Redaktionsgespräch mit Sigmar Gabriel

"Protektionismus produziert nichts Positives - nur Aggressionen"

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Berlin

Zwar registriert Sigmar Gabriel derzeit beim globalen Handel einen Trend zu protektionistischen Maßnahmen. Von den positiven Wirkungen offener Märkte bleibt der Bundesminister für Wirtschaft aber überzeugt und will sich gerade im Zuge der laufenden G20-Präsidentschaft Deutschlands für ein Festhalten an den Prinzipien des freien Handels einsetzen. Als Aufgabe der Politik sieht er nicht nur die Abwehr unerwünschter Folgen der Globalisierung durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, sondern auch die Sicherstellung von Kontinuität und das Setzen neuer Impulse. Chancen für die Belebung der internationalen Vernetzung verspricht er sich im Redaktionsgespräch nicht zuletzt von der Digitalisierung, deren Bedeutung er durch die Ausrichtung einer Digitalministerkonferenz unterstreichen will. Die Position der Welthandelsorganisation will er gestärkt wissen. (Red.)

Herr Gabriel, wie sieht der Bundeswirtschaftsminister zum Jahreswechsel 2016/2017 das allgemeine Klima für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen?

Wir haben in diesem Jahr im Bereich der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene, sehr wichtige Erfolge erzielt. Hervorzuheben sind zum Beispiel CETA und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran nach Abbau der Sanktionen. Der Ausblick für das Jahr 2017 ist zugegebenermaßen mit sehr vielen außenwirtschaftspolitischen Unsicherheiten behaftet: Großbritannien nach dem Brexit, eine neue US-Regierung, fortbestehende Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland und der Konflikt in Syrien. Das alles hat Auswirkungen auf wirtschaftliche Entwicklungen und lässt sich nur durch enge internationale Zusammenarbeit bewältigen.

Der reinen Lehre nach sollte ein florierender Welthandel insgesamt Wohlfahrtsgewinne bringen. Wieso fühlen sich offensichtlich so viele Länder auf der Verliererseite?

Dass offene Märkte und internationaler Handel insgesamt Wohlfahrtsgewinne bringen, ist ja richtig: Die Globalisierung ist eine Erfolgsgeschichte, die nicht nur den Lebensstandard in vielen Industrieländern gesteigert hat, sondern vor allem auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Zwischen 1990 und 2015 ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, weltweit um 58 Prozent gesunken. Wohlfahrtsgewinne implizieren aber nicht, dass alle Bürgerinnen und Bürger immer und in gleichem Maße davon profitieren.

Zum einen ist es nun eine zentrale Aufgabe der Politik, Verlierer der Globalisierung, beispielsweise bei Arbeitsplatzverlust, aufzufangen. Zum anderen beobachten wir momentan bei vielen Bürge rinnen und Bürgern ein wachsendes Gefühl von Kontrollverlust. Dagegen hilft nur, globale Regeln zu schaffen und sie durchzusetzen. Die deutsche G20-Präsidentschaft 2017 bietet hier eine wichtige Chance, zusammen mit unseren Partnern die richtigen Antworten zu geben. Klar ist aber, dass die Lösung nicht darin bestehen wird, die Grenzen zu schließen und das Rad zurückzudrehen: Es würde Arbeitsplätze kosten und den Wohlstand in unserem Land mindern.

Beim Thema Handel sind wir in einer schwierigen Situation. Wie soll es in der aktuellen, von neuem Protektionismus geprägten Zeit mit den diversen Freihandelsabkommen weitergehen? Oder ist doch der multilaterale Weg in der Welthandelsorganisation der Königsweg?

Die WTO steht für transparente, nichtdiskriminierende Handelsregeln unter Einbeziehung von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern: Dieser multilaterale Weg ist der "Königsweg" in der Handelspolitik. Nach einer langen Periode des Stillstands - bedingt durch den Versuch, das große Projekt der Doha-Runde in einem Rutsch zum Erfolg zu führen - hat die WTO nun mit einer Politik der kleineren Schritte wieder an Bedeutung und Schlagkraft gewonnen.

Diese "kleineren" Schritte sind bei genauer Betrachtung oft erhebliche Verbesserungen. Ein Beispiel: Auf der WTO-Ministerkonferenz 2013 in Bali konnte eine Einigung über das Trade Facilitation Agreement erzielt werden. Nach Schätzungen der WTO wird dies bis 2025 zu einer globalen Reduzierung der Handelskosten um 15 Prozent führen. Das Trade Facilitation Agreement steht kurz vor dem Inkrafttreten.

Deutschland begrüßt das Ziel der Europäischen Kommission, für die nächste WTO-Ministerkonferenz 2017 eine, wenn auch beschränkte, aber werthaltige Agenda anzustreben. Hierzu gehören zum Beispiel der Abbau von internen Agrar-Stützungsmaßnahmen, der Abbau von Fischereisubventionen, um Überfischung zu vermeiden, und - neben anderen Themen - ein Verhandlungsmandat zum Thema E-Commerce und Digitaler Handel. Die WTO muss sich auch den Themen des 21. Jahrhunderts öffnen.

Sind protektionistische Gedanken wie die von Donald Trump wirklich vorteilhaft für die in den jeweiligen Ländern ansässige Wirtschaft? Kann man Globalisierung und Wettbewerb an Ländergrenzen aufhalten?

Leider hält der Trend zu protektionistischen Maßnahmen weiter an - beim Handel und auch bei Investitionen. Wir müssen klar Position beziehen gegen diese Renationalisierung der Handelspolitik. Wir brauchen offene Märkte und freien Handel. In Deutschland ist jeder vierte Arbeitsplatz vom Handel abhängig, in der Industrie jeder zweite. Protektionismus produziert nichts Positives - nur Aggressionen.

Zum zweiten Teil Ihrer zweiten Frage: Globalisierung ist immer ein Phänomen über Ländergrenzen hinweg und lässt sich auch nicht einfach zurückdrehen, zumal sie eng mit technologischem Fortschritt verknüpft ist. Klar ist dabei auch, dass die Politik die Globalisierung gestalten muss. Eine globale Welt braucht globale Regeln. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat gezeigt, welche wirtschaftlichen Verwerfungen zügellose Globalisierung auslöst.

Auch Regeln für den Wettbewerb können im Sinne eines Level Playing Fields nicht an den Ländergrenzen Halt machen, wenn Unternehmen grenzüberschreitend agieren. Die G20 wurden im Zuge der Krise 2008/2009 als Antwort auf diese drängenden Fragen etabliert und haben gerade im Bereich der internationalen Finanzmarktregulierung und der internationalen Steuerpolitik große Fortschritte erzielt. Es bleibt aber viel zu tun.

Auch in China haben wir es mit Protektionismus zu tun. Befürchten Sie im schlimmsten Szenario sogar Verhältnisse, die einen Gebrauch des Wortes Handelskrieg rechtfertigen könnten?

Deutschland und China verbindet eine enge wirtschaftliche Partnerschaft. China ist für uns nach den USA der wichtigste Handelspartner außerhalb der EU. Gleichzeitig ist Deutschland für China der größte Handelspartner in der EU und die EU ist nach wie vor der bedeutendste Absatzmarkt für chinesische Produkte weltweit. Ein Handelskrieg, von dem die Presse immer wieder gerne schreibt, kann also weder im chinesischen noch im deutschen oder europäischen Interesse sein.

Richtig ist aber, dass wir nach wie vor eine starke Asymmetrie bei den Marktzugangs- und Investitionsbedingungen in Deutschland und der EU im Vergleich zu China haben. Deutschland und die EU sind offene Investitionsstandorte, die global Investoren anziehen. Ausländische Anleger genießen dabei die gleichen Rechte wie einheimische Unternehmen.

Leider stoßen unsere Unternehmen, trotz oft langjährigen Engagements in China und der Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze, auf vielfältige Marktzugangs- und Investitionsbarrieren. Sie beklagen nach wie vor Joint-Venture-Zwang bei Investitionen in bestimmten Branchen, zahlreiche Wirtschaftsbereiche sind für ausländisches Engagement komplett verschlossen, in anderen Bereichen sind nur Minderheitsbeteiligungen möglich. Das gemeinsame Ziel sollte ein "Level Playing Field" sein, eine gleichberechtigte Behandlung unserer Firmen in China, so wie sie chinesische Unternehmen in Deutschland und der EU bereits vorfinden. Nur so werden wir langfristig unser Kooperationspotenzial ausschöpfen können.

Welche Rolle kann beziehungsweise will Deutschland spielen, um das Klima der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu verbessern? Hebt die Bundesregierung beispielsweise mit Blick auf die G20-Präsidentschaft besondere Initiativen auf die Agenda?

Deutschland wird die G20-Präsidentschaft nutzen, um Kontinuität sicherzustellen und gleichzeitig neue Impulse zu setzen. Das gilt vor allem für die Digitalisierung. Digitalisierung treibt die internationale Vernetzung voran und schafft neue Chancen. Sie wirft aber auch neue Fragen auf, etwa in den Bereichen Normen und Standards, Beschäftigung, Aus- und Weiterbildung sowie Transparenz und Vertrauen. Als zentrales Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Wirtschaftsfragen müssen sich die G20 diesen Herausforderungen stellen. Deshalb werde ich erstmals im G20-Rahmen eine Digitalministerkonferenz ausrichten.

Die Arbeiten zu den Themen Handel und Energie werden wir auf Ebene der G20-Arbeitsgruppen fortsetzen. Im Handelsbereich wird unter anderem die wachsende Skepsis gegenüber internationalem Handel und offenen Märkten ein wichtiges Thema sein. Wir müssen uns bemühen, die Vorteile stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Im Bereich Energie werden wir, auch im Hinblick auf die ambitionierte Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, die Themen Energie und Klima enger verzahnen. Wir wollen uns über die gemeinsame Position der G20 zur Notwendigkeit der langfristigen Transformation des Energiesektors austauschen und Antworten auf die Frage suchen, wie wir langfristig die Dekarbonisierung des Energiesektors schaffen.

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