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Betriebsrenten: Ein großer Wurf sieht anders aus

Andrew J. Hartsoe, Leiter betriebliche Altersvorsorge, Plansecur Service GmbH & Co. KG, Kassel

Zielsetzung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist es, eine bessere Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung in kleinen und mittelständischen Unternehmen zu erreichen. Dazu setzt das Gesetz jedoch an der falschen Stelle an, meint Andrew J. Hartsoe. Denn die Haftungsfrage sei nie der entscheidende Hemmschuh gewesen. Mit der Neuregelung, so seine Kritik, wird nicht nur das Kapitalmarktrisiko voll auf den Arbeitnehmer verlagert. Sondern das Thema bAV wird auch weiter verkompliziert. Damit steigt der Beratungsbedarf und es bleibt unklar, wer diese Beratungsleistung erbringen soll, wenn gleichzeitig die Vergütung für Berater immer weiter reduziert wird. Red.

Der durch das BMAS und BMF initiierte Entwurf eines "Betriebsrentenstärkungsgesetzes" durchläuft zurzeit das parlamentarische Verfahren. Es geht im Wesentlichen um die Weiterentwicklung der betrieblichen Versorgung. Die Eckpunkte:

- Aufstockung der steuerfreien Förderung im Rahmen des § 3 Nr. 63 EStG auf 8 Prozent unter Entfall des bisherigen Zusatzbetrages von 1 800 Euro (beitragsfrei bleiben wie bisher nur 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze),

- der Vervielfältiger wird neu geregelt (maximal vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze je Dienstjahr mit der Begrenzung auf zehn Dienstjahre),

- acht Prozent der Beitragsbemessungsgrenze als Nachzahlungsoption für Beitragslücken (etwa durch Sabbatical, Elternzeit oder Krankheit); ebenfalls mit der Begrenzung auf maximal zehn Jahre) und eine neue steuerliche Förderung für den Arbeitgeber in Höhe von 30 Prozent, soweit dieser die bAV des niedrigverdienenden Arbeitnehmers (Einkommensgrenze 2 000 Euro pro Monat) mit einem Jahresbeitrag von 240 bis 480 Euro fördert.

- Ferner wird die Grundförderung der Riester-Rente auf 165 Euro angehoben, die Leistung aus solchen Verträgen sind zukünftig in der Leistungsphase sozialversicherungsfrei.

Neben weiteren kleineren Änderungen deutet viel mehr der Begriff dieses Artikelgesetzes den Schwerpunkt der Zielrichtung an: Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz wollen die Ministerien eine deutlich bessere und andere Förderung der Betriebsrenten erreichen. Geringverdiener und Mitarbeiter insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen sollen zukünftig deutlich mehr und besser versorgt werden.

Haftungsfrage ist nicht der Hemmschuh für die Verbreitung

Mit dem Gesetzentwurf setzt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch massive Änderungen des Betriebsrentengesetzes just an dem Punkt an, der von Arbeitgebern nicht - und schon gar nicht großflächig - als kritisch betrachtet wurde: Der Haftung des Arbeitgebers für eine einmal erteilte Zusage. So ist das Arbeitsministerium unter Führung von Andrea Nahles nicht davon zu überzeugen, dass nicht die Haftungsfrage der eigentliche Hemmschuh bei der besseren Verbreitung ist.

Gleichwohl wird genau hier angesetzt: Künftig soll unter der Aufsicht der Tarifvertragsparteien die sogenannte Beitragszusage möglich sein. Dabei haftet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber nicht mehr für die Erbringung einer Mindestleistung zum Rentenbeginn. Bereits mit der bloßen Zahlung der Beiträge ist er alle Verpflichtungen los. Den Tarifvertragsparteien wird zukünftig gestattet - ein Kotau vor den Wirren des Kapitalmarktes -, sogenannte Zielrenten zu vereinbaren. Schon loben die ersten die kollektive Kapitalanlage als wohlfeiles Mittel des Erhalts von Anlagebeträgen. Doch ungeachtet der Frage, ob der damit verbundene Freiraum in der Anlage der Beitragsmittel erfolgreich ist oder nicht, gab es eben bislang in der betrieblichen Versorgung für den Arbeitnehmer eine Mindestgarantie. Diese Garantie hat - wie vielleicht verkannt wird - überhaupt keinen Kapitalmarktbezug, sondern einen den Entgeltanspruch sichernden Charakter. Warum soll ein Arbeitnehmer auf 100 Euro Barlohnauszahlung heute zugunsten seiner Versorgungsanwartschaften verzichten, wenn er dafür in der Zukunft nicht einmal einen Betrag in Höhe dieses Verzichtsbetrages zugesagt bekommt? Von Geldentwertung auf der Zeitachse einmal ganz abgesehen. Jedenfalls - genau dieses Prinzip liegt dem Beitragszusagen- und Zielrenten-Gedanken des Sozialpartnermodells zugrunde.

Bei den Zielrenten (im anglosächsischen Raum als "Defined ambition-Pläne" bekannt) gibt es keinerlei Garantien mehr, sondern nur noch eine in etwa erwartbare Versorgungshöhe. Zwar soll (sic!) laut Gesetzentwurf ein Sicherungsbeitrag vom Arbeitgeber geleistet werden. Ob der tatsächlich zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart wird und was das in Euro und Cent für den Arbeitnehmer bedeutet, steht in den Sternen. Auch die zögerliche Vorgabe, in der Entgeltumwandlung von den ersparten Sozialversicherungsbeiträgen des Arbeitgebers mindestens 15 Prozent weitergeben zu müssen, macht es nicht schöner. Warum nicht 20 Prozent?

Gewandeltes Entgelt ist Arbeitslohn - dafür hätte der Arbeitgeber bei Barauszahlung auch die vollen Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Es wird also gesetzlich zum Nachteil des Arbeitnehmers normiert, was arbeitsrechtlich schon länger bedenklich ist - nämlich der Einbehalt von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber bei Entgeltumwandlung.

Kapitalmarktrisiken auf den Arbeitnehmer abgewälzt

Hinzu tritt, dass es für die zukünftigen Zielrenten auch ein gesetzliches ("hartes") Garantieverbot geben soll. Das heißt, obwohl die Versicherungswirtschaft, zum Beispiel im beliebten Durchführungsweg der Direktversicherung, durchaus noch Garantien darstellen kann, dürften keine Garantien mehr gegeben werden.

Faktisch würden mit diesen Neuregelungen Kapitalmarktrisiken zukünftig voll auf den Arbeitnehmer abgewälzt. Da auch die Entgeltumwandlung im Rahmen der Beitragszusage und Zielrente zulässig sein soll, trägt der Arbeitnehmer also nicht mehr nur das aus eigener Tasche, was einmal als betriebliche Altersversorgung des Arbeitgebers begann, sondern auch noch das Risiko der Kapitalanlage. Schirmherr über diese Veränderung zulasten des Porte monnaies der Arbeitnehmer ist ein sozialdemokratisch geführtes Ministerium. Chapeau! Schade, dass hier vonseiten der Arbeitnehmervertreter so wenig zu hören ist.

Absehbare Schwierigkeiten

Völlig ungeklärt ist aber nun auch die Frage, wie diese an zusätzlicher Komplexität nicht arme Lösung an die Unternehmen kommen soll? Soweit klar - große Unternehmen und die Tarifparteien insgesamt werden sich damit auseinandersetzen und externe Berater hinzuziehen können. Gerettet werden sollten mit dieser Maßnahme aber kleine und mittelständische Unternehmen und deren Belegschaft. Welche Rolle ist hier der die bAV vermittelnden Beraterschaft zugedacht, an deren Verdienstmöglichkeiten schon lange mit "Tendenz nach unten" geschraubt wird?

Ansätze und Anlässe zur Beratung gibt es sicherlich von 2018 an genug. Schon bisher war die bAV nicht gerade einfach zu erläutern. Sie ist durch Berührung vielfältiger gesetzlicher Rahmenbedingungen eben stark erklärungsbedürftig. Die neue bAV-Welt nach Frau Nahles setzt den bisherigen Lösungswegen noch eine weitere hinzu. Während schon bislang über 500 Kombinationsmöglichkeiten in der bAV bestehen, dürften ab 2018 noch einmal über 100 Varianten hinzukommen.

Ohne Beratung wird es nicht gehen. Und diese Beratung kostet nun einmal Geld. Wenn man berücksichtigt, dass die hohe Verbreitung der seit 2002 mit einem Rechtsanspruch versehenen Entgeltumwandlung wohl im Wesentlichen auf die aktive Beratung der Vermittler zurückzuführen ist, ist es erstaunlich, dass die Regierung einmal mehr (siehe Riester in der bAV) die Vertriebskosten im Visier hat und nach planwirtschaftlicher Manier den Leistungserbringern die Höhe deren Vergütung vorschreiben will. Man stelle sich vor, in gleicher Weise würde dem Lebensmittelhändler um die Ecke, gar dem Autoverkäufer gesetzlich vorgeschrieben, wie viel Geld für deren Leistung zu verdienen sei.

Für bAV muss Beratungskompetenz zur Verfügung stehen

Zukünftig müssen also die gegebenenfalls von den Tarifparteien ausgehandelten Versorgungslösungen jenen Kleinunternehmen und Mittelständlern erklärt werden, die sich einem bestimmten Tarifvertrag anschließen wollen. Übernehmen diese Beratung zukünftig flächendeckend Gewerkschaften? Arbeitgeberverbände? Wohl kaum. Die Lösung für eine erfolgreiche Verbreitung liegt in der flächendeckenden Sicherstellung von Beratungskompetenz und Beratungskraft.

Ein Jammer also, dass sich die Politik die Argumente sogenannter Verbraucherschützer zu Eigen macht, der zufolge die Vergütungen in der Altersversorgungsberatung zu hoch seien. Aktuell fordert Dorothea Mohn, Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), ein gesetzliches Verbot der Provisionsberatung. Das ist ungefähr so, als würde sich die Versicherungswirtschaft dafür einsetzen, Verbraucherschützern die Steuermittel für deren teilweise äußerst fragwürdige Tätigkeit zu kürzen, weil die Gefahr besteht, dass ein kenntnisloser "Schützer" einem Bürger stundenlang Dinge erklärt, von denen er nichts versteht.

Weitere Oligopolisierung des Marktes

Klar dürfte sein, dass bei einer Umsetzung dieses Modells erneuter Konsolidierungsdruck auf die versicherungsgebende Wirtschaft ausgeübt wird. Eine Konzentration auf wenige große Gesellschaften, die durch Kostendegression entsprechende Vorteile erzielen, wird zu einer weiteren Oligopolisierung des Marktes führen.

Zweitens wird weiterer Druck auf die Vertriebskosten die Beratung unattraktiver machen. Wo sie überhaupt noch stattfinden kann, muss auch der Vermittler entsprechende Losgrößen beraten und standardisierte Geschäftsprozesse entwickeln. Damit wird klar, dass auch aus diesem Grund mittelfristig ein großer Teil der heutigen Vermittler ihr Geschäft in diesem Segment weder rentabel noch überhaupt wird betreiben können. Nur die größeren Beratungsorganisationen werden eine Chance haben, am Wachstum der bAV teilzuhaben.

Die Tarifparteien selbst müssen sich diese Frage stellen: Wollen sie zukünftig ihre neuen bAV-Modelle selbst beraten? Können sie das? Umfassend, kompetent, flächendeckend, eingebettet in die übrige Versorgungs- und Lebensplanung von Arbeitnehmern, abgestimmt auf die Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmern oder auch großen Unternehmen?

Klug wäre es, nicht zu glauben, dass auch nur ein einziger Blumentopf gewonnen ist, wenn in Tarifverhandlungen und im Anbieterauswahlverfahren durch bloße Einigung auf eine gemeinsame Einrichtung schon die Verbreitung der Versorgung sichergestellt ist. Denn wenn aufwendige Altersversorgungsberatung nicht ordentlich honoriert wird, wird sie nicht oder nur schlecht stattfinden. Das aber kann weder politisches, noch gesellschaftliches Ziel sein, wenn man die Versorgung der Bürger stärken will.

Dieses Gesetz trägt den euphemistischen Namen "Betriebsrentenstärkungsgesetz". Die Frage ist erlaubt, wer in welcher Weise eine Stärkung der Betriebsrenten erkennt. Möglicherweise wird sich der Verbreitungsgrad durch die Zulagenförderung für Geringverdiener und die tariflichen Möglichkeiten erhöhen.

Niedergang zulasten der Arbeitnehmer

Bezogen auf den einzelnen Arbeitnehmer kann insgesamt wohl kaum von einer "Stärkung" der Betriebsrentenanwartschaften gesprochen werden. Denn die (politisch verursachten) Kernprobleme, die einer erfolgreichen Stärkung von Betriebsrentenanwartschaften im Wege stehen, bestehen einstweilen fort: die durch eine wahre Geldschwemme der Europäischen Zentralbank (EZB) verursachten Niedrigzinsen, der deutlich zu hohe steuerliche Zins von sechs Prozent bei Pensionszusagen, volle Beitragspflicht zur Krankenversicherung in der Rentenphase, um nur einige zu nennen.

Auffällig bleibt auch, dass der Entwurf weitgehend Probleme zu normieren versucht, die für kleine und mittlere Unternehmen keine waren und jene Sorgen unangetastet lässt, die in der Studie des Bundesarbeitsministerium ermittelt wurden: Zu hohe Komplexität, zu schlechte Informationen, zu wenig Fachleute und mangelhafte Kommunikation des Themas. Korrigierend wirkt sich zum Teil der Beitrag der Förderung von Geringverdienern aus, der durch das Bundesfinanzministerium initialisiert wurde. Die Vorschläge der Ausschüsse für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, Finanzen und der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats wurden von der Regierung weitgehend zurückgewiesen. Es steht zu erwarten, dass das Gesetz so kommt, wie es nun vorliegt. In Richtung Berlin ist zu adressieren: Ein großer Wurf sieht anders aus!

Zum Autor Andrew J. Hartsoe, Leiter betriebliche Altersvorsorge, Plansecur Service GmbH & Co. KG, Kassel
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