Kreditwesen aktuell zur gescheiterten Börsenfusion

" Der Wettbewerb in der deutschen Börsenlandschaft findet im Kampf um die Gunst der Privatanleger statt"

Jochen Thiel, Vorstand der Bayerischen Börse AG, München

Die Fusion zwischen der Deutsche Börse AG (DBAG) und der London Stock Exchange (LSE) hat die EU-Kommission untersagt. Die Ursache für das Scheitern war letzten Endes die Weigerung der LSE, ihren Mehrheitsanteil an der italienischen Anleihen-Handelsplattform MTS zu veräußern. Zusätzlich dürfte die Frage nach dem Hauptsitz der fusionierten Börse spätestens nach der Brexit-Entscheidung eine wichtige Rolle aus politischer Sicht gespielt haben.

 

Großes Interesse der Politik

Das große Interesse der Politik an der geplanten Fusion zeigt einmal mehr, dass Börsen keine "normalen Unternehmen" sind. Deshalb ist die Frage, ob sich die deutsche Börsenlandschaft nun verändert, nicht nur für die Börsen selbst wichtig sondern auch für Unternehmen, Investoren und die Intermediäre von hohem Interesse. Börsen dienen der Beschaffung von Eigen- wie Fremdkapital für Unternehmen und sorgen für transparente und faire Marktplätze für alle Anleger, institutionelle wie private. Deshalb spielen sie eine zentrale Rolle in einer Volkswirtschaft, auch um eine optimale Allokation des Kapitals einer Gesellschaft bei den Unternehmen zu gewährleisten, die langfristig den größten Nutzen für die Volkswirtschaft erbringen.

Was bedeutet das Aus der Börsenfusion nun für die Wettbewerbsposition der DBAG gegenüber den anderen deutschen Börsen? Die DBAG operiert international auf einer Spitzenposition in den Geschäftsfeldern Market Data & Services, Eurex, Clearstream und Xetra. Viele Eurex-Derivate, Daten- und Index-Produkte und nicht zuletzt das Verwahr- und Abwicklungsgeschäft der Clearstream hängen in erheblichem Maß davon ab, dass das Volumen und damit der Marktanteil der auf Xetra gehandelten Dax-Unternehmen groß genug ist, um als führende Referenz für eben diese Produkte zu gelten. Dementsprechend groß ist der Kunden fokus auf internationale, institutionelle Investoren und den algorithmischen Handel.

Im Gegensatz zu dieser großen weiten Welt des professionellen Aktienhandels findet der Wettbewerb in der deutschen Börsenlandschaft hauptsächlich im Kampf um die Gunst der Privatanleger statt. Geprägt ist er - nicht zuletzt durch die Best-Execution-Regelungen der MiFID-Regulierung aus dem Jahre 2007 - durch einen Wettlauf um das günstigste Angebot. Dieses wird definiert durch die Summe aus dem Ausführungsentgelt des Handelsplatzes und dem Spread des quotierenden Spezialisten beziehungsweise Market Makers. In der Konsequenz findet der Wettbewerb zwischen den Börsen und den mit ihnen kooperierenden Market Makern statt. Denn nur eine erfolgreiche Zusammenarbeit sorgt für die günstigsten Ausführungskosten und ausreichende Liquidität. Für zusätzlichen Kostendruck sorgt der außerbörsliche, bislang weitgehend unregulierte, Handel. Insbesondere der Handel mit Zertifikaten findet Schätzungen zufolge bis zu 80 Prozent außerhalb regulierter Märkte statt und auch der außer börsliche Aktienhandel nimmt zu.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, gehen die deutschen Börsen ganz unterschiedliche Wege. Die Börse Stuttgart hat mit hohem Aufwand ein Replikat des Xontro-Systems implementiert, ohne erkennbare Innovationen, und hält am bisherigen intermediärbasierten Handels- und damit Preismodell fest. Die Übernahme der Trägerschaft der Börse Düsseldorf durch die BOEAG ist möglicherweise ein kleiner Schritt Richtung Konsolidierung, im Wettbewerb jedoch weniger relevant, denn alle drei Börsenplätze werden mit weitgehend identischem Angebot auf dem Host-System Xontro betrieben. Die DBAG wiederum hat sich bereits 2010 mehrheitlich an der Tradegate Exchange und an der Tradegate AG beteiligt, dem Pionier und Marktführer im entgeltfreien börslichen Aktienhandel in einem Market-Maker-Modell. Quasi ein Hedge für den eigenen Parketthandel, der in seinen alten Strukturen gefangen ist und am deutlichsten Marktanteile verloren hat.

Einsatz von Smart-Order-Router

Die Bayerische Börse AG hat einen eigenständigen Weg gewählt, um als "überregionaler" Börsenplatz für die Zukunft gerüstet zu sein. Im Zentrum stehen eine skalierbare und kosteneffiziente, weil voll digitalisierte IT-Plattform und ein hoch flexibles Handelssystem, das auf Basis der Kundenbedürfnisse gebaut wurde und auf jegliche "Altlasten" verzichtet. Neben der etablierten Max-One-Plattform wurde auf dieser Basis 2015 der neue Gettex-Marktplatz als "onestopshop" implementiert - Dis-Intermediation und Kostenreduktion in der Wertschöpfungskette sind die passenden Stichwörter. Onestopshop bedeutet, dass alle Wertpapiere für den Anleger zu gleichen Konditionen, nämlich kostenfrei, zu handeln sind. Und dies unter dem Dach einer öffentlich-rechtlich regulierten Börse.

Vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs im Kassamarkt, den die DBAG - mit oder ohne LSE - international im institutionellen Handel austragen muss und der in Deutschland primär durch Modelle einer Tradegate Exchange und Gettex intensiviert wird, dürfte eine erfolgreiche Fusion alleine kaum zu einem Wandel der deutschen Börsenlandschaft geführt haben. Wesentliche Änderungen sind eher von der Umsetzung der anstehenden MiFID-II-Regulierung zu erwarten. Neben der zunehmenden regulatorischen Fragwürdigkeit des außerbörslichen Handels dürften insbesondere Verschärfungen der Best-Execution-Anforderungen dazu führen, dass künftig Smart-Order-Router vermehrt zum Einsatz kommen, die für jede einzelne Order automatisiert entscheiden, welcher Handelsplatz aktuell das beste Angebot hat - kosteneffizient und in einem adäquaten regulatorischen Rahmen.

Der Autor Jochen Thiel, Vorstand der Bayerischen Börse AG, München
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