Rechtsfragen

§ 313 BGB als Kündigungsjoker?

Die Diskussion um die Versuche von Anbietern aus der Finanzbranche, sich von ungeliebten Altverträgen zu trennen, geht in eine neue Runde. Die Marktwächter Finanzen warnen, der § 313 BGB drohe zum "Kündigungsjoker" für die Anbieterseite zu werden.

Im besagten Paragrafen zur Störung der Geschäftsgrundlage heißt es: "Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil ... das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann." Nun scheint es zum Streitfall zu werden, welche Umstände als so schwerwiegend zu werten sind, dass sie eine Kündigung rechtfertigen.

Erster Anbieter, der die Kündigung von Verträgen mit § 313 BGB begründet hatte, war nach Angaben des Marktwächterteams des Verbraucherzentrale Bundesverband (VZ-BV) die Aachener Bausparkasse. Sie hatte bei der Kündigung von Bausparverträgen auf die aktuelle Niedrigzinsphase und die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung verwiesen. Dagegen hat der VZBV bereits im Juli 2017 Klage eingereicht.

Mitte Dezember hat nun die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg vor dem Landgericht Hamburg gegen die Privatbank Donner & Reuschel geklagt, weil diese Riester-geförderte Sparverträge (sogenannte CHD Vorsorgepläne) mit der Begründung gekündigt hat, man könne diese in die neue IT-Landschaft nicht übernehmen. Nach Einschätzung der Verbraucherschützer kann jedoch eine interne IT-Umstellung die Kündigung von Riester-Verträgen nicht rechtfertigen.

Zweierlei Gründe werden dafür ins Feld geführt: Zum einen könne eine Änderung der IT-Landschaft, die von der Bank selbst veranlasst wurde, nicht als Störung der Vertragsgrundlage gewertet werden. Zum anderen werde durch diese Kündigungen das Vertrauen in die staatlich geförderte Altersvorsorge zerstört. Schließlich verlieren die Betroffenen dadurch nicht nur die künftige Verzinsung der Spareinlage, sondern vor allem die staatlichen Zulagen.

Tatsächlich lässt der § 313 BGB einen großen Interpretationsspielraum, der nun wohl durch gerichtliche Entscheidungen näher definiert werden muss. Allzu großzügig werden die Richter diesen Spielraum vermutlich nicht auslegen. Schließlich dürfte es kaum im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein, das Festhalten an Verträgen allzu beliebig zu mache - je nachdem, ob die vereinbarten Vertragsbedingungen noch opportun sind oder nicht. Gerade bei Finanzdienstleistern liegt es nun einmal in der Natur der Sache, dass Verträge, die zum Zeitpunkt des Abschlusses lukrativ waren, mit der Zeit an Ertragskraft einbüßen oder umgekehrt. Insofern muss es schon etwas dramatisches sein, das als schwerwiegende Änderung der Umstände gewertet werden kann.

Die lang andauernde Niedrigzinsphase, die in den Geschäftsmodellen nicht eingeplant und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auch nicht vorauszusehen war, kann sicher als schwerwiegend betrachtet werden. Dazu kommt allerdings noch die Frage der Zumutbarkeit. Hier werden die Richter entscheiden müssen, ob das Festhalten am Vertrag für die Anbieterseite zumutbar ist beziehungsweise die Kündigung für den Verbraucher und wessen Interesse im konkreten Fall höher zu bewerten ist. Ganz einfach wird diese Abwägung gewiss nicht.

Im Fall des Bankhauses Donner & Reuschel liegen die Dinge noch ein bisschen anders. Hier kann man tatsächlich fragen, ob eine neue IT-Landschaft ausreicht, um eine Vertragskündigung zu rechtfertigen. Schon früher sind schließlich die verschiedensten Finanzprodukte in neue IT-Landschaften migriert worden, ohne dass dies regelmäßig Vertragskündigungen nach sich gezogen hätte. Mag sein, dass dies im vorliegenden Fall mit beträchtlichem Mehraufwand verbunden wäre. Ob das aber ausreicht, um Verträge ausgerechnet aus dem per se langfristig orientierten Bereich der Altersvorsorge zu kündigen, stellen die Verbraucherschützer sicher zu Recht infrage. Dies gilt auch dann, wenn man in Betracht zieht, dass die veränderten IT-Anforderungen möglicherweise durch die Regulatorik begründet sind.

In jedem Fall haben die genannten Kündigungen ein gewisses "Geschmäckle" - und der Eindruck, dass die IT nur als Vorwand herangezogen wird, um sich nicht auf die veränderte Ertragssituation berufen zu müssen, liegt zumindest nicht allzu fern. In jedem Fall sind die beiden Urteile für die gesamte Branche von Interesse. Sollten die Verbraucherschützer mit ihren Klagen auf ganzer Linie scheitern, dann hätte die Anbieterseite tatsächlich einen "Kündigungsjoker" - analog zum "Widerrufsjoker" auf Kundenseite. Zu erwarten ist ein solcher Freibrief indessen wohl nicht. Red.

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