Redaktionsgespräch mit Roman Beck und Udo Milkau

Blockchain: "Die Rolle der Banken wird technisch und prozessual anders aussehen"

Prof. Dr. Roman Beck, Information Management Section, TIME Research Group, IT University of Copenhagen, Denmark

Misstrauen gegenüber denjenigen Anbietern, die auf Blockchain basierende und bereits operativ einsetzbare Produkte anbieten - das empfehlen Udo Milkau und Roman Beck im Redaktionsgespräch. Denn noch immer sehen sie in der Auseinandersetzung mit dem Verfahren ständig neue Fragen aufkommen - sowohl rechtlicher als auch aufsichtlicher und gesellschaftlicher Natur. Die sogenannte Distributed-Ledger-Technologie befindet sich nach ihrer Wahrnehmung derzeit in der Hype-Phase, nähert sich der Ernüchterungsphase und darf dennoch nicht als Trend behandelt werden, der wieder verschwinden wird. Dass Banken durch die Weiterentwicklung des Systems überhaupt nicht mehr gebraucht werden, halten sie für wenig wahrscheinlich. Gleichzeitig sehen sie aber einen hohen Innovationsdruck auf die Branche. Ihr Fazit: Banken werden sich bewegen müssen. Sie sollten sich rasch mit dem neuen System auseinandersetzen. (Red.)

Die Blockchain-Technologie/Distributed-Ledger-Technologie ist ein vieldiskutiertes, aber komplexes Thema. Was ist das grundsätzlich Neue daran?

Beck: Besonders hervorzuheben ist die Kombination aus Sicherheit und Transparenz, weshalb man auch über Blockchain als "trust machine" spricht. Eine Blockchain ist eine Art von dezentral verteilter Datenbank zwischen unterschiedlichen Unternehmen beziehungsweise Teilnehmern, in der alle Informationen allen bekannt sind, die aber aufgrund ihrer kryptografischen Sicherung von einem einzelnen Teilnehmer nicht manipuliert werden kann. Ohne Zustimmung beziehungsweise Konsens der Mehrheit der Teilnehmer können Dateneinträge nicht geändert werden. Aus diesem Grund spricht man von Blockchains auch als sogenannten Public Distributed Ledgers, also öffentlich verteilten Grundbüchern.

Wie fügt sich die Kryptowährung Bitcoin in dieses Gedankengebäude ein?

Beck: Bei Bitcoin handelt es sich um eine Public-Distributed-Ledger-Technologie, die sich der Blockchain bedient. Sinnvollerweise ist dieses Grundbuch über mehrere juristisch unabhängige Personen und Institute verteilt, womit wir schon bei den Eigenschaften und Details der Blockchain angelangt sind. Die zugrunde liegende Idee ist eine Fortschreibung von Transaktionen in Blöcken, die jeweils der Kette der letzten Transaktionen hinzugefügt werden. Welche Einträge genau hinzugefügt werden sollen wird über einen Mechanismus zwischen den Inhabern des Public Ledgers im Konsens koordiniert. Wenn jemand versuchen sollte, eine Transaktion nachträglich zu ändern, so müssten alle darauffolgenden Blöcke, alle Kopien dieser Transaktion bei allen Teilnehmern in diesem Netzwerk, ebenfalls geändert werden. Theoretisch ist das zwar vorstellbar, aber es ist extrem aufwendig und damit faktisch unmöglich.

Welche weiteren großen Projekte gibt es derzeit neben Bitcoin, die sich mit Blockchain beschäftigen?

Beck: Neben der Bitcoin Blockchain existieren einige weitere Blockchain-Initiativen, allen voran Ethereum, gefolgt von Hyperledger. Zudem beschäftigen sich Industriekonsortien wie R3 CEV im Finanzdienstleistungssektor mit der Entwicklung von Blockchain-Anwendungen.

Wer steckt hier jeweils dahinter? Und welche Ziele werden verfolgt?

Milkau: Diese zuletzt genannten Initiativen fokussieren sich meist auf sogenannte Distributed "Private" Ledger, das heißt auf eine einheitliche, verteilte Buchführung zwischen bekannten Teilnehmern wie zum Beispiel zwischen Banken. Und da man sich hier "kennt", geht es nicht mehr um die Frage eines Vertrauensmechanismus, sondern darum, die Technologie für mehr Ausfallsicherheit und höhere Effizienz zu nutzen. Eine einheitliche Definition der Distributed-Ledger-Technologie gibt es aber nicht. Und die Sicht auf diese neuen Ansätze wird umso schwieriger, je stärker man sie rein von der technischen Seite her zu erklären sucht. Denn gerade die diskutierten Anwendungsfälle zeigen eine dynamische Entwicklung, sie steht nie still.

Die Definitionen und Erklärungen dazu, was eine Blockchain ist, unterscheiden sich noch enorm, wenn man verschiedene Quellen zurate zieht ...

Milkau: Nach mittlerweile zweieinhalb Jahren Beschäftigung mit dem Thema Blockchain muss ich konstatieren, dass immer wieder neue Aspekte aufkommen, neue Fragen entstehen. Oftmals kann man diese auch nicht gleich beantworten und muss sie erstmal als offene Frage zurückstellen. Sehr viel Forschung und Wissenschaft sind hier noch nötig. Wenn heute irgendjemand behauptet, er hätte eine fertige Lösung oder ein operativ einsetzbares Produkt, dann darf man guten Gewissens sagen, da kann etwas nicht stimmen.

Gleichwohl gibt es aber wesentliche übergeordnete Aspekte zur Charakterisierung. Grundlegende Idee bei Distributed "Public" Ledger war es, ein System zu bauen, in dem ohne eine Zentralinstanz und zwischen unbekannten Teilnehmern Transaktionen sicher in einem Netzwerk durchgeführt werden können. Dieser Ansatzpunkt stand auch hinter Bitcoin: Vertrauen, Intermediäre und Zentralinstanz werden letztlich durch einen Konsensmechanismus ersetzt. Diese theoretische Fragestellung existiert bereits seit über 30 Jahren. Aber wirklich neu ist es, dass mit Bitcoin erstmals in der Praxis eine wirklich funktionierende Lösung geschaffen wurde. Es geht hier auch gar nicht darum, prinzipiell sichere und unveränderliche Nachrichten von A nach B zu schicken, denn das kann heute jede gut verschlüsselte E-Mail. Sondern es geht darum, mit einer Transaktion einen Wert für alle Teilnehmer verbindlich zu übertragen und Besitzrechte festzulegen. Seien das nun beispielsweise Bitcoins oder der Anspruch auf eine Aktie. Die wirkliche Innovation von Bitcoin war dabei, dies gerade nicht - wie lange versucht - durch technische Protokolle zu lösen, sondern durch einen Trick, welcher sozusagen von "außerhalb" der Technik kommt und auf einem spieltheoretischen Ansatz aufbaut, dass für alle kooperieren mehr Nutzen bringt, als der Versuch gegen die Regeln zu spielen.

Kann sich Blockchain noch als Hype erweisen, der in wenigen Monaten wieder vergessen sein wird? Oder sind längst so viele Branchen betroffen, dass sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten lässt?

Beck: Blockchain ist eine durchaus komplexe Technologie, weshalb verschiedene Fragen noch geklärt werden müssen, bevor wir marktreife Anwendungen sehen werden. Dies erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise, aber auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Technologie in den verschiedenen Geschäftsbereichen. Gleichzeitig muss man trotz der noch zu lösenden Probleme klar konstatieren: Blockchain wird nicht wieder verschwinden.

In einem typischen Gartner-Lifecycle ist die Technologie derzeit auf dem Höhepunkt der Hype-Phase. Wir werden sicher schon bald in eine Phase der Ernüchterung eintreten, denn viele Blockchain-Evangelisten haben zu früh zu viele Versprechungen gemacht und damit hohe Erwartungen geschürt. Erst in der jetzt erfolgten, praktischen Auseinandersetzung mit der Technologie ist die Erkenntnis gereift, dass es so schnell wie teilweise prognostiziert nun doch nicht gehen wird. Konkret war das bei der R3-CEV-Initiative der Fall, zu der sich weltweit im vergangenen Jahr 42 Finanzinstitute schrittweise zusammengeschlossen haben. Hier wurde zunächst angekündigt, binnen 12 Monaten eine eigene "Bank-Blockchain" zu erstellen. Von diesem Ziel ist man inzwischen wieder abgerückt.

Was bedeutet das konkret?

Beck: Eine ganze Reihe von Backend- und Transaktionssystemen im Bankensektor werden in Zukunft auf Blockchain-Lösungen basieren. Beispielsweise wird daran gearbeitet, die Ausgabe und Übertragung von Corporate Bonds in eine Blockchain zu geben. Geschäfts- und Privatkunden werden davon kaum etwas mitbekommen. Vermutlich werden wir als Kunden in zwei bis drei Jahren Bankgeschäfte tätigen, ohne dass uns überhaupt bewusst ist, dass dahinter Blockchain-Anwendungen stehen.

Der sogenannte "Uber-Moment" oder die "Killer-Anwendung", die alle in Kürze erwartet haben, die wird sich wahrscheinlich so bald nicht einstellen: Das heißt, es wird so schnell keine Blockchainbasierte Anwendung beziehungsweise "Killer-Applikation" geben, mit der etwas vollkommen Neues möglich wird. Bis es so weit kommt, wird das noch eine ganze Weile dauern.

Woraus lässt sich das schließen?

Beck: Derzeitige Projekte im Bankensektor, die sich etwa intensiv mit der Ethereum-Blockchain beschäftigen, deuten darauf hin, dass in den kommenden zwei Jahren zunächst eine Konsolidierung in den Erwartungen erfolgen wird. Zwar hört man vielfach die Aussage, Blockchain sei heute das, was vor 15 Jahren das Internet war. Doch auch das Web ist in unser aller Wahrnehmung erst dann so richtig interessant geworden, als der E-Commerce-Hype ausbrach. Die Web-Infrastruktur war da, aber wir wussten Ende der Neunzigerjahre nicht so genau, was wir damit machen sollen - außer E-Mails versenden und zu Informationszwecken einige Webseiten aufzurufen. Als E-Commerce mit Amazon, Ebay und anderen deutlich machte, wie der Handel sich durch das Internet revolutionieren lässt, hat jeder gesehen, wie fantastisch das Internet sein kann.

Nun lässt sich im Zusammenhang mit Blockchain Ähnliches beobachten. Derzeit werden Grundlagen gelegt und Protokolle geschrieben. Aber die E-Commerce-Anwendung in der Blockchain ist noch nicht zu erkennen. Es sind noch viele Unwägbarkeiten auszuräumen, zumal auch nicht absehbar ist, in welche Richtung sich Blockchain als Ökosystem entwickeln wird. In der Musikindustrie beispielsweise sichern einzelne Künstler bereits heute ihr geistiges Eigentum an Liedern über die Blockchain. In der Logistik machen sich verschiedene Unternehmen Gedanken über die Synchronisierung von Informationsflüssen über die ganze Logistikkette hinweg durch Blockchains.

Wie sieht es mit der Anwendung im Finanzsektor aus?

Beck: Im Bankensektor ist die Digitalisierung schon weit fortgeschritten, auch wenn nicht alle Systeme aus heutiger Sicht zeitgemäß sind. Wir haben Bitcoin im Payment-Bereich gesehen, aber es wird noch eine Weile dauern, bis weitere Anwendungen in anderen Bereichen des Banking auftauchen, die wirkliche neue Funktionalitäten bieten.

Milkau: Die bereits heute umgesetzte massive Technikunterstützung der Bankenbranche ist an dieser Stelle ein zweischneidiges Schwert für neue Technologien. Es gibt andere Industrien beziehungsweise Anwendungsbereiche, die heute noch sehr wenig durch Technik geprägt sind. Beispielsweise existiert in England das Vorhaben, ein zentrales Register für Diamanten auf Blockchain aufzubauen. Heute ist dieses Register noch papiergebunden, daher bestehen auch keine klassischen technischen Altlasten. An dieser Stelle findet man eine klare Anwendungsmöglichkeit und die Technologie ist definitiv besser als Papier.

In der Finanzindustrie wurde in den vergangenen 30 Jahren schon sehr viel in Informationstechnologie investiert. Man muss sich nur die Investitionen in den Sepa-Zahlungsverkehr aller Banken in Europa vor Augen halten oder aktuell die Einführung von Target-2-Securities im Wertpapierbereich. Jedes neue System muss sich daher im Vergleich wirklich messbar bewähren und einen zusätzlichen Nutzen bringen. Das ist aber nur das eine Kriterium. Auf der anderen Seite gibt es eine hohe Migrationsbarriere. Es erfordert typischerweise großen Aufwand und enorme Integrationskosten, um aus einer alten, etablierten und durchaus auch gut funktionierenden Welt in eine ganz neue Welt zu wechseln. Daher wird man bei Banken die Blockchain-Technologie zunächst in der Infrastruktur erproben, bevor man nicht nur technische Systeme komplett ablöst, sondern auch tief in Geschäftsprozesse eingreift und Rechtsstrukturen wie die Übertragung von Besitzrechten neu im Sinne einer Digitalisierung formuliert.

Hat die Beschäftigung mit Blockchain derzeit schon konkrete Effekte auf die IT-Systeme von Unternehmen?

Beck: Drei Effekte werden durch Blockchain ausgelöst. Erstens verursacht die intensive Auseinandersetzung mit der Technologie eine Reflexion darüber, wie die derzeitigen Systeme aussehen und was sie leisten können. Das Prozessdenken hat sich hier bereits verändert, weil man sich die Frage stellt, wie man die Systeme entlang der "Blockchain-Logik" verbessern kann, ohne gleich Blockchain einsetzen zu müssen. Daher dürfte eine ganze Reihe der heute stattfindenden Veränderungen in den IT-Systemen unmittelbar gar nichts mit Blockchain zu tun haben, aber sie wurden durch die Blockchain-Diskussion maßgeblich beeinflusst. Wenn innerhalb von Unternehmen über die Blockchain gesprochen wird, dann erfolgt oftmals der Einwand, dass es keine Anwendungen gibt, die nicht heute schon beispielsweise mit einer einzigen zentralen Datenbank realisiert werden könnten. Die nächste Frage muss dann aber lauten, warum das Unternehmen dann nicht die eine große zentrale Datenbank hat, die das bewerkstelligt? Da setzen ganz neue Denkprozesse ein.

In einem zweiten Schritt werden Banken dann tatsächlich Infrastruktur-Anwendungen implementieren. Und erst an dritter Stelle wird der transformatorische Druck sich auch in Anwendungen widerspiegeln, deren Form und Funktion man sich so heute noch nicht wirklich vorstellen kann.

Verschiedene Finanzdienstleister prüfen Blockchain auf Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis. Auch die Bundesbank beobachtet und erforscht das Thema. Die EZB hat angekündigt, das digitale Verfahren genauer im Hinblick auf seinen Einsatz von Notenbanken der Eurozone unter die Lupe zu nehmen. Mit welchen Anwendungen der Technologie für die Finanzwirtschaft experimentieren Sie? Was hören/erfahren Sie zu den möglichen Einsatzbereichen und der möglichen Relevanz für die Kreditwirtschaft von anderen Banken?

Milkau: An vielen Stellen wird heute geprüft, welche Dinge sich mit der Distributed Ledger Technology prinzipiell umsetzen lassen würden. Dabei wird die Frage noch nicht berücksichtigt, ob eine entsprechende Umsetzung dann schneller, besser, billiger oder einfacher wäre als das bestehende System. Experimentiert wird beispielsweise mit der Abbildung von Repo-Geschäften, aber auch von einfachen Derivat- und Bondgeschäften. All das dient hauptsächlich dem Ziel, mit der Technologie vertraut zu werden und sich anhand von einfachen Fällen über die Konsequenzen klar zu werden.

Beck: Das deckt sich mit meinen Beobachtungen. In vielen Häusern wird mit relativ einfach zu realisierenden Projekten experimentiert, die letztlich nichts anderes sind als ein weiteres IT-System in der Bank. Dabei geht es zunächst um den Aufbau von Kompetenzen mit der Technologie. Dies ist auch nötig, denn die Programmierung von Smart Contracts in die Blockchain erfordert ein deutlich höheres Maß an Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, um eine Geschäftslogik korrekt zu implementieren. Diese Überlegungen müssen am Anfang stehen, denn im laufenden Betrieb der Blockchain lässt sich nichts optimieren oder die Logik verändern. Gerade das ist ja der wesentliche Kern der Blockchain: Wenn einmal ein Vorgang in der Blockchain angelegt ist, so muss er auch so exekutiert werden. Diese Erfahrungen mit der Blockchain werden jetzt in den Prototypen gesammelt.

Das heißt, die bisherigen Tests laufen alle im Bereich der privaten Blockchains?

Beck: Wir werden so schnell keine Anwendung sehen, die in den Public-Ledger-Bereich und damit in den Konsensus-Bereich hineingeht. Mit dem Heraustreten in eine öffentliche Blockchain tauchen sofort regulatorische Themen auf. Die zentrale Frage lautet dann: Wer ist verantwortlich, wenn doch etwas schiefgeht? Wenn alle Transaktionen durch ein Peer-to-Peer-Netz garantiert werden und die Technologie als vertrauensstiftende Instanz fungiert, wen kann ich dann haftbar machen? Rechtsanwälte und auch die Finanzaufsicht werden das als erstes zu klären haben, und daher ist wenig verwunderlich, dass sogenannte "Coding Lawyers", also Rechtsanwälte mit Programmierkenntnissen, gerade sehr gefragt sind.

Wie gehen Regulatoren in Europa mit dem Thema um?

Beck: Es gibt sehr verschiedene regulatorische Auffassungen darüber, wie der Finanzdienstleistungssektor kontrolliert werden soll. Das ist durchaus ein Problem. Die Briten beispielsweise haben mit der Ankündigung ihrer "regulatory sandbox" im März dieses Jahres signalisiert, dass sie offen sind für Fintech-Innovationen. Deren Grundaussage war es, alle entsprechenden Ideen, die unter anderem auf Blockchain basieren, unterstützen zu wollen. Die Aufsicht bietet sich an dieser Stelle als Sparringspartner an. Selbst wenn diese Aus sage mehr Standortmarketing als ein echter Wettbewerbsvorteil für Großbritannien sein sollte, so ist das damit gemachte Signal klar und deutlich: Wir haben eine innovationsfördernde Geisteshaltung und wollen der Motor für Finanzinnovationen bleiben. In Kontinentaleuropa und besonders in Deutschland hingegen geht es vielen Protagonisten eher darum, Risiken zu minimieren, abzuwarten oder gar notwendige Auseinandersetzungen mit Blockchain zu verzögern.

Letztlich wird aber nur diejenige Behörde auch mit den stattfindenden kriminellen Aktivitäten im Bereich Blockchain umgehen können, die sich schon früh mit der Technologie intensiv auseinandergesetzt hat. Interne Blockchain-Anwendungen bereiten hier sicherlich weniger Probleme. Sobald es aber in den öffentlichen Bereich geht, bestehen noch erhebliche regulatorische Aufgabenstellungen.

Milkau: Blockchain ist eben auch ein Thema im Standortwettbewerb. Dabei stehen ganz offen London auf der einen Seite sowie Frankfurt und der Kontinent auf der anderen. Zudem gibt es weitere Standorte, an denen intensiv am Thema Blockchain gearbeitet wird, zum Beispiel in Israel. Ganz klar geht es hier auch um die Frage, ob Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und der Gesetzgeber den entsprechenden Rahmen bieten, in dem sich Ideen zunächst entwickeln können oder vieles abbremsen - beispielsweise aus Grün den des Datenschutzes, der Sicherheit, der Haftung und so weiter.

Die Blockchain verbindet zwei Welten miteinander, das sind die Technik einerseits und die juristische Dimension andererseits. Denn mit entsprechenden Transaktionen werden Besitzrechte übertragen, beispielsweise an einem Bitcoin, an einer Aktie oder an einem Musiktitel. Daher müssen auch Aspekte wie Haftung, Gerichtsstand, Einklagbarkeit, aber auch Eigenkapitalunterlegung oder Insolvenzfestigkeit diskutiert werden, also Dinge, die mit der Technik an sich nichts mehr zu tun haben. London bietet derzeit ein sehr kreatives Umfeld für die Arbeit an diesem Spannungsfeld. Aber auch in Frankfurt gibt es wirklich gute Ideen.

Wann sollten Unternehmen beziehungsweise Finanzdienstleister beginnen, sich mit dem Thema Blockchain zu beschäftigen?

Beck: Blockchain wird so bald keine paketierte Anwendung sein, die man sich über einen Anbieter zukaufen kann. Sie wird aber zur Infrastruktur werden, die in vielen Bereichen Einzug halten wird. Wann sollte man also anfangen, sich mit Blockchain zu beschäftigen? Jetzt. Werden wir unmittelbar etwas mit Blockchain realisieren können? Vermutlich nein. Es wird noch mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, in denen sich Unternehmen und Entrepreneurs mit der Thematik vertraut machen werden, je nachdem, wie viel investiert wird. Viele Unternehmen beschäftigen sich auf kleiner Flamme mit dem Thema Blockchain, um im Hinblick auf die Entwicklung der Technologie am Ball zu bleiben. Gleichzeitig zeigen die verschiedenen Blockchain-Initiativen, dass die Entwicklung von Blockchain als Technologie noch gar nicht wirklich abgeschlossen ist, während bereits an Infrastrukturen und Anwendungen gearbeitet wird. Das ist im Prinzip der Versuch, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, von dem man nicht weiß, wohin er genau fährt.

Sie haben davon gesprochen, dass eine Transaktion in der Blockchain nicht revidiert werden kann. Letztlich muss ein neues System aufgesetzt werden, wenn an der Ausgestaltung etwas verändert werden soll. Ist das auch einer der größten Nachteile der Technologie?

Milkau: Diese Thematik haben wir beispielweise in einer Arbeitsgruppe der EZB diskutiert. Heute werden vielfach von Händlern in Banken Geschäfte gemacht, bei denen im Nachgang noch eine Gebühr oder eine Abwicklungsinstruktion angepasst wird. In der Regel wird hier das Backoffice nachträglich in ein Geschäft "eingreifen" und es anpassen. Nach der harten Logik der Blockchain ist das nicht möglich, denn ein Geschäft ist in dem Moment abgeschlossen, in dem beide Parteien auf den Knopf drücken. Dass es nicht manipulierbar ist, heißt aber auch wirklich, es ist nicht manipulierbar. Oder in der Sprache des Handels: Execution = Confirmation = Settlement = Reporting. Wenn man ein Geschäft zurückdrehen möchte, kann man nicht einfach auf "Cancel" drücken, sondern es muss ein Gegengeschäft gemacht werden. Das setzt auch neue Denkprozesse voraus, wie Geschäfte abgeschlossen werden sollten. Die Vorgehensweise, Geschäfte im Handel erst mal anzulegen und sie dann in der Marktfolge mit den notwendigen Informationen für das Settlement zu ergänzen, ist damit hinfällig. In Zukunft müssen die zu Beginn vorhandenen Informationen das Geschäft vollständig beschreiben.

Spinnt man diesen Gedanken weiter und bezieht ihn auf ganze Vertragskonstrukte, die in der Blockchain theoretisch abgelegt werden können, so entstehen weitere Fragen. Verträge können, wenn sie hart - im Sinne der technisch beschriebenen Bedingungen - rechtsverbindlich sind, weitere Aktionen auslösen. Das bringt eine neue Struktur ins das Recht: ein technisches Programm kann dann rechtsverbindliche und nicht mehr revidierbare Aktionen auslösen. Will man das? Solche Fragen müssen interdisziplinär geklärt werden. Diese Diskussion beginnt gerade erst. Die eher technisch getriebene Seite befindet sich mit der juristisch getriebenen Seite erst am Beginn eines konstruktiven Dialogs.

Um noch ein Beispiel zu geben, so kann ein Distributed Ledger, also ein öffentliches Register, das über verschiedene Rechner verteilt und öffentlich einsehbar ist, eine Art Grundbuch sein. Wenn Sie ein Haus kaufen, gehen Sie zum Notar und nachdem Ihnen der Vertrag vorgelesen wurde, unterschreiben Sie und das Geschäft ist rechtskräftig. Wenn hundert Jahre später Beschwerden auftauchen, weil eine andere Person über das Grundstück fährt, dann kann man im Grundbuch nachsehen, ob ein Wegerecht als ein Rechtsanspruch existiert oder eben nicht. Aber man kann nicht eine Gewohnheit hineininterpretieren. Es gilt der Eintrag.

Wie stark ist die Diskussion über Blockchain von den öffentlich gewordenen Fällen von Geldwäsche mit Bitcoin beeinflusst?

Beck: Meist geht in Gesprächen über Blockchain die erste oder zweite Frage in Richtung Bitcoin, Geldwäsche, Kriminalität. Das ist zweifellos ein wichtiger Teil der zu führenden Diskussion, aber man darf den Diskurs um Blockchain auf keinen Fall darauf verengen. Seit etwa acht Monaten neigt sich die Debatte stärker hin zu Blockchain und weg von Bitcoin. Bitcoin war das Anwendungsbeispiel, mit dem Blockchain gestartet ist. Aber gleichzeitig liegt darin die Gefahr, dass die Menschen Blockchain zu sehr auf den Payment-Bereich bezogen sehen. 99,99 Prozent der möglichen Anwendungen, die wir in Zukunft erleben werden, liegen außerhalb von Payment.

An dieser Stelle muss man die Sprache nochmals auf London bringen. Dort wird das Thema anders angegangen. Das bedeutet nicht, dass die Killerapplikation demnächst aus Großbritannien kommen wird. Aber die Briten verstehen das neue Spiel um Blockchain besser zu spielen und sie erarbeiten sich damit einen ansehnlichen Wettbewerbsvorsprung. Dabei hat Blockchain erhebliches Potenzial gerade für den Standort Deutschland. Ich hatte ja gerade bereits ausgeführt, dass da erhebliches IT-Ingenieurwissen in der Implementierung notwendig ist, um die Geschäfts- und Prozesslogiken in die Blockchain einzufügen. Das ist eigentlich die Paradedisziplin für ein Land der Ingenieure, das auch führend im Bereich der Industrie 4.0 ist. Die Deutschen haben durchaus ein prozessuales Denken, ein "Endto-End"-Denken in der Wertschöpfungskette, was unabdingbar für erfolgreiche Blockchain-Anwendungen ist. Da muss einfach mehr passieren in Deutschland, sonst verpassen wir den nächsten Megatrend.

Durch die Dezentralität des Systems sollen Intermediäre weitgehend überflüssig gemacht werden. Haben Banken nur die Wahl erstens andere Unternehmen in ihr ureigenes Geschäftsfeld zu locken und damit Banken überflüssig zu machen oder machen zweitens Finanzdienstleister ihr Geschäftsmodell selbst unrentabel?

Beck: Das ist die berühmte Frage nach dem Grad der Disruption dieser Technologie. Dass Banken durch Blockchain komplett aus dem Feld geworfen werden, erscheint mir als zu stark vereinfacht in der Diskussion. Banken werden nicht heute und auch nicht morgen vom Markt verschwinden. Aber sie werden sich bewegen müssen, und zwar in einer Art wie sich Banken seit sehr langer Zeit nicht bewegen mussten. Der Innovationsdruck auf Banken ist enorm hoch, gleichzeitig sind die Wunden der Finanzkrise noch nicht verheilt und die Institute noch nicht wieder so aufgestellt, als dass sie der Herausforderung mit voller Kraft begegnen könnten. Denkbar ist sicherlich, dass sich Banken als Plattformbetreiber von Fintech-Anwendungen positionieren und diese mittels Blockchain-Anwendungen absichern.

Denkbare Möglichkeiten für tiefgreifende Veränderungen, die auf der Blockchain-Technologie basieren, gibt es viele. Mit Blockchain könnten wir nicht nur die bargeldlose Gesellschaft erreichen, wie sie in ganz großen Schritten in Skandinavien realisiert wird, sondern in letzter Konsequenz die geldlose Gesellschaft bewerkstelligen. Wir bräuchten letztlich gar kein Geld mehr, sondern könnten über Blockchains zurück zum Tauschhandel kommen. Wenn ich beispielsweise einen Kaffee kaufe, könnte ich in meine Blockchain schreiben, dass ich dem Anbieter dafür einen millionstel Anteil an meinem Haus überschreibe. Alle entsprechenden Transaktionen könnten sauber in der Blockchain aufgelistet werden, wodurch eine komplette Buchführung über die Vermögensbestände entsteht. Dies ist natürlich ein eher utopisches Beispiel, illustriert aber das Innovationspotenzial: Eine Welt ohne Geld ist nun tatsächlich denkbar. Star Trek lässt grüßen.

Geht die dafür erforderliche Rechenleistung nicht weit über das derzeit zu leistende Maß hinaus?

Beck: Sicherlich muss an der Rechenleistung und den Bandbreiten weiter gearbeitet werden. Leider ist auch im Bereich des Breitbandausbaus Deutschland nicht gerade führend im globalen Vergleich. Aber da wir schon bei utopischen Ideen sind: Auch der Quantencomputer ist inzwischen Realität. Mit derlei Rechenleistung ist auch die Verarbeitung von Blockchain-Transaktionen keine unlösbare Aufgabe mehr. Freilich werden wir in den kommenden 50 Jahren nicht vom Konzept des Geldes abkommen. Aber nochmals: Das Beispiel zeigt, dass den Möglichkeiten und dem Denkbaren hier wenig Grenzen gesetzt sind. Wir reden hier von einer neuen Ökonomie und nicht nur von neuen Geschäftsmodellen.

Wie muss sich eine Bank aufstellen, um in einem solchen Umfeld eine moderne und tragfähige Bank zu sein?

Milkau: Letztlich wird die Frage die nach der Rolle von Banken sein. Wo finden Banken in einer dynamischen Entwicklung auf der technischen, aber auch der gesellschaftlichen Seite zukünftig ihre Rolle? Im April dieses Jahres ist das EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch in einer Rede auf das Thema Distributed-Ledger-Technologie eingegangen. Er geht davon aus, dass Banken in ihrer Funktion als Risikointermediäre obsolet werden könnten, wenn alle Systeme auf die Blockchain gezogen werden.

Dieses Bild halte ich aber für eine theoretische Fragestellung. In der Gesellschaft werden wir immer eine Risikotransformation brauchen. Daher wird es weiterhin Intermediäre geben. Es ist unrealistisch zu glauben, dass jeder Endanleger sich über alles informiert, sich jedes Risikos und jeder neuen Entwicklung bewusst ist und dann zu 100 Prozent bestinformierte, rationale Entscheidungen trifft. Das ist eine Illusion darüber, was Menschen können und auch was Menschen wollen.

Die Rolle der Banken wird aber künftig technisch und prozessual anders aussehen. Um sich neu zu positionieren, müssen wir uns so schnell wie möglich mit Blockchain beschäftigen. Denn es dauert viel länger, in Banken strukturelle Änderungen herbeizuführen, als eine neue Technologie einzuführen. Bei der aktuellen Beschäftigung mit der Thematik gilt es freilich, im Hinterkopf zu behalten, dass nicht alle Ideen, nicht alle Unternehmen und auch ganz bestimmt nicht alle Prototypen, die wir heute sehen, lange überleben werden.

Wie wir jedoch am Beispiel des Internets gelernt haben, kann sich hier eine Menge tun. Im Jahr 1994 haben sehr wenige damit gerechnet, dass Firmen wie Google, Facebook und andere so schnell die am besten marktkapitalisierten Unternehmen der Welt sein würden. Letztlich bauen sie alle auf der Internettechnologie auf. Und deren Start liegt gerade einmal gute 20 Jahre zurück.

Gibt es Foren, die einen Austausch über Blockchain hinsichtlich der für die Kreditwirtschaft wichtigen Belange erlauben?

Milkau: Es gibt verschiedenste Gelegenheiten für den Dialog. Schon im April des vergangenen Jahres fand eine Konferenz in Frankfurt statt, die gemeinsam von der Bundesbank, von der Goethe-Universität und vom University College London veranstaltet wurde. Zudem gibt es Initiativen unter Einbeziehung von Universitäten und Zentralbanken, die sich mit dem Thema beschäftigen, ebenso wie Industriekonsortien. Roman Beck hatte ja schon R3 angesprochen, wo Banken auch mit Anbietern zusammenarbeiten und gemeinsam Dinge testen.

Mit wie viel Manpower verfolgt die DZ Bank diese Entwicklungen?

Milkau: Die DZ Bank Gruppe treibt das Thema mit einer ganzen Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voran, die sich aber nicht in Vollzeit damit beschäftigen. Es betrifft sehr stark die interne Weiterbildung und das Testen von Möglichkeiten. Im Geschäftsfeld Transaction Banking wurde eine kleine eigene Weiterbildungslinie aufgesetzt, die sich selbstbewusst Transaction Banking University nennt. Hier stehen die Veranstaltungen im laufenden Jahr stark unter dem Thema Blockchain und Distributed Ledger Technology. Zweiter Strang ist noch Big Data.

Zudem werden wir am 1. September gemeinsam mit dem E-Finance-Lab der Goethe-Universität eine Konferenz hier in Frankfurt ausrichten, die sich ebenfalls dem Thema Blockchain-Technologie, deren Anwendung und Weiterentwicklung widmet. Im Sinne eines offenen Austausches sind hier auch Kollegen aus anderen Instituten eingeladen. Wissenschaft und Politik sowie Regulatoren sind ebenfalls willkommen, um die Diskussion weiterzubringen.

Beck: Banken tun sich schwer, weil es oftmals keinen institutionellen Rahmen gibt, in dem solche Themen erarbeitet werden können. Oftmals finden sich in den Instituten aber Menschen, die sich für das Thema interessieren. Diese treffen sich physisch oder virtuell und schließen sich zu inoffiziellen Teams zusammen. Sie tauschen sich regelmäßig aus und erarbeiten in ihrer freien Zeit auch entsprechende Projekte. Etwas einfacher ist es für Kreditinstitute, die sich schon früh mit "Open-Innovation-Umgebungen" oder mit Forschungszentren Spielräume geschaffen haben, um mit derlei Innovationen zu experimentieren. So hat die Deutsche Bank mit ihrem Research Lab in London einen Ort, an dem sie Blockchain-Entwicklung betreibt. Aber eben in London und nicht in Frankfurt.

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