Notenbanken und Politik

Globale Lähmung

Hat der EZB-Rat Anfang September mit dem Festhalten an seinem geldpolitischen Kurs eine kluge Entscheidung getroffen? Beendet die amerikanische Fed noch vor den US-Wahlen die zaghaft eingeleitete Beobachtungs- und Experimentierphase für eine Zinswende? Wie wird die britische Notenbank die Austrittsverhandlungen ihrer Regierung aus der EU geldpolitisch flankieren? Welche Erkenntnisse bringt die grundsätzliche Überprüfung der japanischen Geldpolitik, die die dortige Notenbank noch für September angekündigt hat? Bekämpft die chinesische Notenbank den Abwertungsdruck mit überraschenden Maßnahmen? Auf all diese Fragen lassen sich derzeit kaum verlässliche Antworten finden. Denn die wichtigen Akteure der internationalen Notenbankpolitik sind bei ihren Entscheidungen in einem Szenario von Unsicherheiten gefangen, das letztlich von der fragilen weltpolitischen Lage abhängt. In den USA stehen in nicht einmal zwei Monaten Präsidentschaftswahlen an, deren Ausgang längst nicht so kalkulierbar ist, wie man das nach der Kandidatenkür vermutet hatte. Russland und China bleiben für die demokratisch geprägte westliche Welt mit großen Unsicherheiten behaftet. Und Europa ringt um das richtige Format der Integration.

Mit Blick auf die Europäische Union hat kürzlich Bundesbankpräsident Jens Weidmann einmal mehr das anhaltende Dilemma der EZB-Politik betont. Der Politik legt er dringlich eine Richtungsentscheidung nahe, die dann auch konsequent und glaubhaft zu vertreten sei. Solange sich die europäische Politik nicht zwischen einem Souveränitätsverzicht und der Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten entscheiden kann und sich weiter auf dem eingeschlagenen Mittelweg bewegt, sieht er die Notenbankpolitik in der Defensive. Die unterschiedlichen Effekte der Geldpolitik wie auch der Regulierung auf die Banken- und Wirtschaftsstruktur, auf das Sparverhalten und die Altersvorsorgeeinrichtungen schüren in nahezu allen Ländern die Unzufriedenheit. Und Besserung ist leider nicht in Sicht. Zwar werden im Nachgang zur jüngsten EZB-Entscheidung wieder einmal Hoffnungen auf eine Übergabe des Staffelstabes an die Fiskalpolitik laut, überzeugend und glaubwürdig klingt das vonseiten der Notenbanker bisher aber noch nicht. Wieso sollten die Regierungen mit unpopulären fiskalpolitischen Maßnahmen ihre Wiederwahl riskieren, wenn die Notenbanken immer wieder anhaltende Wachstumsimpulse versprechen?

Wer will angesichts der Hängepartie um die EU-Austrittserklärung Großbritanniens, die immer noch nicht gelungene Regierungsbildung in Spanien, dem noch 2016 anstehenden Verfassungsreferendum in Italien und dem bereits einsetzenden Geplänkel rund um die Wahlen in Deutschland und Frankreich im kommenden Jahr ernsthaft mit einer Wiederbelebung einer europäischen Vision rechnen? Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien als die großen Kernstaaten oder andere europäische Länder wie Polen, Österreich oder Ungarn vermitteln derzeit eher den Eindruck, sich ähnlich wie Großbritannien auf das Überleben als Nationalstaat vorzubereiten. Man kann nur hoffen, dass die verantwortlichen Politiker dieser Tage in Bratislava erste machbare Antworten für eine von der breiten Basis getragene neue europäische Idee finden.

Während die Welt auf der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Seite durch die rasante Fortentwicklung der Digitalisierung in allen Wirtschaftsbereichen in einen Unruhemodus gefallen ist, fehlt es auf politischer Ebene an einer Grundlage für einen Konsens. Ist die Entscheidungssituation in einer Zeit, in der sich auf immenser Datengrundlage mühelos so viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Szenarien durchspielen lassen, für die (politisch) Verantwortlichen einfach zu komplex geworden? Solange Politik nur noch aus Reaktionen auf Entwicklungen an den (Finanz-)Märkten, auf Naturgewalten oder auf terroristische und kriegerische Aktivitäten besteht, reicht das nicht für ein gedeihliches Zusammenwachsen der globalisierten Welt.

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