Es hat lange gedauert

Klaus-Friedrich Otto

Es hat lange gedauert! Wer den Vorzug genießt, immerhin vierzig Jahre dieser höchst ehrenwerten ZfgK zurückzublättern, findet hier oder in der damals gegründeten Tochter "bank und markt" ohne Weiteres namhafte Zeitbeschreibungen wie diese: "Die Innovationszyklen verkürzen sich dramatisch. Die Grenzen der Branchen lösen sich auf, eine Vielzahl sogenannter Near- und Non-Banks drängt ins Bankgeschäft. Hunderte Fintechs, aber auch Internetriesen wie Apple und Google sorgen dafür, dass die Wettbewerbsintensität im ohnehin hart umkämpften Sektor weiter zunimmt."

So wie Markus Pertlwieser vom Vorstand der Deutschen Bank Privat- und Geschäftskunden AG haben es, als er - mit Verlaub - noch die Kindergärtnerinnen beunruhigte, seine Vorvorgänger Eckart van Hooven und Ulrich Weiss vorgetragen und aufgeschrieben.

Sie haben zwar zeitgemäß noch nicht von Fintechs gesprochen und nicht direkt von Internetbeherrschern, sondern beispielsweise "amerikanische" Kreditkartenkonzerne und nicht zuletzt aggressive Assekuranzbetriebe als Bedrohung der eigenen Domänen empfunden. Dass jedoch Banking schrecklich bald keine oder viel weniger Banken nötig haben würde, das galt schon vor gut einer Generation als sichere Prognose, im Kanzlerischen ausgedrückt als "alternativlos".

Wie wir klugen Nachfahren inzwischen (noch) zu erleben belieben, waren die Prognosen für ein schrumpfendes, weil von technischen Innovationen und Innovatoren gequetschtes Bankwesen durchaus richtig. Nur hatte sich, hat sich ein kleiner Fehler in die feinen Analysen eingeschlichen: Es hat mit dem Umbruch der alten, gewachsenen Bankstrukturen viel, viel länger gedauert, als die klugen Bankdruiden der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts das Menetekel an die Bankwände gemalt haben. Man braucht für die Bundesrepublik zum Beispiel nur einmal die Bank- und dabei vor allem die Zweigstellenzahlen in den Bundesbankstatistiken nachzublättern. Trotz aller gewaltigen Investitionen in die digitale technische Ausstattung der Bankinterna und Kommunikationsnetze hat sich der klassische stationäre Bankbetrieb fast bis in die allerletzten Jahre geradezu erbittert behauptet. Zweigstellenschließungen, gar massenhaft wie jetzt, galten gemeinhin als üble Strategiefehler und anstelle lupenreinen Online- respektive Direct Banking wurden Mischformen des Multichannels gepflegt und gedüngt.

Warum dies "jetzt auf einmal" vorbei sein muss oder soll, scheint vor allem drei Gründe zu haben. Zum ersten wurden die ungeheuren Bertriebskosten der alten Vertriebsformen und der unbeschränkten Universalbanksortimente durch das freudetrunkene Kapitalmarktgeschäft, das man heute als Investmentbanking mit Schimpfe und Ordnungsdekreten überzieht, lange, lange strahlend überdeckt. Zum zweiten erstickte die schier wahnwitzige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank die letzten guten Margen im gewohnten Universal- und Primärbankwesen. Und zum dritten braucht der gewöhnliche Homo sapiens auch nach ein paar Millionen Entwicklungsjahren offenkundig doch länger, als von der rasenden Vorhut des technischen Fortschritts einsehbar, bis er's begriffen hat: Bis vor fünf Sommern, geschätzt, hat noch nicht jeder Erstklässler sein Leben ohne Smartphone, PC et cetera als absolut sinnlos empfunden. Jetzt aber, endlich, ist sie in uns, über uns, um uns, die private Digitalisierung. (Eigentlich erstaunlich, warum die Salzburger Jedermann-Eröffnung überhaupt noch eine lebendige neue Buhlschaft braucht. Eine virtuelle als App hätte denn wohl auch genügt!)

Um noch einmal zu zitieren: "Schon in den 1980er Jahren veränderten die Banken als Taktgeber(!) mit Telefon und Selbstbedienungsterminals die Art und Weise, wie Bankgeschäfte im Alltag gemacht wurden. Doch damals ging es vor allem um Kostendeckung und Effizienz. Heute dagegen ist die Situation eine ganz andere. Die Kunden selbst geben das Tempo vor. Es geht nicht mehr um die Digitalisierung des Bankgeschäfts, es geht um Banking in einer digitalisierten Welt" (Pertlwieser). Ob die Kreditwirtschaft dabei tatsächlich die Chance hat, Trendsetter zu sein, darf als ungewiss gelten. Denn wo sind sie denn geblieben, jene Institute, die das zeitgemäß zu sein schienen? Citibank und KKB Düsseldorf als deutsche Marktführer im Telefonbanking, die Verbraucherbank als weltschnellster Datenüberträger, die Bank 24 als massenhafter neuer Sortimenter?

Thomas Ullrich, seit Jahrzehnten der "Chefschrauber" (Eigenbezeichnung) von DZ und WGZ Bank, widerspricht im Interview dem Eindruck, dass es Banken an Innovationskraft mangele, weil das Beharrungsvermögen dominiere. Bildschirmtext, Btx, und Geldautomat nennt er als innovative Exempel, das Zahlungsverkehrssystem Sepa, das Bezahlverfahren Paydirekt. Ob das edle Gewerbe bei all diesen Errungenschaften der Treiber gewesen ist, darf freilich zumindest ab und an bezweifelt werden. Sepa etwa entsprach mitnichten den Wunschvorstellungen der nationalen Banktürme Europas. Hier war es ausgeprägter Druck des europäischen Zentralisten Brüssel, der den einheitlichen Zahlungsraum zu einer Ideologie erhob. Die Banken haben darauf im besten Sinne des Merkelismus schließlich reagieren müssen, nicht andersherum.

Was die Fintechs anbelangt, die digitalen Finanzunternehmen, die den vermeintlichen Mangel an technischen Lösungen in der Finanzwelt zum Inhalt ihres Geschäfts zu machen versuchen, scheint nach Ramin Niroumand die Zeit des großen Angriffs der Davids gegen die Goliaths der Fantasie vielleicht gar nicht mehr zu kommen. Stattdessen wird haufenweise kooperiert, ausgegründet, eingemeindet. Ja, es sei sogar das Ziel vieler Gründer und Geschäftsmodelle von Fintechs, endlich von einem Großkunden wie einer Bank übernommen zu werden. Recht optimistisch: "Die schlanken Hierarchien und schnellen Entscheidungen eines digitalen Unternehmens, gepaart mit der Expertise der Old Economy, das ist eine unschlagbare Mischung."

Feine Weisheit findet sich in einem Satz von Helmut Ettl, Vorstand der österreichischen Finanzmarktaufsicht: "Ein durchschnittlich intelligenter Geschäftsführer muss die Innovation einem durchschnittlich intelligenten Aufseher erklären können." Wenn also Fintechs und andere Innovateure darüber klagen, dass die Regulierung es zu oft übertreibe und ihre Beschränkungen dem Fortschritt des Kundennutzens selten dienlich seien, beruhen solche Missverständnisse dann eher auf IQ-Mangel bei Behörde oder Markt? Das ist aber zweifellos eine Frage, die weit über den Bereich der Finanz-Digitalisierung hinausreicht. Auch beim gerade abgeschlossenen neuen Stresstest für relevante (was sonst) Banken wäre ihre Beantwortung wünschenswert.

Aber noch ein spezieller Hinweis aus Österreich sollte für Annäherung von Aufsehern und Beaufsichtigten gut sein. Cyberangriffe auf Finanzinstitute finden dreimal häufiger statt als bei Nichtfinanzunternehmen: "Daher ist eine Analyse der Angriffsmöglichkeiten unerlässlich und neue Vorschriften an Implementierung von IT-Sicherheitsstandards stehen weit oben."

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