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Digitale Evolution in der Autobranche verändert Finanzdienstleistungen

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Die Automobilbranche ist ein gutes Beispiel für die voranschreitende Digitalisierung der Gesellschaft, so Klaus Entenmann. Das verändert auch automobile Finanzdienstleistungen - im Vertrieb, aber auch bei den Produkten selbst. So könnten durch Smartphones Leasing und Carsharing mit sekundengenauer Abrechnung zum Leitmotiv der Branche werden. Und bei den Versicherungstarifen ist eine Personalisierung der Tarife abhängig vom Nutzungs- und Fahrverhalten der neue Trend. Red.

Der Wunsch nach Mobilität ist ein uraltes menschliches Grundbedürfnis. So gut wie jeder Mensch möchte gerne schnell, flexibel und bequem von A nach B kommen. Das Auto wird dabei auch in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen - und deshalb bleibt die Automobilindustrie eine vielversprechende Wachstumsindustrie: Schätzungen zufolge dürfte der weltweite Automobilabsatz bis zum Jahr 2025 um knapp ein Drittel auf jährlich rund 115 Millionen Fahrzeuge zulegen.

Grundlegend ändern allerdings dürfte sich die Art und Weise, wie diese Abermillionen von Fahrzeugen genutzt werden. Dank dem "Internet der Dinge" wird das Auto noch intelligenter und damit noch attraktiver. Schon bisher war das Auto mehr als nur ein reines Fortbewegungsmittel. Es war und ist ein privater Rückzugsraum. Seit jeher wollen wir die Zeit, die wir darin verbringen, produktiv nutzen. Audiokassette, Hörbuch, Radio und MP3-Player waren beziehungsweise sind die treuen Begleiter aller Vielfahrer - zumindest, solange sie keinen Beifahrer haben. Spätestens seit der Einführung der Bluetooth-Technologie ist das Auto zudem zur rollenden Telefonzelle geworden. Künftig könnte diese "motorisierte Privatsphäre" sogar noch wichtiger werden. Die Ära des autonomen Fahrens bricht an und sie ist nicht weniger als ein technologischer und gesellschaftlicher Quantensprung.

Verständlicherweise findet der eine oder andere die Vorstellung, dem Computer das Steuer zu überlassen, derzeit noch befremdlich. Fakt aber ist, dass der Computer auf längere Sicht der wesentlich bessere Fahrer sein dürfte: Er trinkt nicht, er wird niemals müde oder unaufmerksam, er lässt sich nicht provozieren und hat stets alles im Blick. Durch das autonome Fahren gewinnen wir also nicht nur mehr Zeit, sondern auch mehr Sicherheit. Die ersten Erfahrungen bei Daimler sprechen für sich: Eine seriennahe S-Klasse hat bereits im Jahr 2013 rund hundert Kilometer im Alltagsverkehr autonom zurückgelegt. Der Mercedes-Benz Future Truck konnte ein Jahr später zeigen, dass autonomes Fahren auch eine Nummer größer geht. Und in diesem Jahr wurde im US-Bundesstaat Nevada der erste autonome Lkw mit Straßenzulassung präsentiert.

Noch weiter in die Zukunft blickt das Forschungsfahrzeug Mercedes-Benz F 015: In ihm können die Passagiere jederzeit über Eyetracking, Gesten oder Berührung von Bildschirmen mit dem Fahrzeug interagieren, steuern muss keiner mehr. Stattdessen können sich die Insassen dank vier drehbarer "Lounge-Chairs" beim Fahren unterhalten, während die hochmoderne Sensorik permanent das Umfeld erfasst.

Finanzdienstleistungen weiterhin wichtig im Konzern

Diese Beispiele geben nur einen ersten Vorgeschmack darauf, was die digitale Evolution für das Auto bedeutet: Es wird intelligenter, flexibler und vernetzter. Autos und Laster verwandeln sich in Computer auf Rädern, das Smartphone wird zum Steuerrad der persönlichen Mobilität - und die Automobilhersteller treiben diese Entwicklung mit Hochdruck voran. Erst kürzlich hat Daimler gemeinsam mit BMW und Audi den Kartendienst Here von Nokia übernommen.

Auch dieser Schritt verdeutlicht, dass es in der Branche künftig nicht mehr ausschließlich um kühne Kurven und starke Motoren, sondern zunehmend auch um Daten und Dienstleistungen geht - im Produkt selbst genauso wie um es herum.

Natürlich werden die Autokunden auch künftig darauf achten, dass ihr Fahrzeug toll aussieht, zuverlässig fährt, ein ordentliches Kurvenverhalten an den Tag legt und Bequemlichkeit bietet. Sie werden aber auch danach fragen, wie verlässlich es vor Stau, Verkehrsbehinderungen oder gar Gefahren warnt oder ob es selbstständig einparken kann. Kurz und gut: Das Auto von morgen sollte optimal vernetzt sein.

Doch auch andere Services gewinnen im Zuge dieser Vernetzung weiter an Bedeutung und auch sie werden zunehmend an den Bordcomputer des Fahrzeugs gekoppelt sein. Ein gutes Beispiel dafür sind Finanzdienstleistungen, über die sich zumindest amerikanische Kunden bereits heute aus dem Fahrzeug heraus informieren können. Das ist umso wichtiger, weil zusehend mehr Kunden auf Finanzierung und Leasing zurückgreifen. Aktuell wird nahezu jedes zweite Fahrzeug, das bei Daimler vom Band rollt, finanziert oder verleast.

Verlagerung in die digitale Sphäre

Auch von uns vermittelte Kfz-Versicherungen erfreuen sich wachsender Beliebtheit. 2014 konnte die Finanzdienstleistungssparte immerhin rund ein Achtel des Konzerngewinns beisteuern. Das unterstreicht, dass dieser Service für das Geschäftsmodell der Automobilhersteller eine beträchtliche Rolle spielt.

Selbstverständlich werden sich auch automobile Finanzdienstleistungen mehr und mehr in die digitale Sphäre verlagern. Daimler Financial Services investieren derzeit massiv in die Erneuerung der IT-Systeme und Kundenplattformen: Mehr und mehr Kunden wollen ihre Bankgeschäfte im Netz und von unterwegs aus erledigen, der Gang in die Filiale ist für viele längst Vergangenheit.

Auch der Autohandel, bisher der "Point of Sale" für automobile Finanzdienstleistungen schlechthin, wird von der digitalen Transformation nicht unberührt bleiben: Immerhin kann sich jeder zweite Kunde bereits heute vorstellen, sein Auto online zu kaufen.

Smartphone hebt Finanzierung und Leasing auf neue Ebene

Vielleicht noch wichtiger jedoch ist, dass die Erfindung des Smartphones den Kerngedanken von Leasing und Finanzierung auf eine neue Ebene hebt: Beides erlaubt es dem Kunden, ein Auto zu fahren, ohne auf einen Schlag große Summen auf den Tisch zu legen. Mit anderen Worten: Die Flexibilität war und ist, verglichen mit dem Kauf, deutlich höher.

Nun erreicht diese Flexibilität eine neue Stufe: Dank neuer Carsharing-Konzepte wie car2go kann der Kunde heute zumindest in Großstädten jederzeit spontan ein Auto fahren, ohne es zu besitzen. Mit nur wenigen Klicks kann das Fahrzeug innerhalb des Stadtgebietes gefunden und angemietet werden, abgerechnet wird auf die Minute genau.

Die Kunden wissen diese Möglichkeit zu schätzen: Im Schnitt steigt aktuell alle zwei Sekunden ein Kunde in ein car2go. Insgesamt zählt das konzerneigene Carsharing-Angebot mittlerweile über eine Million Kunden in aktuell 30 Städten weltweit. Alles in allem sind über 13 000 Fahrzeuge im Einsatz, manche von ihnen sind elektrisch angetrieben und tragen auf diese Weise dazu bei, dem Kunden neue Antriebsarten schmackhaft zu machen. Diverse Studien prophezeien dem Carsharing in den kommenden Jahren hohe zweistellige Wachstumsraten.

Carsharing und Leasing auf dem Weg zum Leitkonzept?

Wer jetzt eins und eins zusammenzählt, der stößt auf eine Welt der nahezu unbegrenzten Möglichkeiten: Wenn Autos künftig autonom fahren und auf Knopfdruck bestellt werden können, könnten manche Kunden darauf verzichten, ein solches Auto selbst zu besitzen - sondern es vielmehr mit einem Klick auf ihr Smartphone genau dann ausleihen, wenn sie es tatsächlich brauchen.

Damit könnte der Kerngedanke von Leasing und Carsharing langfristig zum Leitkonzept einer ganzen Industrie werden: Man zahlt nicht für den Besitz, sondern nur für den (autonom) gefahrenen Kilometer. Das Auto wäre, um es bewusst überspitzt auszudrücken, ein öffentliches Verkehrsmittel ohne Mitreisende.

Personalisierung von Versicherungstarifen

Denkbar wären, ähnlich wie bei den heutigen Telekommunikationsanbietern, unterschiedliche Tarife, die an den Bedürfnissen und Präferenzen des Kunden ausgerichtet sind. Auf dem Gebiet der Kfz-Versicherungen zeichnet sich ein solcher, auf telematischer Datenerhebung basierender, Trend bereits ab. Das Stichwort lautet: Pay How You Drive. Auf gut Deutsch heißt das: Der Versicherungsbeitrag bemisst sich anhand des persönlichen Fahrstils - wer einen heißen Reifen fahren will, muss im Zweifelsfall auch mehr bezahlen. Künftig könnte eine solche Personalisierung der Tarife Schule machen: Bezahlen würde der Kunde entsprechend seiner Erwartungen an das ihm zur Verfügung stehende Service-Level. Mögliche Fragen in diesem Zusammenhang könnten lauten: Wie schnell soll das Auto da sein, nachdem ich es bestellt habe? Welche Ausstattung sollte es haben? Für welchen Zeitraum möchte ich es exklusiv im Vorhinein reservieren? Welche Sicherheitsfeatures sollte es aufweisen?

Mit anderen Worten: Das "Premium" beim Autofahren wird neu definiert werden - aber es wird nicht verschwinden. Wer heute Wert auf Sicherheit, Bequemlichkeit und technologische Ausstattung legt, würde künftig mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht mit einem Kleinwagen zufriedengeben. Das Konzept von First Class, Business Class und Economy Class könnte seinen Weg auf die Straße finden.

Abrechnung aus einer Hand

Teil eines solchen Premiumverständnisses wäre sicherlich auch, dass das vernetzte Auto imstande ist, seine eigenen Grenzen zu erkennen. So könnte das Bordsystem im Falle eines Staus etwa zum Umsteigen auf das Fahrrad oder den Öffentlichen Nahverkehr raten. Mit der konzerneigenen App moovel, die dem Nutzer bereits heute den Vergleich und die Buchung unterschiedlichster Mobilitätsoptionen erlaubt, sammeln wir erste Erfahrungen in diese Richtung. Schon heute kann man mit der moovel-App nicht nur ein Taxi, ein car2go oder ein Mietfahrrad finden, sondern auch ein Zugticket buchen und bezahlen. Dadurch wird die persönliche Fortbewegung für den Kunden noch einfacher und noch bequemer - insbesondere, weil die Abrechnung für sämtliche genutzte Dienste aus einer Hand kommt.

Bei aller Euphorie steht fest, dass noch diverse technologische, wirtschaftliche, rechtliche und ethische Fragen zu klären sind. In Deutschland etwa gilt nach wie vor das "Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr", demzufolge der Fahrer quasi immer die Kontrolle über das Auto haben muss. Eine im Jahr 2014 beschlossene Änderung, die autonomes Fahren erlauben könnte, muss noch ratifiziert werden. Die Gretchenfrage bleibt zudem, wie sich autonom fahrende Autos im Fall eines Unfalls verhalten sollen und wie man bestmöglichen Datenschutz gewährleisten kann. Auch haftungsrechtliche Fragen sind, insbesondere im internationalen Kontext, noch zu klären. Dessen ungeachtet steht fest: Die Digitalisierung verändert unsere Branche in Formel-1-Geschwindigkeit; das mobile Internet wird zum Treibstoff der persönlichen Mobilität.

Zum Autor

Klaus Entenmann, Vorsitzender des Vorstands, Daimler Financial Services AG, Stuttgart

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