Wirtschaft

Deutschland leidet an Gründungsmüdigkeit

Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW

Quelle: KfW Bildarchiv / Gaby Gerster

Es läuft derzeit richtig gut auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) lag die Zahl der Erwerbslosen im Mai 2017 erstmals seit 26 Jahren wieder unter der 2,5-Millionen-Marke, was einer Arbeitslosenquote von 5,6 Prozent (0,2 Prozentpunkte weniger als im Vormonat) entspricht. Gleichzeitig entwickelt sich die Zahl der Erwerbstätigen weiter positiv. Laut dem Statistischen Bundesamt befanden sich im April 43,98 Millionen Menschen in Beschäftigung. Die Chancen, in Deutschland einen Job zu finden, sind derzeit also denkbar günstig.

Die Kehrseite dieser erfreulichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: Es gibt immer weniger Existenzgründungen zu vermelden. Angesichts der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften haben viele Erwerbstätige momentan die Qual der Wahl zwischen Angestelltenverhältnis und Selbstständigkeit. Wie der aktuelle KfW-Gründungsmonitor zeigt, fällt die Entscheidung dabei immer öfter gegen die Selbstständigkeit aus: Nur 672 000 Personen haben demnach im vergangenen Jahr den Schritt in die Existenzgründung gewagt. Ein Rekordtief - noch im Jahr 2014 konnten fast 250 000 Gründungen mehr verzeichnet werden.

Da die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft positiv mit der Gründungstätigkeit korreliert, sieht die KfW den negativen Trend mit gewisser Sorge. Insbesondere die sogenannten "Chancengründer", die tendenziell häufiger innovative Produkte und Dienstleistungen an den Start bringen, werden laut KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner zur steten Erneuerung der Volkswirtschaft benötigt. Doch auch in dieser Subkategorie ist die Gründungsaktivität rückläufig: Nur noch 310 000 Chancengründer gab es im vergangenen Jahr - 67 000 weniger als im Vorjahr.

Deutschland, das einst unternehmerische Pioniere wie Werner Siemens und Gottlieb Daimler hervorbrachte und deren Leistungen bis heute das Fundament unseres Wohlstands bilden, leidet offensichtlich an einer ausgeprägten Form von Gründungsmüdigkeit. Die Ursachen dafür sind vielfältig und beschränken sich keineswegs auf das vergleichsweise hohe Risiko oder den nicht selten als überbordend empfundenen Bürokratismus auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Zeuner identifiziert - wie im Übrigen viele andere Experten auch - bereits in der hiesigen Schulbildung erhebliche Defizite. Anstatt junge Menschen für das Unternehmertum zu begeistern, würden sie oftmals frühzeitig auf klassische abhängige Beschäftigungsverhältnisse getrimmt.

Vor dem Hintergrund dieser ungünstigen kulturellen Startvoraussetzungen können selbst die zahlreichen öffentlichen Beratungs- und Förderprogramme den Gründergeist nicht neu entflammen. Immerhin rechnet die KfW im laufenden Jahr mit einem Ende der Talfahrt. Zwar würde die positive Beschäftigungsentwicklung auf dem Arbeitsmarkt fortgeschrieben, voraussichtlich jedoch mit verlangsamten Tempo. Angesichts der gleichzeitig anhaltend stabilen konjunkturellen Rahmenbedingungen könnten deshalb schon bald wieder mehr Menschen zur Umsetzung ihrer Geschäftsidee animiert werden.

Banken und Sparkassen sollten dabei allerdings keine allzu großen Impulse für das Neugeschäft erwarten. Laut dem Gründungsmonitor stemmen vier von zehn Existenzgründern ihre Vorhaben ausschließlich über eigene private Finanzmittel. Ein kleiner Lichtblick: Der Anteil der Makrofinanzierer, die einen externen Finanzbedarf von mehr 25000 Euro benötigen, hat sich in den vergangenen drei Jahren auf zehn Prozent verdoppelt.

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