperspektiven - auch wenn diese alle die gleiche Frage nach der Risikotragfähigkeit eines Instituts zu beantworten suchen - unterschiedliche Beurteilungen der Risikosituation. Jede Sichtweise liefert dabei einen wichtigen Beitrag zur Gesamtbeurteilung der Risikosituation und damit der wertorientierten Gesamtbanksteuerung des Instituts.

Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD

Auch die Vorgaben der BRRD (und die daraus abgeleiteten europäischen und deutschen aufsichtsrechtlichen Anforderungen) zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten stellen in ihrem Kern Anforderungen an die Durchführung einer Risikotragfähigkeitsanalyse dar, wenngleich dies nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist (Abbildung 4). Die regulatorischen Vorgaben an die umfassende Identifikation von kapital- und liquiditätsbezogenen Handlungsoptionen im Sanierungsplan und die Notwendigkeit von deren Verprobung anhand hypothetischer Belastungsszenarien entspricht de facto der Forderung zur Durchführung einer dynamischen Risikotragfähigkeitsanalyse in einer Going-Concern-Perspektive, bei welcher sowohl das Risikopotenzial als auch das Risikodeckungspotenzial in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen (zum Beispiel Deleveraging, Durchführung einer Kapitalerhöhung) veränderbar sind.*)

Die Going-Concern-Perspektive im Sanierungsfall unterscheidet sich damit grundlegend von der Going-Concern-Perspektive der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR sowie MaRisk, da das Ergreifen von Handlungsoptionen bei Bestehen einer bestandgefährdenden Belastungssituation und der dadurch bedingten Dynamisierung von Risikodeckungs- und Risikopotenzial gegebenenfalls die Anpassung der geschäfts- und risikostrategischen Vorgaben sowie des Geschäftsmodells erfordert (zum Beispiel aufgrund des Verkaufs von strategisch relevanten Unternehmensbeteiligungen).

Die Vorgaben zur Abwicklungsplanung und die beschriebenen Anforderungen an den Umfang der zwingend vorzuhaltenden bail-in-fähigen Kapitalien zur Sicherstellung einer ausreichenden Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungsfähigkeit stellen wiederum nichts anderes dar, als die Definition eines Gone-Concern-Kapitals, welches neben Eigenmitteln sämtliche Verbindlichkeiten umfasst, die zur Verlustabsorption sowie Rekapitalisierung der kritischen Funktionen eines Instituts zur Verfügung stehen sollen und damit im Wege eines Bail-in gewandelt werden können. Das für den Gone-Concern-Abwicklungsfall definierte Risikodeckungspotenzial wird durch die MREL-Quote definiert und umfasst somit aufgrund der Zielsetzung des Schutzes der Steuerzahler weitere Kapitalinstrumente, welche im Rahmen einer ökonomischen Risikotragfähigkeitsanalyse unter Liquidationsgesichtspunkten mit dem Ziel des Schutzes der vorrangigen Gläubiger nicht berücksichtigungsfähig sind.

Die BRRD ergänzt und erweitert die ökonomische Gone-Concern-Perspektive somit de facto um eine standardisierte Vorgabe, welche auf eine Risikotragfähigkeitsanalyse im Abwicklungsfall mit dem Ziel des Schutzes der Steuerzahler abstellt. Neben einer "regulatorischen" Going-Concern-Perspektive gemäß CRR existiert mit den Vorgaben zur Abwicklungsplanung dementsprechend nun auch eine "regulatorische" Gone-Concern-Perspektive gemäß BRRD. Die BRRD stellt somit genauso wie die CRR sowie SREP Guidelines beziehungsweise die Ma-Risk Anforderungen an die Sicherstellung der Risikotragfähigkeit und damit die Angemessenheit der Kapitaladäquanz in dem jeweiligen Aufsichtsregime.

Implikationen für eine wertorientierte Gesamtbanksteuerung

Die in diesem Beitrag dargestellte Perspektive auf CRR, SREP Guidelines und BRRD ermöglicht dem Management eines Instituts ein intuitives Verständnis des Zusammenhangs der einzelnen Regulierungsbausteine und deren Implikationen für eine wertorientierte Gesamtbanksteuerung. Die individuellen Eigen- und Fremdkapitalien eines Instituts sind - mit Ausnahme der in Artikel 44 der BRRD definierten Instrumente wie zum Beispiel gedeckte Einlagen bis 100 000 Euro und kurzfristige Verbindlichkeiten - Teil des in einem oder auch mehreren Aufsichtsregimen betrachteten Risikodeckungspotenzials und damit ceteris paribus in unterschiedlich hohem Ausmaß mit Risiken belegt.

Dieser Sachverhalt determiniert die mit den einzelnen Finanzierungsinstrumenten verbundenen Kapitalkosten, welche sich durch die Einführung des Sanierungs- und Abwicklungsregimes trotz des aktuellen geldpolitischen Kurses der EZB und den dadurch bedingten Implikationen für die Höhe der Risikoprämien in der Praxis teilweise bereits substanziell verändert haben.

Der ökonomische Nutzen einer integrierten Kapital- und Risikosteuerung ist somit durch die Einführung des Sanierungs- und Abwicklungsregimes der BRRD und der darin definierten Möglichkeit des Bail-in weiter gestiegen. Entsprechend wurde dadurch die Notwendigkeit verstärkt, im Rahmen eines auf die Risk-Return-Maximierung des Instituts ausgerichteten strategischen und operativen Risikomanagements die Implikationen sämtlicher Steuerungsmaßnahmen auf die Kapitalkosten der zur Verlustabsorption in den unterschiedlichen Aufsichtsregimen eingesetzten Finanzinstrumente umfassend zu berücksichtigen. Besonders in einem Umfeld mit starkem Wettbewerbsdruck, historisch niedrigen Zinsen sowie hohen (geld-) politischen und wirtschaftlichen Risiken sollten Optimierungspotenziale nicht ungenutzt bleiben.

Die durch die Einführung des Abwicklungsregimes induzierte Veränderung der Kapitalkosten der einzelnen Finanzierungsinstrumente entfaltet dabei auch eine vom Regulator intendierte Steuerungswirkung im Sinne einer verstärkten Disziplinierung der Institute durch die Marktkräfte. Dass diese langfristig zu einer Stärkung der Stabilität des Finanzsystems beitragen, setzt die glaubwürdige Umsetzung der Vorgaben der BRRD im Abwicklungsfall voraus. Hierzu steht der Praxistest jedoch noch aus.

Die Inhalte dieses Beitrags spiegeln die Sichtweise des Verfassers wider und sind nicht notwendigerweise deckungsgleich mit der Position der Bayerischen Landesbank München.

Fußnote

*) Dabei ist anzumerken, dass bei der Verprobung der Handlungsoptionen im Rahmen der Belastungsanalyse im Sinne einer umfassenden Bewertung der Kapitaladäquanz stets auch die Implikationen der Belastungssituation sowie der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen auf die ökonomische Risikotragfähigkeit in einer Liquidationsperspektive analysiert werden. Die im Text verwendete Begrifflichkeit einer dynamischen Risikotragfähigkeitsanalyse in einer Going-Concern-Perspektive bezieht sich entsprechend auf den aktuellen Zustand - nämlich die Fortführung des Geschäftsbetriebs trotz akuter Belastungssituation - in welchem sich das Institut trotz Sanierungssituation befindet.

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