T2S - Status quo und Perspektiven aus deutscher Sicht

Jochen Metzger, Leiter des Zentralbereichs Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main

Quelle: Deutsche Bundesbank

Jochen Metzger, Leiter des Zentralbereichs Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main - Der Nachmittag des Zahlungsverkehrssymposiums 2017 der Deutschen Bundesbank stand ganz im Zeichen des mit der Einführung von Target2-Securities (T2S) eingeleiteten Umbruchs in der Wertpapierabwicklung. Im Rahmen zweier Podiumsdiskussionen haben sich Akteure aus verschiedenen Teilen der Wertschöpfungskette mit den potenziellen Treibern der weiteren Entwicklung beschäftigt und schließlich einen Blick in die Glaskugel geworfen, um der Frage nachzugehen, wie denn die Nachhandelslandschaft in zehn Jahren aussehen könnte. Der Autor fasst die Erkenntnisse und Erwartungen der Marktteilnehmer im Folgenden zusammen: Die Migration auf T2S hat aus deutscher Sicht gut geklappt und die Harmonisierung bei Prozessen und Marktpraktiken kommt den Akteuren bereits jetzt schon zugute. Die weitere Entwicklung wird zwar eine Konsolidierung auf Prozessebene, aber nicht bei der Anzahl der Marktteilnehmer mit sich bringen. Und Technologie, Regulierung und Cyberkriminalität stellen derzeit die wesentlichen Treiber der Entwicklung dar. (Red.)

Anfang Februar 2017 ist der deutsche Markt mit seinem Zentralverwahrer Clearstream Banking AG zusammen mit fünf weiteren Zentralverwahrern auf die integrierte Wertpapierabwicklungsplattform des Eurosystems T2S migriert. Seit dem Start von T2S am 22. Juni 2015 sind jetzt insgesamt 18 Zentralverwahrer und ihre Märkte auf die Plattform migriert. Damit ist T2S der Vision einer zentralen Drehscheibe für die europäische Wertpapierabwicklung schon ganz nahe gekommen.

Aufgrund der schieren Größe des deutschen Marktes - er brachte rund 40 Prozent des erwarteten Transaktionsvolumens auf die T2S-Plattform - war die Migration dieser vierten Migrationswelle von besonderer Bedeutung. Die damit verbundene Verdoppelung des Abwicklungsvolumens stellte eine große Herausforderung dar, die alle Akteure gemeinsam dank der über die Jahre gewachsenen guten Zusammenarbeit mit Bravour gemeistert haben.

Länder- und institutionsübergreifende Zusammenarbeit als Erfolgsfaktor

Mehr als fünf Jahre lang haben die Marktteilnehmer, Clearstream Banking, die EZB und die 4 nationalen Zentralbanken (Banca d'Italia, Banque de France, Banco de España und Deutsche Bundesbank) diesen Schritt in verschiedenen Arbeitsgruppen des Eurosystems in enger und guter Zusammenarbeit vorbereitet. Großen Dank gilt hier jedoch insbesondere der Clearstream Banking, der von der Deutschen Bundesbank betreuten T2S Nationalen Nutzergruppe und nicht zuletzt der deutschen Bankengemeinschaft, die sich frühzeitig, intensiv und mit "deutscher Gründlichkeit" auf diesen revolutionären Schritt vorbereitet haben. Gerade diese institutionalisierte Form der länder- und institutionsübergreifenden Zusammenarbeit ist als großer Erfolgsfaktor von T2S zu werten und hat den Grundstein für eine weitere Integration der europäischen Finanzmärkte im Rahmen der Europäischen Kapitalmarktunion gelegt.

Obwohl T2S die Geschäftsprozesse in der deutschen Wertpapierabwicklung komplett geändert hat, läuft der Betrieb seit Februar stabil und zur großen Zufriedenheit aller Beteiligten. Der Ablauf ist weitgehend störungsfrei. Aus operativer Sicht wird kaum noch über T2S gesprochen. Der T2S-Migrationprozess ist allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen; einige Märkte - unter anderem Spanien - stehen noch aus. Daher wird es auch noch einige Zeit dauern, bis sich alle Marktteilnehmer strategisch an die veränderten Geschäftsprozesse angepasst haben und in vollem Umfang von den Vorteilen, die T2S bietet, profitieren können.

Nur wenige große Custodians in Europa haben sich frühzeitig strategisch auf T2S eingestellt. Die meisten Banken haben sich dagegen zunächst auf die technisch unbedingt erforderlichen Anpassungen sowie die gleichzeitig mit T2S einhergehenden zwingenden regulatorischen Änderungen fokussiert. Sie müssen nun in einem zweiten Schritt ihre Geschäftsprozesse vor dem Hintergrund der strategischen Möglichkeiten, die T2S bietet, aus geschäftspolitischer Sicht überprüfen und anpassen, um von den Vorteilen wie Sicherheiten- und Liquiditätspooling sowie gegebenenfalls die Nutzung eines zentralen Marktzugangs vollumfänglich profitieren zu können. Clearstream Banking begleitet auch diese Veränderungsprozesse aktiv und plant, seinen Kunden über ein entsprechendes Link-Netzwerk einen Zugang zu allen europäischen Märkten zur Verfügung zu stellen. Das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen und so lange wird es auch dabei bleiben, dass über T2S noch relativ wenig Cross-Border-Geschäft abgewickelt wird.

Zweifelsfrei zum Tragen kommen aber bereits jetzt schon die großen Fortschritte bei der Standardisierung und Harmonisierung von Prozessen und Marktpraktiken über alle europäischen Märkte hinweg, von denen alle Akteure profitieren.

Treiber der europäischen Abwicklungsstruktur

Nachdem T2S als "Game Changer" nun nahezu vollständig in allen teilnehmenden Märkten eingeführt ist, stellt sich vielfach die Frage, wie sich die europäischen Nachhandelsstrukturen weiterentwickeln, welche die maßgeblichen Treiber sind und wie der Nachhandelsbereich in zehn Jahren aussehen könnte. Dieser Zeithorizont wurde dabei bewusst gewählt. Denn T2S hat sehr deutlich gezeigt, mit welch langen Vorlaufzeiten bei großen Infrastrukturprojekten insbesondere in einem multilateralen Kontext zu rechnen ist. Kurz: Wir müssen heute schon anfangen, darüber nachzudenken, wie T2S in zehn Jahren aussehen soll.

Eine nicht unbedeutende Rolle wird in den kommenden Jahren sicher der technische Fortschritt spielen. Mit großem Engagement wird momentan in der Finanzindustrie zum Einsatz der Distributed Ledger Technology (DLT) geforscht. Die Diskussion mit Akteuren aus verschiedenen Teilen der Wertschöpfungskette macht deutlich, dass DLT ein disruptives Potenzial zugesprochen wird. Doch vor dem Hintergrund der noch zahlreichen offenen regulatorischen und technischen Fragen erscheint eine vollständige Ablösung bestehender Abwicklungsstrukturen vor allem auch wegen der aktuell noch mangelnden Skalierbarkeit eher unwahrscheinlich. Marktteilnehmer können sich jedoch den Einsatz in Teilbereichen des Nachhandels gut vorstellen. Auch wenn vieles noch gelöst werden muss, verspricht man sich mit DLT insbesondere Vorteile bei den der eigentlichen Abwicklung nachgelagerten Prozesse, vor allem bei der Kontenabstimmung und im Berichtswesen. Einigkeit besteht darin, dass gerade DLT eine enge Zusammenarbeit von Technikern und Regulatoren erfordert, aber auch darin, dass die Marktteilnehmer in diesem Kontext ihre Geschäftsprozesse erneut strategisch und operativ überdenken müssen.

Eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung wird in Zukunft der Regulierung zugeschrieben. Die Umsetzung der regulatorischen Anforderungen wird vonseiten des Marktes als große Herausforderung gesehen, die den ohnehin enormen Kostendruck noch verstärkt. Auch wenn T2S einen großen Beitrag zur "Commodisation" im Bereich Settlement und Safekeeping geleistet hat, gehen Marktteilnehmer davon aus, dass der Kostendruck auch in den kommenden Jahren unvermindert fortbestehen und die weiteren Entwicklungen maßgeblich beeinflussen wird. Auch vor diesem Hintergrund sehen sich die Custodians gezwungen, ihre Geschäftsmodelle strategisch zu überprüfen. Dabei gehe es allerdings keinesfalls nur um Rückzugsgefechte, sondern vielmehr auch um die Entwicklung neuer Modelle, mit denen man zusätzliches Wachstum generieren könne. Zu bedenken sei allerdings auch, dass T2S zusammen mit Regulierung nicht nur Aufwand und Kosten verursacht. Durch die CSD-Regulierung (CSDR) wird ein Level Playing Field in Europa geschaffen, das nicht nur Central Securities Depositories (CSDs), sondern auch Custodians neue Marktchancen bietet.

Konsolidierung auf Prozessebene

Für nicht minder bedeutend für die Entwicklung in den kommenden Jahren halten Marktteilnehmer Sicherheitsaspekte, das heißt Themen im Bereich Cyber Security und Haftungsfragen in der gesamten Wertschöpfungskette. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Zentralverwahrer und Custodians gleichermaßen die Frage, wie sie sich in dem neuen, nunmehr nicht mehr nationalen, sondern europäischen Umfeld positionieren. Sie gehen davon aus, dass die Öffnung des Nachhandelsbereichs für mehr Wettbewerb nicht zwangsläufig zu einer Konsolidierung von rechtlichen Einheiten führen werde. Insbesondere ist nicht notwendigerweise eine sinkende Zahl von CSDs zu erwarten. Zwar war im Kontext der CSDR im Baltikum der erste Zusammenschluss auf CSD-Ebene zu beobachten, doch gilt es als fraglich, ob dies in anderen Märkte Europas replizierbar sei.

Eine Konsolidierung wird vielmehr auf Prozessebene erwartet. Das Verschmelzen der Prozesse werde einige Veränderungen in den Geschäftsmodellen bedeuten, sodass von mehr White Label Outsourcing Solutions ausgegangen werden könne. Da auch zu erwarten sei, dass auch in zehn Jahren noch Aktivitäten außerhalb des Settlement-Bereichs fortbestünden, die keinen Commodity-Charakter aufweisen, könnten solche Lösungen durchaus zukunftsträchtig sein. Auch für denkbar gehalten werden Modelle mit mandantenfähigen Plattformen, um Skaleneffekte zu realisieren. Ein letztlich nach oben begrenztes Wachstum des Gesamtmarktes erfordere, die Abhängigkeit von Skaleneffekten zu brechen. Dabei können neue Partnerschaften mit Fintechs/Regtechs helfen, deren technologisch neuartige Ansätze wie DLT es vielleicht erlauben, Wertpapierdienstleistungen auch in kleinem Volumen kostengünstig anzubieten.

Erhalt des Status quo ist keine Option

Auch für das Eurosystem ist die Beibehaltung des Status Quo nach der erfolgreichen Betriebsaufnahme von T2S im Sommer 2015 und der weitestgehend abgeschlossenen Migration aller teilnehmenden Märkte keine Option. So beschäftigen sich auch EZB und 4ZB mit der Weiterentwicklung der Marktinfrastrukturangebote des Eurosystems. Ziel ist dabei zum einen, die Eurosystem-Infrastrukturlandschaft zukunftsfit zu machen, wobei Effizienz, Innovation und Sicherheit eine sehr wichtige Rolle spielen. Auch neue Technologien wie DLT werden in diesem Zusammenhang untersucht. Zum anderen trägt das Eurosystem zu einer weiteren Integration der europäischen Finanzmärkte bei. Wie T2S werden die drei in der Pipeline befindlichen Projekte T2/T2S-Konsolidierung, TIPS (Target Instant Payments Settlement) und ECMS (Eurosystem Collateral Management System) in enger Abstimmung mit dem Markt entwickelt. Denn von entscheidender Bedeutung ist es, Lösungen zu erarbeiten, die den Anforderungen der Marktteilnehmer entsprechen. Die bereits im T2S-Umfeld erfolgreich praktizierte Zusammenarbeit wird künftig über die neu etablierten Eurosystem-Foren AMI-Pay und AMI-SeCo bei der EZB fortgesetzt.

Grundsätzlich gehen die Marktteilnehmer nicht davon aus, dass wir in den nächsten zehn Jahren eine Revolution in der Abwicklung erleben. Dazu sei das Beharrungsvermögen der etablierten Prozesse zu groß. Gleichwohl sei eine stärkere Automatisierung in einigen Modulen zu erwarten. Doch wird Agilität - zumindest in Teilbereichen - als der Schlüssel zum Erfolg gesehen. Das gelte auch im Hinblick auf die rasche Reaktion auf Änderungen in Regulierung und gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Dieser Beitrag basiert auf einer Rede des Autors beim Zahlungsverkehrssymposium der Deutschen Bundesbank am 18. Mai 2017 in Frankfurt am Main.

Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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