Deutschland first - und was dann?

Dr. Berthold Morschhäuser

Keine Angst, die Commerzbank und ihr Vorstandsvorsitzender Martin Zielke haben sich keineswegs die protektionistischen Anwandlungen von US-Präsident Donald Trump zum Vorbild genommen. Und sie gedenken bei ihren strategischen Entscheidungen auch nicht, die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Europa auszublenden. Aber der Fokus für die Strategie Commerzbank 4.0 ist dennoch eindeutig auf Deutschland ausgerichtet. Das bis 2020 laufende Programm zielt erklärtermaßen darauf ab, sich hierzulande als das wettbewerbsfähigste Institut aufzustellen. Wie in knapp vier Jahren die Erfolgskontrolle einer solch hehren Zielsetzung an konkreten Daten und Fakten erfolgen soll, bleibt zwar erst einmal offen, aber zumindest verbal lautet der Anspruch klar die Spitze zu erreichen und sich nicht mit einer Entwicklung in die richtige Richtung zufriedenzugeben. "Am einfachsten für den Kunden, am besten im Leistungsangebot und am schnellsten in Service und Abwicklung" lauten die Zielvorgaben, an denen Martin Zielke sich und sein Haus messen lassen will.

Auf ein Wachstumsumfeld für alle Banken darf der Vorstandsvorsitzende dabei angesichts der eher mäßigen Rahmenbedingungen aus Niedrigzinsen, zunehmenden Regulierungsanforderungen und hohem Investitionsbedarf in neue Technik nicht hoffen. Folglich hat er für sein Haus die Devise ausgegeben, "gegen den Markt zu wachsen". Im Klartext bedeutet das, den Sparkassen, Genossenschaftsbanken und den restlichen Instituten aus dem Privatbankensektor in einem insgesamt schwierigen Markt Geschäft abzujagen und sich gleichzeitig gegen alte und neue Mitbewerber zu behaupten - aus der ausländischen Kreditwirtschaft sowie anderen Branchen.

Wie die Privat- und Firmenkundschaft zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen von der Leistungsfähigkeit der Commerzbank überzeugt werden soll, hat die Bank mit der Umsetzung der im Herbst vergangenen Jahres noch einmal forcierten Digitalisierungsstrategie angedeutet. Neben Kostensenkungen und Effizienzgewinnen will sie den Nerv der Kunden mit einer klugen Mischung von City- und Flaggschiff-Filialen treffen, die eine optimale Versorgung zwischen stationärem Vertrieb und Onlineverfügbarkeit anbieten können. Dabei wird Offenheit für neue Entwicklungen im Fintechbereich nicht nur versprochen, sondern auch praktiziert. Der Erwerb des Internetunternehmens Onvista durch die Tochter Comdirekt sowie der Start eines Robo Advisors unterstreichen ebenso die Bereitschaft der Konzernmutter, neue Wege zu gehen, wie das frühe Engagement in der Fintechszene, direkt oder über die Tochtergesellschaften Main Incubator, Commerz Ventures und Open Space. Binnen der kommenden dreieinhalb Jahre 80 Prozent aller relevanten Prozesse digitalisieren zu wollen, klingt ambitioniert und ist sicherlich auch eine sportliche Kampfansage an einen Effizienzvergleich mit den Verbünden und anderen Instituten. Zwar klingt die von der Commerzbank für das Jahr 2020 angepeilte Cost Income Ratio von unter 66 Prozent nicht wirklich furchterregend. Doch diese Zielvorgabe basiert erklärtermaßen auf dem aktuellen Zinsniveau und soll bei steigenden Zinsen unter 60 Prozent absinken, also auf ein Niveau, das derzeit nur die besten Ortsbanken aus beiden Verbundgruppen erreichen und das durch die anhaltende Niedrigzinsphase für die vom Zinsgeschäft abhängige Branche nur schwer zu halten sein wird.

Beim Blick in die Vergangenheit wirken solche Vergleiche eher irritierend, denn mit den Genossenschaftsbanken und Sparkassen hat sich eine Commerzbank ebenso wie die in ihr aufgegangene Dresdner Bank in früheren Zeiten allenfalls im inländischen Privat- und Firmenkundengeschäft gemessen. Die wahren Ambitionen gingen weit darüber hinaus - in das europäische Geschäft und (ausgewählte) globale Aktivitäten beispielsweise im Kapitalmarktgeschäft. So durfte man in den frühen siebziger Jahren mit der Entstehung der Europartners Gruppe, einer Kooperation der damaligen Commerzbank mit dem Credit Lyonnais und der Banco di Roma sowie später der Banco Hispano Americano, noch den Eindruck haben, als entstünde hier so etwas wie der Nukleus für spätere europäische Bankgebilde. Und selbst als diese transnationale Kooperation der vier Großbanken Anfang der neunziger Jahre beendet wurde, war nicht zuletzt unter dem Eindruck der Allfinanzidee zumindest noch viel von europäischen Partnerschaften die Rede, teilweise auch mit Kapitalunterlegung. Nach einer Kapitalerhöhung der Commerzbank im Herbst 2000 beispielsweise hielt die italienische Generali im Zuge der sogenannten "Wahlverwandtschaften" einen Anteil von knapp 10 Prozent an der Frankfurter Großbank.

Auch deren Segmentberichterstattung nach geografischen Märkten war noch vor einem Jahrzehnt wie selbstverständlich eher nach Europa denn auf Deutschland ausgerichtet. In den Jahren 2006 und 2007 wird Europa einschließlich Deutschland als eine Region ausgewiesen, in der beispielsweise 2006 rund 90 Prozent des operativen Ergebnisses generiert wurden. Heute sind die geografischen Segmente Deutschland und Europa ohne Deutschland wieder getrennt. Gleichwohl hat die Bank auch im Berichtsjahr 2016 vom operativen Ergebnis her in Europa ohne Deutschland nach wie vor den weitaus größten Teil ihres operativen Ergebnisses erzielt. Die polnische Tochter M-Bank, deren Beitrag im Berichtsjahr 2016 mit 327 Millionen Euro fast ein Viertel des operativen Konzernergebnisses ausmachte, ist das sichtbarste Zeichen dieser Aktivitäten. Aber auch das europa- und weltweite Geschäft mit der Automotivebranche darf die Commerzbank als Beleg für erfolgreiche Marktbearbeitung über Deutschland hinaus anführen. Peergroups mit den Wettbewerbern in Europa zu nennen, wie es vor zehn Jahren noch geübte Praxis war, ist derzeit dennoch nicht die Sache der Commerzbank. Solche Zusammenstellungen findet man derzeit fast nur noch in den Regularien der Aufsichtsinstanzen, die beispielsweise die großen Banken nach Risikogruppen einteilen.

Auch ihr Kapitalmarktgeschäft will die Bank freilich noch stärker als bisher auf die Nutzenstiftung für die hiesige Realwirtschaft ausrichten. Nicht zur Disposition steht zwar die breite Palette von Kapitalmarktprodukten für mittelständische und große Unternehmen, angefangen von Kapitalmarktfinanzierungen über die Begleitung von Kapitalmaßnahmen und M & A-Transaktionen. Fit für den Markt machen will die Bank aber den Bereich Equity Markets & Commodities. Dieses technologieintensive Geschäft mit strukturierten Aktien und Rohstoffprodukten will man vorher sauber trennen, um es als eigene Gesellschaft mit eigener IT am Markt anzubieten. Genau solchen Verkäufen (Anteile an Visa Europa oder der Verkauf der Frankfurter Zentrale) sowie anderen Sonderfaktoren (Heta) hat die Commerzbank es übrigens zu verdanken, dass der Konzern für das Berichtsjahr 2016 trotz Goodwill-Abschreibungen von 627 Millionen Euro und Restrukturierungsaufwendungen von 129 Millionen Euro einen Überschuss von 279 Millionen Euro zeigen kann. In der aktuellen Lagebeurteilung mag man die Abhängigkeit der Ertragslage von solchen Sondereffekten als Management by Occasions brandmarken und der Bank mangelnde Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells vorwerfen. Aber viele solcher Transaktionen entspringen dem normalen Geschäft von früher. Sollten die heutigen Fintech-Aktivitäten eine Einheit hervorbringen, die sich später einmal als Verkaufsschlager erweist, würde man das als weitsichtiges Beteiligungsgeschäft einstufen.

Dass sich viele Bausteine der neuen Digitalisierungsagenda der Commerzbank stark auf den Heimatmarkt und die Zukunftsfähigkeit des ehemals klassischen Bankgeschäftes konzentrieren, bietet die Chance, sich mit klarem Konzept für die Zukunft zu wappnen und die Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Schon von Martin Blessing eingeleitet und nun von Martin Zielke fortgeführt darf man der Bank in mehreren Wellen eine Bewegung wichtiger Zielgrößen in die richtige Richtung bescheinigen - etwa RWA, Kapitalquoten oder Cost Income Ratio. Ob das mit nachhaltiger Ertragslage gelingt, ist noch zu beweisen.

Zumindest im Inlandsgeschäft, so hört man aus allen Bankengruppen, wird die Commerzbank wieder als ernst zu nehmender Wettbewerber wahrgenommen. Mit Blick auf die volkswirtschaftliche Funktion von Banken in der Europäischen Union stellt sich jedoch die Frage, ob in Zeiten, in denen die Sparkassen wie auch die Kreditgenossenschaften mehr und mehr über Konsolidierung sprechen, in Deutschland mit der Commerzbank eine weitere eher national ausgerichtete Bank ihren Platz findet, die in ihrer Ausrichtung und Reichweite ähnlich funktioniert wie die Verbünde mit Landesbanken und Sparkassen sowie die Kreditgenossenschaften mit der DZ Bank. Spätestens mit dem Abschluss des laufenden Digitalisierungsprojektes wird wieder die Frage aufkommen, welchen Platz die Commerzbank in einem europäischen Umfeld einnehmen wird - immer vorausgesetzt natürlich das Projekt europäischer Binnenmarkt hat noch eine Zukunft.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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