Tietmeyers Bundesbank gibt es nicht mehr

Quelle: Bundesbank

Vor angemessener Zeit und aus angemessenem Anlass hat die "Kreditwesen"-Redaktion dem Bundesbankpräsidenten einst eine festliche Ausgabe gewidmet. Mit Rat und Tat des damaligen Vizevorsitzenden Jürgen Stark hat sie die Notenbanken unserer Währungswelt eingeladen, über Hans Tietmeyer zu schreiben und damit natürlich auch über die Deutsche Bundesbank. Denn zu trennen wäre das damals ja sowieso nicht gewesen. Aber vielleicht hat sich zumindest daran gar nicht alles geändert. Bei aller Namhaftigkeit und Klasse der Zentralbankvorstandsmitglieder ist es auch heute vor allem das Gesicht und die Statur des Präsidenten, die das Profil des hohen Hauses prägen - einfach, weil dieser Präsident immer ein Homopoliticus in aller Öffentlichkeit zu sein hat.

In dem Maße, in dem zivilisierte bürgerliche Existenz von der Ordnung einer Währung "in Ordnung" abhängig gemacht wird, weil sie mit ausgebreiteten Armen einen festen Rahmen einfassen möchte und ziemlich wahrscheinlich anfassen können muss, hat ein richtiger (!) Notenbankgouverneur sich so verständlich zu machen, dass er öffentliches Vertrauen geradezu einfordert. Nicht umgekehrt.

Alle Governors haben damals zugesagt. Alan Greenspan hat "für Hans" nur um zwei Tage mehr beim Redaktionsschluss gebeten, weil ihn gerade irgendeine Kongressdringlichkeit so furchtbar in Anspruch nahm. Und Israels Notenbankpräsident Jacob Frenkel (1991-2000) versprach, den Liefertermin zwar nicht zu schaffen, aber mit Hilfe des verehrten Botschafters Nacht und Nebel zu überwinden. Der Botschaftsfahrer aus Berlin klingelte noch vor Mitternacht beim Chefredakteur.

Wahrscheinlich sind es Umstände, Randnotizen wie diese, die das "System Tietmeyer" ganz besonders charakterisieren: Eben kein Machtgeflecht, kein Netz von wechselseitigen Absprachen, von Geheimabkommen gar. Sondern nur die prinzipielle Einigkeit über eine gute Währungspolitik trotz aller institutioneller Unterschiede in den einzelnen Nationalstaaten. Hans Tietmeyer, gewiss begünstigt durch die Kraft der deutschen Ökonomie und durch die heute nicht mehr durchsetzbare, praktizierte Souveränität der Deutschen Bundesbank, hat es geschafft, seinen Weg für die Währungsstabilität zu einer Art internationaler Infrastruktur werden zu lassen. Dies bedeutete mitnichten, dass recht unterschiedliche nationale Inflationsraten von vornherein ausgeschlossen gewesen wären. So viel Supra-Gemeinsamkeit hätten die nationalen Regierungen auch im "System Tietmeyer" ihren Notenbankführungen nicht zugestanden.

Aber - was "dieser Deutsche" auf seine unnachahmliche Art von dozierender Beharrlichkeit erreichte, war eben das üble Gewissen. Will heißen: Seine Herren Kollegen hatten seinerzeit auf fast jeden Fall ein schlechtes Währungsgewissen bei landesüblichen Stabilitätsverstößen. Und ohne dieses allgemeine Tietmeyer-Gewissen wäre die Europäische Zentralbank wenigstens in ihrer grundsätzlichen Einrichtung wie Ausrichtung der Deutschen Bundesbank weniger ähnlich geworden. Durch solche Näherung an ein erfolgreiches und dadurch anerkanntes Modell hat die Europäische Zentralbank immerhin die Chance erhalten, das gute Gewissen der Eurozone darzustellen. Derzeit, vorsichtig ausgedrückt, nutzt und mag sie dieses strukturelle Angebot nicht.

Anders als der nachhaltigste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, anders als Helmut Kohl, war Tietmeyer schon als Finanzstaatssekretär ein praktizierender Finanzpolitiker. Er wusste also von vornherein um den allen westlichen Demokratien immanenten Drang zum Deficit Spending in welchen Ausprägungen auch immer. Der Bundeskanzler der Wiedervereinigungs- wie der beginnenden Eurozeit lebte in der Überzeugung, eine gemeinsame Währung würde die Nationalstaaten zwingen, ihre Wirtschafts- respektive Finanzpolitik einander anzugleichen. Die politische Einheit sei also keine zwingende Voraussetzung für Währungseinheit und -übereinstimmung "in Stabilität". Kohl irrte und Tietmeyer wusste das. Er widersprach zwar, durchaus vergleichbar seinen Nachfolgern in der EZB-Politik, erzielte damit aber ebenfalls keine dauerhafte Wirkung.

Immerhin ließ sich beobachten, dass die aus den Nationalstaaten in die Europäische Notenbank entsandten Ministerialen zunächst durchaus ihre neue Souveränität genossen und sich nicht unbedingt als Vertreter ihrer Regierungen auf Währungsebene verstanden. Sowohl Duisenberg als auch Trichet erhielten deshalb so etwas wie Tietmeyer-Vertrauen vor allem auch im Publikum. Das ist inzwischen gewiss anders. Die politischen Zwänge der klassischen Defizitländer beherrschen die aktuelle Währungspolitik in einem für die Ära Tietmeyer unvorstellbaren Maße. Dass zwei bis drei gute Namen "diese" EZB verlassen haben, kommt einem Abgesang an Glaube, Hoffnung und sogar Liebe an sein "System" gleich.

Sein Nachnachnachfolger Jens Weidmann müht sich redlich, wenigstens den Anschein jener typisch deutschen Stabilitätskultur aufrechtzuerhalten. Viel zu oft leider viel zu vergeblich. Denn natürlich hat auch er nur eine Stimme - wenn das Rotationsmodell das überhaupt zulässt. Von daher ist die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle durchaus zu begrüßen, belegt sie doch den unzweifelhaft ehrenwerten Kampf unseres amtierenden Bundesbankpräsidenten. Dass die Deutschen der Bundesbank heute weit weniger Vertrauen entgegenbringen als noch zu Tietmeyers Zeiten, ist nicht Weidmanns Schuld, sondern der falschen europäischen Ideologie geschuldet. Sie hat ihre Strahlkraft verloren. K.O./P.O.

Die Präsidenten der Deutschen Bundesbank
Wilhelm Vocke 1. Juni 1948 - 31. Dezember 1957; geb. 9. Februar 1886, gest. 19. September 1973, Studium der Rechtswissenschaften und der Nationalökonomie, sein Weg führte vom Reichsamt des Innern und der BIZ zur Reichsbank.
Karl Blessing 1. Januar 1958 - 31. Dezember 1969; geb. 5. Februar 1900, gest. 25. April 1971, kam über die Reichsbank und über die Geschäftsleitung des Unilever-Konzerns zur Bundesbank.
Karl Klasen 1. Januar 1970 - 31. Mai 1977; geb. 13. April 1909, gest. 22. April 1991, Studium der Rechts wissenschaft, vor seiner Zeit bei der Bundesbank war er Sprecher der Deutschen Bank.
Otmar Emminger 1. Juni 1977 - 31. Dezember 1979; geb. 2. März 1911, gest. 3. August 1986, Studium der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaftslehre, begann am Institut für Konjunkturforschung und kam bereits 1950 zur Bank deutscher Länder.
Karl Otto Pöhl 1. Januar 1980 - 31. Juli 1991; geb. 1. Dezember 1929, gest. 9. Dezember 2014, Studium der Volkswirtschaftslehre, aus der Geschäftsführung des Bundesverbandes deutscher Banken trat er in die Bundesbank ein.
Helmut Schlesinger 1. August 1991 - 30. September 1993; geb. 4. September 1924, Studium der Wirtschaftswissen schaften, als Mitarbeiter des Ifo-Instituts begann er bereits 1952 bei der Bundesbank.
Hans Tietmeyer 1. Oktober 1993 - 31. August 1999; geb. 18. August 1931, gest. 27. Dezember 2016, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, er war Mitarbeiter im Bundeswirtschaftsministerium und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
Ernst Welteke 1. September 1999 - 7. April 2004; geb. 21. August 1942, Studium der Volkswirtschaftslehre, als Hessischer Minister der Finanzen wurde er Präsident der Landeszentralbank in Hessen und Bundesbankpräsident.
Axel A. Weber 30. April 2004 - 30. April 2011; geb. 8. März 1957, Studium der Volkswirtschaftslehre, vor seiner Berufung zum Präsident der Deutschen Bundesbank war er Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität von Bonn, Professor für Monetäre Ökonomie und Direktor des CFS an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Professor für Internationale Ökonomie an der Universität Köln. Derzeit ist er Verwaltungsratspräsident der UBS AG und der UBS Group AG.
Jens Weidmann 1. Mai 2011 - heute; geb. 20. April 1968, Studium der Volkswirtschaftslehre, begann als stellvertretender Leiter des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Bundesbank und wurde später Leiter der Abteilung für Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt. Als Präsident der Deutschen Bundesbank ist er Mitglied des EZB-Rates.
 
Deutsche Mitglieder im EZB-Direktorium
Otmar Issing 1. Juni 1998 - 31. Mai 2006; geb. 27. März 1936, Studium der Philologie und Volkswirtschaftslehre, vor seiner Zeit als Mitglied des Direktoriums und Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank war er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Danach wurde er als eines von sechs Mitgliedern in das Direktorium der Europäischen Zentralbank berufen, verantwortlich für die Generaldirektionen Forschung und Wirtschaft.
Jürgen Stark 1. Juni 2006 - 3. Januar 2012; geb. 31. Mai 1948, Studium der Wirtschaftswissenschaften, als ehemaliger Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen war er maßgeblich an der Einführung des Euro beteiligt, vor seiner Zeit im EZB-Direktorium war er außerdem Vizepräsident der Deutschen Bundesbank.
Sabine Lautenschläger 1. Januar 2014 - heute; geb. 3. Juni 1964, Studium der Rechtswissenschaften, vor ihrer Zeit im EZB-Direktorium war sie Exekutivdirektorin Bankenaufsicht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank.
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