Technik als Türöffner für effizientes Mittelstandsgeschäft

Holger Werner Foto: #openspace GmbH

In der Selbsteinschätzung ihres Digitalisierungsgrads registriert der Autor bei mittelständischen Unternehmen durchaus eine positive Stimmung. Bei der Betrachtung des Digitalisierungsindex sowie des ungenutzten digitalen Potenzials entdeckt er freilich eine starke Diskrepanz zwischen dem Selbstbild und der Realität. Einer Studie zufolge wünschen mehr als zwei Drittel der mittelständischen Kunden eine Digitalisierungsberatung von ihrer Hausbank. Genau in diesem Bereich setzt er den Fokus seines Hauses und bescheinigt diesem Ansatz positive Wirkungen auf die Großbank als Muttergesellschaft - nämlich nicht nur Zugang zu einem neuen Markt, sondern auch die Etablierung einer neuen Schnittstelle zum Kunden. (Red.)

Schon seit einigen Jahren wird Digitalisierung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft viel diskutiert. Als Folge des Diskurses und der steigenden Bedeutung dieser Thematik geben inzwischen drei von vier der mittelständischen deutschen Unternehmen zu Protokoll, dass Digitalisierung auch bedeutsam für die eigenen unternehmerischen Aktivitäten und Prozesse ist. 1)

Bei der Bewertung des allgemeinen Digitalisierungsgrads in Deutschland beurteilen die Unternehmen die Situation durchweg als "gut". Dabei sehen sich insbesondere 60 Prozent des Mittelstands als gut auf zukünftige digitale Herausforderungen vorbereitet. 2)

Deutschland bei der Digitalisierung unter dem europäischen Durchschnitt

Im internationalen Vergleich wird Deutschland von vielen Unternehmen sogar unter den Toppositionen verortet, wobei einzelne "Ausreißer" weltweit auf vordersten Stellen positionieren. Der Großteil des Mittelstands gibt hingegen an, sich im Mittelfeld zu sehen und 13 Prozent attestieren der deutschen Wirtschaft, lediglich etwas "hinterher zu hängen". Besonders interessant ist aber, dass so gut wie kein Unternehmen die Lage als "abgeschlagen" identifiziert. Es kann demnach insgesamt von einer positiven Stimmung bezüglich des Digitalisierungsgrads in der deutschen Unternehmenslandschaft ausgegangen werden - zunächst.

Die Realität offenbart jedoch ein anderes Bild. So sind es gerade mal zehn Prozent seines digitalen Potenzials, die Deutschland tatsächlich nutzt. Das heißt, dass im Vergleich zu heute 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von rund 126 Milliarden Euro durch digitale Technologien freigesetzt werden kann. Maßgebliche Treiber sind dabei ein höherer Automatisierungsgrad, gesteigerte Vernetzung von Maschinen und intelligentere Nutzung von Daten.3)

Aber auch im internationalen Vergleich sieht es nicht besser aus. Deutschland muss sich hier hinter den USA, Großbritannien, Schweden und Frankreich einordnen und landet insgesamt sogar unter dem europäischen Durchschnitt von zwölf Prozent. Damit bleibt die Aussage Angela Merkels, dass Deutschland hinsichtlich der Digitalisierung ein Entwicklungsland ist, nicht nur eine politisch-wirtschaftliche Warnung, sondern deckt sich mit der Realität.

Aktuelle Handlungsfelder bei der Digitalisierung

Die starke Diskrepanz zwischen dem Selbstbild und der Realität wird auch bei der Betrachtung des Digitalisierungsindex deutlich. Dieser spiegelt den digitalen Zustand der mittelständischen Unternehmen wider und liegt im Durschnitt bei 52 von 100 möglichen Punkten. Dieser Index erhebt Daten zu den Bereichen: Kundenbeziehungen, Produktivität, IT-/ Datensicherheit sowie Geschäftsmodell. Die erreichte Punktzahl von 52 lässt sich vor allem auf die Transformationsaktivitäten in den ersten drei Bereichen zurückführen.

Mittelständische Unternehmen vergessen jedoch, dass die digitale Transformation Dynamiken hervorrufen kann, die traditionelle Unternehmen auch befähigt, neue Geschäftsfelder oder digitale Wettbewerber anzugehen. Infolgedessen kann festgestellt werden, dass gerade die Transformation der Geschäftsmodelle und die Entwicklung digitaler Angebote im Mittelstand zu kurz kommt.

Als maßgebliche Barriere wird dabei ein Defizit an fachlichem Know-how genannt, woraus sich ableiten lässt, dass sich die mittelständischen Unternehmen in einem Spannungsverhältnis aus Digitalisierungsdrang und einer gewissen Ohnmacht hinsichtlich aktiver Handlungen aufgrund fehlenden Know-hows befinden. 4)

Horizontale Diversifikation

Genau hier eröffnet sich daher ein enormes Potenzial für externe Unternehmen, Mittelständler bei der Bewältigung dieser Probleme zu unterstützen. Eine repräsentative Studie der Commerzbank bestätigt diese Erkenntnis und zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass rund 70 Prozent der mittelständischen Kunden eine Digitalisierungsberatung von ihrer Hausbank erwarten.5) Dies kann darin begründet werden, dass gerade Mittelständler in Bezug auf die Digitalisierung einen besonderen Fokus auf Vertrauen legen. Die langjährigen Geschäftsbeziehungen mit Finanzinstituten macht die Bank infolgedessen auch zu einem präferierten Partner bei Digitalisierungsthemen.

Deshalb hat die Bank Openspace gegründet, eine eigenständige Tochtergesellschaft. Diese unterstützt den deutschen Mittelstand seit Januar 2017 bei Digitalisierungsvorhaben und kann so helfen, die notwendige Handlungsfähigkeit der Unternehmen diesbezüglich zu verbessern. Openspace ist die Digitalisierungsplattform für die 60 000 Kunden der Mittelstandsbank der Commerzbank, steht aber aufgrund wirtschaftlicher Eigenständigkeit auch externen Kunden offen. Die Eigenständigkeit ist darüber hinaus insofern notwendig, als dadurch eine Abkoppelung vom finanzwirtschaftlichen Kontext und den Strukturen des Mutterkonzerns erreicht wird. So kann sichergestellt werden, dass die Tochtergesellschaft den nötigen Handlungsfreiraum für ihre ganzheitliche Arbeitsweise bekommt.

Digitalisierung: mehr als der Umstieg von Fax auf E-Mail

Zu Beginn der praktischen Arbeit wird eruiert, in welcher Phase der Digitalisierung sich das mittelständische Unternehmen befindet. Dies zielt im Wesentlichen darauf ab, den Kunden in die Thematik der Digitalisierung einzuführen, Digitaltrends zu vermitteln sowie das Unternehmen in den Methoden zur Entwicklung innovativer, nachhaltiger Geschäftsmodelle zu schulen. Hierbei verfolgt Openspace den Ansatz, den Kunden zur eigenen Entwicklung und Umsetzung einer Digitalstrategie zu befähigen, da besonders für die digitale Transformation das Schaffen einer individuellen Kompetenzbasis von übergeordneter Bedeutung ist.

Der Kompetenzaufbau geschieht dabei primär durch den Wissenstransfer von hin zum Kunden und nicht durch die alleinige Durchführung einzelner Digitalisierungsprojekte. So wird dem Kunden ein selbstständiger Zugang zum digitalen Arbeiten ermöglicht und der Einsatz fortgeschrittener Anwendungen im Kontext vernetzter Informationen sowie Kommunikation gefördert. 6)

Insgesamt begleitet Openspace seine Kunden im Rahmen des Transformationsprozesses durch die Phasen des "Entdeckens", "Befähigens", "Umsetzens" und "Ausbauens". Diese Schritte repräsentieren die verschiedenen Stadien der Digitalisierung und haben das Ziel, mittelständische Geschäftskunden der Commerzbank, Start-ups und Innovationspartner in eigens entwickelten Formaten zusammenzuführen und somit als Zentrum für die Digitalisierung des Mittelstands zu agieren. Beispielsweise wurde die Alba Group plc. & Co. KG auf diese Weise in ein neues digitales Ökosystem eingebettet, welches sie befähigt, eigenständig digitale Service- und Geschäftmodellinnovationen voranzutreiben.

Wirtschaftliche Implikationen für die Muttergesellschaft

Aktuelle Marktsituation - Margendruck und Regulierung: Fortschreitende Regulierung und die damit einhergehende Standardisierung des Bankgeschäfts führen zwangsweise zu einem härteren Wett bewerb im Markt. 7) Die immer weiterreichenden Vorschriften führen dazu, dass Banken hinsichtlich ihrer Geschäftsmodellentwicklung weniger Handlungsspielraum erhalten. Darüber hinaus haben die international niedrigen Zinsen die Folge, dass mit der klassischen Vergabe von Krediten kaum noch Geld verdient werden kann.

So rechnen gemäß einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation "[...], mehr als die Hälfte der Entscheidungsträger mit sinkenden Erträgen in den traditionellen Geschäftsfeldern in den kommenden Jahren." 8) Lediglich 20 Prozent sehen eine positive Geschäftsentwicklung in den nächsten Jahren kommen. Innerhalb dieses Umfelds müssen Universalbanken ihre Kosten weiter senken, indem sie Personal abbauen, traditionelle Geschäftsbereiche aufgeben und effizientere Prozesse aufsetzen. 9)

Letztendlich kann gesagt werden, dass sich der Markt in einer andauernden Konsolidierung befindet und den traditionellen Marktteilnehmern Schwierigkeiten bei der klaren Differenzierung zum Wettbewerb bereitet. Es ist offensichtlich, dass dabei das etablierte Wertschöpfungsmodell der Universalbanken aktiv bedroht wird und neue strategische Optionen erarbeitet werden müssen. Als Ansätze sind hier besonders die Neuorganisation der Wertschöpfungskette und das Neudenken der Grenzen des Wertschöpfungsmodells anzuführen. 10)

Erschließung eines neuen Wachstumsmarkts (Digitalisierungsbefähigung) durch Bildung einer neuen Geschäftseinheit: Mit Openspace erschließt die Commerzbank das neue Geschäftsfeld der Digitalisierungsbefähigung. Es entsteht damit ein unternehmensspezifisches Dienstleistungsangebot, welches einerseits ein neuentdecktes Kundenbedürfnis befriedigt und andererseits die Substituierbarkeit im Vergleich zu Wettbewerbern senkt. Damit kann sie sich gemäß des marktorientierten Ansatzes vom etablierten Marktniveau abheben 11) und klar als führende Bank im Kontext der Digitalisierung positionieren.

Durch diese Erweiterung des Wertschöpfungsmodells kommt es neben der besseren Differenzierbarkeit auch dazu, dass Lock-in-Effekte beziehungsweise stärkere Kundenbindungseffekte entstehen. Die durch den Kunden getätigten Investitionen in die Dienstleistungen der Tochtergesellschaft sorgen dafür, dass die strategische Beziehung zwischen der Commerzbank und den Kunden gestärkt wird. Der klare Wettbewerbsvorteil wirkt darüber hinaus auch positiv auf die Akquise neuer Kunden.

Positive Auswirkungen auf die Akquise neuer Kunden

Identifikation von Kundenherausforderungen: Eine besondere Eigenschaft ist die Nähe am Kunden. So können entscheidende Informationen über die kundenseitigen Probleme und Herausforderungen gesammelt werden. Denn wie schon im Zusammenhang der Arbeitsweise erläutert wurde, befindet sich Openspace im Rahmen des gesamten digitalen Transformationsprozesses als Umsetzungspartner direkt am Mittelständler. Somit ist indirekt immer auch die Commerzbank als Konzern am Informationsfluss beteiligt.

Da der aktuelle Kapitalmarkt - neben erhöhten Komfortbedürfnissen - gerade auch durch die Anforderungen nach hoher Geschwindigkeit geprägt ist, ist es unabdingbar, den Kunden neben quantitativen Big-Data-Analysen eben auch durch solche qualitativen Methoden bezüglich künftiger an sie gestellter Bedürfnisse zu untersuchen. Eine solche Funktionalität hat mehrere Vorteile.

Gerade in Bezug auf die Bonität ihrer Kunden haben Hausbanken ein berechtigtes Interesse, eine möglichst hohe Informationstransparenz zu schaffen. Daher versuchen Finanzinstitute, ihre Kunden mit Blick auf die Zukunft risikoadäquat einzuschätzen, indem sie mit eigenen Analysemethoden und eigenen Frühwarnsystemen die Entwicklung eines zukünftigen Ratings ihrer Kunden prognostizieren.

Komplementärer Betrachtungswinkel zur umfassenderen Kundenbewertung

Der Fokus solcher Frühwarnsysteme bezieht sich dabei in der Regel vorwiegend auf Ertrags-, Cashflow- und sonstige Bilanzkennzahlen, die als Covenants- Klauseln in den meisten Kreditverträgen vereinbart werden. 12) Neben diesen finanzwirtschaftlich gestützt Kennzahlen ergänzen die Einblicke, die durch Openspace generiert werden, einen komplementären Betrachtungswinkel, der eine umfassendere Bewertung des Kunden ermöglicht - insbesondere mit Blick auf die Zukunft.

Neben einer rein bewertenden Funktionalität kann die Hausbank das gewonnene Wissen über die künftigen Entwicklungen beim Kunden sammeln und wiederum zur Entwicklung neuer, kundenzentrierter Produkte und Dienstleistungen zur Lösung der identifizierten Probleme nutzen.

Es besteht also im Rahmen der eigenen Digitalisierung der Commerzbank und der dargestellten Marktsituation die Notwendigkeit, selbst neue Dienstleistungen beziehungsweise Geschäftsmodelle zu entwickeln. Über ihre Tochtergesellschaft kann die Commerzbank entscheidende Kenntnisse über sich verändernde Kundenbedürfnisse erlangen und frühzeitig darauf reagieren.

Eine neue Schnittstelle zum Kunden

Dementsprechend kann zusammenfassend gesagt werden, dass Openspace als eine Maßnahme zur Bewältigung der aktuellen Marktprobleme wie Regulierung, Standardisierung und Margendruck begriffen werden kann. Die Bank erweitert die Grenzen ihres Wertschöpfungsmodells und erlangt damit nicht nur Zugang zu einem neuen Markt, sondern etabliert eine neue Schnittstelle zum Kunden, die unabhängig von finanzwirtschaftlichen Vorgaben und Standards frei agieren kann.

Die Informationen über zukünftige Probleme sowie über die Anforderungen des Kunden, die durch die Beratungsdienstleistung generiert werden können, sind ein neues starkes Asset, das am Ende für die weitere Entwicklung gewinnbringender Finanzdienstleistungen unabdingbar ist. In diesem Zusammenhang sind etwa Sonderfinanzierungen für Innovationsvorhaben denkbar, die mit Openspace entwickelt und durch ihn bewertet wurden.

Letztendlich ist das Potenzial dieser Informationen sehr vielfältig und sollte gerade auch genutzt werden, um Services und Geschäftsmodelle zu erarbeiten, die auch außerhalb der traditionellen Pfade liegen.

Literaturverzeichnis

Brunner, F. (2009): Wertstiftende Strategien im Bankgeschäft, Heidelberg: Physica-Verlag.

Commerzbank AG (2016): Unternehmerperspektiven: Unternehmen Zukunft: Transformation trifft auf Tradition. Online erhältlich unter: https://blog. commerzbank.de, zuletzt aufgerufen am 15.02.18. Hamm, M., Möckel, K. (2016): Ausblick Banking - Welche Themen den Arbeitsmarkt dieser Branche bewegen (werden), Mannheim: Hays.

Löffler, H. F., Zähres, R., Augusten, T. (2011): Exklusive Benchmarkstudie zu Stand und Perpektiven des Risikomanagements in deutschen (Familien-)Unternehmen. Risikomanagement im Mittelstand, Nürnberg, Hamburg: Funk RMCE GmbH, Rödl & Partner GmbH, Weismann & Cie GmbH & Co. KG.

McKinsey (2017): Die Digitalisierung des deutschen Mittelstands - Kurzstudie. Online erhältlich unter: www.mckinsey.de

Praeg, C.-P., Schmidt, C., Bauer, W. (Hrsg.) (2016): Trendstudie "BANK & ZUKUNFT 2016" "Neue Wege gehen". Stuttgart: Fraunhofer-Verlag.

Saam, M., Viete, S., Schiel, S. (2016): Digitalisierung im Mittelstand - Status quo, aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen, Mannheim: ZEW. Telekom (2016): Digitalisierungsindex - Der Status quo des deutschen Mittelstands, online erhältlich unter: www.digitalisierungsindex.de

Fußnoten

1) Vgl. Telekom (2016), S. 4

2)Vgl. McKinsey (2017), S. 4

3)Vgl. McKinsey (2017), S. 3

4)Vgl. Telekom (2016), S. 3 f.

5)Vgl. Commerzbank AG (2016), S. 22

6)Vgl. Saam, M. et al. (2016), S. 34

7)Vgl. Brunner, F. (2009), S. 44

8)Praeg, C.-P. et al. (2016), S. 5

9)Vgl. Hamm, M., Möckel, K. (2016), S. 3

10)Vgl. Brunner, F. (2009), S. 44

11)Vgl. Brunner, F. (2009), S. 40

12)Vgl. Löffler, H. F. et al. (2011), S.39

Holger Werner, CEO, #openspace GmbH, Berlin
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