INSOLVENZ UND INKASSO

Geldpolitik und vorinsolvenzliche Verfahren schwächen die Hausbanken

Prof. Dr. Gunther Schnabl, Foto: Studioline

Die Kombination von Niedrigzins und vorinsolenzlicher Restrukturierung ist eine ungute, so Gunther Schnabl. Denn in einem Umfeld ohnehin niedriger Margen drohen die Hausbanken dadurch zusätzlich geschwächt zu werden. Den Kern des Übels sieht der Autor im Moratorium. Denn es bleibt unklar, wie die Plausibilität der Restrukturierungspläne geprüft werden kann. So besteht die Gefahr, dass nahezu alles genehmigt wird. Dann aber kann eine bloße Verschleppung der Insolvenz die Folge sein. Red.

Die Erwartungen bezüglich der Geldpolitik haben sich zuletzt wieder hin zu einer Verstetigung der sehr lockeren Geldpolitiken der großen Zentralbanken gedreht. Die US-amerikanische Federal Reserve hat signalisiert, die Zinserhöhungen und die Reduktion ihres Anleihebestandes zu verlangsamen. Die Europäische Zentralbank scheint sich von der für Ende 2019 anvisierten Zinserhöhung verabschiedet zu haben und signalisiert zusätzliche Kredite für den labilen Bankensektor. Gleichzeitig plant die Europäische Kommission eine Richtlinie zur Einführung von vorinsolvenzlichen Verfahren. Beide Faktoren deuten auf eine langfristige Schwächung insbesondere kleiner und mittlerer Banken im Eurogebiet hin.

Erstens schwächt eine anhaltende Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik den Bankensektor, insbesondere kleine und mittlere Banken. Denn im Aufschwung begünstigen (anhaltend) niedrige Zinsen Investitionsprojekte mit vergleichsweise niedriger Rendite, weil die Finanzierungskosten gering sind. So zum Bespiel im Süden des Eurogebietes in den Jahren 2001 bis 2007, als Kapitalzuflüsse beispielsweise viele spekulative Projekte im Bausektor finanziert haben. Steigen am Ende des Booms die Zinsen, steigt die Hürde, zu der die Rentabilität aller vergangenen und zukünftigen Investitionsprojekte gemessen wird. Projekte mit niedriger Rendite müssen abgebrochen werden, sodass der Boom in eine Krise mündet.

Niedrigzinsen führen zu Zombieunternehmen

Senken die Zentralbanken die Zinsen stark, um die Krise abzumildern, dann werden Investitionsprojekte mit niedriger Rendite am Leben erhalten. Es entstehen sogenannte Zombieunternehmen, die nur lebensfähig sind, wenn das Zinsniveau niedrig bleibt. Das Kapital bleibt in Investitionsprojekten mit niedriger Grenzleistungsfähigkeit gebunden, sodass weniger neue Projekte mit potenziell höherer Rendite finanziert werden können. Die durchschnittliche Grenzleistungsfähigkeit aller Investitionen sinkt. Das Potenzial für Banken, von Unternehmen vergleichsweise hohe Kreditzinsen zu verlangen, nimmt ebenso ab.

Darüber hinaus schwächt eine anhaltende Niedrigzinspolitik die Banken, weil sie deren Margen drückt. Mit einer zunehmend expansiven Geldpolitik, wie sie seit der Euroeinführung zu beobachten ist, sinken zunächst Einlagen- und Kreditzinsen. Während bei den Einlagenzinsen mit null weitgehend eine Untergrenze erreicht - weil die Sparer sonst ihre Einlagen in Bargeld tauschen würden - sinken die Kreditzinsen weiter. Das gilt insbesondere, wenn die Zentralbanken durch den umfangreichen Ankauf von Staatsanleihen die langfristigen Zinsen drücken.

Die Zinsmarge zwischen Kredit- und Einlagenzinsen als wichtigste traditionelle Einkommensquelle der Banken schwindet. Auch die Marge zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinsen (Transformationsmarge) wird reduziert, wenn die unkonventionelle Geldpolitik die langfristigen Zinsen senkt.

Die Geschäftsbanken können theoretisch die sinkenden Einlagen mit einer Ausweitung des Investmentbankings kompensieren. Denn mit anhaltend niedrigen Zinsen und zunehmender Ausweitung der Zentralbankbilanzen wachsen in einzelnen Segmenten der internationalen Finanzmärkte die Vermögenspreise stark. Derzeit zum Beispiel im deutschen Immobilienmarkt und lange Zeit bei deutschen und US-amerikanischen Aktien. Bei richtiger Anlagestrategie kann das hohe Renditen bringen. Diese Spekulationsmöglichkeit wurde in der EU jedoch durch eine striktere Regulierung des Eigenhandels eingeschränkt. Zudem werden die Banken durch höhere Eigenkapitalanforderungen und umfassende Berichts- und Dokumentationspflichten mit hohen Kosten belastet, was insbesondere kleinere und mittlere Institute in Bedrängnis bringt.

Moratorium begünstigt Verschleppung

Zweitens fällt in dieses Umfeld die geplante Reform des europäischen Insolvenzrechts. Nach der "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU" (2016/0359 (COD)) sollen sich von der Insolvenz bedrohte Unternehmen in Eigenregie restrukturieren dürfen. Das kann die Verschleppung von Insolvenzen begünstigen. Denn die bisher in Deutschland üblichen unabhängigen Insolvenzverwalter, die nach Insolvenzordnung den Ausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger suchen, können mithilfe der neuen Richtlinie umgangen werden.

Von Insolvenz bedrohte Unternehmen können fortan in Eigenregie vorinsolvenzliche Verfahren leiten.*) Das verändert die Kräfteverhältnisse zwischen Schuldner und Gläubiger. Das schuldnerische Unternehmen kann seine besseren Informationen zu seinem Vorteil besser nutzen, wenn es das Verfahren selbst führt. Zudem kann nach Vorstellung des Richtlinienentwurfs das schuldnerische Unternehmen, wenn ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren eröffnet wurde, Durchsetzungsmaßnahmen von Gläubigern für eine Dauer von bis zu 12 Monaten aussetzen. Das begünstigt die Verschleppung von Insolvenzverfahren.

Plausibilitätsprüfung der Restrukturierungspläne schwierig

Voraussetzung ist, dass Vorschläge für Umschuldung, Schulden erlass oder eine Umwandlung von Schulden in andere Formen von Verbindlichkeiten dargelegt werden und die Art der neuen Finanzierung angegeben wird. Die für den Restrukturierungsplan verantwortliche Person hat zu erläutern, warum die Insolvenz abgewendet und das Unternehmen wieder langfristig rentabel werden kann. Es bleibt unklar, wie die Justiz- und Verwaltungsbehörden die Plausibilität der Restrukturierungspläne überprüfen können. Das könnte dazu führen, dass alle oberflächlich plausiblen Pläne angenommen werden, weil die zukünftige Entwicklung per se ungewiss ist.

Da die Gläubiger von Unternehmen bestehende Verträge nach Aussetzung der Durchsetzungsmaßnahmen erfüllen müssen, wird die Position von wirtschaftlich schwachen Unternehmen gegenüber den (solventen) Gläubigerunternehmen gestärkt. Wenn die Geschäftspartner des (potenziell) in solventen Unternehmens gezwungen werden können, die Vertragsbeziehung und Lieferverpflichtung zum schuldnerischen Unternehmen aufrechtzuerhalten, dann geht der Zwang zur Sanierung verloren. Die Haftung wird aufgeweicht, weil der Gläubiger seine Forderungen nur noch bedingt ein fordern kann.

Sozialisierung von Risiken auf Kosten der Gläubiger

Die wirtschaftlich prekäre Lage eines Unternehmens kann sich damit auf andere übertragen. Die Zuliefererunternehmen der von Insolvenz bedrohten Unternehmen können an den Risiken der wirtschaftlich schwachen Unternehmen beteiligt werden. Gleiches gilt für die kreditgebenden Hausbanken. Das kommt einer Sozialisierung von Risiken auf Kosten wirtschaftlich starker Unternehmen und der Hausbanken gleich. Einer weitreichenden "Zombifizierung" der Wirtschaft wird der Weg geebnet (Herok und Schnabl 2018). In Japan, wo die Niedrigzins- und unkonventionelle Geldpolitik schon 15 Jahre früher als im Euroland eingesetzt hat, ist dieser Prozess schon weiter fortgeschritten. Nach Reynolds, Hagiwara und Taniguchi (2017) machen bereits zwei Drittel der Unternehmen zu wenig Gewinne, um Steuern zu zahlen. Der kontinuierliche Rückgang der Konkurse zeigt, dass Restrukturierungen weit gehend unterbleiben. Dies weist auf eine zunehmende Zombifizierung von Unternehmen und Banken hin.

Wirtschaftlich schwache Unternehmen werden von Banken am Leben erhalten, weil diese bei zu hohen Kreditausfällen einen Anstieg ihrer faulen Kredite fürchten. Die wirtschaftliche Lage der Banken ist damit aber ebenfalls schlecht, sodass diese auf ein anhaltend niedriges Zinsniveau sowie eine unbeschränkte Kreditvergabe der Zentralbank angewiesen sind. Zombieunternehmen werden von Zombiebanken am Tropf der Zentralbank, am Leben erhalten.

Ordnungspolitisch bedenklich

Die Richtlinie zur Einführung von vorinsolvenzlichen Verfahren ist damit in Kombination mit der anhaltend expansiven Geldpolitik ordnungspolitisch bedenklich. Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft wie Haftung und Privateigentum werden unterhöhlt. Das Haftungsprinzip stellt eine effiziente Ressourcenallokation sicher, weil Unternehmen durch das Tragen der finanziellen Verantwortung für das eigene Handeln angehalten werden, Verschwendung zu vermeiden. In einem Wirtschaftssystem, in dem das Haftungsprinzip systematisch außer Kraft gesetzt wird, werden die Wachstumskräfte nachhaltig geschwächt.

Das geht früher oder später auf Kosten der Bürger, weil die Produktivitätsgewinne, die Grundlage von Lohnerhöhungen sind, sinken oder negativ werden. In Japan sinkt das durchschnittliche Lohnniveau bereits seit 1998, während sich im Bankensektor ein schmerzlicher Konzentrationsprozess fortsetzt.

*) Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits 2012 mit dem Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) gemacht.

Literatur

Herok, David / Schnabl, Gunther 2018: Europäische Geldpolitik, Zombifizierung und Wachstum in Europa. Wirtschaftspolitische Blätter 18, 463-478.

Reynolds, Isabell / Hagiwara, Yuki / Taniguchi, Takako 2017: Hordes of Zombies: Thousands of Japanese Firms Dodging Bankruptcy. Bloomberg, 12.3.2017.

Prof. Dr. Gunther Schnabl, Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Leipzig

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