Verbundprobleme

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

Die beiden großen Bankenverbünde Deutschlands, die noch knapp 400 Sparkassen und die noch knapp 1000 Volksbanken und Raiffeisenbanken, haben ein Problem. Deutschland und den Deutschen geht es gut. Die derzeit rund 80 Millionen Bundesbürger leben in einem Land mit einer hocheffizienten Infrastruktur und einem der verlässlichsten Rechtssysteme der Welt überhaupt. Die deutsche Wirtschaft wird 2017 im vierten Jahr in Folge wachsen, und zwar mit einer Wachstumsrate von rund 1,7 Prozent. 2018 gehen die Prognosen sogar von einem noch höheren BIP-Wachstum aus. Noch nie nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 standen so viele Bürgerinnen und Bürger in Lohn und Brot, die Arbeitslosenquote liegt bei spürbar unter sechs Prozent. Das Nettovermögen, also Geld, Immobilien und Betriebsvermögen, belief sich laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung im Jahr 2015 auf rund 11,2 Billionen Euro. Die Sparquote pendelt konstant um zehn Prozent.

Und das alles in einer Zeit, in der die EZB mit höchst kreativen geldpolitischen Instrumenten bisherige volkswirtschaftliche Theorien wenn nicht ganz abschafft, so doch zumindest vorübergehend außer Kraft setzt und üble Folgen für das Ersparte und die Altersvorsorge der Bundesbürger heraufbeschwört. In einer Zeit, in der die Sorge vor anhaltenden Nullzinsen und einem Konjunkturabschwung die Menschen in Sachwerte, vor allem Immobilien, drängt, mit immer weiter steigenden Preisen und immer tiefer sinkenden Renditen. In einer Zeit, in der die Gefahr geopolitischer Spannungen und militärischer Auseinandersetzungen tendenziell eher wächst denn geringer wird. In einer Zeit, in der allen Bekenntnissen eines Hamburger G20-Gipfels zufolge protektionistische Maßnahmen durchaus als legitim angesehen werden. In einer Zeit, in der Europa zusammenwachsen und seinen eigenen Weg zwischen Ost und West finden muss. In einer Zeit, in der sich die zahlreichen regulatorischen Institutionen auch zehn Jahre nach der Finanzkrise immer noch nicht einig sind, wie denn nun größtmögliche Sicherheit für Staaten und Staatsbürger vor weiteren Pleiten aussehen kann und lieber zu viel als zu wenig regulieren, anstatt einmal innezuhalten und das Beschlossene wirken zu lassen. In einer Zeit, in der Veränderungen im Kundenverhalten, Geschäftsmodelle infrage stellen.

Noch ist von alledem wenig zu spüren. Noch geht es den allermeisten Kreditinstituten gut. Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken erfreuen sich großen Kundenvertrauens. Sie gewinnen seit Jahren Marktanteile und können über die Volumenzuwächse wenigstens einen Teil der Margenrückgänge ausgleichen. Sie konnten in den vergangenen Jahren durch Gewinnthesaurierung das Eigenkapital kräftig stärken und darüber hinaus üppige Reserven nach § 340 f anhäufen. Sie treiben die Konsolidierung innerhalb der jeweiligen Gruppen voran, ohne nennenswerte Aufregung bei den Kunden zu produzieren.

Doch genau hier beginnt das Problem der Verbundverantwortlichen. Erfolg macht zufrieden und vielleicht ein bisschen unaufmerksam. Wie vermittelt man selbstständigen, selbstbewussten und so erfolgreichen Unternehmern, wie es Sparkassen- und Volks- und Raiffeisenbankenvorstände überwiegend sind, dass immense Herausforderungen auf die Gruppe warten, die allerhöchste Aufmerksamkeit und Anstrengung erfordern? Wie erzeugt man jene notwendige Unsicherheit und Unruhe, ohne Kunden, Mitarbeiter und Mitglieder ebenfalls zu verunsichern? Wie schürt man die Sorge vor dem Umbruch im Bankgeschäft, wenn dieser sich nur langsam und schleppend und nicht mit lautem Knall vollzieht?

Man kann mit dem sich verändernden Kundenverhalten und einem neuen Wettbewerb argumentieren. Fintechs können munter drauflosexperimentieren, können sich dabei nur auf die lukrativen Geschäftsfelder konzentrieren, erfreuen sich (noch) regulatorischem Welpenschutz und müssen sich keinerlei Sorge wegen etwaiger Reputationsrisiken machen. Ihnen gesteht man ein Scheitern zu. Allerdings sind die Fintechs noch nicht das Hauptproblem der dezentral aufgestellten Verbünde.

Man kann mit Marktanteilsverlusten drohen: Einer aktuellen Studie von Investors Marketing zufolge werden die Direktbanken in Deutschland weiter wachsen und Sparkassen sowie Genossenschafts- und Privatbanken Marktanteile abnehmen. Laut der Studie wird sich die Zahl der Kunden bei Direktbanken bis zum Jahr 2020 auf 22 Millionen erhöhen, was einem Zuwachs von insgesamt knapp vier Millionen oder rund 5 Prozent pro Jahr entspricht. Doch die Direktbanken wachsen nicht nur, sie wachsen vor allem in den lukrativen Kundengruppen. Direktbanken gewinnen überdurchschnittlich bei Berufseinsteigern sowie Kunden in der Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen, die sich aufgrund gestiegener Finanzbedürfnisse intensiver mit unterschiedlichen Angeboten auseinandersetzen.

Man kann eine weitere große Baustelle anprangern: die Kostenthematik. Die Cost Income Ratio der Sparkassen liegt bei knapp 70 Prozent, 2007 im Jahr vor der Finanzkrise waren es unwesentlich mehr mit leicht über 70 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Kreditgenossen, hier ist die Aufwand-Ertrag-Relation 2015 sogar wieder auf fast 68 Prozent angestiegen. Ein Kostentreiber: Ende 2015 hatten die damals noch 413 öffentlichen-rechtlichen Primärinstitute noch 11 459 Filialen. Die 1 021 Volks- und Raiffeisenbanken zählten zum gleichen Zeitpunkt noch 10 833 Zweigstellen. Zum Vergleich: Die Deutsche Bank will ihr Zweigstellennetz (ohne Postbank) auf rund 535 Filialen zusammenstreichen, die ING-Diba hat erst gar keine. 2016 beschleunigte sich dann der Filialabbau. "Wir begrüßen diese Entwicklung, sofern sie eine angemessene und nachhaltige Ertragskraft der Banken und Sparkassen stärkt und dazu beiträgt, die Filialnetze an ein verändertes Kundenverhalten anzupassen", erklärte dazu Dr. Andreas Dombret, im Vorstand der Bundesbank zuständig für den Bereich Banken und Finanzaufsicht.

Anmerkung 1: Geht der Filialabbau schnell genug? Der interessierte Beobachter verspürt mitunter eine gewisse Zurückhaltung noch härter an der Kostenschraube zu drehen, was vielleicht auch an der Altersstruktur der Entscheider vor Ort liegen mag. Grausamkeiten dieser Art und Diskussionen mit dem ein oder anderen Träger überlässt man gerne dem Nachfolger. Und das Warten auf die sicherlich kommenden Synergieeffekte aus der Verschlankung bei Rechenzentralen wie Zentralbanken könnte für das ein oder andere Haus zu lange werden.

Anmerkung 2: Ohne noch größeren Druck von außen, das haben die Erfahrungen vergangener Jahre und Jahrzehnte gezeigt, wird es vielen Instituten nicht gelingen, ihre Komfortzone zu verlassen und den mühsamen Spagat zwischen Modernisierung ihrer Rolle und Aufgaben und der Bewahrung des Althergebrachten zu bewältigen. Es erscheint ohnehin herausfordernd, dem einen Teil der Kunden einen modernen Bankingansatz à la Fintech und dem anderen Teil die bekannte Wohlfühlatmosphäre mit größtmöglicher Nähe und persönlicher Betreuung in den Filialen unter einer Marke zu bieten.

Am Ende geht es darum, größtmögliche Geschlossenheit zu erhalten. Filialen schließen, Gebühren erhöhen, technische Ausstattung verbessern, neue Geschäftsfelder erschließen, dem sich wandelnden Kundenverhalten Rechnung tragen, in Brüssel und Basel für regulatorische Erleichterung kämpfen, sicherstellen, dass die tragende Rolle der dezentralen Kreditwirtschaft für die Stabilität nicht verloren geht, die Effizienz der Verbünde erhöhen, Erleichterungen für die Primärbanken durch stärkere Zentralisierung schaffen ohne die Grundfesten zu erschüttern, ... es ist wahrlich eine Herkulesaufgabe, die in den kommenden Monaten und Jahren auf die Anführer an der Spitze des DSGV und des BVR zukommt.

Da sind personelle Weichenstellungen natürlich von zentraler Bedeutung: Der amtierende Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon hat Lust auf eine zweite Amtszeit und ein Gegenkandidat ist nicht in Sicht. Da könnte lediglich ein hohes politisches Amt nach der Wahl in Berlin Beständigkeit an der Sparkassen-Spitze verhindern, wenn überhaupt. Bei den Kreditgenossenschaften gibt es dagegen personelle Veränderungen, aber auch Konstanz. DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch wird ein Jahr früher als geplant seine aktive Laufbahn Ende 2018 beenden. Ihm folgt eine Doppelspitze aus dem amtierenden BVR-Präsidenten Uwe Fröhlich und dem derzeitigen Finanzvorstand der DZ Bank, Cornelius Riese, nach. Das ist klug. Riese kennt die Bank und den Konzern in- und auswendig. Fröhlich wird mit all seinem Wissen um die Nöte der Primärbanken auf die Strukturen einwirken und diese optimieren. Und auch an der Spitze des BVR herrscht eine gewisse Kontinuität: Wie schon bei Uwe Fröhlich rückt mit Marija Kolak wieder ein Vorstandsmitglied der "Kaderschmiede" Berliner Volksbank an die Spitze des Verbandes. Auf dieses Gespann darf man sich freuen.

Sparkassen sind gut für Deutschland, Volksbanken und Raiffeisenbanken sind es auch. Und so soll es bitte schön auch noch lange bleiben.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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