Vor dem Paradigmenwechsel in der Altersvorsorge

Alljährlich zum Jahreswechsel gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die sich für Unternehmen, aber auch Privatpersonen ändern. In der Altersvorsorge deutet sich mit dem neuen Jahrzehnt eine Art Paradigmenwechsel an: nämlich die Abkehr vom klassischen Garantiemodell in der Lebensversicherung.

Marktführer Allianz hatte bereits im Oktober 2020 angekündigt, sich davon ab Januar 2021 ganz zu verabschieden und sich stattdessen "auf Lösungen mit zeitgemäßen Garantien" konzentrieren zu wollen, die je nach Kundenwunsch am Ende der Ansparphase auf einem Niveau von mindestens 90, 80 oder 60 Prozent der gezahlten Beiträge liegen. Die 100-prozentige Beitragsgarantie ist damit Geschichte. Nur noch dort, wo dies gesetzlich verankert ist, wird weiterhin ein Garantieniveau von 100 Prozent angeboten, beispielsweise bei Riester-Verträgen oder der Beitragszusage mit Mindestleistung in der betrieblichen Altersversorgung.

R+V zieht nach

Auch die Alte Leipziger biete keine vollständige Beitragsgarantie mehr an. Noch deutlicher für einen echten Paradigmenwechsel in der Branche spricht jedoch die Tatsache, dass auch die R+V mit einer komplett überarbeiteten Produktplalette ins Vorsorgejahr 2021 gestartet ist. Denn während die Allianz von Anfang an Vorreiter der neuen Garantiemodelle war, hat die genossenschaftliche R+V am längsten das Fähnchen der klassischen Garantie hoch gehalten und das mit dem immer nwoch hohen Kundenwunsch begründet - sowohl in der privaten Rentenversicherung als auch in der baV.

In der Meldung, mit der die Neuausrichtung angekündigt wird, verweist die R+V deshalb auch auf die Struktur des Neugeschäfts ihrer Leben- und Pensionsgesellschaften 2020, in der Produkte mit neuen Garantien knapp 35 Prozent ausmachten, gefolgt von der betrieblichen Altersversorgung mit 32 Prozent und den fondsgebundenen Rentenversicherungen mit 12 Prozent. "Mit der überarbeiteten Produktpalette entsprechen wir passgenau den Wünschen unserer Kunden", sagt denn auch Claudia Andersch, Vorstandsvorsitzende der R+V Lebensversicherung AG.

Begründet wird die Abkehr von den klassischen Garantien mit den Chancen für langfristig attraktive Renditen in Zeiten von Null- und Negativzins, die sich für die Versicherten durch die Kombination des Sicherungsvermögens mit weiteren chancenorientierten Anlagen wie Aktien, alternativen Anlagen, Unternehmensoder Schwellenländeranleihen ergeben. Es geht allerdings natürlich auch darum, dass sich die Versicherer immer schwerer damit tun, ihre Garantiezusagen zu erfüllen, und daher diese Produktgenerationen nicht in die Zukunft fortschreiben wollen oder können.

Ganz tot ist die klassische Lebensversicherung noch nicht, die Anzeichen dafür, dass sie vom Markt verschwinden wird, mehren sich jedoch. So bietet beispielsweise die Ergo noch Produkte mit einer hundertprozentigen Beitragsgarantie an - Ergo-Chef Markus Rieß will allerdings nicht ausschließen, dass das Unternehmen sich mittelfristig von der kompletten Beitragsgarantie bei den Lebenspolicen sukzessive verabschieden wird.

Riester ohne Reform vor dem Aus?

Auch dort, wo die 100-Prozent-Garantie derzeit noch gesetzlich vorgeschrieben ist, erscheint sie allerdings mehr und mehr als Auslaufmodell. Bereits Anfang Dezember hatte die Deutsche Aktuarvereinigung eine Abkehr von diesen Garantievorgaben gefordert. Auch GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen, fordert eine "Riester-Revolution". "In einer Welt ohne positiven Nominalzins muss die Altersvorsorge neu gedacht werden", so Asmussen.

Bereits Anfang November haben sich deshalb die im GDV organisierten deutschen Versicherer gemeinsam mit dem BVI, dem Verband der Privaten Bausparkassen und den Landesbausparkassen in einem Brief an Kanzleramtschef Helge Braun gewandt, in dem die Verbände auch davor warnten, die Riester-Rente ab 2021 nicht mehr anbieten zu können, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht zügig änderten.

Überzeugungsarbeit im Vertrieb

Für risikoscheue Kunden, die fürchten, mit den neuen Konzepten einen Teil ihrer eingezahlten Beiträge zu verlieren, ist das keine gute Nachricht, zumal die neuen Tarifgenerationen noch auf keine so lange Geschichte blicken können, dass sich die Bedenken mithilfe der langfristigen Statistik zerstreuen lassen. Vermutlich werden Berater hier ein Stück weit Überzeugungsarbeit leisten müssen. Umgekehrt kommt die Lebens- beziehungsweise Rentenversicherung als einzige Vorsorgeform, die (auch mit den neuen Garantiemodellen) das biometrische Risiko der Langlebigkeit abdeckt, mit dem Paradigmenwechsel in Sachen Garantien vielleicht endlich aus der Diskussion hinaus, dass sich eine Vorsorge in Form von Versicherungen wegen der geringen Rendite doch gar nicht lohne. Für das Neugeschäft dürfte dieser positive Aspekt die negativen Implikationen vermutlich zumindest ausgleichen.

Auch die demografische Entwicklung könnte dazu beitragen: Schließlich spielen diejenigen Jahrgänge, die noch die klassische Lebensversicherung als Normalfall der Altersvorsorge "gelernt" haben, im Neugeschäft der Lebensversicherer eine immer geringere Rolle.

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