Vielfalt!

Philipp Otto

1651 Kreditinstitute gab es per Ende September 2017 laut Bankenstatistik der deutschen Bundesbank noch in der Bundesrepublik. Diese Gesamtzahl verteilt sich auf 4 Großbanken, 154 Regionalbanken und sonstige Kreditbanken, 107 Zweigstellen ausländischer Banken, 401 Landesbanken und Sparkassen, 931 Kreditgenossenschaften, 14 Realkreditinstitute sowie 20 Bausparkassen und 20 Banken mit Sonder-, Förder- und sonstigen zentralen Unterstützungsaufgaben. Hinzu kommen Versicherer, Asset Manager, Börsen, Servicebanken und andere Dienstleister. Diese Vielfalt macht den Finanzstandort Deutschland zweifelsohne zu etwas Besonderem. Zu etwas Besonderem in der Europäischen Union. Zu etwas Besonderem im internationalen Vergleich. Zu etwas Besonderem am Kapitalmarkt. Zu etwas Besonderem bei der Refinanzierung der Wirtschaftsstrukturen. Zu etwas Besonderem bei der Erfüllung öffentlicher Aufträge. Zu etwas Besonderem bei der Förderung deutscher Eigenheiten. Zu etwas besonders Liebenswertem überhaupt.

Diese Vielfalt gilt es ganz grundsätzlich zu erhalten. Das wird aber immer schwieriger. Die nach Harmonisierung, Transparenz und Vergleichbarkeit strebenden Bürokraten in Brüssel und den verschiedensten Regulierungsinstanzen lassen immer weniger Ausnahmen von den vielfältigen Regeln zu. Die Analysten der großen Ratinghäuser versuchen ebenfalls, mehr Gemeinsamkeiten zu finden, was irgendwie immer auch zu weniger Spezialitäten führt. Die Geldpolitik der EZB bedroht das ein oder andere jahrelang erprobte Geschäft, nicht jeder und alles kann dauerhaft Nullzins. Und schließlich, damit die Aufzählung komplett ist, fordern die Kunden andere Dienstleistungen und fördern neue Ideen und Angebotsformen, die nur bitte schön irgendetwas zwischen nicht viel und gar nichts kosten dürfen. Immer mehr Kunden öffnen sich für Alternativen zur klassischen Hausbank. So verwendet inzwischen jeder sechste Bundesbürger mindestens eine Finanz-App, die nicht von der eigenen Bank kommt, wie eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC unter erwachsenen Bundesbürgern ergab. Zum Vergleich: Vor rund einem Jahr war es erst jeder neunte.

Die Folge all dessen: Im vergangenen Jahr schlossen laut der Bain-Analyse "Deutschlands Banken 2017" in der Bundesrepublik jede Woche durchschnittlich 36 Filialen, binnen eines Jahres ging ihre Zahl um 1 900 auf 28 000 zurück. Und mindestens einmal in sieben Tagen verschwand ein Institut sogar ganz vom Markt. Die Zahl der Beschäftigten in der Bankbranche sank auch deshalb wöchentlich um 440. Per Ende 2016 waren noch rund 590 000 Menschen bei Banken und Sparkassen in Deutschland beschäftigt.

Den ersten Halbsatz des alten Liedes von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1840) "Kein schöner Land in dieser Zeit" mag und kann da nicht mehr jeder laut und inbrünstig mitsingen. Dabei sind die allgemeinen Rahmenbedingungen für Unternehmen in der Bundesrepublik nach wie vor gut. Die konjunkturellen Perspektiven sind erfreulich und werden von den jeweiligen Stellen für das laufende Jahr sogar noch nach oben angepasst. Der private Konsum bleibt nach wie vor einer der Treiber der Entwicklung. Die Auftragslage der deutschen Industrie und des deutschen Mittelstands bewegt sich auf Rekordniveau. Insolvenzen gehen mehr und mehr zurück. Die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig. Die Zahlungsmoral so gut wie lange nicht mehr.

Bleiben als Unsicherheiten einerseits die schwierigen weltwirtschaftlichen Konstellationen von Nordkorea über die Ukraine bis hin zur Türkei. Auch die Folgen der trumpschen Politik "America first" lassen sich nur äußerst mühsam abschätzen, aber die Lobbyisten der Realwirtschaft wären schlechte Lobbyisten, wenn sie nicht vor erheblichen Wettbewerbsnachteilen allein durch die US-Steuerreform warnen und der neuen Regierung wenn schon keine Senkungen so doch bitte wenigstens keine Steuerhöhungen in das Aufgabenheft schreiben würden. Das zweite Risiko sind die Gewerkschaften und überzogene Forderungen beziehungsweise schnellere und länger anhaltende Streiks. Verdi droht schon heftig.

Die Sozialforscher haben gerade wieder einmal darauf aufmerksam gemacht, dass die Schere zwischen Arm und Reich weltweit, aber auch in der Bundesrepublik größer wird. Die Bundesregierung selbst hat bereits im September vor einer wachsenden Kluft zwischen Ost und West gewarnt und davon gesprochen, dass sich diese "tendenziell verschärfen" werde. So wachse zwar die Zufriedenheit der Menschen in Ost und West seit Jahren stabil, allerdings verlangsame sich die Angleichung der Wirtschaftskraft: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Einwohner lag der Abstand 2016 noch immer im Schnitt bei 32 Prozent. Auch die regionalen Unterschiede innerhalb einzelner Bundesländer, etwa zwischen der boomenden Großstadtregion Leipzig und dem abgehängten Erzgebirge, sind demnach auch im europäischen Vergleich hierzulande größer als etwa in Frankreich oder Großbritannien.

Wer angesichts mancher Gefahren nun aber nach neuen staatlichen Interventionen schreit, muss vorsichtig sein. Denn jeder Eingriff kann angesichts immer stärker vernetzter Prozesse, Strukturen und Märkte nicht isoliert betrachtet werden. Mögliche Folgewirkungen werden sich erst mit Zeitverzögerung zeigen, dann kann es zum Gegensteuern aber bereits zu spät sein. Und eine Lehre aus der jüngeren Vergangenheit gerade bei der Bankenregulierung kann doch nur sein, dass weniger manchmal mehr wäre, dass ein bisschen mehr Vertrauen in die Marktkräfte vielleicht sinnvoller ist als immer mehr Einzelregelungen, die im Zweifel nur neue Regelungen nach sich ziehen.

Was den Standort Deutschland zu einem guten Standort für Unternehmen und Banken und Sparkassen gemacht hat, sind doch typisch deutsche Tugenden. Große Planungssicherheit durch die Verlässlichkeit der staatlichen und politischen Ordnung, eine hochentwickelte und flächendeckende Infrastruktur, ein gutes Ausbildungsniveau und damit verbunden ein hoher Grad der Mitarbeiterqualifikation sowie die enormen Qualitätsstandards sprechen für die Bundesrepublik. Diese gilt es zu bewahren und mit Blick auf wenige Stellschrauben wie den Fachkräftemangel an der ein oder anderen Stelle, die fehlende digitale Infrastruktur in der vollen Breite oder den Einsatz neuer Technologien in Unternehmen und Bevölkerung nachzujustieren.

Auch die deutschen Banken und Sparkassen haben in der Vergangenheit Widrigkeiten getrotzt und sich als ausgesprochen widerstandsfähig erwiesen. Das wird auch in Zukunft so sein, auch wenn die notwendige Aufbruchstimmung an der ein oder anderen Stelle größer sein könnte, als sie es gegenwärtig noch ist. Die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen begleitet, beobachtet und analysiert die Entwicklungen seit nunmehr fast 70 Jahren. Am 1. August 1948 erschien die erste Ausgabe. Das nehmen wir zum Anlass, uns in einem neuen Layout zu präsentieren: modern und elegant im Äußeren, aber unverändert kompetent und gradlinig in der Berichterstattung.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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