Altersvorsorge weiter ohne Rückenwind aus der Politik

Die anhaltende Diskussion um die Migrationspolitik lässt andere Themen, mit denen sich die Große Koalition in Berlin befassen muss, stark in den Hintergrund treten. Zu diesen Bereichen gehört auch die Herausforderung, das Thema Altersvorsorge endlich auf stabile Füße zu stellen, um die Zukunftsfähigkeit zu sichern und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, auf deren Grundlage Vorsorgeentscheidungen getroffen werden können.

Gesetzliche Rente: Bericht der Rentenkommission erst 2020

In Sachen gesetzliche Rente lässt sich die Koalition sich einmal mehr Zeit. Am 6. Juni hat die "Kommission Verlässlicher Generationenvertrag der Bundesregierung" (kurz Rentenkommission) ihre Arbeit aufgenommen, die Empfehlungen für eine zukunftssichere und generationengerechte Altersvorsorge erarbeiten soll. Dazu zählen die nachhaltige Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge.

Erst im März 2020 soll die Kommission ihren Bericht und ihre Empfehlungen für einen verlässlichen Generationenvertrag für die Zeit ab 2025 vorlegen. Vorher ist gewiss nicht mit grundlegenden Weichenstellungen, etwa zu wie auch immer gearteten "Haltelinien" bei Rentenniveau oder Beitragshöhe, zu rechnen, obwohl die für das Ankurbeln der privaten Vorsorge so wichtig wären.

Dass längerfristig eine Stabilität von Beiträgen und Rentenhöhe gleichermaßen gewährleistet werden kann, ohne zugleich das Renteneintrittsalter weiter heraufzusetzen, scheint jedenfalls unwahrscheinlich. Das hat Prognos rechtzeitig zur Arbeitsaufnahme seitens der Rentenkommission vorgerechnet.

Im Jahr 2040 wird es ein Viertel mehr Rentenempfänger, aber gleichzeitig gut neun Prozent weniger Beitragszahler geben. Um das Rentenniveau auf dem aktuellen Niveau von 48 Prozent zu stabilisieren, müsste der Beitrag laut Prognos um 2,6 Prozentpunkte auf dann 25,9 Prozent und analog der Bundeszuschuss um etwa 8 Prozent auf knapp 170 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Das wären pro Einwohner 160 Euro mehr als bei aktueller Rechtslage. Der Steueranteil an der Finanzierung der Rentenausgaben wüchse dann von 27 auf fast 30 Prozent.

Bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum 69. Lebensjahr könne das Rentenniveau mit einem niedrigeren Beitragssatz von 25,3 Prozent und einem um 2,2 Milliarden niedrigeren Bundeszuschuss finanziert werden. Umgekehrt würden die Abschaffung der Rente mit 67 und eine Regelaltersgrenze von 65 Jahren einen Beitragssatz von 26,7 Prozent und einen Anstieg des Bundeszuschusses um 3,2 Milliarden Euro erfordern.

Die Ungewissheit bleibt

Wie sich das Drehen an den verschiedenen Stellschrauben auswirkt, machen Prognos und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungwirtschaft (GDV) mit einem neuen Online-Tool namens "Rentenminister" deutlich. Dieses Tool macht für jedermann anschaulich deutlich, dass sich nicht alle Wünsche werden erfüllen lassen.

Das grundlegende Problem, dass der Dreh an der einen oder anderen Schraube weiterhin aufgeschoben ist, wird dadurch aber nicht gelöst. Und so bleibt es bei der privaten Altersvorsorge bei der Ungewissheit, wie hoch die Versorgungslücke künftig sein wird beziehungsweise wie viel Geld den Menschen angesichts des voraussichtlichen künftigen Beitragssatzes für die Vorsorge bleibt. "Rückenwind aus der Politik", wie ihn Kreditinstitute, Finanzvertriebe und Versicherer seit Langem fordern, sieht anders aus.

LVRG-Evaluierungsbericht vertagt

Schon in diesem Jahr steht die Evaluation des Lebensversicherungsreformgesetzes vom August 2014 auf der Agenda beziehungsweise die Frage, welchen Handlungsbedarf der Gesetzgeber daraus ableitet. Doch auch hier ist die Bremse noch angezogen. Ursprünglich wollte das Bundesfinanzministerium den Evaluierungsbericht im Mai vorliegen, jetzt ist die Rede davon, dass er "im Laufe des Jahres" kommen soll.

Derweil wird kräftig spekuliert, welche Maßnahmen der Gesetzgeber plant. So gilt es als wahrscheinlich, dass die Zinszusatzreserve reformiert wird. Außerdem wird es wohl Regelungen geben, die zu mehr Transparenz bezüglich der Kosten führen sollen, etwa durch Anwendung der Grundsätze der europäischen Regulierung zu PRIIPS (Anlageprodukte für Kleinanleger).

Bewertungsreserven: Regelungen im LVRG sind nicht verfassungswidrig

Eine Unwägbarkeit zumindest ist inzwischen beseitigt, nämlich die Frage, ob die Neuregelung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven möglicherweise verfassungswidrig ist oder nicht.

Am 27. Juni hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden: Die Neuregelung zur Beteiligung des Versicherungsnehmers an den Bewertungsreserven in der Lebensversicherung gemäß § 153 Absatz 3 Satz 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in der Fassung des Lebensversicherungsreformgesetzes vom 1. August 2014 ist nicht verfassungswidrig. (Aktenzeichen IV ZR 201/17).

Diese Regelungen führten im Ergebnis dazu, dass Versicherer Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der Versicherten nur insoweit berücksichtigen darf, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Verträgen mit Zinsgarantie überschreiten. Dagegen geklagt hatte vor zwei Jahren der Bund der Versicherten.

Grund für diese Neuregelung vor vier Jahren war die Sorge des Gesetzgebers, dass das lang anhaltende Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der privaten Lebensversicherungsunternehmen bedrohen würde, die den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu erbringen. Dass der Gesetzgeber dies wieder rückgängig macht, scheint eher unwahrscheinlich.

Der BGH begründet seine Entscheidung nicht nur damit, dass die gesetzliche Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG vor allem eine präzisere Regelung gegenüber der Vorgängervorschrift des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG alte Fassung enthält, die lediglich bestimmte, dass aufsichtsrechtliche Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt bleiben. Sie stelle auch keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar. Sondern in das Urteil eingeflossen ist auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber inhaltlich verschiedene Maßnahmen getroffen hat, die die Interessen der verschiedenen Parteien berücksichtig: die der ausscheidenden Versicherungsnehmer und derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie die Interessen der Anteilseigner. Zu diesen Maßnahmen gehören Änderungen der Mindestzuführungsverordnung, die zu einer höheren Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoüberschüssen führen, sowie die Absenkung des Höchstsatzes für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten, um Vertriebskosten zu senken.

Nicht zuletzt weist der Bundesgerichtshof den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit auch unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zurück. Im Einzelfall auftretende Härten führen nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt. An die Berufungsinstanz zurückverwiesen wird der Fall nur deshalb, weil bezogen auf den konkreten Fall geklärt werden muss, ob vertragsrechtlich die Grundlagen für eine Kürzung der dem Versicherten bereits anvisierten Beteiligung and den Bewertungsreserven gegeben waren. Für den Gesetzgeber ist mit diesem Urteil zumindest schon einmal Klarheit darüber geschaffen, dass das Thema Bewertungsreserven nicht zwingend noch einmal angefasst werden muss. Das ist wenigstens ein Stückchen Klarheit.

Der Provisionsdeckel kommt

Klar ist außerdem - und das ist das einzige, was Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Sachen Lebensversicherung beziehungsweise LVRG-Evaluation bereits unmissverständlich kommuniziert hat: Es wird eine Deckelung der Vertriebsprovisionen geben. Ob das dazu beitragen wird, den Stellenwert der Lebensversicherung für die private Altersvorsorge wieder zu steigern, sei einmal dahingestellt. Den Vorwurf, den Kunden den Abschluss nur mit Blick auf die Provisionen zu empfehlen, wird man den Vertrieben - seien es nun Banken oder freie Vermittler - dann weniger machen können. Und die Produkte werden dann für die Kunden auch günstiger.

Kein Ende der Imagekrise für die Lebensversicherung

An der tiefen Imagekrise der Lebensversicherung wird das aber wohl kaum etwas ändern. Man kann eine Produktkategorie nun einmal nicht jahrelang schlechtreden und dann erwarten, dass der Dreh an einigen Stellschräubchen genügt, um die Kunden wieder dafür zu begeistern. Je nachdem, welche Maßnahmen der Gesetzgeber noch ergreifen wird, könnte die Begeisterung vielleicht sogar noch mehr schwinden.

Das BGH-Urteil zu den Bewertungsreserven jedenfalls, so vernünftig es auch scheint, hat in jedem Fall das Zeug dazu, die Lebensversicherung noch mehr in Misskredit zu bringen. Denn natürlich wäre ein anders lautendes Urteil aus Sicht der Versicherten zumindest kurzfristig besser gewesen.

Mehr Kostentransparenz kann zwar sicher auch nicht schaden. Ob es dem Verbraucher die Lebensversicherung aber schmackhafter macht, wenn er genau weiß, was sie ihn insgesamt kostet, ist auch nicht gewiss. Preise können bekanntlich auch abschrecken. Und was wäre dann die Alternative? Gar keine Vorsorge?

Was der angekündigte Provisionsdeckel für die Vertriebe bedeutet, lässt sich einstweilen noch kaum abschätzen. Das wird in starkem Maße von der Ausgestaltung im Einzelnen abhängen. Am stärksten betroffen sein dürfte vor allem der Maklerkanal.

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