Zu viele Erwartungen

Philipp Otto

Welch ein Wahnsinn. 20 000 Polizisten aus Deutschland und Österreich. Gesperrte Autobahnen. Gestoppte Zuglinien. Wieder aufgenommene Grenzkontrollen. Besetzte Bergbahnen. Permanente Polizeikontrollen. Kosten im hohen dreistelligen Millionenbereich. Und alles nur, weil sich die Politiker der sieben vermeintlich wichtigsten Nationen der Welt für ihre alljährliche Zusammenkunft ausgerechnet Schloss Elmau im Werdenfelser Land kurz vor Garmisch-Partenkirchen ausgesucht haben. Ein zweifellos schöner Ort in einem idyllischen Tal gelegen, aber ohne ausreichende

Übernachtungsmöglichkeiten für die rund 7000 (!) Delegierten, die daher von München pendeln mussten. Die Sorge vor wüsten Demonstrationen, vor Chaoten und Krawallmachern war bei Verantwortlichen wie Bevölkerung in Krün und Umgebung groß.

Doch manchmal kommt es anders, obwohl bereits im Vorfeld des Gipfels möglichst viel getan wurde, von den Organisatoren wie den Medien, um die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Protestierenden möglichst schlecht zu machen. Doch bei ersten Begegnungen rund um das Protestcamp stellten beide Seiten fest, dass die jeweils andere Seite gar nicht so schlecht ist, dass die Protestler keine Krawallbrüder sind und die Einheimischen keine verstockten Freistaatler, die sich um die Probleme der Welt nicht kümmern wollen. Demonstranten freuten sich über "Äpfel und Getränke", die sie geschenkt bekamen, die Einheimischen über "nette Buam und Madel mit ganz vernünftigen Ansichten". Natürlich gab es auch in München, Garmisch und Umgebung wieder unschöne Szenen mit verletzten Polizisten, Steinewerfern, Verhaftungen, Rauchwolken. Aber sollten Ausnahmen die Regel sein? Welche Erwartungen wurden hier enttäuscht?

Natürlich müssen die Organisatoren vom Schlimmsten ausgehen, um auf alles bestmöglich vorbereitet zu sein. Natürlich wird jedes kleine Detail von den Nachrichten und/oder sensationssuchenden Berichterstattern über alle Kanäle gesendet. Natürlich wird jeder Polizeichef, Politiker, Manager, Banker oder sonstige Verantwortliche permanent nach seinen Erwartungen gefragt. Das kann in einer 24/7-Welt gar nicht anders sein. Aber vielleicht wäre dabei manchmal etwas weniger mehr. Denn jede übertriebene Erwartungshaltung birgt das Risiko von Enttäuschungen, von Vertrauensverlusten und von Zwickmühlen.

Elmau ist ein Beispiel, Griechenland ein anderes. Mit vollmundigen Versprechen für mehr Soziales und mehr Gerechtigkeit in einer Welt, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, hat die linksorientierte Syriza-Partei die Wahl deutlich gewonnen. Erstes Ziel erreicht. Doch damit begannen die Probleme, denn seit ihrem Amtsantritt ist die Regierung um Ministerpräsident Tsipras nur noch damit beschäftigt, den mehr als schmalen Grat zwischen den rechtlich bindenden Abmachungen mit den internationalen Geldgebern und der europäischen Gemeinschaft und der Erwartungshaltung der Bevölkerung im eigenen Land zu finden. Griechischen Zugeständnissen in Brüssel folgen umgehend von denselben handelnden Personen ablehnende Worte auf Parteiveranstaltungen zu Hause. Wenn er dies bei seinem Wahlkampf nicht billigend in Kauf genommen hätte, müsste einem Tsipras eigentlich leidtun, denn ohne Gesichtsverlust lösbar ist dieses Dilemma nicht.

Oder man betrachtet die EZB. "Der EZB-Rat erwartet, dass die Notenbankzinsen im Euroraum für einen ausgedehnten Zeitraum auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden." Diese knappen Worte von EZB-Präsident Mario Draghi vom 4. Juli 2013 waren seinerzeit ein drastischer Schwenk in der Kommunikationspolitik der Europäischen Notenbank. Denn zum ersten Mal wurden den Marktteilnehmern klare Hinweise zur zukünftigen Zinspolitik gegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt hieß es beim geforderten Blick nach vorn immer nur "nee" bei Wim Duisenberg oder "non" bei Jean-Claude Trichet. Diese Forward Guidance, die "der Versuch ist, unsere geldpolitische Ausrichtung noch einfacher, noch verständlicher zu erklären - sodass sie möglichst von allen Marktteilnehmern verstanden wird" (Jens Weidmann), soll in Zeiten höherer Unsicherheit helfen, Orientierung zu geben und die Erwartungen der Marktteilnehmer zu stabilisieren. So weit, so gut. Die Erwartungen sind stabilisiert, wenn nicht gar geschürt, die unendliche Liquidität ist im Markt und beflügelt Börsenkurse, doch wie sieht der weitere Weg aus? Wo ist der Exit? Was passiert, wenn nun doch einmal wieder weniger vorausschauend kommuniziert wird?

Die EZB wird getrieben von den Erwartungen und hat eigentlich nur die Wahl, auf diesem Weg weiterzugehen, oder Enttäuschungen und damit Verwerfungen zu riskieren. Wird sie beispielsweise das Anleihekauf-Programm weiter im angekündigten Umfang durchziehen, obwohl sich die Erfolge durch einen Anstieg der Inflationsrate bereits abzeichnen? Wären Zeitraum und Umfang nicht so eindeutig formuliert worden, der Spielraum wäre zweifelsohne größer.

Auch aus der Wirtschaft gibt es viele Beispiele. Flughafen BER: Den Verantwortlichen für dieses Großprojekt kann man nun wirklich nicht viel Gutes nachsagen, aber immerhin gibt es keinen festen Endtermin mehr. Lektion gelernt. Aber wahrscheinlich zu spät, denn an eine Fertigstellung glaubt ohnehin kaum einer mehr. Deutsche Bank (siehe auch Gespräch des Tages): Nimmt man ihr nach der Prozedur zur Neuausrichtung seit Beginn des Jahres, nach dem Verlauf der Hauptversammlung und den jüngsten Personalentscheidungen an der Vorstandsspitze noch ab, eine Strategie zu haben? Erst war die Postbank die Möglichkeit für eine starke Heimatbasis, nun ist sie nur noch der Verursacher von administrativen und regulatorischen Kosten und wird wieder abgestoßen. Milliarden wurden offensichtlich sinnlos investiert. Respekt für Rainer Neske, der zu diesem falschen Spiel keine gute Miene mehr machen wollte. Hypo-Vereinsbank: Das Institut schließt längst nicht mehr "alle weißen Flächen", im Gegenteil, es schafft kosten- und damit gewinn orientiert neue und ist längst nicht mehr überall da, wo seine heutigen Kunden sind. Commerzbank: Die Bank investiert Milliarden in das moderne Privatkundengeschäft, merkt plötzlich, dass man auch sparen muss, will die Verwaltungsaufwendungen bis 2020 stabil halten und stellt jedes zweite Produkt auf den Prüfstand. Oder die Sparkassen: Vor gut zwei Jahren hatte der Sparkassen-Tag in Dresden als großes Thema die Digitalisierung. Sicherlich zu Recht. Aber spätestens bei der Konkretisierung wurden die Widerstände in den Häusern größer und größer, die Diskussionen lauter. Es musste zurückgerudert werden, die Schritte wurden kleiner.

All das zeigt: Das Spiel mit den Erwartungen ist ein gefährliches. An der "Santa Claus School" im US-Bundesstaat Michigan bildet Thomas Valent seit dreißig Jahren angehende Weihnachtsmänner aus. Die oberste Regel lautet: Niemals irgendetwas versprechen! Seine Taktik, wenn Kinder teure Geschenke fordern: "Ich sage immer, ich bringe dir etwas ganz Besonderes. Meistens freuen sich die Kinder dann darauf und sie erleben keine Enttäuschung, wenn ihr Wunsch nicht in Erfüllung geht." Ob Medien, Kunden, Anteilseigner, Verbraucherschützer, Politiker, Regulatoren auch so einfach zufriedenzustellen sind? Natürlich nicht. Aber "Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen." Daran muss sich jeder messen lassen, auch wenn in unserer schnelllebigen Welt kaum noch einen das "dumme Geschwätz von gestern" interessiert.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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