Nudging

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Nudging kommt aus der Verhaltensökonomie ("Behavioral Economics"), die sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen beschäftigt, das anders als im Modell des Homo oeconomicus nicht auf rationale Nutzenmaximierung ausgerichtet ist. Der Begriff "to nudge" bedeutet im Deutschen "anstoßen" oder "schubsen/stubsen". Dieses Schubsen erfolgt durch einen Nudge, das heißt ein Vorgehen, das durch gezielte Impulse versucht, das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen, ohne dabei auf Verbote/ Gebote ("sticks") zurückzugreifen oder ökonomische Instrumente/Anreize ("carrots") zu setzen.

Information mit Lenkungsabsicht

Ein Nudge ist eine Information, die mit der Lenkungsabsicht konstruiert wird, dass aus mehreren Handlungsoptionen spontan eine bestimmte Option ausgewählt wird.

Zur Erklärung des Nudgings können exemplarisch folgende drei Beispiele angeführt werden:

- In Ländern (zum Beispiel Österreich), in denen man "per Voreinstellung" Organspender ist, es sei denn, man spricht sich explizit dagegen aus, ist die Zahl der Organspender um ein Vielfaches höher als in denjenigen Ländern, in denen man explizit einer Organspende zustimmen muss (zum Beispiel Deutschland).

- Die Fliege im Pissoir erhöht die Sauberkeit, da Männer dazu tendieren, das Insekt treffen zu wollen.

- Bei einem Forschungsprojekt in Bürokantinen hängten Forscher der Cornell University Spiegel in der Nähe der Essensausgabe auf. Ohne weitere Maßnahmen griffen die Menschen seltener zu fettigen und süßen Speisen wie Bagels oder Donuts.

Das Nudging wurde maßgeblich von Richard H. Thaler, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Booth School of Business Universität Chicago und Cass R. Sunstein, Professor für Rechtswissenschaften an der Harvard Universität, durch ihr Buch "Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness", Yale University Press, New Haven , CT, 2008 und "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt", Econ Verlag, Berlin 2009, beeinflusst. Thaler erhielt für seine Beiträge zur Verhaltensökonomie den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2017.

Das Phänomen des Stubsen/Schubsen hat es immer schon gegeben. So hat in Supermärkten die Art der Platzierung von Waren große Bedeutung, um zum Beispiel unentschlossenen Kunden für nicht unbedingt notwendige Käufe einen Kaufanreiz zu liefern, einen Stubs/Schubs zu geben.

Entscheidungen beeinflussen, aber nicht erzwingen

Nudges versuchen, ein Verhalten in eine bestimmte Richtung anzuregen. Dabei soll es möglich bleiben, ein Verhalten zu setzen, dass dieser Verhaltensanregung nicht folgt ("Optout"). Eine bestimmte Entscheidung soll beeinflusst, aber nicht erzwungen werden.

Nudges sollen zu einer gezielten Änderung in der Entscheidungsarchitektur ("choice architecture") bei allen nicht rational handelnden Menschen führen, das ist die Mehrzahl der Menschen. Der Homo Oeconomicus, der seine Entscheidungen rational abwägt, wird durch Nudges weniger stark berührt und beeinflusst.

Obwohl das Konstrukt der Nudges aus der Verhaltensökonomie kommt, können sich Nudges nicht nur auf ökonomische Entscheidungen beziehen, sondern auch auf alle nichtökonomischen Entscheidungen.

Fünf Typen von Nudges

Zur Systematisierung der Nudges können folgende fünf Typen unterschieden werden:

1. Voreinstellungen ("default rules") können zu wesentlichen Verhaltensänderungen beitragen, indem zum Beispiel bei Druckern die Voreinstellung auf (tonersparenden) s/w-Druck und auf (papiersparenden) zweiseitigen Druck erfolgt. Die Voreinstellung kann aus anderer ökonomischer Perspektive (mehr Toner-Absatz, mehr Papier-Verbrauch) auch umgekehrt sein.

2. Transparenz/Vereinfachung ("disclosure"/"simplification") durch einfache, klare und verständliche Information erhöht deren Wirksamkeit und führt zu mehr Erfolg zum Beispiel zu vermehrten Automatentransaktionen anstelle von Transaktionen an personenbesetzten Kassen, wenn diese leicht zu bedienen sind.

3. Gesellschaftliche Normen ("social norms") werden vielfach befolgt, da Individuen meist ungern durch Abweichungen auffallen wollen. So steigert zum Beispiel der Hinweis, dass (angeblich) neun von zehn Hotelgästen ihre Handtücher nicht nur einen Tag benutzen, die Behaltedauer.

4. Selbstbindung ("precommitments") kommt bei jenen vor, die ein Problem aufgrund ihres Verhaltens erkannt haben (zum Beispiel zu viel Alkoholkonsum, zu wenig Vorsorgesparen) und daraus die Konsequenz (zum Beispiel weniger Alkoholkonsum, mehr Sparen) ziehen.

5. Erinnerung/Mahnung ("reminders") eine Entscheidung zu treffen, die man vergessen hat, für die man glaubt zu wenig Zeit zu haben oder die durch Bequemlichkeit oder die Neigung zum Aufschieben nicht zustande gebracht wurde wie zum Beispiel eine Last-Minute-Aufforderung, wählen zu gehen.

Wirkung in der digitalen Welt durch Algorithmen potenziert

Durch Nudges wird die Entscheidungsarchitektur so verändert, dass ein Großteil der angesprochenen Zielgruppe den Weg des geringsten Widerstands geht, wodurch das gewünschte Verhalten in hohem Ausmaß erreicht wird.

Potenziert wird die Wirkung des Nudgings in der digitalen Welt. Der in digitalen Kanälen unaufhörlich stattfindende Informationsstrom ist ein Entscheidungsstrom, bei dem eine Fülle von (nicht immer kleinen) Entscheidungen getroffen werden müssen. Die "Stupser" werden im Internet oft von smarten Algorithmen übernommen, denen aus Bequemlichkeit gefolgt wird, da es eines größeren Aufwands bedarf, nicht den vorgeschlagenen Entscheidungen zu folgen.

Financial Nudging für den Homo oeconimicus humanus

Um die Menschen bei Finanzprodukten und -dienstleistungen zu einem bestimmten Entscheidungsverhalten zu führen, können sogenannte Financial Nudges eingesetzt werden.

Auch im Finanzsektor ist ein Paradigmenwechsel beziehungsweise eine Paradigmenerweiterung vom Homo oeconomicus, dem Idealmodell des perfekt rational handelnden, allwissenden und eigennutzenmaximierenden Individuums, hin zum Homo oeconomicus humanus in der Behavioural Finance beobachtbar. Dieser ähnelt dem Durchschnittsmenschen in der Realität viel mehr, indem er nur begrenzt rational handelt und Vorurteilen und Wahrnehmungsverzerrungen unterliegt und sich von einer Reihe verschiedener Einflüsse, zum Beispiel Emotionen, bei seinen Entscheidungen beeinflussen lässt.

Financial Nudging versucht, das Entscheidungsverhalten von Individuen in diesem Sinne zu verändern. Bei Krediten und Kreditkarten können Erinnerungsschreiben, Produktvergleiche, Informationsdokumente und Warnungen einen positiven Effekt auf das Verhalten von Verbrauchern haben.

Unterschiedliche Nudges je Zielgruppe

Zu beachten ist, dass man unterschiedliche Zielgruppen mit unterschiedlichen Nudges ansprechen muss. Es bedarf genauer Analysen, um herauszufinden, welche Nudges eine bestimmte Verbrauchergruppe am effektivsten beeinflusst beziehungsweise welche Instrumente gegebenenfalls noch ergänzend hinzugezogen werden sollten, um das Entscheidungsverhalten im erwünschten Sinne zu verbessern.

Kritik an den Nudges kommt von verschiedenen Seiten. Der Hauptvorwurf ist, dass es zu einer Bevormundung beziehungsweise Manipulation der Menschen kommen kann, da systematisch Anreize gesetzt werden, sich lenken zu lassen, anstatt selbständig eine aktive Entscheidung zu treffen.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at
Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at 

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