Negativzinsen bei Riester-Sparplänen: Tübinger Urteil kein Freibrief für die Anbieter

Quelle: Landgericht Tübingen

Der ganz große Renner waren Riester-Sparpläne nie. Ein Urteil des Landgerichts Tübingen vom 29. Juni 2017 (4 O 220/17) dürfte dem Produkt gleichsam den Todesstoß versetzt haben. Denn die Tübinger Richter haben entschieden: Die Verwendung einer Zinsanpassungsklausel in Riester-Verträgen ist auch dann zulässig, wenn der Grundzinssatz negativ ist.

Im konkreten Fall der Kreissparkasse Tübingen kam eine Zinsanpassungsklausel zum Tragen, der zufolge ein Grundzins gezahlt wurde, der sich zu 30 Prozent aus dem gleitenden 3-Monatszins und zu 70 Prozent aus dem gleitenden 10-Jahreszins zusammensetzt. Zusätzlich war die Zahlung eines sogenannten Bonuszinses vereinbart. Die Grundzinsen würden laut Vertrag "zum Schluss des Geschäftsjahres gutgeschrieben, dem Sparguthaben hinzugerechnet und mit diesem vom Beginn des neuen Geschäftsjahres an verzinst".

Bezüglich der Bonuszinsen wurde vereinbart, dass der Sparer "zusätzlich" zu den Grundzinsen Bonuszinsen erhält: "Die Grundzinsen erhöhen sich während der Ansparhase in Abhängigkeit von der Spardauer".

Weil der variable Zins inzwischen negativ ist, hatte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg geklagt. Ihrer Einschätzung nach dürfen Verbraucher, die einen solchen Sparvertrag zur Altersvorsorge abgeschlossen haben, zu Recht annehmen, dass sie Anspruch auf jährliche Gutschrift von zwei Zinsbeträgen erhalten, einen variablen und einen festen Zins, nicht aber eine Aufrechnung mit einem negativen variablen Zins, der zu einem Abzug führt. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch sei eine Gutschrift kein Abzug.

Dem Transparenzgebot gerecht geworden

Dieser Meinung hat sich das Landgericht Tübingen nicht angeschlossen. Zur Begründung heißt es, die beanstandete Zinsänderungsklausel werde dem Transparenzgebot nach § 307 Abs. 3 S. 2 BGB gerecht. Dass sich die Zinsanpassung während der Vertragslaufzeit nach der Veränderung des Referenzzinssatzes richte, sei für den durchschnittlichen Vertragspartner der Beklagten ohne Weiteres verständlich. Außerdem könnten die Referenzzinssätze durch öffentlich zugängliche Medien kontrolliert werden, was bereits für eine genügende Transparenz spreche.

Genau hier liegt vermutlich der heikle Punkt. Natürlich ist die Berechnung des Grundsatzes transparent. Und natürlich dürfte dem Durchschnittssparer auch bei bescheidener Finanzbildung bewusst sein, dass es hier bei langlaufenden Verträgen wie es Altersvorsorgeprodukte nun einmal sind, zu Anpassungen in beide Richtungen kommen kann und aller Wahrscheinlichkeit nach auch wird.

Da aber selbst Fachleute Negativzinsen nicht erwartet haben, ist es wenig überraschend, wenn Verbrauchern, die solche Verträge abgeschlossen haben, nicht bewusst war, dass der Grundzins negativ werden könnte. Insofern ist die Argumentation der Verbraucherschützer sicherlich richtig. Daraus aber zu schließen, dass im Vertrag ein Hinweis auf einen möglichen Negativzins hätte enthalten sein müssen, würde gleichwohl übers Ziel hinausschießen. Schließlich sind der Anbieterseite hell seherische Fähigkeiten ebenso wenig zuzumuten wie den Kunden.

In der Gesamtschau kein Negativzins

Wichtig für das Urteil war zudem die Tatsache, dass es bei der Zusammenschau von variablem Grundzins und Bonuszins zu keinem Zeitpunkt eine Negativverzinsung gegeben hat, weil der Bonuszins stets höher lag als der variable Grundzins, der sich seit 2015 negativ entwickelt hat. Vom Grundgedanken der darlehensvertraglichen Regelungen ist dem Urteil zufolge daher nicht abgewichen worden. Die Gesamtrendite ist damit nur eben niedriger, als es die Kunden ursprünglich erwartet hatten.

Das gilt jedoch im gleichen Maße für die Kunden der Lebensversicherer. An dieser Stelle sitzen im Grunde alle Verbraucher, die auf die klassischen Spar- und Vorsorgeprodukte anstatt auf Wertpapiere gesetzt haben, im gleichen Boot.

Kein Verstoß gegen die Riester-Richtlinien

Nicht zuletzt: Dadurch, dass die Verzinsung insgesamt nicht negativ wird, verstoßen die Vertragsbedingungen auch nicht gegen die Bestimmungen des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (AltZertG, demzufolge zu Beginn der Auszahlungsphase zumindest die eingezahlten Altersvorsorgebeiträge zur Verfügung stehen und auch die staatlichen Zulagen nicht angetastet werden. Durch den Bonuszins war dies auch bei negativem Grundzins bislang gewährleistet.

Außerdem findet sich im Vertrag ein Passus, wonach der Sparer mit Eintritt in die Auszahlungsphase in jedem Fall Anspruch auf die während der Ansparphase eingezahlten Altersvorsorgebeiträge und die staatlichen Zulagen hat, soweit sie nicht für eine Verwendung im Sinne des § 92a EStG (B.4) ausgezahlt worden sind.

Anbietern Tür und Tor geöffnet?

Unter dem Strich ist das Tübinger Urteil somit nachvollziehbar und Augenmaß zu beweisen, so sehr die Kritik der Verbraucherschützer auch nachvollziehbar sein mag. Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sieht die Gefahr, dass die Auslegung des Landgerichts Tübingen etlichen Anbietern Tür und Tor öffnen könnte, die laufende Verzinsung von Altersvorsorgeverträgen nicht nur nach unten anzupassen, sondern sogar ins Negative abrutschen zu lassen.

Diese Befürchtung ist jedoch zumindest teilweise unbegründet - schließlich ist eine Negativrendite zumindest bei Riester-Verträgen ausgeschlossen. Hier zeigt sich einmal, dass die mit Riester verbundenen Garantien, die in jüngster Zeit immer wieder als "Renditekiller" angeprangert wurden, eben doch ihren Sinn haben und Sparer vor allzu bösen Überraschungen schützen können.

Bei Verträgen ohne staatliche Förderung sieht das natürlich anders aus. Hier könnten Verträge mit variabler Zinsanpassung grundsätzlich durchaus auch einmal zu einer Negativverzinsung, sprich zu Abzügen vom Vorsorgeguthaben, führen. Da die Kreditwirtschaft aber immer wieder betont hat, Sparer so lange es geht, von Negativzinsen zu verschonen, ist es wohl kein realistisches Szenario, dass Sparplankunden nun massenweise mit solchen Abzügen rechnen müssen.

Unklar ist außerdem, ob sich das Tübinger Urteil auch in solchen Fällen noch anwenden ließe, in denen die Gesamtverzinsung tatsächlich negativ würde. Schließlich hat das Gericht ausführlich darauf Bezug genommen, dass dies im konkreten Beispiel eben nicht der Fall war.

Ein Vorsorgevertrag ohne staatliche Förderung, bei dem die Gesamtverzinsung negativ würde, müsste vermutlich neben dem Aspekt der Transparenz auch unter dem Blickwinkel des Vertragszwecks beurteilt werden. Insofern könnte die juristische Beurteilung hier ganz anders ausfallen.

Riester-Garantien nicht über Bord werfen

Der Forderung der Verbraucherschützer nach einer Neuregelung der privaten Altersvorsorge kann man sich gleichwohl nur anschließend. Die tut dringend Not.

Das Überbordwerfen der Garantien bei staatlich geförderten Produkten sollte sich der Gesetzgeber dabei aber noch einmal gut überlegen. Schließlich zeigt der öffentliche Aufschrei über die Gefahr möglicher Negativzinsen bei Vorsorgeverträgen, wie gering hierzulande die Risikobereitschaft beziehungsweise das Bewusstsein dafür ausgeprägt ist, dass flexible Renditegutschriften eben nicht nur eine Richtung - nämlich nach oben - kennen und dass "Chance" immer auch mit Risiko verbunden ist.

Das werden vermutlich auch die Lebensversicherer noch erfahren, wenn die ersten Verträge der "Neuen Klassik" einmal nicht die von den Versicherten in sie gesetzten (beziehungsweise von den Vertrieben geweckten) Erwartungen erfüllen.

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