INSOLVENZEN

Erstaunlich wenige Insolvenzen - ein Trugschluss?

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

"Im weiteren Verlauf der Pandemie dürften vermehrt Insolvenzen im Unternehmenssektor auftreten. Das erfordert eine ausreichende Vorbereitung." So prognostizierte es die deutsche Bundesbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht, der im Oktober 2020 vorgelegt wurde. Für das erste Quartal 2021 rechnete die Bundesbank in ihrem Basisszenario mit 6 000 Insolvenzen. Das wäre ein Anstieg um mehr als 35 Prozent. Sie warnte zu Recht, denn trotz oder wegen Hilfen der Bundesregierung war keineswegs klar, wie tief die Spuren werden würden, die die verschiedenen Lockdowns in den einzelnen Branchen hinterlassen würden. Für die deutsche Volkswirtschaft jedenfalls ging es 2020 ordentlich bergab: Die Wirtschaftsleistung schrumpfte im Jahresdurchschnitt um 4,8 Prozent. Und auch im ersten Quartal stand noch ein Rückgang um weitere 1,7 Prozent zu Buche. Das ließ nichts Gutes hoffen. Doch nun, ein knappes Jahr nach Vorlage des Finanzstabilitätsberichtes, warten alle immer noch auf das Heranrollen der Pleitewelle. Und derzeit scheint diese weiter weg denn je. Die Anzahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften lag im August nach Angaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) bei 570 und damit um stolze 11 Prozent unter dem bisherigen Allzeittief aus dem Juli 2021. Im Vergleich zum August 2020 ist sogar ein Rückgang der Pleiten um 15 Prozent zu verzeichnen.

Auch im langfristigen Vergleich sind diese Zahlen extrem niedrig. So hätten vor knapp 20 Jahren im Mittel 2 000 Personen- und Kapitalgesellschaften pro Monat Insolvenz angemeldet, teilte das IWH mit. Selbst in der lang anhaltenden Boomphase zwischen 2010 und 2018 hätten immerhin etwa 1 000 Personen- und Kapitalgesellschaften monatlich den Gang zum Insolvenzgericht angetreten.

Die spannende Frage: Wie viel dieser erfreulichen Entwicklung ist nachhaltig, weil einer echten wirtschaftlichen Erholung und der Stärke der Unternehmen geschuldet, und wie viel ist nur aufgeschoben, weil beispielsweise das Auslaufen der Insolvenzantragspflicht am 1. Mai dieses Jahres noch gar nicht in den Zahlen angekommen ist? Beides trifft zu. Sicherlich wird es noch Nachlaufeffekte bei den Insolvenzen geben. Aber es besteht kein Grund zur Panik: Das verarbeitende Gewerbe, nach wie vor Deutschlands wichtigster Wirtschaftszweig, wurde vor allem vom ersten Lockdown hart getroffen. Danach wurde die Produktion schnell wieder hochgefahren. Entsprechend zuversichtlich sind die Manager. Der Ifo-Geschäftsklimaindex für das verarbeitende Gewerbe ist gegenüber den beiden Vormonaten zwar leicht zurückgegangen, liegt mit 24,1 aber immer noch auf einem hohen Niveau. Daneben haben die Unternehmen ihre Eigenkapitalpositionen spürbar ausgeweitet, laut einer Auswertung der Deutschen Bundesbank von unter 27 auf über 32 Prozent der Bilanzsumme. Damit ließe sich auch eine längere Durststrecke aushalten.

Auch wenn es bekanntermaßen für das Dienstleistungsgewerbe nicht ganz so rosig aussieht, werden sich die schlimmsten Befürchtungen mit Blick auf die Insolvenzen sicherlich nicht erfüllen. Das zeigt sich nicht zuletzt in den vielen Halbjahreszahlen der deutschen Banken und Sparkassen, die auch dank Auflösung von im Vorjahr sicherheitsbewusst und üppig gebildeter (Pauschal)Wertberichtigungen fast überall über den Erwartungen ausfielen. Toi, toi, toi! P.O.

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