Gewerkschaften

Flexibles Zeitbudget als Tarifinstrument

Dass sich die deutsche Wirtschaft seit vielen Jahren vergleichsweise robust auf einem Wachstumskurs bewegt, wird neben den niedrigen Zinsen und einem steigenden privaten Konsum auch den anhaltend guten Erfahrungen mit der Tarifpartnerschaft zugeschrieben. Zwar artikulieren die hiesigen Gewerkschaften klar ihre Interessen und rufen zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen auch hin und wieder regional begrenzt oder landesweit zu Streiks auf, die etwa im Bahn-, Flug- oder öffentlichen Nahverkehr die geregelten Wirtschaftsabläufe empfindlich treffen und für die Bevölkerung mit zunehmender Dauer überaus lästig werden können. Aber anders als in anderen europäischen Ländern gehören lang anhaltende Streiks oder Massenkundgebungen wie dieser Tage in Paris gegen die geplante Arbeitsmarktreform von Staatspräsident Macron hierzulande eher zu den Ausnahmen.

Einen ersten Einblick in zwei Verhandlungspunkte bei den anstehenden Tarifverhandlungen seiner Gewerkschaft mit den Arbeitgebern hat kurz vor der Bundestagswahl Jörg Hofmann, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall, vor dem Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten gegeben. Ohne der Anfang Oktober anstehenden Gremienentscheidung der IG-Metall vorgreifen zu wollen, hat er in seiner Branche eine Lohnerhöhung in einer Größenordnung von 6 Prozent ins Spiel gebracht. Mindestens ebenso wichtig sind seiner Organisation allerdings Fortschritte beim Arbeitszeitwahlrecht der Arbeitnehmer. Konkret wollen die Gewerkschafter den Beschäftigten ein Wahlrecht eröffnen, die Arbeitszeit für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren. Mit dieser Maßnahme soll beispielsweise für Beschäftigte mit pflegebedürftigen Familienangehörigen die Möglichkeit gegeben werden, kürzere Arbeitszeiten zu beanspruchen. Zum Ausgleich für den damit verbundenen Entgeltverlust wollen die Gewerkschafter in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern Zuschüsse organisieren.

Wer solche Zuschusstöpfe mit den erforderlichen Mitteln bestücken soll, bleibt ebenso den konkreten Verhandlungen vorbehalten wie die Einbindung kleinerer Betriebe in eine solche Flexibilisierung der Arbeitszeiten nach unten. Wie sollen diese die Lücken füllen, wenn sich gleichzeitig mehrere ihrer Mitarbeiter für diese Option entscheiden? So richtig wirksam dürfte das Instrument nur werden, wenn es sich in beide Richtungen einsetzen lässt. Eine wirklich umfassende Debatte mit den Gewerkschaften um die Flexibilisierung der Arbeitszeiten könnte freilich für die Bankenbranche wie für andere Wirtschaftssektoren eine gewisse Vorbildfunktion haben. Sollten die Tarifparteien auch im Bankensektor das Thema Flexibilität der Arbeitszeiten aufgreifen, könnte das beispielsweise Bewegung in die Gestaltung der bisher üblichen Öffnungszeiten der Filialen bringen. An dieser Stelle größere Zeitfenster zu schaffen, würde sicherlich die Bereitschaft der Kunden erhöhen, die von den Banken so gerne angebotenen ganzheitlichen Beratungsgespräche anzunehmen und damit die Aussichten auf steigende Provisionserlöse verbessern. Und auch die Weiterentwicklung verschiedener Kooperationsmodelle mit Fintechs und/oder die Einstellung von Mitarbeitern aus solchen Bereichen könnte für Banken einfacher werden, weil sie solche Einheiten dann nicht mehr durch Ausgründungen schaffen müssten.

Übrigens: In die Bundestagswahl hat sich der Sozialdemokrat Hofmann wenige Tage vor der Wahl nur sehr dezent eingemischt. Er hat lediglich beklagt, wie sehr der Wahlkampf an den wichtigen Themen der Bevölkerung wie der Altersvorsorge, dem Pflegebereich und sogar der Bildung vorbeigeht und im Zweifel die Partei am rechten Rande stärkt. Wie recht er hatte.

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