Wertpapiergeschäft als Entdeckungsverfahren

Berthold Morschhäuser

Das durch die Finanzkrise und die schwierige Anfangszeit ihrer Bewältigung verspielte Vertrauen der Kunden in die Finanzmärkte und deren Akteure muss zurückgewonnen wer den. Prinzipiell sind sich Banken und Finanzindustrie in dieser Sache seit rund zehn Jahren mit der Politik sowie den Aufsichtsbehörden einig. Längst sind zahlreiche Regulierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht worden, die Finanzdienstleister haben ihre Geschäftsmodelle angepasst und die Aufseher registrieren zufrieden eine weltweit größere Finanzstabilität als vor der Krise.

Anfang dieses Jahres sind nun mit dem Inkrafttreten der Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive II) sowie der neuen Informationspflichten für Anlageprodukte PRIIPs (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) weitere auf Vertrauensbildung ausgelegte Mosaiksteine hinzugekommen. Sie wurden über viele Jahre in der lobenswerten Absicht und mit dem erklärten Willen entwickelt, einen maßgeblichen Beitrag zur Harmonisierung der europäischen Finanzmärkte zu leisten. Beide Regelwerke haben mehrfache Konsultationen und einen regen Austausch mit den betroffenen Interessengruppen durchlaufen. Durch Transparenz und gleichermaßen seriöse wie geduldige Aufklärungsarbeit mit klaren und verständlichen Informationen soll im Wertpapiergeschäft das Vertrauen der Kunden gestärkt beziehungsweise zurückgewonnen werden. Der Ansatz klingt vielversprechend und ist auf diesem Abstraktionsgrad unter allen Beteiligten immer noch konsensfähig. Aber schon in den ersten Tagen ihrer Gültigkeit haben die neuen Vorschriften höchst unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.

Wird mit dem neuen Regelwerk nun eine neue Stufe des Anlegerschutzes beschritten, wie die Bundesanstalt für Finanzmarktaufsicht es zum Start ausgerufen hat? Gelingt die erhoffte Stärkung des kollektiven Verbraucherschutzes in einem europäisch harmonisierten Rechtsrahmen? Oder werden lediglich die Fondsgesellschaften, Kreditinstitute und Versicherungen durch hohen Dokumentations- und IT-Aufwand unverhältnismäßig stark belastet? Schadet die Umsetzung dieser auf den Anlegerschutz ausgerichteten Regelungen letztlich sogar den Verbrauchern mehr als sie nutzt? All diese Fragen dürften sich erst nach einer gebührenden Erprobungsphase einigermaßen verlässlich beurteilen lassen.

Das Zwischenergebnis nach wenigen Tagen Praxiserprobung fällt freilich ernüchternd aus. In der Startphase liegen Anspruch und gelebte Wirklichkeit erheblich auseinander. Als viermal so lang als vorher gewohnt beschreibt beispielsweise die Wiesbadener Volksbank in der Anlaufphase der Neuerungen die Abwicklung einer Kundenorder von Wertpapieren. Onlineaffine Kunden mit vollem Bewusstsein für die Risiken ihrer gewählten Anlagekassen fühlen sich bei Käufen und Verkäufen per Direktabschluss durch den vorgeschriebenen Informationsaustausch über die Risikoeinstufung und die Kosteninformationen genervt und unnötig aufgehalten. Telefonkunden zeigen sich schon durch den vorgeschriebenen Mitschnitt ihrer Beratungsgespräche hochgradig verunsichert und müssen dann noch erfahren, dass der notwendige Informationsaustausch zur Abwicklung der Transaktion allein am Telefon nicht oder beschwerlicher zu bewältigen ist als bisher gewohnt und im Zweifel der Zwischenschaltung eines elektronischen Postfaches und/oder eines Filialbesuches bedarf.

Auch aus dem Sparkassensektor wird in der noch frühen Übungsphase seit dem Jahreswechsel aufgrund von diversen Fehlermeldungen von einer stark erhöhten Frequenz an Telefonkonferenzen zwischen den Instituten vor Ort sowie den Wertpapier- und IT-Dienstleistern Deka Bank und Finanz-IT berichtet. Kurzum: Allem Eindruck nach läuft die praktische Abwicklung des Wertpapiergeschäftes in der Praxis trotz einer vermeintlich gewissenhaften Vorbereitung der Institute in allen Bankengruppen längst noch nicht rund. Gerade in einer Marktphase, in der sich die Anleger der Renditechancen wegen offener für das Fonds- und Aktiensparen zeigten, droht ein Dämpfer.

Dabei sind es nicht nur die üblichen Reibungsverluste beim Start von Neuregelungen, die das Image der Wertpapiergeschäfte weiter beschädigen. Auch die Art der Aufklärungsarbeit der Banken und Finanzdienstleister im Vorfeld des Inkrafttretens hat nicht gerade dazu beigetragen, eine neue Ära der Spar- und Aktienkultur einzuleiten. Die Ende vergangenen Jahres wohl unvermeidliche Flut von spröden, eng bedruckten Aufklärungsschriften der Branche an ihre lieben Kunden war kein Impuls für eine neue Aufbruchsstimmung, sondern ist eher eine weitere beachtliche Hemmschwelle für einen neuen unbefangenen Umgang mit Wertpapiergeschäften. Vollständig gelesen, geschweige denn verstanden haben jedenfalls die wenigsten aktiven beziehungsweise potenziellen privaten Anleger das Kleingedruckte in den vielen Papieren. Das ganze Prozedere erinnert einfach zu stark an die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in nahezu allen Lebensbereichen. Wer so viel erklären beziehungsweise sich vermeintlich für den Fall der Fälle absichern muss, bewegt sich damit in den Augen vieler Normalbürger nicht auf dem Terrain der vertrauensbildenden Maßnahmen. Und auch die vonseiten der Aufsicht und der Verbraucherschützer so sehr gelobte Kostentransparenz droht angesichts der fehlenden Konsistenz der Informationen schlicht die Aufnahmefähigkeit vieler Privatanleger zu überfordern und sie damit eher zu verwirren statt zu beruhigen.

Über das Privatkundengeschäft hinaus verbreiten die neuen Regelungen erhebliche Unsicherheit unter den Fondsgesellschaften im Inund Ausland sowie deren Vertriebspartnern. Werden hierzulande die der Gewerbeordnung unterliegenden freien Vertriebe gegenüber den an das KWG gebundenen Bankvertrieben wegen geringeren Anforderungen an die Dokumentations- und Informationspflichten einen Vorteil haben? Oder werden sie wegen der Unsicherheit, schon in absehbarer Zeit in ähnlicher Weise reguliert zu werden wie der Bankvertrieb, in ihren Aktivitäten gelähmt? Welche Folgewirkungen werden die neuen Regelungen auf Fondsmanager und institutionelle Investoren haben? Insbesondere die Akteure mit Sitz außerhalb der EU sind der Umfrage eines globalen Dienstleisters zufolge nur unzureichend auf diese Situation vorbereitet. Mit Blick auf den künftig bei Wertpapiertransaktionen in der EU benötigten Identifikationscode Legal Entity Identifier (LEI) hat die European Securities and Markets Authority (ESMA) dieser Tage schon eine Übergangsfrist von sechs Monaten für die Beschaffung fehlender LEI von Kunden von Wertpapierdienstleistern gewährt.

An solcher Art von Entdeckungsverfahren im Wettbewerb dürften die Anhänger der österreichischen wie der ordoliberalen Schule der Wirtschaftswissenschaften nur getrübte Freude haben. Denn die Ungewissheit der künftigen Entwicklung liegt beim Wertpapiergeschäft unter MiFID II und PRIIPs eben nicht nur im konstruktiven Ideenwettbewerb im freien Spiel der Marktkräfte, sondern in hohem Maße am Störfeuer schwer kalkulierbarer Einflüsse der Regulierungsvorschriften. Wie schlimm die Wirkungen von MiFID II und PRIIPs ausfallen, dürfte man schon bald an den Zwischenmeldungen für die Absatzzahlen im Wertpapiergeschäft ablesen können. Selbst massive Einbrüche wie sie nach Einführung der Wohnimmobilienrichtlinie hierzulande zu spüren waren, wollen Praktiker zumindest für den Privatkundenbereich nicht völlig ausschließen. Das könnte Druck für Korrekturmaßnahmen geben.

Umsetzung der MiFID-II-Vorgaben im Bereich der Wohlverhaltensregeln Grundprinzip der KostentransparenzAggregierte Gesamtkosten sind anzugeben: Kosten der Dienstleistung und des Finanzinstruments als Geldbetrag und als Prozentsatz:- Kosten der Dienstleistung immer- Kosten des Finanzinstruments: bei Empfehlung oder Vermarktung oder Pflicht zurAushändigung eines PRIIPS-KID oder UCITS-KIIDGesonderte Angabe von Zahlungen Dritter (Zuwendungen)Illustration der Auswirkungen der Kosten auf die Rendite auf Kundenwunsch zusätzlich EinzeldarstellungExante und in der Regel expostQuelle: BaFin, Veranstaltung vom 27. Oktober 2017
Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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