Notenbankpolitik

"Lower for Longer": Warten auf den Minsky-Moment?

Prof. Dr. Leef H. Dierks, Professur für Finanzierung und Internationale Kapitalmärkte, Fachhochschule Lübeck

Nach seiner letzten Sitzung im Oktober kündigte der EZB-Rat an, dass die Leitzinsen der EZB "für längere Zeit und weit über den Zeithorizont unseres Nettoerwerbs von Vermögenswerten hinaus auf ihrem aktuellen Niveau bleiben werden." Zudem wurde, wie allgemein erwartet, eine Reduzierung des Umfangs der monatlichen Anleihekäufe von 60 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro bei gleichzeitiger Verlängerung des Asset Purchase Programme (APP) bis zunächst Ende September 2018 - und "falls erforderlich, auch darüber hinaus" angekündigt. In jedem Falle werden die Ankäufe so lange fortdauern, "bis der EZB-Rat eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennt, die mit seinem Inflationsziel im Einklang steht." Gerade dies mag sich jedoch als problematisch erweisen: Zahlreiche Indikatoren deuten darauf hin, dass ein nachhaltiger Anstieg der Inflationsrate in der Eurozone infolge von Globalisierung und technischem Fortschritt weiter auf sich warten lassen könnte.

Zusätzlich zu Käufen in Höhe von bisher mehr als 2 100 Milliarden Euro werden in den kommenden Monaten mindestens weitere 270 Milliarden Euro in die Rentenmärkte der Eurozone, die zunehmend illiquide wirken, geleitet. Schon jetzt nähert sich der Bestand ausgewählter Anleihen im Besitz des Eurosystems der selbstverordneten Obergrenze von einem Drittel des jeweiligen Emittenten an. Und in dem Maße, in dem die Liquidität abnimmt und die Preise steigen, werden Investoren, die Rendite suchen, zwangsläufig in riskantere Assetklassen gedrängt: Es kommt zu einem klassischen Crowding-Out.

Darüber hinaus begünstigt die anhaltende Nullzinspolitik (der Markt rechnet erst Anfang 2019 mit einer Erhöhung der Leitzinsen der EZB) eine weitere Zunahme ökonomischer Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob sich die Märkte nicht immer weiter von einem Gleichgewicht entfernen - und unter Umständen ein (weiterer) Minsky-Moment droht. So besteht die Gefahr, dass die gegenwärtigen finanziellen Rahmenbedingungen, welche vordergründig Inflationsdruck generieren und die Stabilität der Eurozone gewährleisten sollten, letztlich das Gegenteil bewirken: Einzelne Marktakteure und selbst Volkswirtschaften könnten (erneut) zunehmend instabil werden.

In dem Maße, in dem sich die wirtschaftliche Lage der meisten Mitglieder der Eurozone in den vergangenen Monaten stetig und spürbar verbessert hat, ist das häufig bemühte und dennoch irreführende Argument der Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Geldpolitik der EZB zu hinterfragen. Gerade in Anbetracht einer Verzögerung von sechs Monaten (und mehr) zwischen dem Ergreifen geldpolitischer Maßnahmen und der vollständigen Entfaltung ihrer Wirkung, wäre ein entschiedenerer Schritt hin zu einer Normalisierung der Geldpolitik wünschenswert gewesen. Die Gefahr eines Minsky-Moments ist mitnichten gebannt.

Prof. Dr. Leef H. Dierks, Internationale Kapitalmärkte, Fachhochschule Lübeck

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