KUNDENBETREUUNG

Comeback der Bankassurance - die Hausbank erfindet sich neu

Boris Strucken, Foto: FIS

Klassische Allfinanzmodelle scheinen im digitalen Zeitalter ausgedient zu haben. Doch gerade die Digitalisierung erlaubt dem strategischen Konzept der Verschmelzung der beiden Welten von Bank und Versicherungsgeschäft ein Comeback, sagt Boris Strucken. Das kann allerdings nur gelingen, wenn der Kardinalfehler der ersten Allfinanzwelle - die Zusammenarbeit mit jeweils nur einem Partner - nicht wiederholt wird. Sondern die Angebotsfülle der Vergleichsplattformen muss als Maßstab herhalten. Wenn dann zusätzlich zum Immobiliendarlehen nicht nur die passende Versicherung vermittelt wird, sondern auch Services wie Malerarbeiten oder Umzugsdienste angeboten werden, dann kann die Bankassurance zu einem ersten Baustein für die Plattformökonomie der Banken werden. Red.

Das strategische Konzept der Allfinanz beziehungsweise der Bankassurance schien zu Beginn der "Nullerjahre" bereits ausgedient. Die Idee eines gemeinsamen Vertriebs von Bank- und Versicherungsleistungen hatte sich nicht durchsetzen können. Der deutsche Platzhirsch, die Allianz, trennte sich im Dezember 2009 von ihrer Tochter Dresdner Bank. Mit dem Verkauf an die Commerzbank endete hierzulande der Versuch, Bankangebote und Versicherungsservices unter einem Dach zu vereinigen.

In der Folge verblieben zwar einige Kooperationen zwischen Banken und bestehenden Versicherungsunternehmen. Sie rückten jedoch schleichend immer mehr in den Hintergrund. Banken gingen dazu über, das eigene Filial- und Vertriebsnetz für den Verkauf von erweiterten Versicherungsprodukten zu nutzen, welche von ausgewählten externen Partnern bereitgestellt werden. Die bestehende Kundenbeziehung zwischen Geldinstitut und Kunde bildet dabei die Grundlage für weitere Geschäfte.

Ein klassisches Beispiel für dieses Cross-Selling ist der Abschluss einer Immobilienfinanzierung. Nach erfolgter Unterschrift erhält der frisch gebackene Eigenheimbesitzer vom Kundenberater der Bank direkt Versicherungsprodukte für die Immobilie an die Hand - jeweils angepasst an die ja bekannte Situation des Kunden. Im direkten Gespräch hat der Berater gute Chancen, die ergänzenden Dienstleistungen und ihre Mehrwerte zu erläutern, was die Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss erhöhen sollte. Soweit die Theorie.

Bankassurance krankt an zu wenigen Partnern

In der Praxis kranken derartige Kooperationen jedoch oft daran, dass Banken nur mit einzelnen Versicherungen zusammenarbeiten. Der Kunde erhält entsprechend keine Angebotsvielfalt, sondern nur ein einzelnes passendes Produkt des jeweiligen Vertriebspartners - ein Konzept, welches in puncto Kundennutzen kaum als zeitgemäß betrachtet werden kann. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Transparenz bei Finanz- und Versicherungsprodukten aufgrund diverser digitaler Vergleichsportale immer stärker gegeben ist.

Der Abschluss von Verträgen beim Berater der Hausbank ist inzwischen eher die Ausnahme als der Regelfall. Kunden sind heute besser informiert als je zuvor - erster Anlaufpunkt bei Finanzfragen ist längst das Internet. Weder Bankberater und Versicherungsagenten verfügen über einen Vertrauensvorschuss, der einen Abschluss ohne eigene Recherche wahrscheinlich macht.

Comeback durch "Financial Home"

Auch wenn die klassische Allfinanz der 2000er Jahre ausgedient zu haben scheint, erlebt das strategische Konzept aus Verschmelzung der beiden Welten - Banking und Versicherung - derzeit ein Comeback. Erste Privat- und Direktbanken versuchen aktuell, auf ihren digitalen Kanälen die Ära der Bankassurance 2.0 einzuläuten. Via App oder Online-Banking können Kunden auf eine Auswahl von Versicherungsprodukten zugreifen. Eine klare Kampfansage an die in Mitteleuropa starken Vergleichsportale!

Die Idee dahinter scheint vielversprechend. Die Hausbank transformiert sich digital zum "Financial Home": Zur ersten Anlaufstelle für Finanzfragen, auch über das klassische Bankgeschäft von Girokonten, Krediten und Co. hinaus. In Zeiten niedriger Zinsen ist das Vermittlergeschäft zweifelsfrei wichtiger denn je.

Den digitalen "Burggraben" der Bank vertiefen

Seit Jahren wird stetig gepredigt, dass bei neuen digitalen Lösungen der Kundennutzen im Fokus stehen müsse. Vor diesem Hintergrund scheint die Idee Potenzial zu haben: Die digitalen Angebote der Banken sind aktuell noch die erste Anlaufstelle für den Verbraucher. Soll heißen: Jeder Bankkunde prüft sein Online-Banking ohnehin regelmäßig. Zusätzliche Attraktivität durch erweiterte Services könnte diese Stellung als zentrales Finanzcockpit weiter ausbauen - den Burggraben der Institute vertiefen. Schließlich zeigen Erhebungen, dass die Wechselbereitschaft der eher konservativen deutschen Verbraucher gering ist.

Rüstet die Hausbank mit modernen und transparenten neuen Services auf, hat sie im Rennen um die Gunst der Kunden die Pole Position inne. Der digitale Kundenkontakt ist von essenzieller Bedeutung, um als zentrale Drehscheibe bestehen zu können.

Zweifelsohne wird das Rennen jedoch umkämpft: Diverse Fintechs haben im Bereich Bankassurance Fuß gefasst - mit Fokus auf den Bereich B2B2C. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Fintechs im großen Stil versuchen werden, das Interface zwischen den Kunden auf der einen Seite und Banken und Versichern auf der anderen Seite stärker zu besetzen.

Bigtechs als Damoklesschwert

Auch von anderer Seite ist Konkurrenz denkbar. Wann immer es um Finanzservices von morgen und neue Vertriebswege geht, scheint aktuell das Damoklesschwert der Bigtechs (GAFA) über der Branche zu hängen. Deren digitales Know-how, ihr ausgereiftes Verständnis von kundenfreundlichen Prozessen und die Kompetenz in puncto Datenauswertung lassen Google, Apple und Co. als mächtige Gegenspieler etablierter Banken und Versicherer erscheinen.

Dieser Punkt scheint umso relevanter, als die jüngste große Übernahme von Fitbit durch Google gezeigt hat, dass auch digitale Devices wie etwa Smartwatches und Fitnesstracker einen nicht zu unterschätzenden Datenschatz bergen, der sich in alle möglichen Richtungen hebeln lässt.

Die Angebotsqualität entscheidet

Über eine große Menge nutzbarer Daten verfügt im Umkehrschluss natürlich auch die Hausbank. Auf Informationen zur Lebens- und Finanzsituation sowie zu monetären Großprojekten hat das Institut quasi ein Monopol. Durch das Girokonto sind sämtliche Zahlungsströme bekannt und stellen einen ungehobenen Datenschatz dar. Dies versetzt die Bank in die Situation, über die digitalen Kanäle maßgeschneiderte Produkte anzubieten, welche der individuellen Situation und den Bedürfnissen gerecht werden.

Nicht zu unterschätzen ist dabei der Vorschuss an Vertrauen, den deutsche Verbraucher der Hausbank entgegenbringen. Beim Umgang mit sensiblen Finanzdaten ist für Deutsche die Bank ein weit verlässlicherer Partner als die großen US-IT-Riesen - von unbekannten Newcomern aus der Fintech-Industrie ganz zu schweigen. Datenschutz und Sicherheit sind dabei wichtige Elemente, wobei ein "Big-Brother-is-watching-you" zu vermeiden ist, was mit gezielten und smarten Einwilligungen zur Datennutzung erreicht werden kann.

Anders als in der Vergangenheit müssen Banken beim erneuten Bancassurance-Anlauf von Beginn an verinnerlichen, dass ein konkurrenzfähiges Angebot mit der Fülle der angebotenen Produkte und der Vielzahl der Versicherungspartner steht und fällt. Im Zeitalter des Internets ist Kostentransparenz und Fairness wichtiger denn je. Mit nur wenigen angeschlossenen Partnerunternehmen werden die Kunden kaum zu überzeugen sein - zu etabliert sind längst die großen Vergleichsplattformen. Diese zeigen, wie Leistungen - neben Preisen - transparent verglichen werden können. Deren Angebotsfülle muss als Maßstab herhalten.

Fehler der ersten Allfinanzwelle nicht wiederholen

Für die Allfinanz 2.0 Pioniere unter den Banken gilt es, die Fehler der ersten Allfinanzwelle nicht zu wieder holen und dabei von den Erfolgreichen zu lernen.

Wettbewerbsentscheidend dürfte ferner sein, ob es Banken und Versicherungen gelingt, beratungsintensive Versicherungsprodukte einfach und verständlich aufzubereiten. Dazu ist Kreativität gefragt:

- Neue Kanäle, wie etwa Erklärvideos, müssen eingebunden werden, um gerade junge Kunden vom Nutzen der Produkte zu überzeugen.

- Andere Touchpoints, wie etwa Chatbots, werden schon mittelfristig in der Lage sein, eine tragende und gleichzeitig kostengünstige Rolle im Kontakt mit dem Verbraucher zu übernehmen.

- Bankfilialen und Versicherungsagenten hingegen werden immer stärker in den Hintergrund rücken.

Sowohl Banken als auch Versicherer sind daher gefordert, die traditionelle Vertriebslogik zu hinterfragen und innovative Wege einzuschlagen. Auch reicht das Kopieren der etablieren Vergleichsportale nicht aus, sondern intelligente weiterführende Ansätze sind gefragt.

Transparente Marktplätze schaffen

Die Befürchtungen aufseiten der etablierten Banken und Versicherer, durch digitale Wettbewerber zu austauschbaren Produktanbietern degradiert zu werden, muss sich als Katalysator neuer Technologien erweisen. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass beide Branchen aufgrund ähnlicher Herausforderungen rational gemeinsame Interessen und Chancen ausloten.

Hierbei spielt das vielgeflügelte Wort der Plattformökonomie oder Marktplatz der Finanzen eine Schlüsselrolle. Insbesondere können solche offenen Plattformen einen transparenten Markt platz erschaffen, der nicht von einem Monopolisten dominiert wird, sondern das Zusammenspiel vieler Marktteilnehmer nicht zu Konkurrenz, sondern Symbiose führt.

Die Öffnung der Kontoinformationen - initiiert durch die Zahlungsdienstrichtlinie PSD2 - erleichtert Instituten zukünftig den Austausch sowie die Verknüpfung von Daten und Services. Dank offener Schnittstellen wird es ermöglicht, sämtliche digitalen Transaktionen zu verbinden. Dies bietet die Chance, klassische und innovative Bank- und Versicherungsdienstleistungen individuell optimiert anzubieten. Das kann sogar so weit gehen, dass neben Bank- und Versicherungsangeboten noch weitere Leistungen vermittelt werden: Zum Immobiliendarlehen und den Versicherungen erhält der Verbraucher etwa Angebote zum Umzugsdienst, Garten- oder Malerarbeiten.

Ein erster Baustein zur Ausweitung des Ökosystems

Somit ist Bankassurance ein wichtiger erster, gleichzeitig naheliegender Baustein, um das Ökosystem der Finanzindustrie auszuweiten. Es gilt, smarte digitale Innovationen voranzutreiben anstatt sein Heil in der Abschottung gegen neue Geschäftsmodelle zu suchen. Durch gezielte Nutzung von Daten haben Banken die Chance, ihr Financial Home in neue Lebensbereiche auszudehnen. Dabei genießen sie gegenüber den US-Rivalen einen nicht unerheblichen Vorsprung in puncto Kundenvertrauen. Dank digitaler Möglichkeiten lassen sich auch kulturelle Unterschiede im Bank- und Versicherungsvertrieb, welche der Allfinanzlange im Weg standen, leichter ausräumen.

Wenn der Kunde versteht, welchen Mehrwert die Auswertung seiner persönlichen Daten für maßgeschneiderte und günstige Angebote darstellt, dann kann in den entsprechenden Lebensbereichen die Bank und Versicherung Mehrwert durch smarte und digital voll integrierte Vorschläge erbringen. Der "me-too"-Ansatz zum Kopieren erfolgreicher Geschäftsmodelle von Vergleichsportalen und der GAFAs wird vermutlich nicht das Allheilmittel sein, dazu sind diese zu weit technisch fortgeschritten und etabliert. Vielmehr sind neue kreative Ansätze gefragt.

Die Kombination von Kundenwissen (Datenschatz), digitalen Technologien und kombinierten Angeboten kann dabei der Schlüssel sein. Versicherungsbereiche und Bankgeschäfte sind so zusammenhängend, dass der Finanzpilot der erste Einstieg ist. Diese Schlüsselschnittstelle zum Kunden kann über die klassischen Apps schnell in Portale bis hin zu Plattformen integriert werden, weil die dahinterliegenden APIs als digitale Zugangskanäle flexibel kombiniert werden können. Branchenübergreifendes Wissen und neues Denken kann hierbei eine wiederbelebte Erfolgsgeschichte der Allfinanz einläuten. Die neue Innovationswelle ist aus Verbrauchersicht sehr zu begrüßen: Der Kundennutzen muss bei jeglichen Angeboten stets und konsequent im Fokus stehen.

Boris Strucken, Leiter Innovationen im Bereich Banking für Europa, Fidelity Information Services GmbH, Frankfurt am Main
Boris Strucken , Leiter Innovationen im Bereich Banking für Europa, Fidelity Information Services GmbH, Frankfurt am Main
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