FIRMENKUNDENGESCHÄFT

Ab dem dritten Quartal rollt die Insolvenzwelle

Jochen Eisenbeis, Foto: Jochen Eisenbeis

Ab dem vierten Quartal 2020 ist mit einer Welle von Insolvenzen zu rechnen. Denn die Liquidität schrumpft in vielen Branchen mittelfristig, Corona-bedingte staatliche Einschränkungen des wirtschaftlichen Lebens blieben erhalten, internationale Lieferketten instabil, laufende Fixkosten "drücken Firmen die Luft ab" und in China stiegen die Infektionszahlen zuletzt wieder.

Staatliche Förderprogramme und Kurzarbeitergeld sind hilfreiche Maßnahmen, doch bei kleineren Betrieben etwa im Handel und der Gastronomie längst nicht ausreichend. Miete, Nebenkosten, Versicherungen, Leasingraten und andere Positionen laufen weiter und selbst, wenn Mieten gestundet werden, müssen diese später beglichen werden. Viele Betriebe in den genannten Branchen sind schon in guten Zeiten auf Kante genäht und können größere Schulden nicht zurückzahlen.

In beiden Branchen gelten Beschränkungen teils weit über den 20. April hinaus - und seien es nur Mindestabstände von Tischen in Lokalen oder maximale Personen je Tisch, was faktisch vielerorts die Verdienstaussichten auch nach Öffnung weiter mehr als halbieren dürfte. Ob und wann Großveranstaltungen ab September, wie das Münchner Oktoberfest, das Stuttgarter Volksfest oder die Fußball-Bundesliga wieder stattfinden, bleibt zudem weiterhin ungewiss.

Zweite Krisensparte ist die Automobilzulieferindustrie. Solange die Hersteller keine Autos montieren, brauchen sie auch keine Zulieferteile. Vier Wochen Stillstand kosten einen Zulieferer mit 1 000 Arbeitsplätzen zehn Millionen Euro, auch wenn die Mitarbeiter in Kurzarbeit sind. Und mancher wird auch, wenn wieder Autos produziert werden, nur erschwert liefern können. Denn die Lieferketten sind global organisiert und nicht nur Pandemie-bedingt extrem verwundbar.

Ein drittes Krisenpotenzial liegt demnach in den Dienstleistern. Wenn zum Beispiel Gerichte nicht verhandeln, haben auch viele Anwälte deutlich weniger zu tun. Dasselbe gilt für jede Menge Berufe in der Kommunikationsbranche, in Event- und Ausstellerszenen bis hin zur IT, wenn der Nachschub an Equipment aus Asien fehlt.

Banken versagen beim Liquiditätsmanagement

Die Bundesregierung hat mit ihren Sofortzuschüssen für Kleinbetriebe und ihren KfW-Krediten bis 800 000 Euro für mittlere Betriebe vorbildlich gehandelt. Zugleich hat die Maßnahme gezeigt, dass die Banken ihrer Aufgabe des Liquiditätsmanagements nicht gerecht werden.

Denn nicht nur an der zehnprozentigen Eigenhaftung der Unternehmer scheiterten erste KfW-Kredite, die der Bund deshalb auf 100 Prozent Bürgschaft ausgeweitet hat. Sogar viele Altschulden und Altsicherheiten bewerten die Hausbanken deshalb nun neu zum Nachteil ihrer Kreditnehmer, sodass das Gros der zusätzlichen Effekte allein dadurch schon in vielen Fällen verpufft.

Die Liquiditätsprobleme verschärfen sich deshalb in vielen Firmen im Mai und Juni. Mit ersten Insolvenzen ist im dritten Quartal zu rechnen und im vierten Quartal mit einem Mehrfach dessen.

Bis auf Weiteres muss es für Unternehmen darum gehen, unbedingt flüssig zu bleiben und Bestände notfalls auch zu schlechten Preisen zu veräußern. Die Sorge, dadurch insolvent zu werden, ist unbegründet. Denn schon in der Wirtschaftskrise 2008/09 wurde das Insolvenzrecht dahin verändert, dass ein Insolvenzantrag trotz Überschuldung unterbleiben kann, wenn es eine "positive Fortführungsprognose" gibt. Diese orientiert sich in erster Linie an der zukünftigen Liquidität.

Diese Aussetzung der Corona-bedingten Insolvenzantragspflicht gilt vorläufig bis 30. September. Eine Verlängerung bis zum 31. März 2021 ist im Gespräch. Entscheidend ist deshalb, bis dahin den eigenen Betrieb "irgendwie liquide" zu halten.

Jochen Eisenbeis, Partner, EISENBEIS RECHTSANWÄLTE mbB, Saarbrücken
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