Ein Verbund sieht rot

Philipp Otto

Die Freude war groß am 22. Januar 2015. Der DSGV-Präsident, der hessische Sparkassen-Präsident, zahlreiche Granden aus den Verbund- und Primärinstituten - sie alle waren nach Wiesbaden geeilt, um gemeinsam mit der Naspa deren 175. Geburtstag würdig zu feiern. Doch das war eigentlich nur die Nebensache. Viel wichtiger für die Sparkassen war: der Farbwechsel. Mit dem Abschied von den Nassauer Farben Blau-Orange und der Einführung von HKS 13, dem traditionellen Sparkassen-Rot war S-Deutschland nun vereint - zumindest farblich. Darum wurde lang und viel gerungen, vor allem die ehemaligen Freien Sparkassen wie Haspa, Fraspa und Naspa auf Marken-Linie zu bringen, war nicht leicht.

Immerhin schon seit 1972 ist Rot die einheitliche Geschäftsfarbe aller öffentlich-rechtlichen Sparkassen, seit 2007 sogar geschützt als Markenzeichen beim Patent- und Markenamt. Die Farbenlehre in der deutschen Kreditwirtschaft war damit für viele Jahre geklärt: Blau für die Deutsche Bank, Gelb für Commerzbank, Grün für die ehemalige Dresdner Bank, Rot für die Sparkassen.

Sich seine Farben schützen zu lassen, ist gar nicht so ungewöhnlich, beim Deutschen Patent- und Markenamt sind rund 100 Farbmarken registriert. Beispielsweise Pantone 368 für die Dresdner Bank, RAL 1021 für den ADAC, RAL 4010 für die Deutsche Telekom oder das "Nivea-Blau" Pantone 280 für Beiersdorf - und natürlich das Sparkassen-Rot. Doch die Freude der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute könnte nur kurz währen. Denn der Deutschland-Ableger der spanischen Großbank Santander als Konkurrent macht ihnen seit Jahren den Farbton streitig. Nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs ging der Streit in die nächste Runde - vor das Bundespatentgericht. Und dieses hat wiederum gegen die Sparkassen entschieden, die nun vor dem Bundesgerichtshof versuchen müssen, das Sparkassen-Rot als Alleinstellungsmerkmal zu verteidigen - Ausgang ungewiss. Auch wenn es schon merkwürdig wäre, wenn unter dem roten S plötzlich Santander stehen würde.

Aber das ist nur eine der vielen Baustellen, die den Verbund samt allen Verantwortlichen derzeit beschäftigen. Die Regulierung mit der Flut von abzugebenden und auszufüllenden Meldungen bündelt wahrlich alle Kräfte. Hier brauchen die Primären jede Hilfe, die sie nur bekommen können von Verbänden und von Verbunddienstleistern wie beispielsweise der S-Rating. Dann nimmt der Wettbewerb sicherlich nicht ab, wobei eine Nabelschau allein auf die Kreditwirtschaft ausgesprochen riskant sein kann, denn auch wenn die vielen Start-ups und Fintechs aus der Technologie- oder Telekommunikationsbranche nur in den seltensten Fällen anstreben, eine Vollbank zu werden und damit die altehrwürdigen Sparkassen zu ersetzen, so wollen sie doch die Verbindung zu den Kunden in bestimmten Produktkategorien, beispielsweise im Zahlungsverkehr, aber auch im Kreditgeschäft. Hier entsprechende Antworten zu finden ist aufwendig, kostet Investitionen und darf auch nicht zu lange dauern, sonst ist der Zug abgefahren.

Nicht zu vergessen die Niedrigzinsphase, bei der Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret und BaFin-Präsident Felix Hufeld unisono davon ausgehen, dass sie noch viele Jahre anhalten wird. Das zehrt an den Erträgen. Einbußen von bis zu fünfzehn Prozent in den kommenden Jahren hat der DSGV-Präsident Georg Fahrenschon ausgemacht. Aber derzeit geht es der überwiegenden Mehrzahl der 416 Institute im wahrsten Sinne des Wortes blendend. Die Einnahmen sind stabil, Kreditrisikovorsorgen kein Thema, Wertpapiervorsorgen sorgen meist sogar für höhere Ergebnisse als vor Bewertung, Kundeneinlagen und Kundenkredite wachsen - was soll da der ganze Stress?

Aber blendend dazustehen ist die eine Sache, sich blenden zu lassen die andere. Die Gefahr ist groß, erst recht, da die zu erwartenden Einbußen auf der Ertragsseite schleichend und nicht mit einem lauten Knall kommen werden. Genau das hemmt nämlich die Bereitschaft der Institute, heute schon, in einer Phase, in der es ihnen noch gut geht, härtere Einschnitte vorzunehmen. Und da verhallen auch Appelle von Bankaufsehern oder DSGV-Verantwortlichen "Aussitzen gilt nicht!" schnell mal ungehört in den Regionen und Provinzen. Natürlich können die allermeisten Sparkassen eine Zeitspanne von drei bis fünf, manche sogar noch mehr Jahre mühelos von den Reserven zehrend überstehen, um dann mit wieder anziehenden Zinsen und Einnahmen hervorzukommen und zu schauen, wer von den anderen auch noch überlebt hat. Allerdings ist eben dieses Abwarten höchst gefährlich. Nicht nur weil der Verbrauch von Reserven natürlich per se die Risikoanfälligkeit erhöht, sondern weil dadurch auch mitunter der Anschluss verloren zu gehen droht. Beispielsweise in Sachen Digitalisierung und Multikanal - Themen, die für Verbünde mit unabhängigen und selbstbewussten Ortsbanken natürlich tendenziell schwieriger anzugehen sind als für große Konzerne. Über welchen Weg will der Kunde von morgen mit seiner Bank zusammenarbeiten und wofür braucht er überhaupt noch eine Bank? Das sind die Kernfragen. Da bauen die beiden Verbundgruppen der Sparkassen und Kreditgenossen noch sehr stark auf die Präsenz vor Ort.

Wettbewerber sind radikaler: Die Hypovereinsbank hat 42 Prozent all ihrer Filialen geschlossen, sich aus dem Massenmarkt damit weitestgehend zurückgezogen und will sich künftig als digital orientierte Multikanalbank vor allem um die beratungsintensive Klientel kümmern. Die Commerzbank wird rund die Hälfte der derzeit noch mehr als 200 Produkte einstampfen. Die Deutsche Bank verabschiedet sich nicht nur von gut 200 Filialen, sondern von der Postbank noch gleich mit und will diese über einen Börsengang wieder in die Freiheit entlassen. Ist das nun gut oder schlecht für den Platzhirsch? Klar, Kunden sind träge und seine Bankbeziehung wechselt man nicht allzu schnell und allzu oft. Wie viele unglückliche Commerzbank-, Postbank- oder Hypovereinsbank-Kunden nun tatsächlich den Weg in die noch roten Filialen oder die Sparkassen-App oder das S-Internet finden werden - auch die Sparkassen können Multikanal -, ist somit fraglich. Aber Unruhe bei den Wettbewerbern kann per se nicht schaden.

Wenn, ja wenn nicht die Unruhe im eigenen Lager noch stärker ist. Für viel Kopfschütteln und damit auch Schaden in der öffentlichen Wahrnehmung hat der Streit um die Ausgestaltung der künftigen Sicherungseinrichtung gesorgt. Es hat viel Schweiß gekostet, bis Fahrenschon verkünden konnte: "Die Kunden der deutschen Sparkassen, Landesbanken und Landesbausparkassen können auch nach Inkrafttreten des Einlagensicherungsgesetzes am 3. Juli auf eine umfassende Sicherung vertrauen." Es war immens wichtig, dass die Sparkassen-Finanzgruppe mit ihrem bestehenden Institutssicherungssystem die entsprechenden Voraussetzungen der neuen europäischen Einlagensicherungsarchitektur erfüllt. Der Weg dahin war steinig und nicht etwa, weil von außen Steine in den Weg gelegt wurden. Das Ausscheren der Verbände ohne Landesbanken war der Sache sicherlich nicht dienlich, denn auch in Brüssel wird die Uneinigkeit sehr wohl aufgefallen sein.

Verbund funktioniert nur als Gemeinschaft. Und Gemeinschaften funktionieren nur nach Regeln. Eigeninteressen sind selbstverständlich legitim und auch verständlich, fühlt man sich doch meist dem direkten Umfeld oder den direkt unterstellten Instituten verantwortlich. Aber sie schaden auch immer der Gemeinschaft und damit dem großen Ganzen. In dieser Zufriedenheit mit dem Erreichten, aber auch der Sorge vor dem, was kommen mag, braucht es nun handelnde Personen, die sich der Bedeutung der Gemeinschaft bewusst sind, und fähig und willens sind, zu deren Schutz auch mal mit der Hand auf den Tisch zu hauen. Das gilt für den DSGV-Präsidenten in erster Linie, aber auch für die Regionalpräsidenten oder den Bundesobmann und die Landesobleute. Denn eines hat die S-Finanzgruppe immer ausgezeichnet: das Zusammenstehen in Zeiten widriger äußerer Umstände. Sollte das verloren gehen, ist es letztlich egal, ob Santander künftig Rot zeigen darf.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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