Redaktionsgespräch mit Lutz Raettig

"Im Investment Banking hat der Markt nach der Finanzkrise eher noch zugelegt"

Dr. Lutz Raettig, Aufsichtsratsvorsitzender, Morgan Stanley Bank AG, Frankfurt am Main

Dem Investment Banking als Kernmetier seines Hauses bescheinigt Lutz Raettig nach der Finanzkrise längst wieder eine gute Lage mit großen Transaktionen. In der Marktbearbeitung und Effizienz registriert der Aufsichtsratsvorsitzende der hiesigen Morgan Stanley Bank zwar Vorteile für US-Häuser, billigt in einem insgesamt leicht wachsenden Markt den europäischen und asiatischen Wettbewerbern aber durchaus Chancen zu. In Europa durch den Brexit und in den USA durch die bislang noch schwer kalkulierbaren Vorstellungen der US-Administration will er allerdings im gesamten Bankgeschäft erhebliche Auswirkungen auf die Wertschöpfungsketten nicht ausschließen. Gerade unter den Auslandsbanken, so sein Tenor im Redaktionsgespräch, könnten die unsicheren Rahmenbedingungen in vielen Häusern in kurzer Frist flexible strategische Entscheidungen verlangen. (Red.)

Tangiert die Arbeit der neuen US-Administration das Geschäft von Morgan Stanley? Spüren Sie in der deutschen Einheit Ihres Hauses eine Verunsicherung?

Nein, in unserem Haus herrscht derzeit eine Mischung aus Business as usual und aufmerksamer Beobachtung vor. Ob die Äußerungen des Präsidenten, die Regulierung ein wenig zurücknehmen zu wollen und möglicherweise eine Reform einzelner Aufsichtsbehörden zu prüfen, für unser Geschäft einen Effekt in die eine oder andere Richtung auslösen werden, lässt sich Stand Ende März nicht konkret absehen. Für die Einheiten in Europa und in Deutschland ist derzeit der Brexit das viel wichtigere Thema.

Inwieweit bringt der Brexit Unruhe in die Einheiten Ihres Hauses im UK und in Deutschland?

Die Anpassung in der vorgegebenen Frist von zwei Jahren ist für beide Einheiten sehr wichtig, zumal der Standort London unser Hub für die EMEA-Region ist. Dort finden sich viele Funktionen wieder, die weit über die Marktbearbeitung in Resteuropa hinausgehen. Natürlich wird bereits überlegt, wo gegebenenfalls eine neue Organisation gebraucht werden könnte, um die Geschäfte reibungslos weiterzuführen und welche sonstigen Maßnahmen nötig werden könnten. Hier in Deutschland sind wir mit einer vollen Banklizenz ausgestattet und unterliegen heute schon der Beaufsichtigung durch Ba-Fin und Bundesbank. Damit haben wir die vergleichsweise komfortable Position, auch nach 2019 voll operationsfähig zu sein. Das gilt auch für einige andere Länder.

Durch den Brexit müssen wir allerdings hier in Europa - ähnlich wie in den USA - mit einer Veränderung der Landschaft rechnen, ohne genau zu wissen, wie diese letztlich aussehen wird. Fest steht lediglich, dass wir in zwei Jahren bereit sein müssen, in allen 27 EU-Ländern weiter unser Geschäft zu betreiben. Das reicht von der strategischen Geschäftsausrichtung und einer Vielzahl von Kontrakten bis hin zu ganz praktischen Dingen wie der Anpassung der Mietverträge und der Personalausstattung in den einzelnen Ländern. All diese Entscheidungen stehen in absehbarer Zeit an.

Lassen Sie uns den Blick auf das Investment Banking richten. In welcher Verfassung ist dieses Geschäftsfeld derzeit in den USA und Europa?

Der Branche geht es insgesamt gesehen recht gut, besonders den amerikanischen Instituten, unter anderem mit den zwei verbliebenen reinen Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley. In den USA hat sich der Markt bei den Kapitalmarkttransaktionen, einigen Equity-Transaktionen und besonders im M&A-Geschäft erfreulich entwickelt. Dort werden recht große Transaktionen gestemmt. Zum Teil spiegelt sich die gute Marktverfassung auch in Europa wider, wobei auch hier die amerikanischen Institute an vielen wesentlichen Transaktionen beteiligt sind.

Insgesamt steigen die Marktanteile der amerikanischen Institute im Investment Banking tendenziell an, nach der Finanzkrise allerdings bei deutlich veränderten Strukturen. Einige Geschäftsfelder mit dem Eigenhandel an der Spitze sind praktisch weggefallen, die Kostenstrukturen sind schlanker, das Geschäft läuft gut. Das gilt für die klassischen Investmentbanken wie die großen amerikanischen Banken mit starkem Investment-Banking-Geschäft. Der Markt hat nach der Finanzkrise eher noch zugelegt. Insbesondere die einzelnen Transaktionen sind größer geworden.

Wie lassen sich die Unterschiede zwischen den amerikanischen und den restlichen Investmentbanken erklären?

Der amerikanische Markt ist groß und zwischen den Small Regional Banks und den wenigen großen Playern zweigeteilt. Was in den einschlägigen Statistiken im M&A- und im Kapitalmarktgeschäft so spektakulär aussieht, betrifft großenteils fünf oder sechs große Häuser. Es ist ein hochprofessioneller Markt vonseiten der Investmentbanken wie auch ihrer Kunden. Es gibt große amerikanische Unternehmen, die in Europa investieren und umgekehrt. Das wird bei den großen Transaktionen besonders sichtbar. Der dritte große Markt ist inzwischen China.

Ist das Investment Banking in Asien ebenfalls unter den großen amerikanischen Häusern aufgeteilt?

Nicht komplett. In dieser Region gibt ebenfalls einige starke Häuser die beispielsweise von Hongkong und/ oder London aus operieren. Aber natürlich haben die US-Investmentbanken auch in Asien hohe Marktanteile, unser Haus beispielsweise in China, wo wir auf eine lange Tradition in einem interessanten Joint Venture zurückblicken können.

Aber an den europäischen und deutschen Banken gehen die großen Transaktionen vorbei ...

Einige der großen europäischen Banken aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland sind ganz gut unterwegs, aber eben nicht immer so gut wie die Amerikaner.

Wie sehen Sie die Zukunft des europäischen Marktes im Investment Banking? Gibt es dort im Zuge der Kapitalmarktunion Wachstumspotenziale?

Der europäische Markt wird sich sicherlich beleben, beispielsweise im Zuge einer weiteren Diversifikation der Refinanzierung für Unternehmen. Hinzu kommen veränderte Eigenkapitalanforderungen an Banken, die den Spielraum für bilanzbelastende Finanzierungen einengen werden. Und auch das Zwischenschalten von syndizierten Krediten, die dann später weiter aussyndiziert werden, verspricht durchaus weiteres Marktwachstum. Letztlich getrieben wird der M&A-Markt aber von industriellen und strategischen Überlegungen des Unternehmenssektors und weniger vom Finanzmarkt.

Welche Rolle spielt eigentlich noch der Eigenhandel?

In der gesamten Branche nur noch eine geringe.

Wird das angesichts der politischen Überlegungen in den USA so bleiben?

Das lässt sich zurzeit noch nicht zuverlässig beantworten, die Diskussion um eine mögliche Wiederbelebung dieses Geschäftsfeldes ist auch in den USA noch nicht wieder erwacht. Weder der Präsident noch der Finanzminister haben sich bisher klar dazu geäußert.

Gibt es für die großen amerikanischen Investmentbanken ein bestimmtes Volumen unterhalb dessen sie nicht aktiv werden?

Die Pauschalthese, die US-Investmentbanken würden nur große Transaktionen übernehmen, ist nicht haltbar. Je nach betroffenem Marktsegment engagieren sie sich auch bei kleineren Volumina. Das gilt zum einen, wenn es sich um Unternehmensteile handelt, die zu einem großen Konzern gehören, zu dem gute Geschäftsbeziehungen unterhalten werden. Es betrifft zum zweiten Geschäfte, die als Folge einer Großtransaktion anfallen, beispielsweise durch Auflagen von Aufsichtsbehörden. In der Praxis hängen fast an jeder größeren Transaktion weitere kleinere Aktivitäten. Und zum dritten werden auch zukunftsträchtige Technologien gerne begleitet, auch im Anfangsstadium.

Zurück nach Deutschland: Welche Bedeutung werden hierzulande die Auslandsbanken im Zuge des Brexits haben?

Die Gruppe der Auslandsbanken ist in Deutschland recht aktiv, teils sind die Geschäftsmodelle breit angelegt, teils arbeiten die Institute in Nischen. In einigen Geschäftsfeldern gewinnen sie leicht Marktanteile. Zunächst wird es für die Häuser darum gehen, angemessen auf den Brexit zu reagieren, aber wenn diese Anpassungen vollzogen sind, werden sie gute Chancen haben, zumal der europäische Markt insgesamt stark in Bewegung ist. Durch den Brexit sind viele Wertschöpfungsketten betroffen, die neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.

Aber der deutsche Privatkundenmarkt dürfte für ausländische Anbieter vergleichsweise uninteressant bleiben, oder?

Dieses Segment ist in der Tat schwierig, wobei es allerdings auch dort erfolgreiche Beispiele gibt. Bessere Chancen bieten sich sicherlich bei der Vermögensverwaltung und auch im Firmenkundengeschäft. Dort werden viele deutsche und europäische Unternehmen in Zukunft ihren Mix an Finanzierungsquellen weiter diversifizieren und dabei auch auf Vernetzung Wert legen, beispielsweise bei Private Placements oder der Auflage von Schuldscheinen. Generell hat die Finanzkrise viele Unternehmen in der Überzeugung gestärkt, sich die Partner für Bankgeschäfte sehr sorgfältig auszuwählen und nicht mit zu vielen Instituten zusammenzuarbeiten, um auch in schwieriger werdenden Märkten störungsfrei agieren zu können.

Gerade diese verlässliche Zusammenarbeit in schwierigen Zeiten wird den Auslandsbanken doch von der hiesigen Branche abgesprochen ...

Das sehe ich anders. So ist es erwähnenswert, dass Morgan Stanley in diesem Jahr bereits 30 Jahre ununterbrochen Service in Deutschland anbietet. Wir haben hier Standvermögen und fühlen uns wohl dabei.

Wo liegen die Geschäftsschwerpunkte Ihres Hauses in Deutschland?

Die Schwerpunkte liegen im traditionellen Investment Banking, also Equities, Fixed Income, Risiko- und Risikohedgeprodukte und natürlich im M&A-Geschäft. Gerade an Letzterem hängen häufig auch Finanzierungen, allerdings unverändert in der bewährten Tradition - Underwriting hoher Beträge, aber einem ebenso schnellen Abbau.

Unvermeidliche Abschlussfrage an den Börsenfachmann Lutz Raettig: Wie schätzen Sie die gescheiterte Börsenfusion Frankfurt/London ein?

Die Industriemeinung dazu ist relativ eindeutig. Auch nach dem Scheitern dieses Fusionsvorhabens könnte es im Börsenwesen weitere signifikante Konzentrationen geben. Die Kunden von Börsen werden mangels ausreichender Möglichkeiten, ihre Erträge zu steigern, auf die Gebühren drücken. Dieser Trend wird ungebrochen anhalten. Und dieser Druck auf die Konditionen kann nur zum Teil dadurch abgefangen werden, indem das Volumen (Scale) steigt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X